Ich habe nun die ersten zwei Missionen gespielt. Das ist natürlich früh, vor allem da die erste Mission das Tutorial darstellt. Trotzdem hier ein erster Eindruck, denn das Gerüst des Spiels kommt gut durch und so viel gibt es ja noch nicht über Sheol zu lesen. Und das finde ich schade, denn kurz gesagt gefällt es mir.
Die Regeln sind ausführlich und bis auf wenige Stellen (siehe BGG) vollständig. Man merkt dem Regelwerk an, dass sie sich Mühe gegeben haben, es wirkt nämlich zu vollständig. Da hätte man einiges kürzer schreiben oder darstellen können. Allgemein ist spürbar, dass es sich um ein Indie-Werk handelt. Eine gute Redaktion hätte da einige Kanten abschmirgeln können und das Spiel verdaulicher und schlanker gestaltet. In Mission zwei musste ich noch einiges nachschlagen, jetzt fühle ich mich sicher genug, um Mission 3+ stabil auf die Beine zu stellen und auch Neulingen das Spiel relativ flott erklären zu können. Die Ikonographie ist konsistent und insgesamt okay. Weniger wäre auch hier mehr gewesen, aber ich fühle mich momentan gut aufgestellt und die häufig benötigten hat man schnell intus. Der Index ist mittelgut, aber immerhin.
Die Spielerzüge laufen simultan ab, also praktisch keine Downtime. Das erhöht die Komplexität und fördert die Absprache. Ich finde das super, bereits in Stars of Akarios. Hier tüftelt man schon eine Weile zusammen, was jetzt gut passt. Das liegt auch daran, dass Karten entweder für ihren beschriebenen Effekt - der ist für jeden Scout anders - oder für eine generische Ersparnis gespielt werden kann (z.B. Luxrabatt für Kampf, Bewegung, ...). Beide dieser Optionen wollen also abgewogen werden und für beide gibt es auch Karten, die eben nicht mir, sondern einem anderen Scout helfen. Die Scouts haben dadurch auch deutliche Profile, die ihre Basiswerte (z.B. Bewegung, Handkartenlimit) weiter ausprägen. Die simultane Interaktion mit diesen unterschiedlichen Charakteren sind für mich das Highlight des Spiels.
Beckikaze hatte in einem Nachbarthread angemerkt, dass die Aktionen zu umständlich sind. Bestes Beispiel dafür ist wohl die Aktionen Planen. Mit dieser kann man sich Lichtpfade in seinen eigenen Vorrat holen, um sie dann später bei der Bewegung unter sich zu legen oder sie mittels der Aktion Reveal in das von der Laterne beleuchtete Raster zu legen (und z.B. damit anderen Scouts ihren Wegbau leichter zu machen oder vor sich eine Barriere gegen die Monster zu errichten). Ich stimme zu, dass man hier hätte vereinfachen können - braucht man diesen Schritt also überhaupt? - und wie oben schon angemerkt, halte ich Sheol für kein besonders elegantes Spiel, das man flüssig runterspielt. Mich stört das aber nicht. Im Gegenteil würde ich sogar sagen, dass dieser Extraschritt einen Teil des Spielgefühls ausmacht, weil wir eben vorsichtig und mit Aufwand neue Wege in der Dunkelheit erschließen. Es fühlt sich dadurch auch nicht an wie ein Tron Lightcycle - mit wenigen Ausnahmen, der Maenad-Scout kann teilweise darauf surfen - sondern eher wie ein bemühter schubweiser Vorstoß, ein Kampf gegen die Dunkelheit.
Es kommen oft mehr Gegner ins Spiel, als man abwehren kann. Und selbst wenn man könnte, möchte man nicht trödeln, denn die Missionen wollen ja schließlich erledigt werden. Jede Mission hat mehrere Karten, die entweder der Reihe nach aufgedeckt und abgearbeitet werden oder sich in Parallelaufgaben aufsplitten. Man bekommt am Anfang nur ein Storybriefing und weiß ungefähr was kommt, mehr nicht. Streng genommen weiß man also nicht, wie man die Mission gewinnt. Das finde ich toll gemacht, hier steckt Spannung drin. Und ich bewundere immer, wenn ein Mechanismus auch in den Köpfen der Spieler wirkt. Ich teile so die Unsicherheit der Scouts, die in die Dunkelheit geschickt werden.
In den Missionen werden Landkarten erkundet, was wertvolle Punkte für die Entwicklungsphase gibt. Das will man immer machen. Gleichzeitig ist nie genug Zeit. Die Gegnerzahl eskaliert, die Mission drängelt, und dazu will man eben erkunden oder noch eine Verteidigungsanlage oder Umbra-Extraktor bauen. Die Grundspannung bei Sheol ist relativ hoch. Und im gleichen Atemzug die Ergänzung, dass sie am Ende der zweiten Mission in den Keller sackte, als ich ein sehr leichtes letztes Ziel zum Gewinnen der Mission bekam, so dass ich sie an dieser Stelle für mich für erfolgreich beendet erklärte. Ähnliches ist mir auch bei Middara aufgefallen und allgemein ein Problem mit manchen Ko-ops. Wenn klar ist, dass ich ohne Komplikationen gewinne, spiele ich nicht um des Spielens willen zuende. Oder zumindest verabschiedet sich dann ein Teil von mir. Sowas ist mir bei z.B. Pandemie nicht oder wirklich nur unmittelbar vor Spielende passiert. Selbst bei meinem Favoriten Spirit Island bemängele ich diese Absehbarkeit. Aber okay, wie gesagt, hab erst zwei Missionen gespielt und es ist einmal vorgekommen. Ich denke vielmehr, das es oft eine knappe Kiste wird.
Die Gegnerzüge, für mich ist das bei Ko-Ops im Kopf immer die "Adminphase", ist überschaubar, zumindest am Anfang, wenn noch nicht viele Monster im Spiel sind. Die meisten bewegen sich aber erstmal nur, nach klaren Regeln. Dadurch lässt sich auch die z.T. hohe Anzahl auf dem Brett bei fortgeschrittener Mission leicht handhaben. Das ist mir wichtig, denn ich möchte spielen, nicht das Spiel verwalten. Bisher war der Kampf relativ simpel. Während der Kampagne war ich einer der eifrigen Verfechter eines alternativen Kampfsystems mittels Karten (mit Upgrademöglichkeit, vgl. Gloomhaven oder Stars of Akarios). Mittlerweile bin ich froh, dass sie es so simpel gelassen haben. Der eine Würfel ist sicherlich kein ausgefeilter Mechanismus, aber löst die Abwicklung auch mehrerer Angriffe auf schnelle und platzsparende Weise. Karten hat das Spiel genug. Würfelmanipulation oder Abwehr von Schaden ist dazu mittels Luxkarten möglich. Als Kampfsystem ist das keine große Offenbarung, aber es fügt sich gut ein. Man will meistens sowieso nicht kämpfen, sondern lieber zackig durch die Missionen sputen und dann schnell wieder zurück in die sichere Zitadelle
Mit nur drei Basis-Shadows ist die Gegnervarianz gering. Ich finde das gut, denn dadurch muss man nicht dauernd nachschlagen, was die Gegner eigentlich machen. Es fördert auch das Gefühl, dass man gegen eine Masse von Wesen kämpft. Damit bleibt der Blick auf dem Wesentlichen, nämlich dem Spielerzug. Individuelle Gegner folgen erst später, soweit bin ich noch nicht. Da erwarte ich durchaus ein paar Schweißperlen. Den Beutel für die Gegnertokens kann man vergessen, denn man muss sie mit der verdeckten Seite ziehen. Sehr schlau. Ich hole sie also stattdessen am Anfang aus dem Beutel, lege sie entsprechend hin und ziehe dann aus diesem Vorrat. Da auf der anderen Seite dieser Blips der Gegnertyp abgebildet ist, finde ich auch die Miniaturenerweiterung eher störend als gut, denn man muss oft zugreifen und sie oft in der Runde drauf auch wieder zurückstellen. Die Tokens lösen das effizienter und quasi automatisch. Jede Runde kommt ein neuer Trait für die Gegner hinzu, der sie schwieriger macht. Vergleiche Fireteam Zero mit seinen Wendungen. Dort sind es allerdings mehrere feste, während sie hier jede Runde eins weiter rutschen, manche Eigenschaften also auch wieder das Spiel verlassen. In späteren Missionen werden die Gegnerwerte erhöht und mit Heralds sowie heftigeren Spawn-Möglichkeiten ergänzt. Ich glaube, das wird immer ein Spiel unter Druck bleiben.
Die Entwicklungsphase folgt nach jeder Mission und bietet den Scouts die Möglichkeit, die Zitadelle, ihr Kartendeck oder Ausrüstung aufzuwerten sowie z.B. Wundenkarten abzulegen. Die hier getroffenen Überlegungen finde ich klasse. Ja, man möchte die Zitadelle verbessern, aber eine neue Lanterne, Waffe oder Karte sind ebenfalls verlockend. Je nach erworbenen Tokens während der Mission sind auch nicht alle Optionen verfügbar. Oder man kann z.B. nur aus den Karten seiner Fraktion auswählen.
Die Kampagne besteht aus 13 Missionen, die chronologisch und ohne Fail Forward durchgespielt bzw. wiederholt werden. Zusätzlich gibt es eine Mission pro Scout (hab ich kein Interesse dran, schaltet aber eine weitere besondere Karte für das Deck des jeweiligen Scoutes frei) sowie mehr Material mit den Erweiterungen. Apropos. Ich habe genau: Keine. Und bin froh darum. Zeitlich reicht mir das Basisspiel locker aus. Wiederspielbarkeit ist gegeben, ich würde sagen maximal zweimal. Die Länderentdeckungen kennt man dann natürlich, aber bei sechs Scouts im Grundspiel (man spielt immer vier) und sich gegenseitig ausschließenden Upgrades für die Zitadelle ist ein zweites Mal drin, wenn man will. Die Mechaniken der Erweiterungen empfinde ich als unnötig. Im Gegenteil machen sie sowohl das Material - mit dem nett gemeinten, aber ziemlich unübersichtlichen Insert - als auch die Regeln voller und ergänzen das Spiel an Stellen, an denen es meiner Meinung nach keine Ergänzung braucht oder sie sogar im Weg ist. Die extra Missionen hingegen kann ich mir durchaus vorstellen. Ich brauche sie nicht.
Das Material empfinde ich als gut. Die Karten sind dünn, aber mit Leinendruck, ziehe ich tausend Mal einem Etherfield vor, das bereits nach zwei Runden vergleichsweise abgenudelt wirkte. Ich sleeve halt nur selten. Wer sleeven will, braucht das nur mit den Luxkarten der Scouts tun, überschaubar. Tokens, Box und so sind alle von guter Qualität. Die All-In Box soll allerdings ein schlechter Witz sein und die Zitadelle fällt wohl auch auseinander. Für mein Core ist alles gut. Auch die randvernähte Spielmatte ist fantastisch, liegt sauber auf und wirkt klasse. Insgesamt finde ich das Artwork ebenso großartig, habe allerdings zu bemängeln, dass es auf dem Tisch alles etwas ineinander verschwimmt. Da muss man schnell genauer hinschauen, ob da nicht doch ein schwarztürkises Token auf der schwarztürkisen Karte liegt. Die Gegnerboards sowie die Double-Layers für die Spieler sind stabil und liegen gut.
Wer sich eine Box ausdenkt, die um 1cm weiter ist als ein Kallaxfach, verdient es, sein Leben lang nur noch Uno zu spielen.
Die Geschichte hat Lücken in der Qualitätskonsistenz, aber gefällt mir im Großen und Ganzen bisher gut. Das frische Sci-Fi Setting wird glaubhaft vermittelt und der Schreibstil ist für mein Gefühl über z.B. Middara oder Stars of Akarios erhaben, stellenweise glänzt es gar. Mag am Setting liegen. Während der Missionen werden bei der Entdeckung der Länder Storyfetzen vorgelesen, aber nur etwa 2-4 pro Mission. Könnte man auch weglassen, wenn man nicht gerne liest. Dazu etwa genausoviele Storykarten mit Entscheidungen, also spielrelevant. Diese fielen mir teilweise schwer, was mir gut gefiel. Gleichzeitig blieben ihre Konsequenzen im Rahmen. Sie versorgen die Scouts allerdings mit Tokens, die neben der Entwicklung der Zitadelle wohl auch das Ende der Kampagne bestimmen.
Zum Spielgefühl habe ich oben bereits einiges geschrieben. Vorgesehen ist es für vier Helden, zweihändig halte ich für ideal. Vierhändig solo ist es für mich anstrengend. Selber schuld, hab halt Bock auf vier Scouts, aber gibt dafür die Servobots als expliziten Solomodus, das darf man dem Spiel nicht ankreiden. Trotzdem glaube ich, dass durch den Druck und die Absprache auch bei mehreren Spielern Sheol ein Werk bleibt, was einen etwas auslaugen kann. Ich vergleiche Sheol gerne mit dem schönen, aber ebenfalls etwas anstrengenden Fireteam Zero, in dem auch jede Runde Monster erscheinen und man eigentlich nur irgendwie durchkommen will. Überhaupt gibt es hier viele Parallelen, wie die neuen Monsternwendungen, die individuellen Kartendecks sowie der würfelgetriebene Kampf. Nur dass Sheol 3-4 Mal so viele Regelseiten hat wie das um Längen schlankere FTZ.
Der Grundtenor der Story ist wie erwartet düster. Die Atmosphäre liegt für mich zwischen Tron (Ästhetik) und Final Fantasy Spirits Within (sicheres Habitat gegen zahllose unerklärte Kreaturen). Beides Lieblinge von mir.
Was ich dem Team von Lunar Oak Studios hoch anrechne ist, dass ihr Werk dem in der KS-Kampagne vermittelten sehr, sehr nahe kommt. Es wurden Regeln verändert, z.B. gab es ursprünglich eine Art Match-3-Mechanismus bei den Lichtpfaden. Die zu kürzen war eine gute Entscheidung, gleiches Problem wie bei den Monstern (nur verdeckte Seite darf sichtbar sein). Insgesamt ist Sheol das, was ich mir von der Kampagne erwartet habe.
Vielleicht kommt jetzt überraschend, dass ich das Spiel gestern kurz für ein paar Stunden zum Verkauf eingestellt hatte (und da bereits Anfragen bekam). Zwei Faktoren. Zum einen, dass es solo wie gesagt anstrengend ist und ich auf absehbare Zeit nicht weiß, mit wem ich es spielen kann. Zum anderen braucht das Spiel sehr viel Platz. Wie Middara. Bei Middara waren die Helden aber immer in einer Ecke der Karte unterwegs, so dass ich den Rest nutzen konnte, um z.B. Monster-AI-Karten draufzulegen. Bei Sheol kann es potentiell sein, dass sich die Helden aufsplitten müssen. Im Foto seht ihr, dass ich bereits auf Fußboden und die zweite Etage des Tisches ausgewichen bin. All das macht das Handling nochmal einen Ticken umständlicher, was mich nach zwei Missionen genervt hat. Ich habe mein Inserat aber wieder gelöscht. Zum einen glaube ich an das Spiel. Es ist etwas Besonderes, ein Unikat, das die Vision seiner Entwickler auf mich transportieren vermag. Und es ist schlicht auch nicht gut erhältlich. Ich sortiere Spiele normal stringent aus und rotiere durch, aber hier habe ich Sorge, dass ich einen Verkauf bereuen würde. Mich interessiert auch wirklich, wie die Kampagne zuende geht.
Im Moment bleibt es weiter ausgepackt. Ich möchte gerne einen Bosskampf erleben. Danach entscheide ich neu. Ist Sheol Arbeit? Ja, schon etwas. Aber finde ich es trotzdem gut? Auch Ja.
Insgesamt möchte ich LOS zu diesem aus meiner Sicht gelungenen Erstlingswerk gratulieren.