Puh, "Wir sind das Volk!" ist vom Ungespielt-Stapel verschwunden.
Wir haben 2,5 Stunden (exclusive Erklärung) für die Erstpartie gebraucht. Das eigentliche Spiel entpuppte sich dann für mich als einfacher, als ich nach der Regellektüre vermutet hatte, die Aktionsmöglichkeiten (Unruhe entfernen, Lebenstandard erhöhen, Wirtschaft aufbauen oder Ereignis auslösen) sind doch schnell verinnerlicht.
Seine Komplexität gewinnt das Spiel dadurch, dass die Auswirkungen aller Aktionen auf das Dekadenende bedacht werden wollen (und gerade am Anfang nur schwer zu überblicken sind). Wie Wirtschaft, Lebensstandard, Devisen, Sozialisten, Prestige, Republikflucht und Massenproteste verwoben sind und wie man zum gewünschten Ergebnis, dem Zusammenbruch des Gegners kommt, bedarf doch einiger Überlegung.
Wirklich überragend sind die historischen Bezüge, das muss man einfach mal ohne Übertreibung so sagen. Da haben sich die Autoren sehr viel Mühe gegeben, tatsächliche Ereignisse spielerisch unzusetzen - und auf der ganzen Linie Erfolg gehabt. Toll. Auch in "Freedom - The Underground Railroad" sind historische Ereignisse und Personen eingebaut, aber in "Wir sind das Volk!" sind sie für mein Empfinden noch stimmiger in den Spielablauf integriert. Auch das eigentliche Spiel funktioniert sehr gut, wobei ich zur Ausgeglichenheit der Länder noch nichts sagen kann. Ich habe mit der BRD am Ende der vierten Dekade tatsächlich noch den entscheidenden Massenprotest setzen können, knapp war es also auf jeden Fall. Dabei haben wir zwei Dekaden lang einige Regeln übersehen (Unruhe entfernen, wenn Lebensstandard erhöht wird; West-Berlin erhält beim Lebensstandard-Vergleich Unruhe in Höhe der vollen Differenz; Staatsmacht-Karten werden auch dann ausgelegt, wenn der BRD-Spieler sie spielt), das eigentliche Spielgefühl müssten wir aber getroffen haben.
Was ich mich nach einer Erstpartie noch frage ist, ob das Spiel noch etwas Streamlining hätte gebrauchen können. Muss diese Sonderregel mit West-Berlin wirklich sein? Hätte man Republik-Flucht und Devisen vielleicht auch etwas intuitiver regeln können? Die historische Genauigkeit führt hier vielleicht zu einer gewissen Sperrigkeit?
Fazit: Das Spiel ist eine Perle. Es wird nicht zu den Spielen gehören, die hier häufig auf den Tisch kommen, sichert sich aber als einmaliges Erlebnis einen dauerhaften Platz in meiner Sammlung.