Der kleine Unknowns-Filmclub

  • Ich bin wirklich gespannt, wie dieses "Fernsehexperiment" aus vergangenen Tagen bei Euch so ankommt, ...

    Nun, ich habe "Das Millionenspiel" den Abend im Fernsehen geschaut, als ich den Link weiter oben gepostet habe. Den Film kannte ich schon - in blasser Erinnerung aus Tagen, als er noch im TV zu sehen war und viel später noch einmal... es gab da eine Kopie mit schlechter Auflösung bei youtube - die hab ich mir zum Vergleich mit Running Man angeschaut, den ich aber auch erst Jahre nach seiner Veröffentlichung sah. Ja, der kann fast als (Raub)Kopie mit anderen Schauspielern herhalten.

    Als gereifter Sechziger, der angesichts so mancher Reality-TV-Idee seit Jahren Gelenkverschleiß im Nacken zu beklagen hat (vom vielen Kopfschütteln) ist auch dieser Film gut zum Fremdschämen geeignet, wenn man dann hört, dass es nicht wenige Menschen gab (und gibt), die sowas für bare Münze nehmen und daran teilnehmen würden.

    Als gereifter Filmegucker hat mich der Film dann aber doch (heute!) nicht mehr so sehr in seinen Bann ziehen können, dass ich mich nicht doch öfters mit Metafragen beschäftigt habe, also sowas wie "womit bitteschön haben sie denn jetzt den verfolgten Kandidaten live in dieser Situation für die Show gefilmt?"

    Auf jeden Fall ein unterhaltsames Stück Fernsehgeschichte - kann man mal gesehen haben.

    PS: Ich habe damals in den Siebzigern jedem Rainer-Erler-Film entgegengefiebert ("Fleisch" war vermutlich sein bekanntester, Thema: Menschenjagd für geschäftsmäßigen Organhandel). Schade, dass manches davon scheinbar weder wiederholt wurde noch den Weg in die DVD-Vermarktung fand (zumindest nicht als ich mal danach suchte). Ich denke da an die Persiflage "Ein Guru kommt" (drei erfolglose Opernsänger ziehen eine millionenschwere Sekte auf - "Wir atmen tief und ohne Angst" ist heute noch als geflügeltes Wort gelegentlich bei mir in Gebrauch). So der irgendwo zugänglich ist, bitte verlinken - das wär dann auch ein Vorschlag für die nahe Zukunft hier im Thread - da interessiert mich schon selbst die Sichtweise mit etwa 45 Jahren Abstand ;)

    Ich sehe mich hier nur als Organisator und Kommentierer

    Bitte gerne und reichlich davon mehr - du hast unbestreitbar enormes Hintergrundwissen, das ist sehr interessant zu lesen. Danke dafür :danke:

  • Ich habe damals in den Siebzigern jedem Rainer-Erler-Film entgegengefiebert ("Fleisch" war vermutlich sein bekanntester, Thema: Menschenjagd für geschäftsmäßigen Organhandel). Schade, dass manches davon scheinbar weder wiederholt wurde noch den Weg in die DVD-Vermarktung fand (zumindest nicht als ich mal danach suchte)

    Habe mal fix nachgeschaut im Regal:


    Ist noch erhältlich und Fleisch gibt es Remastered in 2K als BluRay, falls du doch wieder Interesse hast.

  • Kam von daher nicht auch das Zitat:

    Fleisch für Dr Jackson?


    Ich war damals noch sehr jung und habe „ Fleisch“ irgendwann später gesehen. Hatte damals aber andere Sichtweisen und fand ihn eher lau.

    Verglichen damit, fand ich thematisch „ Die Insel“ deutlich besser. Das wird aber sicherlich an vielen anderen Faktoren liegen. ;)

    Wenn immer der Klügere nachgibt, wird nur dummes getan!

  • Erler ist super, aber die Sachen sind tatsächlich teilweise schwierig gealtert. Am besten finde ich heute noch Operation Ganymed, der vor kurzem als BluRay rausgekommen ist. Der ist ein schönes Double Feature mit Unternehmen Capricorn und funktioniert heute noch Recht gut. Fleisch ist auch noch gut anguckbar, bei Plutonium hab ich ein wenig gelitten, und Das blaue Palais ist heutzutage stellenweise befremdlich. Die Ideen sind großartig, die Umsetzung halt schon sehr altmodisch bis hin zu leicht trashig. Langatmig sind die aber aus heutiger Sicht alle, und dass sie mit dem Budget eines Fernsehfilms hergestellt wurden, ist auch nicht zu übersehen.

  • Heute dann Das Millionenspiel gesehen.

    1970 lebten wir ja noch im Fernseh-Paradies: Es gab nur 3 Programme, alle waren öffentlich und Werbung gab es nur im Vorabendprogramm. Die Vision Das Millionenspiel wäre mir damals schlichtweg abwegig erschienen. Wolfgang Menge aber hat damals schon weitergedacht: gewinn-orientiertes Privatfernsehen und skrupellose Quoten-Jagd ohne Rücksicht auf die Kandidaten, und die Kamera ständig live dabei. Big Brother und die Geiselnahme in Gladbeck haben uns Jahre später beweisen, dass er nicht falsch lag.

    Die Umsetzung dieser Utopie in das Format Film finde ich gelungen. Die Fernsehshow als Rahmenhandlung für die absurden Spielchen der Fernseh-Macher, die genial eingestreuten Interviews, sie halten dem Zuschauer den Spiegel vor. Die Frage ist nicht, ob Bernhard Lotz gewinnt oder verliert. Die Frage ist: wie weit gehen die Fernseh-Macher.

    Bei den Schauspielern hat mir Dieter Thomas Heck am besten gefallen, gefolgt von Friedrich Schütter als TV-Chef.

    Die Bewertung aus heutiger Sicht fällt schwer, ein Teil der Utopien ist ja (leider) bereits Realität geworden. Daher eine :6_10: .

    Gruß aus dem Münsterland
    Herbert

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    I'm old enough to know what's wise
    and young enough not to choose it

    Einmal editiert, zuletzt von Herbert ()

  • Ich habe damals in den Siebzigern jedem Rainer-Erler-Film entgegengefiebert ("Fleisch" war vermutlich sein bekanntester, Thema: Menschenjagd für geschäftsmäßigen Organhandel). Schade, dass manches davon scheinbar weder wiederholt wurde noch den Weg in die DVD-Vermarktung fand (zumindest nicht als ich mal danach suchte)

    Habe mal fix nachgeschaut im Regal:


    Ist noch erhältlich und Fleisch gibt es Remastered in 2K als BluRay, falls du doch wieder Interesse hast.

    Danke - die DVD-Box habe ich hier stehen. Das mit der Nicht-Verfügbarkeit bezog sich auf den Film "Ein Guru kommt", den ich damals sehr unterhaltsam und in gewisser Weise Erler-untypisch empfand, weil es sich mal nicht um ein (natur)wissenschaftliches, sondern eher soziologisches Themenfeld (Manipulation von Massen) handelte und nicht als Drama sondern recht lustig daherkam. Nach vielen Jahren hab ich eben mal neu recherchiert. Der Titel hat sogar eine eigene Wikipedia-Seite mit kleiner inhaltlicher Erzählung. 2014 hat es eine Umsetzung auf DVD gegeben. Das ZDF hat den Film zuletzt 1998 ausgestrahlt - einen halbwegs öffentlichen Zugang auf irgendwelchen Plattformen scheint es nirgendwo zu geben.

    Die Einordnung der anderen genannten Titel aus heutiger Sicht kann ich nachvollziehen - die Reihe "Das blaue Palais" war damals schon strange, dadurch aber eben auch interessant. Rainer Erlers Filme stachen aus dem Fernseh-Einerlei ähnlich weit raus wie die Produktionen von Wolfgang Menge.

  • Mir hat Das Millionenspiel trotz seiner Schwächen (schlecht inszenierte Action und die von Smuntz bereits angesprochenen Logiklöcher) sehr gut. Die Prämisse hat mir sehr gut gefallen, die Satire ist bissig und streckenweise sehr witzig umgesetzt, vor allem die Werbeeinschübe haben mich sehr zum Lachen gebracht. Dieter Thomas Heck als schnodderige Version seiner selbst ist eine Wucht. Sehr cool finde ich, dass die Show aus der Halle Gartlage in Osnabrück moderiert wurde, in der ich schon öfter zu Konzerten war, an der Floh- und Jahrmärkte stattfinden und wo man bei Heimspielen des VfL parken kann. Das gibt einen Heimat-Bonuspunkt.


    :7/10: 7/10


    Wenn man sich Das Millionenspiel heute anschaut, weiß man, welche Entwicklungen in der Fernsehlandschaft Menge damals vorhergesagt hat, und man erkennt an, wie Visionär der Film 1970 gewesen ist. EINE spannende Frage für mich lautet: Wie würden wir diesen Film finden und über ihn reden, wenn wir ihn tatsächlich im Jahr 1970 gesehen und noch nichts von dem gewusst hätten, was 35 Jahre später in der Glotze flimmern würde?


    Vergleich mit Running Man angeschaut, den ich aber auch erst Jahre nach seiner Veröffentlichung sah. Ja, der kann fast als (Raub)Kopie mit anderen Schauspielern herhalten.

    Jein.


    Running Man basiert auf dem Roman Menschenjagd von Richard Bachman und ist 1982 erschienen. Im Jahr 2025 sind die Städte in katastrophalen Zuständen, die Bewohner werden aufgrund hoher Schadstoffkonzentrationen oft krank, die Regierung der USA ist autoritär. Der Protagonist des Buches nimmt in dieser Umgebung an der Spielshow Running Man teil, bei der er von Zuschauern und Killern gejagt wird. Für jede Stunde, die er überlebt, bekommt er Geld, dass er Für Medikamente für seine schwer kranke Tochter benötigt. Überlebt er einen Monat, gewinnt er den Jackpot.

    Der dystopische Roman ist weit weg von seiner filmischen Umsetzung. Diese basiert nur äußerst lose auf dem Roman, fokussiert sich sehr auf die Gladiatorenkämpfe, die im Roman so nicht vorkommen, und hat einen wesentlich stärkeren Action- und Scifi- Charakter. Bachmans Roman ist mit seinem realistischeren Ansatz wesentlich dichter am Millionenspiel als an seiner eigenen Filmumsetzung. Und hat sich ebenfalls in Teilen als prophetisch erwiesen:


    we are ugly but we have the music

    2 Mal editiert, zuletzt von Lighthammel ()

  • Gestern wollte ich noch Zeit der Unschuld auf 3Sat schauen, aber da war er "schon" aus der Mediathek geflogen.


    Ich wollte ja auch noch etwas zum Millionenspiel schreiben.


    Eine Lücke, die endlich gefüllt wurde. Ich kenne die Geschichte (und weitere) von Robert Sheckley und mein Vater hat mir von dem Film erzählt, dass früher mehrere Leute sich dafür bewerben wollten. Vermutlich im Zusammenhang mit Running Man, kann ich mir vorstellen. Heutzutage vielleicht unvorstellbar, dass man darauf "hereinfällt", aber ich möchte nicht wissen, welchen Geschichten wir noch "auf den Leim gehen werden".


    Damit komme ich zu meinem ersten Punkt: Dieter Thomas Heck ist ein grandioser Moderator dieser Show. Ich bin kein Freund der Hitparade gewesen, aber seine Leistung in diesem Film fand ich grandios. Dagegen fällt der Hauptdarsteller schon ab, aber die Rolle gibt auch nicht so viel her (als erschöpft durch die Gegend hetzen).


    Bei den Werbungen war ich über die Freizugigkeit doch schon sehr überrascht. War wohl doch schon später gedreht als ich dachte, aber ich kann mir vorstellen, dass das noch Grenzübertritte waren. Das Ballett in den "Morphsuits" war auch gut. Insofern hat der Film schon tolle Ideen für ein Bild der Zukunft geliefert. Und viele Elemente sind ja durchaus so gekommen, wie angesprochen wurde.


    Das HD-Bild war sehr gut, die UHD-Fassung konnte ich nicht aushalten, das war mir zu bunt. Schade eigentlich.


    Mich haben noch ein paar kleine Dinge im Film nostalgisch berührt, wie eine Most-Konfiserie in einer Fußgängerpassage (da gab es bisweilen ein paar Leckereien auf dem bunten Teller zu Weihnachten) und der kleine Buchladen am Kölner Hauptbahnhof in den ich mir immer etwas holen konnte, wenn ich meinem Vater noch ein Paket zur Post am Bahnhof gebracht habe.


    War interessant anzuschauen. Dem ein oder anderen würde ich aber eher das Buch vorschlagen. Oder allgemein die Kurzgeschichten von Sheckley. Da gab es zwei Sammelbände, die man für eine schmale Mark noch erwerben kann.

  • Mich haben noch ein paar kleine Dinge im Film nostalgisch berührt, wie eine Most-Konfiserie in einer Fußgängerpassage (da gab es bisweilen ein paar Leckereien auf dem bunten Teller zu Weihnachten) und der kleine Buchladen am Kölner Hauptbahnhof in den ich mir immer etwas holen konnte, wenn ich meinem Vater noch ein Paket zur Post am Bahnhof gebracht habe.

    Ich finde es ziemlich cool, dass Du im Film Sachen wiedererkannt hast. Ich hätte gerne ein bisschen mehr von Osnabrück und gesehen als nur das Innere der Halle Gartlage.

    we are ugly but we have the music

    Einmal editiert, zuletzt von Lighthammel ()

  • Ich schlage zwei Filme für die Fortsetzung vor, die beide auf ihre Weise beeindrucken können:

    - Das ZDF bietet mit "Der Eid" aktuell den erfolgreichsten isländischen Film der letzten Jahre, einen Thriller von Baltasar Kormakur, der damit nach seinen weniger erfolgreichen Ausflügen nach Holywood (Mount Everest) wieder ein spektakuläres Comeback in seiner Heimat feiern konnte. Inhaltlich will ich gar nicht zuviel verraten, aber Kormakur bewegt sich hier klar auf den Spuren Claude Chabrols, der ja auch immer die Abgründe hinter der biederen Fassade des Bildungsbürgertums aufriß.


    Und dann hat ARTE gerade einen Alternativ-Kandidat geliefert: Drive my car ist dort jetzt verfügbar, und die ARTE-App und Aleo haben mich gleichzeitig drauf aufmerksam gemacht, dass der hier doch gut passen würde. Vielleicht ist die Laufzeit ein Problem, aber immerhin hat der Film den Oscar für den besten fremdsprachigen Film erhalten und ist auch sonst ein schillerndes Rätsel, das sich sich wie eine Zwiebel nur schalenweise für den Zuschauer öffnet. Wer also mehr Arthouse als Thriller sucht, wird hier glücklich.

  • Hatte ich vorher nicht kontrolliert, aber es existiert bisher auch keine Synchron, im Kino lief er auch nur OmU. Und die Zeiten wo Arte nur für die Fernsehausstrahlung synchronisiert hat sind wohl vorbei. Aber für den synchtonfreund ist ja noch ein anderer Film im Rennen.

  • wo Arte nur für die Fernsehausstrahlung synchronisiert

    Wie gesagt, die französische Synchro liegt vor, habe ein paar Sekunden geschaut. Nur falls das jemand vorziehen sollte ;)

    Entgegen vieler Vorurteile wird in Frankreich wirklich alles synchronisiert. Die sind da genauso drauf wie die Deutschen, tendenziell schlimmer. Verzerrt ist der Eindruck durch Paris, wo in den inneren Arrondissements alle Filme nur in OmU laufen. Insoweit lag Drive my car dort garantiert schon in Synchro vor, wobei er dort auch bei einem großen Verleih lag, in Deutschland beim nieschigeren Rapid Eye Movies.

  • Heißa! Heck & Hallervorden heben herrlich ab...

    Das Millionenspiel ist eine großartige Mediensatire, die auch heute noch brandaktuell ist. Als geistiger Vorläufer von dem von mir heiß geliebten Running Man von Glaser und weit vor Panem, Squid Game und Co bindet Toelle hier das nackte Grauen unserer null klüger gewordenen Gesellschaft auf Zelluloid. Ob mit zynisch überdrehten Werbespots für mehr oder weniger sinnvolle Produkte, alarmierender Erschöpfung und Verzweiflung des Protagonisten, bissigen Kommentaren des Moderators der zuschauergespickten Liveshow oder schonungslos ehrlichen Stimmen der Zivilbevölkerung - jede drehbuchtechnische Maßnahme sitzt.

    Was mich aber vor allem beeindruckt hat, ist der weltbewegende Schnitt von Marie Anne Gerhardt, die es wie Hollywoodgrößen gleicher Profession absolut versteht, wie man verschiedene Zeitebenen darstellt, wie man Action und Aufmerksamkeit erzeugt und wie man absichtlich enervierend wirkt. Die Cuts aus dem Jahre 1970 sind hochmodern und könnten beispielsweise auch von Stephen Mirrione (Ocean's Eleven) stammen. Brilliant. Äußerst schade, dass sie laut IMDb neben ein paar Miniserien und einer Folge Tatort nur zwei weitere Filme geschnitten hat (Der Unfall, Die Geschichte der 1002. Nacht).

    Abzüge gibt es lediglich aufgrund des schwach abgemischten Tons. Vor allem bei den Studioaufnahmen hinter den Kulissen (ähnlich der Prime Serie "UnREAL") hört man oft wirklich schlecht, was gesagt wird, da sich alle Dialoge gegenseitig überlagern und nur eine große, nahezu eintönig laute, breiige Masse erzeugen. Das hätte man weitaus besser lösen können und müssen, auch damals schon.

    8x 50 Jahre im Voraus "The 50" verarschend den Spiegel vorhalten (= 8/10 Punkten)
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    Danke an Huutini für diese tolle Idee! Keine Sekunde langweilig das Teil. Und wo sich die Kameras befinden ist der benefit of a doubt, den man für den Film eben schlucken muss. Habe ich gar kein Problem mit.
    Die Woche gibt es dann Drive My Car, den habe ich eh schon seit Erscheinung auf der Watchlist! =)
    Lg