Warum verliert der deutsche Markt seine Innovationsstellung?

  • Ausgehend von hier möchte ich ein paar Zitate von Ben2 als Aufhänger benutzen.


    Zitat von @Ben2

    Ich habe aber das Gefühl ich bin einer der wenigen, die dadurch den Untergang der deutschen Brettspielszene sehen :D

    Naja - nicht der Szene; aber der Innovations- und Vormachtsstellung würde ich wohl eher sagen. Tolle Dinge kommen mittlerweile eher aus dem Ausland oder von KS. Und das liegt AUCH an den Preisen.


    Das kann ich ja alles nachvollziehen.


    Was ich mich jetzt frage: Wiese hängt dies mit der Innovationsfähigkeit zusammen?

    Für die Innovation braucht man ja Leute die auf hohem Niveau spielen und daraus neue Ideen entwickeln. Leute, die sich auskennen und Feedback geben und noch ein paar fähige Redakteure. Das alles ist hier (deutschsprachiger Raum) doch immer noch in einer herausragenden Dichte vorhanden.


    Jetzt mal von mir ganz naiv ins Blaue geschossen ein paar Gedanken.


    Und wenn die Produktionen zunehmend opulenter werden und die englische Sprache international agieren kann, ist da vom deutsch-sprachigen Markt ausgehend doch sowieso kein Kraut dagegen gewachsen. Warum muss ein Spiel alles im Heimatmarkt verdienen? Die großen Spiele erscheinen doch alle international. Die teureren Komponenten werden gemeinsam produziert.

    Warum schafft man das nicht auch für das Risikokapital?


    Und gut, es ist zwar paradox, aber wenn die Verlage nur noch billigen Durchschnitt herausbringen, warum gibt es dann keineFörderung für besonders innovative Konzepte? So wie die Filmförderung. Gab es da nicht auch mal einen Verein mit Geld und dem Ziel der Förderung des Kulturguts Spiel?

    Warum fängt jeder Verlag bei Null an für die Apps? Der Buchhandel hat es auch geschafft für den Tolino ein Joint Venture zu gründen.

    Ist Print on Demand bei Papp-Komponenten wirklich noch soweit weg? Könnte man hier nicht teilweise ein Baukastensystem für wertiges Spielmaterial aufbauen? (Die Catan-Häuschen und so ...)


    Ich kenn die Branche überhaupt nicht und habe keine Ahnung, aber die Preise gehen meiner Meinung nach deswegen kaputt, weil viel zu viel (mittelmäßiges) veröffentlicht wird. Wir können schon kaum das Marktsegment überblicken, wo wir zur direkten Zielgruppe gehören. In Deutschland gibt es nach meinem Gefühl auch ziemlich viele Verlage für die Größe des Marktes. Der brutale "Wirtschaftsexperte" in mir, sieht da jetzt nur zwei Wege: Konsolidierung oder Vergrößerung der Kundschaft ins Internationale. Seltsamerweise hat sich die Branche aber für den dritten Weg Selbstausbeutung entschieden (scheint so - für mich Außenstehenden).

    Die Branche muss international verlässlicher und stärker kooperieren ... und muss sich irgendwas zum Risiko-Teilen für innovative Konzepte einfallen lassen. Wirkt zumindest auf mich so.


    Und PS: Was ist in Frankreich denn wirklich soviel besser? Philibert hat doch ähnliche Preise wie wir?

  • Alles gute Punkte - die müsste ich mal sprachlich aufarbeiten; ich würde dazu gern nen halben Aufsatz schreiben. Ich habe eine Reihe von Antworten auf deine Aussagen und ein paar Spekulationen.

    Das hier ist mein Privat-Account. Alle hier geäußerten Meinungen sind nur meine privaten Meinungen und geben nicht die Meinung von Frosted Games wieder.

    Wenn ihr Fragen zu Frosted Games habt, bitte: FrostedGames

  • Ich habe gerade überlegt, und so aus dem Bauch raus finde ich Friedemann Friese und 2F ziemlich innovativ. Da kommen spannende Spiele und Konzepte rum, die zwar nicht immer der große Wurf sind, aber halt doch immer einen Hingucker haben.

  • danke für den Threat. Bekam eben beim Lesen des oben erwähnten Ausgangthreats die selbe Idee.


    Von einem absoluten Nichtkenner der Szene (und dazu mit wirklich nur rudimentären Wirtschaftskenntnissen):

    In mir kam die Frage auf, warum sind ausländische "Verlage" z.B. auf KS in der Lage Innovationen an den Start zu bringen, deutsche aber nicht?

    Was kann ein Awaken Realms, was ein Ravensburger, Kosmos oder Pegasus nicht kann?

    Wie gesagt, ist nicht böse gemeint, habe davon keine Ahnung, aber haben die grossen deutschen Verlage nicht viel mehr Mittel und Möglichkeiten um z.B. innovative KS anzubieten? Teilweise sind innovative KS ja sogar von Einzelpersonen oder kleinen Teams initiiert (KDM)?

    Die große Stärke der Narren ist es, dass sie keine Angst haben, Dummheiten zu sagen.

  • Vielleicht liegt es ja daran, dass es in Deutschland eine sehr etablierte Verlagslandschaft gibt.

    Wer bisher mit einem bestimmten Programm Erfolge feiern konnte, wird eher weiterhin die etablierten Pfade einschlagen statt plötzlich viel zu riskieren.

    Innovation ist eben nicht alles, um erfolgreich zu sein.


    Und mal ganz polemisch gefragt: Was war eigentlich die letzte große Innovation der deutschen Automobilindustrie? Nach dem Turbodiesel kam ja auch nicht mehr viel.

    Fabian Zimmermann - Autor von Tiefe Taschen / GoodCritters

  • Und mal ganz polemisch gefragt: Was war eigentlich die letzte große Innovation der deutschen Automobilindustrie? Nach dem Turbodiesel kam ja auch nicht mehr viel.

    Wenn die deutschen Verlage so viele Spiele in China absetzen würden wie unsere Autobuden, hätten die keine Probleme. ^^

  • Ich glaube das liegt daran, dass der Brettspielmarkt in anderen Ländern mehr gewachsen ist als in Deutschland, da diese weniger entwickelt waren (insbesondere in den USA).


    Außerdem haben die anderen die Prinzipien der guten deutschen Spiele gelernt und übernommen. Dass heisst, Spiele mit optimierten Regelwerken und innovativen Mechanismen, die mehr Spielspass für alle Mitspieler bieten.


    Anders gesagt, was früher nur die deutschen Spiele geboten haben, können jetzt die anderen auch, teilweise sogar besser, weil sie thematisch mehr Flair haben.


    Da also die internationale Konkurrenz jetzt größer ist, sind deutsche Verlage weniger oft vorne. Insgesamt ist aber das Niveau in Deutschland immer noch sehr hoch, finde ich, nur nicht mehr so besonders hoch wie früher.

    Channing Jones - Autor von Galactic Era

    2 Mal editiert, zuletzt von Mageant ()

  • War schon immer so, dass die Altbewährten von den Neuen überholt und an den Rand gedrängt worden sind. Während sich die Altbewährten auf ihren Strukturen ausruhen und diese verteidigen, teilweise auch betriebsblind bis betriebsmüde geworden sind und an alten Rezepten festhalten, können die Neuen von den ganzen Erfahrungen der Altbewährten lernen, Fehler direkt vermeiden und vieles besser machen. Und eben innovativer sein oder nur so wirken.


    Aber was bringen Innovationen, wenn diese auf dem zweiten Blick spielerisch nichts taugen fernab der reinen Innovation? Ich habe in den letzten Jahren arg viele scheinbar innovative Brettspiele gezockt, die eher Liebhaberprojekte waren und denen die Erfahrung der Altbewährten durchaus gut getan hätten. Mehr ist eben nicht automatisch gut.

    Content-Nachschlag gefällig? Brettspieltag.de – Das etwas andere Boulevard-Magazin der versammelten Brettspiel-Szene

  • Ich finde die Frage auch schwer zu fassen, ohne dass Beispiele genannt werden. Was ist auch mit deutscher Markt gemeint? Deutsche Verlage, deutsche Autoren, Verlage die primär für den deutschen Markt entwickeln?


    Naja, viele Punkte, die ich in den letzten Jahren als innovativ bezeichnen würde, verorte ich aber auch nicht als "Deutsch":


    Legacy Mechanismus

    Extreme Asymmetrie von Beginn an wie in Root

    Erzählerisch getriebene Spiele wie 7th Continent

    Unique Games (dieses wohl gescheiterte Asmodee Konzept, bei dem jede Packung anderen Inhalt hat)

    Einzelne Design Perlen wie Wingspan (illustration), Azul (Steine)

    App Integration (würde ich aber auch nicht drauf setzen)


    Die EXIT Spiele sehe ich da als krassen gegenpunkt (wahrscheinlich sogar wirtschaftlich erfolgreicher als oben genannte Konzepte zusammen). Bei den Kinder Spielen bin ich aufgrund des noch geringen Alters meiner Tochter nicht up to date, aber scheinen deutsche Verlage dauernd interessante Sachen rauszuhauen.

  • Früher wurden Euros in den USA als Germangames oder Germanstyle games bezeichnet, weil die Art von Spiel eben in Deutschland erfunden wurde. Relativ schnell ist man aber zu dem Begriff Eurogame gewechselt weil zwischenzeitlich German-style games auch in anderen Ländern Europas entwickelt wurden.


    Ich denke, es ist ganz normal, dass Deutschland nach der initialen Innovation diese Rolle verlieren muss, da es heutzutage viele Menschen gibt weltweit gibt, die potentielle Spieleentwickler*innen sein können. All diese Spieler*innen weltweit können ein Spiel entwickeln ohne dazu einen bestimmten Arbeitsplatz aufsuchen zu müssen wir in anderen Industriezweigen oder tiefgehende Kenntnisse der Spieleindustrie haben zu müssen. Ich will damit die viele Arbeit und Zeit, die Erfinder*innen und Entwickler*innen in die Spiele stecken nicht kleinreden, ich möchte nur ausdrücken, dass es weltweit viel mehr potentielle Spieleentwickler*innen gibt als in Deutschland. Von daher ist der Eindruck, dass jetzt mehr Innovationen aus dem Ausland kommen eine logosche Konsequenz der Entwicklung unseres Hobbies.

  • Nach meinem Verständnis bedeutet Innovation immer auch ein stückweit die Risikobereitschaft einer Idee mit hohem Einsatz zu begegnen und an sie zu glauben. Dies sehe ich branchenunspezifisch so.


    Vorneweg: Ich habe keine Ahnung welche Abläufe im Spielemarkt Deutschland und im Rest der Welt existieren und wo sie sich unterscheiden.


    Beim Thema Innovation spielt die Grundeinstellung finde ich eine große Rolle. Vom Wesen ist der Deutsche vielleicht einfach nicht so risikobereit. Während der American Dream sagt ich glaube an meine Idee, ich drucke da 30 000 und ich bin mir sicher es gefällt den Leuten ansonsten gehe ich mit wehenden Fahnen halt unter!

    Oder ist es das Bankensystem? Bekommen Firmen in anderen Ländern für ihre Ideen leichter höheres Startkapital, was die Risikobereitschaft fördert und daher direkt einer Idee mit hohem Einsatz gefolgt wird?

    Es sind dann also Grundeinstellungen die hier der Innovation erschwerend im Weg stehen.


    Ich hatte ja immer den Eindruck Deutschland sei ein international hart umkämpfter Markt, schließlich kommt das Wachstum der Spiel nicht daher das Essen solch eine tolle Stadt ist und die Händler daher diese Messe bevorzugen.

    Umkämpft wird ein Markt aber doch nur dann, wenn er finanziell lukrativ ist. Wurde um den Markt in den letzten Jahren zu hart gekämpft, weshalb er mittlerweile dies nicht mehr ist? Dann sollte man aber auch als deutsche Firma den Weg suchen andere Märkte zu erschließen. Gibt es deutsche Verlage die mittlerweile fast ausschließlich für das Ausland produzieren? Wäre zumindest eine logische Konsequenz.


    Die ursprüngliche These ist ja die Kaufpolitik des deutschen Konsumenten welche die Innovation ausbremst, ergo die Spiele betreffend, welche mit deutschen Texten arbeiten.

    Denn sprachneutrale Spiele mit übersetzter Anleitung sind ja direkt internationalem Publikum zugänglich, da ist der deutsche Markt nur ein Zubrot zum Rest. Gibt es überhaupt sprachneutrale aus Deutschland stammende Spiele? Manch einer findet es doof das alles mit Symbolen erklärt wird, aber auf diese Weise erschließt sich ein Riesenmarkt und der kalkulierte Gewinn kann zusätzlich in Optimierungen des Spiels (Optik, Haptik etc.) gesteckt werden.


    Da sind nun doch ein paar mehr Gedanken zusammen gekommen. Vielen Dank fürs aufmerksam lesen ^^.

  • Interessant ist aber, dass als namenloser Hobbyautor (=ich) so manches Spiel abgelehnt wird von deutschen Verlagen, weil es zu wenig innovativ ist. Solide Hausmannskost in neuer (nur leicht innovativer) Abwandlung ist also auch nicht erwünscht (nachvollziehbar). Schmaler Grat, was die dt Verlage aus meiner bisherigen bescheidenen Erfahrung heraus suchen: "so innovativ wie nötig (um herauszustellen), aber so traditionell (v. A. bzgl Komponenten, aber auch Themen) wie möglich." Wie gesagt, nur geringe Erfahrung und rein subjektive Wahrnehmung.

  • Ich bin mir nicht so sicher, ob Kickstarter und die damit operierenden Verlage der vielbeschworene Innovationsmotor ist. Vieles, was man dort findet, ist und bleibt thematisch und ausstattungsmäßig sensationell verpackte Standardkost.

    Auf jeden Fall ist KS genau das:

    Grosse Einzelmengen Bekanntes zu Höchstpreisen ohne Finanzierungsrisiko verkaufen.

    Wenn das nicht innovativ ist.....

  • Denn sprachneutrale Spiele mit übersetzter Anleitung sind ja direkt internationalem Publikum zugänglich, da ist der deutsche Markt nur ein Zubrot zum Rest. Gibt es überhaupt sprachneutrale aus Deutschland stammende Spiele?

    Da gibt es sicher einige. Wenn sich die deutschen Verlage trauen würden, Kartennamen u.Ä. bilingual - also deutsch und englisch - auf die Karte zu drucken (und den Rest mit Symbolik zu machen), wäre eine bilinguale Anleitung nur mehr ein kleiner Mehraufwand. Wenn das bei dem Spiel möglich ist. Und internationales Publikum würde freilich auch die Auflage erhöhen. Wenn ich mir die Englischkenntnisse der einzelnen Länder ansehe (z.B. auf dieser Seite: EF EPI 2020 - Ranking der Englischkenntnisse nach Ländern - die Quelle scheint durchaus ok zu sein), dann erreiche ich damit alleine in Europa bereits zu den Deutschen eine großen Menge an Skandinaviern und die meisten der ehemaligen Ostblockstaaten. Warum auf so einen Markt verzichten?


    Wir sind nun mal nicht mehr als 100 Millionen deutsch-sprechende in der Welt. Da können wir mit den französisch- . spanisch- oder englisch-Sprechenden nicht mithalten (und schon gar nicht mit Mandarin, aber die interessieren noch recht wenig für Brettspiele - außer für die Herstellung derselben :) )


    Auch durch die Einfachheit der Herstellung heutzutage drängen unglaublich viele Verlage auf den Markt ... Essen in den 90ern ... wie viele neue Spiele waren das damals? Und wieviel sind es heute? Jeder kann einen Verlag gründen und eine 500er-Auflage mit überschaubaren Kosten produzieren. Und über Kickstarter wirst du das Zeug auch los! Die großen Verlage müssen da schon vorsichtig agieren - da bleiben innovative Ideen möglicherweise auf der Strecke; weniger Risiko, mehr Bewährtes, das sich wahrscheinlich besser verkaufen wird. Dazu kommt noch, dass "einen Verlag gründen" in hiesigen Landen weitaus komplizierter ist, als z.B. in den Staaten - dort reicht dir bereits deine Steuernummer. Ich denke, sowas fördert auch die Innovation.


    Und zuletzt ... so un-innovativ sind wir doch gar nicht. Es kommen genug Spiele heraus, die auch international gut vermarktet werden können. Autoren wie Feld, Pfister und all die vielen anderen, haben im Segment der Eurogames einen ausgezeichneten Ruf und ihre Spiele werden in aller Welt gespielt. Freilich ... nach oben ist immer Luft :)

  • Dazu kommt noch, dass "einen Verlag gründen" in hiesigen Landen weitaus komplizierter ist, als z.B. in den Staaten - dort reicht dir bereits deine Steuernummer. Ich denke, sowas fördert auch die Innovation.

    Ja, Gewerbeanmeldung für ca. 25 EUR und kompliziertere Steuererklärung.

    Fabian Zimmermann - Autor von Tiefe Taschen / GoodCritters

  • Beispiel Azul: soweit ich mich erinnere hat Michael Kiesling mal gesagt, das Spiel wäre nie so erfolgreich gewesen, wenn Sophie Gravel nicht so viel in Material und Design investiert hätte.


    Stellt euch das ganze von einem deutschen Verlag in Jubako-Optik und Qualität vor. Sehr fraglich, ob es als so innovativ wahrgenommen worden und so erfolgreich geworden wäre.


    Und es hatte nichts mit deutscher Markt oder nicht deutscher Markt (oder Verlag) zu tun, sondern mit Selbstverständnis und Überzeugung von der Idee.


    So gesehen ein Top-Beispiel für Innovation made im Ausland.


    Übrigens: rein von der Werbung her würde ich sagen, kommt mit Robin Hood wieder was großes, innovatives auf uns zu. Was macht mich so sicher? Dass der Verlag so überzeugt ist, dass er diese Beträge für Werbung (und dann auch für Ausstattung etc.) in die Hand nimmt.


    Michael Menzel ist in meinen Augen auch ein gutes Beispiel dafür, dass Innovation oft von außerhalb (in dem Fall: nicht mit den Augen des arrivierten Spieleautors entwickelt) kommt.

  • Die Frage ist, ob der deutsche Markt und auch die deutschen Kritiker nicht eben genau das Verhalten der Verlage fördern.

    Udo Bartsch hat beispielsweise in seinem letzten Blogpost geschrieben, dass sein Highlight des Novembers Hallertau war. Bei H&C war das Spiel auf Platz 2 der Expertenspiele dieses Jahres. Und Hallertau ist ungefähr so innovativ wie die neueste Monopoly-Variante.

    Wenn das aber gekauft wird, und dann noch zu diesem Preis (UVP 76,99€?), warum sollte man etwas ändern?

    Aus wirtschaftlicher Sicht ist doch für jeden Verlag das SdJ das beste, was ihm passieren kann. Da ist aber in der Regel auch keine wirkliche Innovation gefragt. Da wird lieber über die schlimme Anleitung von Paleo (imo auch eher innovativer) im Podcast geschimpft und dass man lieber altbekannte Grafik will.

    Ne das wird imo schon sehr durch uns als Käufer und noch mehr durch machtvolle Kritiker durchaus bestärkt und verlangt.

    Ach ja? Definier mir "normal"!

    Einmal editiert, zuletzt von Sepiroth ()

  • Und damit noch mal zu „weichen“ Faktoren wie Grafik, Material, multimediale Unterstützung.


    Ein Großteil der erfolgreichen Spiele verzichtet auf deutsche Kinderbuchgrafik! Auch ein Spiel mit „kindlichem“ Thema wie Everdell nimmt richtig was in die Hand, um das ganze mit „erwachsenen“ Grafiken zu bringen.


    Innovation wird vor allem bei erfolgreichen Spielen wahrgenommen und erfolgreich werden Spiele für Erwachsene mit einer Grafik für Erwachsene.


    Bei Spielen aus Deutschland sehe ich das (bis auf Michael Menzel) fast gar nicht.


    Beispiel zwei: Promotionvideos - an Kickstarter sieht man, was es ausmacht, wenn ein Promotionvideo professionell gemacht und eingesprochen wird. Hierzulande hat man oft den Eindruck, dass die Verlage sich sagen: „Wer kennt sich bei uns am besten mit sowas aus? So sparen wir Geld.“ Attraktive Sprecher, tolle Stimmen, herausragende Grafik - all das trägt mit dazu bei, was am Ende erfolgreich ist und als Innovation wahrgenommen wird.

  • Die Frage ist, ob der deutsche Markt und auch die deutschen Kritiker nicht eben genau das Verhalten der Verlage fördert.

    Udo Bartsch hat beispielsweise in seinem letzten Blogpost geschrieben, dass sein Highlight des Novembers Hallertau war. Bei H&C war das Spiel auf Platz 2 der Expertenspiele dieses Jahres. Und Hallertau ist ungefähr so innovativ wie die neueste Monopoly-Variante.

    Wenn das aber gekauft wird, und dann noch zu diesem Preis (UVP 76,99€?), warum sollte man etwas ändern? Aus wirtschaftlicher Sicht ist doch für jeden Verlag das SdJ das beste, was ihm passieren kann. Da ist aber in der Regel auch keine wirkliche Innovation gefragt. Da wird lieber über die schlimme Anleitung von Paleo (imo auch eher innovativer) im Podcast geschimpft und dass man lieber altbekannte Grafik will.

    Ne das wird imo schon sehr durch uns als Käufer und noch mehr durch machtvolle Kritiker durchaus bestärkt und verlangt.

    Sehe ich genauso. Bin immer wieder überrascht, wie sehr auf handwerklichen Fehlern bei Kunststücken wie Detective oder T.I.M.E Stories herumgeritten wird (leider auch von den „großen“ Rezensenten oder in der Spielbox) und stattdessen das x-te Workerplacement in den Himmel gelobt wird.


    Bei diversen Spielen hat man sogar den Eindruck, dass sie von bestimmten Rezensenten mit toller Grafik als Blender verschrien würden (weil es trotz toller Grafik kein 10-Punkte-Spiel ist), während das gleiche Spiel mit biederer Grafik wohlwollend bis positiv beurteilt wird.


    Es ist ein wenig so, als ob ein Handwerker Kunst beurteilen wollte.

  • Schmaler Grat, was die dt Verlage aus meiner bisherigen bescheidenen Erfahrung heraus suchen: "so innovativ wie nötig (um herauszustellen), aber so traditionell (v. A. bzgl Komponenten, aber auch Themen) wie möglich." Wie gesagt, nur geringe Erfahrung und rein subjektive Wahrnehmung.

    Ich hab ein bisschen das Gefühl, der "innovative Part" ist vorrangig dazu da, dass du das Spiel verkaufst: dass die Redakteure dem Spiel überhaupt Beachtung schenken.

    Der traditionelle Part hilft, dass der Verlag das Spiel verkauft: weil der Spieler/Endkunde sich darin leichter zurecht findet.

    ...wobei es mir hier mehr um den Mechanismen-Teil geht, nicht um Grafik und Ausstattung.


    Die Ausstattung steht auf einem anderen Blatt.


    Da muss beim klassischen Verlag knüppelhart kalkuliert werden. Wenn das Spiel am Ende 30 Euro kosten soll, dann kannst du halt grob rechnen: 15 gehen an den Händler, 7 an den Vertrieb, 4 in die Produktion, 1 an den Autor. Bleiben 3 Euro für den Verlag (das sind jetzt eher Größenordnungen als ein konkretes Beispiel).

    Und damit kriegst du halt nicht den Fixpreis für 200 ausgefeilte Illustrationen bezahlt, wenn du realistisch nur so ca. 5-10.000 Schachteln loswerden kannst.

    Oder wenn das Spiel auf einmal 5€ in der Produktion kostet, weil du unbedingt noch 10 Würfel mehr haben willst, bleiben nur noch 2€ beim Verlag. Dann verhungert dein Redakteur.


    Da kommen dann so unschöne Sachen zustande wie die schäbigen Pappaufsteller für die Spielerfiguren in #Minecraft.

    BoardGameGeek
    Das ist irgendwie mein Standardbeispiel für "an der falschen Ecke gespart", aber ich nehme an, dieser Holzwürfelhaufen hier unten rechts...

    BoardGameGeek

    ...war wohl schon so furchtbar teuer, dass Ravensburger da einfach kein Budget freimachen wollten, um sowas hier...

    BoardGameGeek

    ...in die Schachtel zu packen.


    Weil Kickstarter Verlage weitestgehend ohne die Händlermarge kalkulieren können, kann da natürlich auch mehr Blingbling in die Schachtel.

    Außerdem ist der Zugang zum Markt vermutlich ein bisschen leichter (theoretisch kann jeder einen erfolgreichen Kickstarter machen), dadurch drängen hier haufenweise neue Akteure auf den Markt, und da wird schon das eine oder andere innovative Spiel dabei sein.


    Aber ansonsten sehe ich eigentlich nicht, dass das System Kickstarter die "Innovation" befeuert.

    Hin und wieder sehe ich, dass das ausufernde Spielmaterial tatsächlich spielerischen Mehrwert bringt, zB die doppellagigen Spielerboards in #Scythe, oder wie abartig viel Gerümpel und Spielinhalt in der Box von #Gloomhaven drin liegen... Aber ist das wirklich innovativ?

  • Mal ganz allgemein, die Ausgangsfrage "Warum verliert der deutsche Markt seine Innovationsstellung?" existiert ja nicht nur für die Spielebranche, sondern auch für andere Branchen, in denen Deutschland früher mal führend war.

    Die Antwort darauf ist eigentlich ganz simpel: Globalisierung. Mehr Menschen erhalten mehr Zugang zu mehr Märkten. Das führt automatisch dazu, dass sich in mehr Märkten mehr Menschen mit derselben Sache beschäftigen. Und das führt dann wiederum zu mehr neuen Ideen in mehr Märkten.

    Umgekehrt verlieren aber auch Märkte in anderen Ländern ihre Innovationsstellung oder Führungsposition. Das betrifft längst nicht nur Deutschland.

    André Zottmann / Thygra Spiele - u. a. viel für Pegasus Spiele tätig
    Ich gebe hier generell immer meine eigene, ganz persönliche Meinung von mir.

    Einmal editiert, zuletzt von Thygra ()

  • PeterRustemeyer Dein Spiel ist in meinen Augen ein schönes Beispiel: es ist aufgrund der schicken Rückseiten noch auf meiner Liste. Und es ist aufgrund der (in meinen Augen) nicht schönen Vorderseiten noch nicht bei mir zu Hause.


    Der Preis spielt dafür keine Rolle. Hätte das Spiel 50 Euro gekostet, wäre das so. Im Rahmen der Preisspanne suche ich vielleicht nach einem günstigen Angebot, aber ich warte nicht auf 20 Euro.


    Welcher Endkunde kann schon nachvollziehen, warum die ein Castles of Tuscany für ca. 35 Euro bekommst, ein Paleo für ca. 40 und ein City of Angels für ca. 60?


    Die Preiskalkulation die du spekulativerweise angeführt hast, ist ein schönes Beispiel für Sparzwang und seine Nachteile. Nicht der Redakteur muss weniger essen, sondern der uvp um drei Euro hoch. Wenn man sich die Rabattschlachten der Händler ansieht, kann das doch so problematisch nicht sein.


    Übrigens: ein Pandemic Legacy Season 0 sehe ich die ganzen Wochen über preisstabil. Ob das in einem Jahr, wenn es sein Geld gebracht hat, günstiger verkauft wird, ist dafür nicht so relevant. Es käme mir nie in den Sinn auf so ein spannendes Spiel ein Jahr zu warten, um 20 Euro zu sparen.

  • Sehe ich genauso. Bin immer wieder überrascht, wie sehr auf handwerklichen Fehlern bei Kunststücken wie Detective oder T.I.M.E Stories herumgeritten wird (leider auch von den „großen“ Rezensenten oder in der Spielbox) und stattdessen das x-te Workerplacement in den Himmel gelobt wird.

    Große Maler beherrschten alle ihr Handwerk wodurch sie erst große Kunst produzieren konnte. Ich bin der Meinung, das handwerkliche Fehler zurecht kritisiert werden. M.E. hätte z.B. #CarpeDiem nicht zum #KSdJ nomminert werden sollen, da es zu viele handwerkliche Fehler in der Grafik enthält.

    Fabian Zimmermann - Autor von Tiefe Taschen / GoodCritters

  • Azul (Steine)

    Bei Azul heißt der Autor Michael Kiesling (Achim - Deutschland) und der Redakteur war Peter Eggert (Hamburg - Deutschland).

    Das Spiel war fix und fertig entwickelt als Peter Eggert seinen Verlag an Sophie Gravel verkaufte.

    Deshalb ist Azul ein Beispiel für deutsche Innovation. ;)

    Das stimmt meines Wissens so nicht. An Material und Grafik war Plan B nicht ganz unbeteiligt, um es mal defensiv zu formulieren.

  • Und damit noch mal zu „weichen“ Faktoren wie Grafik, Material, multimediale Unterstützung.


    Ein Großteil der erfolgreichen Spiele verzichtet auf deutsche Kinderbuchgrafik! Auch ein Spiel mit „kindlichem“ Thema wie Everdell nimmt richtig was in die Hand, um das ganze mit „erwachsenen“ Grafiken zu bringen.


    Innovation wird vor allem bei erfolgreichen Spielen wahrgenommen und erfolgreich werden Spiele für Erwachsene mit einer Grafik für Erwachsene.

    Aber was ist an Everdell innovativ? Workerplacement? Ressourcenmanagment? Tableau building? Everdell funktioniert super, macht Spaß, aber mechanisch bietet es fast nichts, was irgendwie neu oder originell wäre. Ähnliches gilt für Azul, Dinosaur Island, Cytosis, Viticulture und und und


    Ist die Formel "Tolles Material + Erfolg= wahrgenommene Innovation" so einfach?

    we are ugly but we have the music

  • Wenn das Spiel am Ende 30 Euro kosten soll, dann kannst du halt grob rechnen: 15 gehen an den Händler, 7 an den Vertrieb, 4 in die Produktion, 1 an den Autor. Bleiben 3 Euro für den Verlag (das sind jetzt eher Größenordnungen als ein konkretes Beispiel).

    Das ist mittlerweile halt auch irgendwie antiquiert und auf den kleinen aussterbenden Fachhandel zugeschnitten. Die großen Versandhändler sind mit der halben Marge zufrieden und hauen das dann für 22 Euro in den Sale. Die haben doch auch entsprechende Mengen.


    Warum also nicht langsam die Margen etwas verschieben. Von 30 Euro nur noch 10 an den Händler und 5 an den Vertrieb und eben auch die Hälfte an Produktion und Entwicklung?

    Das passiert dich bei anderen Produkten auch, also dass die Verkaufsmargen for alle kleiner werden. Und der Handel hat viel weniger macht als früher.


    Warum setzen die Verlage nicht mehr auf Deluxe Komponenten Upgrades? Funktioniert bei Kickstarter wunderbar. Funktioniert auch bei Terraforming Mars. Sollte auch für das ein oder andere erfolgreiche Euro gut funktionieren.

  • Fobs Da bist du bei einem super Beispiel für deutschen Sparzwang. Wie sagte Stefan Feld in der aktuellen Spielbox: Bei alea war die Grafik nie so super ausformuliert.


    Kann schon verstehen, dass man in puncto Grafik und Material bei alea mal den nächsten Schritt machen wollte (bei aller redaktionellen Brillanz, die halt am Ende diverse Patzer auch nicht mehr verhindert hatte). Alea-Spiele sind immer günstig gewesen, aber um welchen Preis? Stefan Brück hat selbst gesagt, dass man am Ende schwieriger neue Spiele und Autoren bekam. Und Stefan Feld freut sich, mal mit einem Verlag (Queen über kickstarter) zusammenzuarbeiten, bei denen er seine Visionen ohne Sparzwänge verwirklichen kann.


    Es haben sich gegenüber früher vielleicht auch einfach Anforderungen und Vorstellungen des Endkunden geändert. Auch durch Kickstarter und andere Einflüsse.


  • Ist die Formel "Tolles Material + Erfolg= wahrgenommene Innovation" so einfach?

    Ich würde es umgekehrt formulieren: Innovation wird auf breiter Ebene nur wahrgenommen, wenn sie mit Erfolg einhergeht. Erfolg wiederum kommt mit tollem Material.


    Und zu Everdell: der freie Wechsel in die nächste Spielphase wurde schon von einigen als innovativ wahrgenommen. Aber da sind wir auch bei der Definition von „Innovation“.

  • Beispiel zwei: Promotionvideos - an Kickstarter sieht man, was es ausmacht, wenn ein Promotionvideo professionell gemacht und eingesprochen wird. Hierzulande hat man oft den Eindruck, dass die Verlage sich sagen: „Wer kennt sich bei uns am besten mit sowas aus? So sparen wir Geld.“ Attraktive Sprecher, tolle Stimmen, herausragende Grafik - all das trägt mit dazu bei, was am Ende erfolgreich ist und als Innovation wahrgenommen wird.

    Äh, nein. Erfolg bei einem Kickstarter bedeutet doch nicht automatisch, dass man das als Innovation wahrnimmt!?

    Ansonsten hinkt der Vergleich: Bei Kickstarter werden die Kosten für ein aufwändiges Video über den Preis mitfinanziert. Und die Backer sind bereit, das zu bezahlen. Der Kunde im Laden ist aber nicht bereit, für ein Spiel 40 Euro zu bezahlen, das in seiner Wahrnehmung nicht mehr als 30 Euro kosten sollte, nur weil der Verlag wegen eines teuren Videos den UVP um 10 Euro erhöht hat.

  • Everdell funktioniert super, macht Spaß, aber mechanisch bietet es fast nichts, was irgendwie neu oder originell wäre. Ähnliches gilt für Azul, Dinosaur Island, Cytosis, Viticulture und und und


    Ist die Formel "Tolles Material + Erfolg= wahrgenommene Innovation" so einfach?

    Innovation findet man mich nur in Mechanismen, sondern auch in Design und Ansprache (quasi User Interface).

    Und Everdell wagt sich mit bekannten Mechanismen über die bisher akzeptierten Grenzen hinweg in dem es den Spielern den Jahreszeitenwechsel selber ermöglicht und das Konzept Enginebuilder einfach noch etwas größer skaliert.

  • Ist die Formel "Tolles Material + Erfolg= wahrgenommene Innovation" so einfach?

    Nicht "so einfach", sondern einfach schwer zu fassen, und massiv subjektiv.


    Ich finde in diesem Jahrgang zwei Spiele wirklich innovativ:

    #MicroMacro - Wimmelbild als Krimi

    #Cutterland - Karten physisch tatsächlich zerschneiden und Tetris damit spielen.


    Es gibt bestimmt zig mehr, aber die nehme ich entweder überhaupt nicht wahr, oder ich nehme sie nicht als innovativ wahr.


    Wenn zB ein Autor einen neuen Weg gefunden hat, wie man Aktionen generiert, um Rohstoffe in Waren in Siegpunkte zu tauschen, dann ist das für ihn, für seinen Verlag oder für seine Kunden vielleicht total innovativ, mich persönlich interessiert das aber überhaupt nicht.

    Mein Blog (Illustrationen, Brettspieldesign, Angespielte Spiele)

  • Thygra s.o.


    Als innovativ werden in der Rückschau die erfolgreichen Dinge wahrgenommen.


    Sieh dir doch die Beispiele für Innovation in diesem und anderen Threads an. Und dass Innovation besser funktioniert, wenn sie von Kalkulationszwängen gelöst wird, ist ja bereits geklärt.


    Beim Thema Videos sprechen wir von Werbung. Die Macht der Werbung ist wohl unwidersprochen. Existiert (abgesehen vom SdJ-Emblem) im Brettspielmarkt aber wenig. Und das Beispiel ein Drittel Aufschlag auf den Preis ist aus meiner Sicht völlig aus der Luft gegriffen. Immerhin wird es ja teilweise gemacht (City of Angels, Pandemic Legacy Season 0), dass Dinge von professionellen Sprechern eingesprochen werden.

  • Das ist mittlerweile halt auch irgendwie antiquiert und auf den kleinen aussterbenden Fachhandel zugeschnitten. Die großen Versandhändler sind mit der halben Marge zufrieden und hauen das dann für 22 Euro in den Sale. Die haben doch auch entsprechende Mengen.


    Warum also nicht langsam die Margen etwas verschieben. Von 30 Euro nur noch 10 an den Händler und 5 an den Vertrieb und eben auch die Hälfte an Produktion und Entwicklung?

    Das passiert dich bei anderen Produkten auch, also dass die Verkaufsmargen for alle kleiner werden. Und der Handel hat viel weniger macht als früher.

    Ich gehe schwer davon aus, dass das bereits passiert.

    Mein Blog (Illustrationen, Brettspieldesign, Angespielte Spiele)