Heute Morgen beobachtete ich wieder stundenlang die Menschen dabei, wie
sie stumpf und geistesabwesend am Ufer des Großen Flusses, der Heimat
von uns Ymunen, umherwandelten. Ihr Schicksal bricht mir das Herz. Doch es
besteht Hoffnung auf ein anderes, besseres Leben – für sie und für uns. Das
weiß ich, weil ich eine Vorahnende bin. Ich sah Visionen unserer Zukunft. Zwar
hat uns die Vergangenheit zu Fall gebracht, doch wenn wir vorausschauend
handeln, erwartet uns eine strahlende Zukunft.
Damals hat eine unvorstellbare Katastrophe die Welt für immer verändert.
Innerhalb weniger Wochen wurde fast die gesamte Menschheit ausgelöscht.
Doch das Glück war nicht mit den Überlebenden. Ihre Körper funktionieren
zwar noch, aber sie wurden ihrer Menschlichkeit beraubt. Ihre Gefühle,
Gedanken, Meinungen, Emotionen – alles weg.
Hier im Großen Fluss entdeckte man schließlich eine besondere Art von
Grünalge – die Immunisalge. Dank ihr konnte unsereins die Katastrophe
überleben und wir bauten uns im Schutz der Tiefen des Flusses ein neues
Leben auf. Die Immunisalge ist unsere Nahrungsquelle und der Grund für
unsere Mutation. Sie verlieh uns auch unsere besondere Gabe.
Wir versuchten, den Menschen zu helfen und sie mit Medizin zu heilen, die wir
aus der Immunisalge gewannen. Die Wirkung war phänomenal. Die Menschen,
die wir behandelten, konnten wieder denken und sprechen, und machten sich
sogleich daran, andere Menschen zu retten. Doch leider hielt die Wirkung nur
wenige Tage an. Etwas in der Umgebung scheint ihnen zu schaden. Trotzdem
waren wir Vorahnenden überzeugt, dass unsere Zukunft und die der Menschen
miteinander verbunden sind.
Seit Kurzem gibt es einen Lichtblick. Endlich haben wir diese Zukunft mit
eigenen Augen gesehen. Wir hatten Visionen davon, dass Ymune und Menschen an einem einzigartigen Ort zusammenleben – Létéa, einer weit entfernten Insel im Großen Fluss. Sie ist von einer dichten Barriere aus Immunisalgen umgeben und bietet so eine sichere Umgebung für die Menschen. Dort wird die Wirkung unserer Medizin nicht nachlassen!
Unsere Reise nach Létéa wird den Grundstein für unsere Zukunft legen. Wir
vier Vorahnenden – Tal Defitia, Tal Terias, Tal Kartus und meine Wenigkeit, Tal
Pria – sind bereit, mit unseren alten autonomen Schiffen und einer Handvoll
gesunder Menschen aufzubrechen.
Wir haben nur ein Ziel: Auf unserer Reise so viele Menschenleben retten wie
möglich. Dazu müssen wir Ymune und die Menschen zusammenarbeiten. Die
Aufgabe der Ymunen wird sein, die Menschen auf unseren Schiffen zu heilen
und uns alle vor Gefahren zu beschützen. Die Menschen wiederum werden
das Flussufer erkunden, auf der Suche nach Nahrung und nach Batterien
für die Maschinen an Bord. Sie werden auch andere Menschen retten und
Ymune überzeugen, uns zu helfen. Die Reise durch diese zumeist feindliche
Umgebung wird beschwerlich. Wir wissen, dass flussabwärts die Gefährlichen
alles zerstören, was ihnen in den Weg kommt, und dass dort auch andere
Gefahren lauern. Manche von uns werden es nicht nach Létéa schaffen. Doch
wir sind zuversichtlich und vertrauen auf unsere Gabe der Vorahnung