Unintuitiv, fehlende Redaktion, schlechte Übersetzungen, schlechtes Design: grundsätzliche Probleme vieler Crowdfunding Brettspiele

  • Wir haben neulich wieder zwei Kickstarter zum ersten Mal gespielt: Primal: The Awakening und The few and cursed.

    Ich finde, dass Regeln und Ikonografie intuitiv sein sollten. Das Setting sollte dabei nicht einfach ignoriert werden. Ein Beispiel ist die Mechanik, dass man bei The few and cursed weit weg von der Start-Stadt entfernt sein kann und dann dort hin zurück teleportiert wird, wenn man seinen Ablagestapel mischt, wenn man sonst keine neuen Karten nachziehen könnte. Ergibt logisch wenig Sinn.

    Zum Regelheft von The few and cursed meinte meine Frau, dass es das schlechteste sei, was sie je gelesen hat.

    Die Übersetzungen sind richtig schlecht. "Ein aufreizender alter Mann steht an einem Brunnen". Keine Ahnung wie das im Englischen hieß, aber mit Sicherheit wurde das nicht richtig rübergebracht.

    Das Design sollte nicht halb fertig sein. Der Name von Charakteren auf Karten steht teils quer über dem Gesicht. Icons, die die Art der Karte identifizieren, sind ohne Rand auf der Karte einfach im Artwork und je nach Farbe des Artworks nicht mehr sichtbar.

    Das Management ist teils extrem fiddly. Meine Frau hat für Primal eine vierseitige "Kurz-"Übersicht erstellt, was welche Icons heißen und wie die Reihenfolgen sind und sowas und selbst da war noch nicht alles drauf. Das stoppt ständig den Spielfluss, wenn man die Bedeutung viel zu vieler, unintuitiver Icons irgendwo nachschauen muss. "Struggle" muss aufs Monster gelegt werden (dabei sind die Spieler gemeint, die struggeln?) und das wird dann vom Monster als Ressource genutzt, um Aktionskosten zu bezahlen - finde ich auch wenig logisch. Aktionen ergeben keinen Sinn (erst kommt der explodierende Pfeil, dann der superleise Stealth-Pfeil und dann kommt random ein Backflip dazu... Tschüss Immersion, das ist dann nicht mehr cool, sondern witzig. Auch ein Problem vieler Kickstarter: too cool to be cool).

    Subjektiv habe ich noch den Eindruck, dass in Spielen von osteuropäischen Studios immer einige "sadistische" Mechaniken eingebaut sind, die das Gegenteil von Spaß sind. Ständig wird man "bestraft" beim spielen. Außerdem finde ich das "Puzzle" für den optimalen Zug / die optimale Attacke für Primal (oder z.B. auch Tainted Grail) nervig und uninteressant. Es dauert etwas, man kriegt es hin, aber es ist für mich einfach langweilig. Als würde ich gerade keine schwere, aber langwierige Matheaufgabe lösen.

    Ich frage mich auch, wie ein BGG-Rating von 8,6 für Primal zustande kommt und wenn man die die 10er-Bewertungen schaut, sind viele ohne Text und in manchen steht dann "Waiting this Kickstarter!" - ja klasse, 10er-Bewertung ohne es gespielt zu haben.

    Dieser Rant ist jetzt nicht ausgereift - manches ist Geschmackssache, anderes kommt auch bei Brettspielen mit herkömmlichem Vertriebsweg vor (Beispiel schlechte Übersetzung: Descent - Legenden der Finsternis). Aber was mich zusammenfassend nervt: viele Kickstarter hätten Redaktion gebraucht. Sie sind oft zu fiddly; es wurde ohne Rücksicht darauf, ob Thema und Mechaniken logisch noch zusammenpassen, alles Mögliche zusammengematscht und sind im Endeffekt keine guten Spiele - oder zumindest Spiele mit gravierenden Mängeln, die vor Veröffentlichung hätten bereinigt werden müssen. Aber sobald ein neuer Kickstarter angekündigt wird, der viele große Miniaturen hat, sauteuer ist und ein flashiges Design hat, drehen alle am Rad und schreien "Take my money". Das ist dann sogar noch ein Anreiz für Studios, wenig darauf zu achten, ob das Spiel am Ende rund ist und Spaß macht ohne dass man das Gefühl hat, gerade eine Steuererklärung machen zu müssen.

    Wie seht ihr das?

  • Wie du selber sagt: Du beschreibst grundsätzliche Probleme, die es bei Spielen geben kann - aber nichts mit der Finanzierungsart zu tun haben. Vorallem, wenn es um Lokalisierungen geht.

    Glaub, bezogen auf Primal bist du sicher im Thread dazu besser aufgehoben.

    Unintuitiv, schleches Design und fehlende Redaktion ist eine Sache des Entwicklers bzw Verlages.

    Passiert aber auch zugenüge bei Spielen, die anderweitig finanziert wurden.

    Schlechte Übersetzung: Kommt drauf an, wie oder wer das übersetzt. Und auch dann hast es wenig mit der Finanzierungsart zu tun. Gibt sehr viele Beispiele von Spielen, die via Crowdfunding ins Leben gerufen und danach sehr gut lokalisiert wurden.

    Beispielsweise:

    Aeon's End, Voidfall, Anachrony (davon sogar eine aus der Community und eine Professionelle)

    etc.

    "Viele Kickstarter" - um das zu beurteilen muss man wirklich sehr sehr sehr viele Kickstarter mitgemacht haben. Ich glaube nicht, dass das auf dich, mich oder allgemein viele von uns zutrifft.

    Ich habe bisher einige KS-Spiele, die mMn nicht besser oder schlechter in deinen genannten Punkten sind, als welche, die auf anderer Art finanziert wurden.

    Ich möchte da Beispielsweise nur an Paleo erinnern, welches am Anfang wohl unter einer schlechten Anleitung litt. Oder Robinson Crusoe, dessen Anleitung weit von gut ist mMn.

    Beide Spiele sind nicht via Croudfunding finanziert worden.

    Einmal editiert, zuletzt von krakos (29. Juli 2024 um 12:36)

  • Kenne "The Few & The Cursed" nicht, aber Primal ist schon ziemlich ausgereift. Ein spannender "Hau Drauf" Coop braucht einfach eine Menge Symbole / Keywords um auch langfristig interessant zu bleiben. Das würde ich dann doch eher als Deine subjektive Meinung einstufen, als wirklich ein Problem des Spiels.

    Nichtsdestotrotz gebe ich Dir Recht, dass viele Kickstarter - grade Erstlingsprojekte - weit hinter guter Verlagsarbeit stehen. Nicht unbedingt mit Bezug aufs Gameplay, aber Regeln, Usability etc. leiden da schon.

    Ich bin immer noch SEHR aktiv im Crowdfunding, weil es mir einfach Spaß macht, regelmäßig etwas über die Entwicklung & Produktion zu erfahren und ggf. sogar involviert zu werden. ABER es bleiben am Ende auch immer weniger Spiele im Regal. Erstlingsprojekte schaue ich vor einer zweiten Auflage gar nicht mehr an. Und wenn ich Mal wirklich schlechte Regeln in der Hand hatte (Awaken Realms, Ludus Magnus,... ), fällt es mittlerweile auch sehr schwer, mich für ein weiteres Projekt zu begeistern.

  • Ohne CF sähe meine Spielesammlung eher erbärmlich aus.

    Kein TMB, kein burncycle, kein Sword & Sorcery kein Uprising, kein On Mars, kein Bullet, kein Blood Rage, kein Final Girl, kein Root, kein Planet, kein Marchina Arcana, kein Townsfolk Tussle u.s.w.

    Was wären dann meine Highlights?

    Marvel Champions, Spirit Island (?), Bonfire, Dune: I… keine schlechten Spiele, aber…

  • Ohne CF sähe meine Spielesammlung eher erbärmlich aus.

    Kein TMB, kein burncycle, kein Sword & Sorcery kein Uprising, kein On Mars, kein Bullet, kein Blood Rage, kein Final Girl, kein Root, kein Planet, kein Marchina Arcana, kein Townsfolk Tussle u.s.w.

    Was wären dann meine Highlights?

    Marvel Champions, Spirit Island (?), Bonfire, Dune: I… keine schlechten Spiele, aber…

    On Mars und Blood Rage gibts doch auch im Handel zu kaufen ....

  • Ohne CF sähe meine Spielesammlung eher erbärmlich aus.

    Kein TMB, kein burncycle, kein Sword & Sorcery kein Uprising, kein On Mars, kein Bullet, kein Blood Rage, kein Final Girl, kein Root, kein Planet, kein Marchina Arcana, kein Townsfolk Tussle u.s.w.

    Was wären dann meine Highlights?

    Marvel Champions, Spirit Island (?), Bonfire, Dune: I… keine schlechten Spiele, aber…

    Da hast Du aber auch größtenteils die Spiele rausgepickt, die von etablierten Verlagen kommen: Chip Theory Games, Ares Games, Eagle Gryphon Games, Cmon, Leder Games.

    Die Wahrscheinlichkeit, dass die was in den Sand setzen, ist schon sehr gering. Unterstützt man allerdings Erstlingswerke, dann kann das schon anders aussehen.

    Wobei man aber auch sagen muss, dass TMB und Co schon so "drüber" sind, dass die es auf klassischem Wege wohl nicht in die Regale geschafft hätten - weil eben das zutrifft was der Threadersteller schreibt: Zu viel Text, zu viele Regeln, etc.

    Und selbst diese Verlage sind keine sichere Bank, denn erinnern wir uns mal an Gotham City Chronicles: 3.000 Icons ohne gescheite Referenz :)

  • Ohne CF sähe meine Spielesammlung eher erbärmlich aus.

    Kein TMB, kein burncycle, kein Sword & Sorcery kein Uprising, kein On Mars, kein Bullet, kein Blood Rage, kein Final Girl, kein Root, kein Planet, kein Marchina Arcana, kein Townsfolk Tussle u.s.w.

    Was wären dann meine Highlights?

    Marvel Champions, Spirit Island (?), Bonfire, Dune: I… keine schlechten Spiele, aber…

    On Mars und Blood Rage gibts doch auch im Handel zu kaufen ....

    Stimmt. Es waren aber zunächst CF Projekte. So wie auch Aeons End, Terraforming Mars usw.

  • Wie seht ihr das?

    Ähnlich.

    Ich habe in 10+ Jahren 100+ Crowdfunding-Spiele unterstützt und muss feststellen, dass sich Crowdfunding im Spielebereich stark gewandelt hat. Auch wenn's für die breite Masse offensichtlich gut funktioniert und immer neue Umsatzrekorde auf GameFound & Co erreicht werden werden: Für mich persönlich läuft da vieles in die falsche Richtung. Deshalb bin ich da weitestgehend raus; meine Crowdfunding-Aktivität ist gefallen auf ein bis drei Projekte jährlich.

    In den Anfangstagen des Crowdfundings waren die Unterschiede zwischen Verlagsspielen und Crowdfunding-Spielen noch gering. Aber dann haben die Macher gemerkt, wie sie in diesem Bereich am besten Geld verdienen können und mittlerweile sind das zwei verschiedene Welten, auch wenn's natürlich weiterhin Überschneidungen gibt und die erfolgreichsten Crowdfunding-Spiele garantiert auch später im normalen Handel verfügbar sein werden. (Auch ein wichtiger Grund, warum sich Crowdfunding nicht mehr lohnt: alles wirklich Gute gibt's auch später noch. Kein Verlag der Welt verzichtet freiwillig darauf, seine Highlight-Spiele auch später noch verkaufen zu wollen.)

    Crowdfunding-Spiele haben mittlerweile eigene Design-Kriterien (insbesondere: "viel hilft viel"), eine eigene Art der benötigten Werbung (Hauptelement: FOMO), eine eigene Art des späteren Vertriebs über jährliche Erweiterungskampagnen oder ggf. neue Spiele des gleichen Verlags mit Add-On-Möglichkeit alter Spiele im Pledge Manager. Eine komplett eigene Welt, bis Anschlag darauf optimiert, die Nerd-Blase finanziell zu melken.

    Pi-mal-Daumen kann man sagen, dass es bei Crowdfunding nur darum geht, während der 2-4 Wochen Kampagnenzeit maximalen Hype zu entfachen. Alles andere ist weitgehend egal. Insbesondere geht's bei Crowdfunding-Spielen nicht wirklich darum, dass ein Spiel nach Veröffentlichungen sich durch Mund-zu-Mund-Propaganda, Ausprobieren auf Spielertreffen oder positive Berichte im Internet sich noch viele Monate lang gut verkaufen und idealerweise eine Zweitauflage rechtfertigen soll. Nach Auslieferung Unboxing-Videos mit hübschem Material und gekauften Influencern reicht völlig. Dann Erweiterungskampagne, FOMO-Maschine wieder anwerfen, und weiter geht's. Viel Mühe in Playtesting oder in eine Übersetzung zu stecken, rechnet sich für Crowdfunding-Macher einfach nicht. Deren Geld fließt eher in hübsches Aussehen und in Youtube-Alles-Hochjubler.

    Dementsprechend sind dann die Ergebnisse: Berge von hübsch aussehendem Spielmaterial in vielen bunten Kisten, aber nur sehr selten gute Spiele. Und diese wenigen gutes Spiele kann man fast sicher auch später noch im Handel kaufen. Nur vielleicht ohne irgendwelche unbalancierten Design-Abfälle, die als exklusive Stretch Goals den Backern vorbehalten bleiben, damit die sich ihr teuer bezahltes Zeugs auch weiterhin schön reden können.

  • Ich frage mich auch, wie ein BGG-Rating von 8,6 für Primal zustande kommt und wenn man die die 10er-Bewertungen schaut, sind viele ohne Text und in manchen steht dann "Waiting this Kickstarter!" - ja klasse, 10er-Bewertung ohne es gespielt zu haben.

    Die BGG Wertungen sind wie jede Punktewertung kaum zu gebrauchen. Das ist immer nur ein Indiz. Ich selbst bewerte meine Spiele nur für mich. Das ist nicht tauglich für die Allgemeinheit und so wird das mit den meisten Bewertungen dort sein.

    Viel zu subjektiv sowas.

    --- Jeder siebte Post von mir enthält etwas Sinnvolles ---

  • Prinzipiell sehe ich das ähnlich: aufgeblasene Kickstarter mit vielen Miniaturen ohne Mehrwert (Primal), unausgereifte Regeln oder schlicht schlechte redaktionelle Arbeit (Zerywia, Etherfields) und sowieso viele Verspätungen, leere Versprechungen und Stretch Goals ohne Mehrwert.

    Andererseits entwickelt man mMn auch ein Gefühl, welche Crowdfunding Projekte gut funktionieren könnten, gerade wenn die Regeln im Vorfeld veröffentlicht werden und man Demorunden per TTS spielen kann. Von den zahllosen Projekten, die ich bisher mitgemacht habe, war lediglich Machina Arcana eine Enttäuschung. Klar hat man Spiele, die letztendlich nicht so zünden wie erhofft, aber das habe ich im Retail auch.

    Mein Lieblingsspiel in diesem Jahr ist ein Kickstarter (Uprising), letztes Jahr war es mit Frostpunk ebenfalls ein Kickstarter und aus meinen Top 5 sind 4 Crowdfunding Spiele. Gerade in der Sparte oppulente, epische, kooperative Kampagnenspiele gibt es wenig Auswahl abseits von Gamefound/ Kickstarter. Euros würde ich dagegen nie unterstützen....

  • Ich kann den Rant nur teilweise verstehen. Ja, da ist bestimmt Enttäuschung dabei, wenn das Spiel nicht das ist was man sich erhofft hat. Wenn man ehrlich ist, kann kein Spiel in der Realität dem "shiny" Marketing auf GF, oder KS gerecht werden. Es ist wie in der Werbung. Z.B. weder ein Axel Deo, noch ein Red Bull, oder ein Persil bringen den Effekt, den die Werbung zeigt. Aber man stellt sich vor es wäre so... So ist das meistens mit dem KS Spielen.

    Manche sind herausragend, keine Frage, aber gemessen am der echten Quote der Erfolge zu den Nieten... Ah.. da wird es ganz eng.

    Osteuropäer machen "sadistische" Spiele? Und die Westeuropäer mit halbnackte sexistischen Minis, die Südeuropäer nur Spiele mit Kirche im Fokus und die Nordeuropäer ständig nur blutiges Wikinger Gemetzel. Das hat natürlich 0 Wahrheitsgehalt.

    Für jedes Beispiel findet man 10 Gegenbeispiele. Das ist komplett unabhängig von der Herkunft der Autoren, oder des Publishers und hat damit nichts zu tun.

    Ob alle "Take my money" schreien ist mir sowas von egal. Ich entscheide ob ich etwas will, ob ich mit vorstellen kann das Spiel zu spielen. Einfach gemütlich ignorieren, selbst überlegen, eine Entscheidung treffen uns damit leben. Das sind alles keine fertigen Projekte. Man kauft irgendwie schon eine Katze in Sack, nur manchmal ist der Sack eben ziemlich bekannt. Bei geringsten Zweifeln einfach auf die Retail Version warten, oder auf dem sekundären Markt kaufen. Es läuft nichts weg und wenn doch, gibt es genug andere Spiele.

    Einmal editiert, zuletzt von Constabler (29. Juli 2024 um 14:13)

  • Vorsichtig sein sollte man vor allem bei Spielen, die ohne Verlag rauskommen - also einzelne Autor*innen, die meinen, das alles alleine zu können. Dabei kommen oft Anleitungen raus, die außer den Autor*innen selbst dann niemand versteht.

    D.h. wenn die eine Person einen Verlag gründet, passiert das nicht mehr?

    Oder pauschalisierst du einfach nur?

  • Verallgemeinern ist da schwierig, auch wenn es gewisse Tendenzen gibt. Vorneweg The Few & The Cursed wurde doch von der Spieleschmiede lokalisiert oder gibt's da 2 Versionen? Ich weiß jetzt nicht, ob die grafischen Probleme bereits im Original existieren, hätte aber auch bei der Lokalisierung auffallen müssen. Bei der Schmiede passieren meiner Erfahrung nach leider häufig einige mehr oder weniger kleine Fehler bzgl. Übersetzungen oder Layout. Hier weiß ich nicht, ob's eher am nicht ausreichenden Proofreading liegt oder dass man sich allgemein mit zu vielen Projekten in den letzten 1-2 Jahren etwas übernommen hat.

    Grundsätzlich wird natürlich das Marketing und das hübsche Grafikdesign/Material für Crowdfunding-Kampagnen immer wichtiger und teurer. Einerseits entspricht es ja durchaus dem ursprünglichen Gedanken von Crowdfunding, dass man erstmal nur eine Idee hat, die finanziert werden will. Und erst wenn sie finanziert wurde, macht man sich an die eigentliche Entwicklung. Inzwischen erreichen manche Projekte aber schon fünfstellige Kosten vor/während der Kampagne für die Prototypen, die Influencer, Grafikdesign und Werbung etc. Da kann man es sich eigentlich kaum noch leisten, noch vorher 1-2 Jahre in die Entwicklung zu stecken.

    Andererseits kann man auch nicht sagen, dass Spiel kommt dann in 2-3 Jahren, weil dann zu viele verzichten. Also muss man nach der Finanzierung entweder schneller entwickeln oder zumindest eine schnellere Lieferung versprechen und dann alles hinauszögern. Das führt dann schnell dazu, dass man unter großem Zeitdruck entwickeln muss und das führt selten zu einem richtig ausgereiftem Ergebnis. Die Alternative, erst zu launchen, wenn man schon ein gutes, funktionierendes Grundgerüst hat, können sich eigentlich nur etablierte (Crowdfunding-)Verlage leisten, die von der vorherigen Kampagne noch Geld übrig haben.

    Aber dieser Weg über Marketing, ein paar hübsche Bilder und eine nette Grundidee scheint ja immer noch gut zu funktionieren. Mein Eindruck ist, dass die wenigsten sich die Zeit nehmen, die Regeln vorher zu lesen und/oder Online-Probepartien zu spielen oder wenigstens ein Playthrough-Video anzuschauen. Ich achte da immer mehr darauf und wenn keine Anleitung vorab zur Verfügung steht, ist das mittlerweile eigentlich schon ausgeschlossen. Und dann muss man auch noch auf vergangene Projekte schauen. Gerade Awaken Realms ändern ja gerne mal grundlegende Sachen und das fertige Spiel hat abgesehen vom Thema nicht mehr viel mit der gepitchten Version zu tun. Da verzichte ich inzwischen lieber bzw. warte ab, bis klar ist, wie das Endprodukt aussieht.

    Unthematische Regeln sind aber nicht crowdfunding-exklusiv. Das finde ich auch oft bei Retailspielen und lässt sich auch nicht immer vermeiden. Oft muss man einen Kompromiss finden aus thematisch erklärbar und spielerisch sinnvoll. Allgemein finde ich, dass Crowdfunding der Brettspielszene schon gute und wichtige Impulse gegeben hat, speziell in Richtung Themenvielfalt, grafische Gestaltung und (Deluxe-)Material. Mit dem Erfolg einiger Kampagnen kommen aber natürlich auch viele Angebote auf, die nicht immer so ausgereift sind wie sie sein sollten und dann muss man auch mal seinem FOMO nicht nachgeben oder abwarten. 1/2-1 Jahr nach dem Release haben sich meistens die BGG-Bewertungen auch auf ein realistischeres Niveau eingependelt. The Few And The Cursed steht da bspw. bei mittelprächtigen 7,1 aktuell. Primal ist ja noch sehr neu.

  • Stimmt so alles. Kann aber auch bei "Verlagsspielen" passieren, aber seltener. Deine aufgezählten Gründe sind für mich der Grund, warum ich Kickstarter/Gamefound seit einigen Jahren durchaus kritischer sehe. Es gibt aber Ausnahmen: sehr frische Themen, sehr sympathische Verlage, wenn mich etwas besonderes begeistert, dann bin ich aber auch bereit die Konsequenzen zu tragen. Ich habe seit ca. 2016 heftig in Kickstarter & Co. investiert und würde sagen, dass 2/3 der Spiele maximal durchschnittlich waren und das Haus wieder verlassen mussten. Man hat also unzählig viel Geld verbrannt. Vorher waren das aber natürlich alles absolut "gefeierte" Übertitel mit einer Traumnote auf BGG. Läuft halt so.

    Zur Wahrheit gehört aber auch, das 1/3 der Spiele richtig gut waren, einige davon gehören zu meinen allerliebsten Titeln überhaupt. Ein Nemesis, ein Era of Tribes, ein Cthulhu Wars, ein Tsukuyumi, ein Frostpunk oder Hegemony will ich nicht missen.

    Und seien wir ehrlich, die meisten Brettspielneuheiten auf der SPIEL, eben auch von Verlagen, sind jetzt alles andere als DIE Highlights. Da stellt sich dann die Frage, ob ein mutiges, nischiges Spiel mit Ecken und Kanten nicht doch mehr das Herz erobert?

    Am Ende gibt es einfach nur gute oder schlechte Spiele und die findet man überall. Der Unterschied, Crowdfunding tut so, als wäre jedes "ihrer" Brettspiele genau dieses beste Spiel.

  • Ohne CF sähe meine Spielesammlung eher erbärmlich aus.

    Kein TMB, kein burncycle, kein Sword & Sorcery kein Uprising, kein On Mars, kein Bullet, kein Blood Rage, kein Final Girl, kein Root, kein Planet, kein Marchina Arcana, kein Townsfolk Tussle u.s.w.

    Was wären dann meine Highlights?

    Marvel Champions, Spirit Island (?), Bonfire, Dune: I… keine schlechten Spiele, aber…

    Ich glaube ja, würde es kein Crowdfunding geben, wäre mindestens Sword&Sorcery, Blood Rage, On Mars und andere einfach ganz regulär über Verlag erschienen. Da hätte es z.B. bei Blood Rage dann keine verschiedenen Sculpts je Clan gegeben und die Figuren wären kleiner gewesen usw. Chaos in der Alten Welt vom selben Autor gab rs ja auch über Verlag und das schlägt doch komplett in dieselbe Kerbe. Crowdfunding ist einfach ein weiterer Vertriebsweg, der es den Verlagen ermöglicht hat die Marge des Handels selbst einzustreichen. Mit Sicherheit gibt es Nischenspiele, die ohne Crowdfunding nicht erschienen wären, aber das trifft eben nicht auf jedes Kickstarter Spiel zu.

  • krakos Ermüdend. Offensichtlich sind so 1-2 Mann-Projekte gemeint. Teilweise Leute, die ihr heiliges Erstlingswerk über Crowdfunding verkaufen wollen und niemanden in die Anleitung schauen lassen aus Angst, ihre brillante Idee könnte geklaut werden. Heraus kommen dann uneindeutige Formulierungen, eine Symbolsprache, die v.a. der Autor versteht und unausgereifte Spiele.

    Wenn Autor*innen ihre Spiele bei größeren Verlagen anbieten, gibt es doch hoffentlich zumeist ein gutes Lektorat.

    Aber allgemein von "CF = schlechte Qualität" zu sprechen ist halt Unsinn.

    Aus meiner Backliste spiele ich Darwins Journey, Dominations, Encyclopedia, Black Rose Wars, Lacerda-Titel, Anachrony, Trickerion, Age of Steam, Edge of Darkness, einige Shem Philips-Titel, Vindication, Frosthaven... und da sind halt einige dabei, die sonst so vermutlich nicht erschienen wären (z.B. Edge of Darkness)

  • Crowdfunding ist einfach ein weiterer Vertriebsweg, der es den Verlagen ermöglicht hat die Marge des Handels selbst einzustreichen.

    Du verwechselst hier die Finanzierungsart Crowdfunding mit der Vertriebsart Direktverkauf.

    Nein tue ich nicht. Es mag anders heißen, aber für Firmen wie CMoN oder Awaken Realms ist es genau das, eine Art Vobestellung. Die würden ihre Projekte ganz normal selbst gestemmt bekommen. Wurde hier im Forum, glaube ich auch schon 1000 Mal durchgekaut.

  • Hab grad mal geschaut, was aus den letzten beiden Jahren im Regal verbleiben durfte. Gekauft habe ich 82 Spiele, davon 36 im Retail, 46 via Crowdfunding. Dauerhaft im Regal geblieben sind:

    Retail:

    White Castle

    Nucleum

    Age of Innovation

    ZhanGuo

    Crowdfunding:

    Voidfall

    Arcs

    Hegemony

    Darwins Journey

    Castles of Burgund Deluxe

    Inventions

    Ezra & Nehemiah

    Die Quote ist also relativ ähnlich...

  • Ein leidenschaftliches Plädoyer für Crowdfunding. Trotzdem.

    Die Entwicklung im Crowdfunding-Bereich, hin zu überproduzierten, maßlos mit Erweiterungen und allerlei Extras aufgeblasenen Spielen, sehe ich ebenfalls als sehr kritisch an. Und das, obwohl ich selbst schon für meine Spiele mehrfach Crowdfunding, als Weg zur zumindest in einem Fall direkt erfolgreichen Finanzierung mit darauffolgender Realisierung, gewählt und beschritten hatte. Ich habe darum lange gezögert, ob ich es – als „einzelner Autor“ – erneut wagen soll. Und völlig sicher bin ich mir in meiner Entscheidung, genau das – allen Unkenrufen zum Trotz – wieder zu tun, noch immer nicht. Der Unterschied zu den Anfängen des Crowdfundings ist enorm groß. Hat es früher eher gereicht, nur eine Vision zu haben, die einfach mit Herzblut zu präsentieren und damit andere Menschen zu begeistern, reicht das heutzutage in den allermeisten Fällen nicht mehr aus. Alles muss bereits perfekt aussehen, um in der Flut der genauso perfekt aussehenden Projekte nicht unterzugehen. KickTraq macht unerbittlich und praktisch in Echtzeit den Verlauf sichtbar, prognostiziert das Ende, passt es jederzeit nach oben oder, was schlimmer wiegt, nach unten an; wird darum manipuliert, wo es nur geht, um in die Top 10 auf die Startseite zu kommen (und da möglichst lange zu bleiben). Es ist schlicht zu einem großen Geschäft geworden, wo man viel verdienen aber eben auch viel verlieren kann. Letzteres vor allem dann, wenn zuvor eine horrende Menge Geld in das perfekte Aussehen des Trailers, des Prototypen, des Zubehörs und den zahllosen Erweiterungen des Zubehörs etc. investiert werden musste. Besonders gefährlich ist der Hang dazu, das Finanzierungsziel zu niedrig anzusetzen, mit dem daraus resultierenden Druck, dieses schnell erreichen zu müssen und so eine hoffentlich große (noch besser: riesige) Welle der Unterstützung loszutreten. Bleibt diese dann aber aus, werden Projekte trotz vermeintlich erfolgreicher Finanzierung und noch während der Laufzeit gecancelt. Oder mit Angstschweiß auf der Stirn und im Grunde viel zu wenig Geld trotzdem produziert. Häufig kommt es dann zu Verzögerungen bis hin zu Komplettausfällen. Und nicht selten sollen nur mäßig erfolgreiche Projekte duch nachfolgende Crowdfunding-Projekte angeschoben und querfinanziert werden. Bis zum großen Knall ist es da schlussendlich nicht mehr weit.

    Was bleibt (mir) da übrig? Die Vision. Der Wunsch. Die Begeisterung. Und: das Ziel, (m)ein Spiel vorher wirklich so weit wie nur irgendwie möglich entwickelt zu haben. Es unermüdlich zu testen. Das immer und immer wieder zu tun, ist sicherlich anstrengend. Die Fortschritte zu erleben, ist aber ebenso eine große Freude. Das Spiel kann so stetig weiterentwickelt werden – und wird irgendwann „fertig“ sein – auch ganz ohne Crowdfunding. Die Vison und der damit verbundene Wunsch, die eigene Begeisterung mit möglichst vielen Spielerinnen und Spielern zu teilen, ist zusammengenommen der Motor des Ganzen. Das ist die ursprüngliche Idee, die Crowdfunding zugrunde liegt. Es wäre schön, wenn andere das ähnlich empfinden und ich damit „irgendwann“ nicht allein bin.

    Einmal editiert, zuletzt von Gead (2. August 2024 um 12:19)

  • Ich finde immernoch, dass es gute Projekte durch CF gibt. Oft kleine, die dann mit 130-180 Backern zu Ende gehen. Sowas mag ich.

    Mir gefallen aber auch die CMON Kampagnen oft (United, DMD, War for Arrakis) oder auch andere, „gehypte“, Kampagnen. Fast alle der Spiele spielen wir gerne und häufig genug, dass sich der Kauf gelohnt hat.

    Zu Primal: Es gibt 10er und 1er die sinnlos sind und die nicht durchs spielen sind. Aber 8.7 ist jetzt auch nicht ungerechtfertigt. Klar man braucht die Minis nicht unbedingt aber sie sehen gut aus, sind toll zu bemalen und sind nunmal der Gedanke und Plan des Entwicklers. Wer es nicht mag, braucht es ja nicht. Da ist ja immer das gute: niemand zwingt einen, beim CF o.ä. mitzumachen.

    Struggle heißt ja auch „Anstrengung“ oder „Bemühung“ - ergo passt es gut. Das Monster strengt sich mehr an etc. um seine Angriffe zu verstärken.

    Einmal editiert, zuletzt von Cleinlish (2. August 2024 um 12:35)