Angestoßen durch einen Vergleich von Blaze241 ist im SdJ-Orakel-Thread ja gerade eine Diskussion im Gange, wie sich unser Hobby in Mainstream und fortgeschrittenere und vielleicht sogar kunstvollere Kost aufteilt. Ich hatte dazu auch einen Gedanken und Archibald Tuttle eine gute Antwort darauf:
Alles anzeigen. Das lässt sich ein Stück weit vielleicht auch auf Popmusik oder Filme übertragen: dort gibt es Indie- oder experimentelle Musik bzw. Arthouse- und Experimental-Film, die oft selbst nicht den großen Erfolg haben aber eine Quelle für neue Ideen sein können. Etwas Vergleichbares gibt es aber beim Medium (Hobby-)Brettspiel nicht, oder? Ich sehe da keinen Grund, warum Innovation ausgerechnet in nischigen Spielen stattfinden soll. Die Extrembereiche des Hobbies zeichnen sich eigentlich eher durch gesteigerte Komplexität, Umfang oder Unzugänglichkeit aus. Aber dass dort die Mainstream-Ideen von morgen ausgebrütet werden, sehe ich eigentlich eher gar nicht so.
Also den Gedanken finde ich superspannend und würde Dir da gern widersprechen: Ich glaube schon, dass so manche Mechanismen in sehr sperrigen Titeln das erste Mal auftauchen und dann erst den Feinschliff eines anderen Designers brauchen, um in der breiten Masse erfolgreich sein zu können. Ein paar Beispiele:
- #Keydom erfindet quasi im Alleingang das Worker Placement, vergräbt es aber in einem Spiel mit einem viel dominanteren Auktionsmechanismus (und Morgenland macht es sogar noch unwichtiger). Erst Caylus, Stone Age und Säulen der Erde popularisieren den Mechanismus dann im großen Stil.
- #FairyTale "erfindet" das Drafting á la 7 Wonders, hat aber eine so furchtbare Ikonographie und Anleitung, dass das Spiel keine Chance hat, bis eben 7 Wonders rauskommt. Nach 7 Wonders wird Fairy Tale dann gleich mehrfach wiederveröffentlicht.
- Rosenberg ist was das angeht wohl der transparenteste Autor aller Zeiten: In Agricola wird Antiquity ausdrücklich für den Erntemechanismus gedankt, und bei Nova Luna hat er den Autor von Habitats gleich mit aufs Cover gesetzt, obwohl der zur Entwicklung von Nova Luna wohl nichts weiter beigetragen hat als eben dieses Vorlagenspiel zu erfinden. Da kann man auch davon sprechen, dass hier unbekanntere/speziellere Nischentitel und ihre Mechanismen in den Mainstream überführt werden.
- Neuestes Beispiel wäre für mich #Harmonies, was ich nach wie vor für ein geschicktes Redesign von Dreamscape halte, bei dem die Komplexität runtergeschraubt und auf den sehr eingängigen Kernmechanismus reduziert wurde.
Edit: Hatte bei Fairy Tale was verwechselt. Es gab auch einen Dominion-Vorgänger, aber den habe ich akut vergessen.
Von daher dachte ich mir: ich eröffne mal einen Thread, in dem diskutiert werden darf ob und wo es im Brettspiel eine Nische gibt, innerhalb der mit neuen Ideen experimentiert wird und dabei vielleicht ein bisschen weniger auf den Massengeschmack geschaut wird.
Das darf gerne in alle Richtungen gehen: praktische Beispiele, aktuelle Anlässe, theoretische Überlegungen.