Worüber wir sprechen, wenn wir über Spiele sprechen...

  • (ich kucke immer wieder irritiert, wenn jemand "Zauberer" statt "weißes Klötzchen" sagt).

    Falls hier AT-Fans mitlesen würden, wäre hier der Moment, um "Minis, Minis" zu skandieren. :)
    Ich zumindest habe noch vor meiner ersten Partie daher die Klötzchen durch entsprechende Zauberer-/Krieger-/etc-Meeples ausgetauscht, Problem gelöst. :thumbsup:

    UpLive [bgg for trade] - einfach anschreiben, wenn Dich davon was interessiert!

  • Zum Beispiel bei verschiedenen Spielen von Martin Wallace, der ja berühmt-berüchtigt dafür ist.
    Da gibt es dann eben die Hafenstadt bei A few Acres of Snow, die man eben NICHT mit Seebelagerungskarten angreifen kann - WEIL dort die Küste es nicht erlaubt hat.
    Oder spezielle Regeln für einige Orte bei Age of Industry, weil es dort nun mal besondere Eigenheiten gab.
    Oder bei 1944: Race to the Rhine kann der Hafen Ostende nur ein einziges Mal für Nachschub verwendet werden - dann zerstören ihn die Nazis. Das ist nun mal historisch so gewesen und wird dort auch entsprechend abgebildet.


    In dem Moment, in dem solche speziellen Regeln in ein Spiel kommen, in dem Moment empfinde ich das Thema nicht länger "aufgepinselt" - in dem Moment hat das Spiel tatsächlich ein Thema, das "lebt".

    Ich bin auch ein Fan solche Dinge korrekt darustellen; klassisches Beispiel ist zum Beispiel bei Brass die "virtuelle Verbindung" nach Elsmore Port um dort in der Schienenphase ein Schiff bauen zu können. Andererseits ist das Problem, dass diese Regel in 99,9 % der Spielen keine Verwendung findet, aber das Regelwerk durch eine Ausnahme verkompliziert.



    In deinem anderen Beispiel (A Few Acres of Snow) hätte man da - ich kenne das Spiel nicht! - nicht den Spielplan einfach so umgestalten können, dass ohne Regeln klar ist, zB die Stadt minimal ins Landes innere verschieben? Ungefähr so:

    Verbrennt den Ketzer, einfach die korrekte Geographie über Board werden ;)

    Ich gebe hier, auch wenn ich es im Text nicht explizit erwähne, immer meine persönliche Meinung wieder.

  • klassisches Beispiel ist zum Beispiel bei Brass die "virtuelle Verbindung" nach Ellesmere Port Birkenhead, um dort in der Schienenphase eine Schiff Werft bauen zu können

    FTFY

  • Jap, aber Ellesmere Port. Es entspricht (wie bei Wallace ja üblich) den lokalen/regionalen Gegebenheiten: OpenStreetMap | Knoten: ‪Ellesmere Port‬ (‪21654942‬)

  • Ich versuche es auch mal mit einer Polemik:


    Was ich nicht leiden kann, sind Leute, die Pizza als Hauptmahlzeit essen. Es ist in Italien, wo die Pizza ja herkommt, immer eine Vorspeise gewesen! Dazu auch viel dünner, mit knusprigem Teig, und auch dünn belegt. Und jetzt ist es hier in Deutschland so, dass da alles mögliche drauf kommt: Döner, Gemüse aller Art, Pizza wird in Tzaziki oder Hollondaise ertränkt! So was macht man einfach nicht! Das ist nicht die Art, wie man Pizza genießen sollte! Diese traditionelle Vorspeise dieses alten Volkes! Mit Füßen getreten wird hier das Erbe der Römer!

    Einmal editiert, zuletzt von ode. ()

  • Erstmal zum Vortag selbst. Man sollte immer bedenken, dass dieser auf einer Autorentagung gehalten wurde, d.h. nicht für ein Fan-Publikum wie die Leser dieses Forums. Bei einem solchen Spieler-Publikum wäre manche Bemerkung, gerade am Anfang des Vortrags, in der Tat ein wenig abgehoben/überheblich/polemisch. Denn selbstverständlich haben viele der zitierten Punkte, nach denen Fans in Foren ein Spiel bewerten, ihre Berechtigung. An der Frage nach der Zweier-Tauglichkeit, nach der Spieldauer, nach was-weiß-ich für nicht-thematischen Sachen ist überhaupt nicht aus zu setzen und das sollte eigentlich auch den Autoren klar sein.


    Womit wir beim Thema selbst wären. Für mich ist's eines von vielleicht einem halben Dutzend Kritierien, nach denen ich ein Spiel bewerte. Wenn das Thema interessant ist, wenn es vielleicht sogar dazu führt, dass man ins Spiel eintaucht und sich für die 1-2 Stunden Spielzeit in der Rolle der Spielfigur wohlfühlt, dann umso besser.


    (Dieses "Wohlfühlen" wäre übrigens mein persönliches Problem bei "Freedem - The Underground Railroad": Immersion ja, toll, aber eben keine Wohlfühl-Immersion, sondern etwas arg Problematisches, was ich mir nicht unbedingt gerne in der Freizeit an die Backe binde. Anführer eines Verbrecherclans in Yedo ist noch okay, weil rollenspielmäßig-abstrakt, aber Freedom in einen 100% historisch-realisitischen Szenario mag ich dann doch nicht mehr. "Prädikat wertvoll", aber mir persönlich zu belastend und für mich daher unpassend für die Darreichungsform Gesellschaftsspiel.)


    Zurück zur Bedeutung von "Thema". Wenn's passt, ist das ein klarer Pluspunkt (neben dem genannten Yedo z.B. auch bei Haspelknecht), aber wenn es fehlt, dann ist's für mich auch okay, wenn (!) das Spiel dafür anderswo punktet. (Tut es das aber nicht, wird das Spiel schnell verlieren gegenüber den Spielen mit interessanterem und besser umgesetzten Thema.) Ähnliches würde ich für viele andere Kriterien an Spiele sagen: Ein reines 2er-Spiel muss z.B. auch woanders punkten, um sich gegen die nebenbei-auch-2er-taugliche Konkurrenz zu behaupten. Gleiches gilt bei mir für thematisch schwache Spiele. Kein direktes KO-Kriterium, aber dann werden die Ansprüche an den Rest eben höher.



    Jetzt zu einzelnen Kommentaren (oft sehr lesenswert übrigens!)

    Zu einer solch intensiven Beschäftigung mit der Materie hatte mich bisher noch kein Spiel gereizt. [...] Bleibt die Frage warum es ähnliches im Bereich der Eurogames so selten gibt.

    Meiner Meinung nach liegt das aber zu 90% an den Spielern. Beispiel: Spiele von Mac Gerdts (PD Verlag). Da liegt eigentlich immer parallel zur Spielanleitung auch ein Zusatzheftchen mit historischen Infos drin. Für mich immer sehr lesenswert, selbst bei den etwas abstrusteren Themen "Geschichte der Kirchen in Hamburg" (Hamburgum). Schaut man sich dann an, wie oft diese Heftchen in Rezensionen positiv erwähnt werden -- nämlich fast nie --, dann finde ich das etwas schade.


    Letztendlich ist die tiefere Beschäftigung mit einem Thema, z.B. durch Lesen zusätzlicher Texte (Wikipedia, Bücher, etc.), immer mit Arbeit verbunden und da muss jedem, ob Spieler, Redakteur oder Autor, klar sein, dass das immer nur eine Minderheit machen wird. Gerade als Spieler gilt dann aber auch: Wenn man sowas gut finden, dann muss man aber auch mal den Mund aufmachen (bzw. in die Tastatur greifen) und klar bekennen, dass man thematischen Hintergrund mag. Auch wenn man damit zumindest in der Euro-Schiene schnell in der Minderheit ist.


    Ein Spiel kann bei mir nicht punkten, wenn mich der Mechanismus nicht fordert, wenn es nicht "spannend zu spielen" ist.

    Du hast für den gesamten Beitrag einen Daumen hoch von mir bekommen, im Grunde sehe ich es genauso, aber ich würde es alles in allem nicht ganz so krass formulieren, dass das Thema egal wäre. Siehe oben: gutes Thema ist Pluspunkt, fehlendes Thema kann anderweitig kompensiert werden, genau wie andere mögliche Schwachstellen von eingeschränkter Spielerzahl bis mieser Grafik auch.


    Den Unterschied zwischen (thematischem) Brett- einerseits und Rollenspiel andererseits sehe ich übrigens eher darin, daß für mich das Brettspiel normalerweise eine Kurzgeschichte ist. Will heißen, an einem Abend gespielt.
    [...]
    Aber ich schweife ab.

    Ich finde nicht, dass du da abschweifst. Das ist ein sehr interessanter Gedanke. Nur gehört das vielleicht eher in eine Diskussion über Spiele wie T.I.M.E Stories oder den ganzen Legacy-Kram rein, denn diese Spiele versuchen ja gerade die "an einem Abend gespielt" Grenze zu sprengen. Um in deinem Bild zu bleiben: keine Kurzgeschichte mehr, sondern das Kapitel eines Buches pro Spieleabend. Wenn wir über Spiele und deren thematischen Bezug reden, ist das Einbinden rollenspielartiger Elemente bei deutlicher Verlängerung der Gesamt-Spielzeit und gleichzeitiger Unterteilung in spielbare Abschnitte ein durchaus wichtiger Punkt, wenn wir mal etwas unter dem Theorie-Aspekt auf die jüngsten Entwicklungen in der Spielebranche schauen. Es ist ein möglicher Weg, um das zu leisten, was Herr Blum fordert, und noch dazu ein kommerziell überaus erfolgreicher, soweit ich das als Außenstehender ohne Kenntnis von Verkaufszahlen einschätzen kann.

  • Was ich nicht leiden kann, sind Leute, die Pizza als Hauptmahlzeit essen. Es ist in Italien, wo die Pizza ja herkommt, immer eine Vorspeise gewesen! Dazu auch viel dünner, mit knusprigem Teig, und auch dünn belegt. Und jetzt ist es hier in Deutschland so, dass da alles mögliche drauf kommt: Döner, Gemüse aller Art, Pizza wird in Tzaziki oder Hollondaise ertränkt! So was macht man einfach nicht! Das ist nicht die Art, wie man Pizza genießen sollte! Diese traditionelle Vorspeise dieses alten Volkes! Mit Füßen getreten wird hier das Erbe der Römer!

    Frag mal den italienischen Warlord-Spieler, mit dem ich vor Jahren lange zusammen gezockt habe!
    Dem wurde immer übel, wenn Pizza Hawaii, Pizza Gyros oder Pizza Crazy Dog (Pizza mit Würstchen, Ketchup und Remouladensoße) bestellt und gegessen wurde! :D

  • und noch dazu ein kommerziell überaus erfolgreicher, soweit ich das als Außenstehender ohne Kenntnis von Verkaufszahlen einschätzen kann.

    In dem Zusammenhang sei auch, aber nicht dur deswegen, auf den Vortrag von @ulible Uli Blennemann auf selbiger Tagung hingewiesen, der sicherlich auch in eine ähnliche Richtung geht, wie der Vortrag von Ulrich Blum. Uli stellt seinen Eindruck dar, dass die deutschen Autoren quasi in Ihrer Ursuppe aus der Kramer(-Kiesling - meine Ergänzung)/Knizia Tradition fischen, während sich die Autoren außerhalb des Deutschen Sprachraums eben weiterentwickelt haben.


    Uli sprach von Verkaufzahlen von Android Netrunner in 2014 (500.000 Stück) um dazulegen, dass dieser Ansatz kommerziell äußerst erfolgreich. Pandemic Legacy liegt nach dem was ich hörte bei inzwischen über 50.000 Stück (über alle Sprachen)

    Ich gebe hier, auch wenn ich es im Text nicht explizit erwähne, immer meine persönliche Meinung wieder.

  • Uli stellt seinen Eindruck dar, dass die deutschen Autoren quasi in Ihrer Ursuppe aus der Kramer(-Kiesling - meine Ergänzung)/Knizia Tradition fischen, während sich die Autoren außerhalb des Deutschen Sprachraums eben weiterentwickelt haben.

    Ohne den Vortrag zu kennen: klingt erstmal plausibel, aber ein "Fischen in der Knizia-Tradition" kann ich nun wirklich nicht sehen. Knizia steht für mich für "viel Spieltiefe aus erstaunlich wenig Regeln", und der Trend geht doch ganz klar in Richtung "noch mehr Regeln, noch mehr Mechanismen" (und, gerade bei Kickstarter, "hübsche Grafik über alles").

  • Knizia steht für mich für "viel Spieltiefe aus erstaunlich wenig Regeln", und der Trend geht doch ganz klar in Richtung "noch mehr Regeln, noch mehr Mechanismen" (und, gerade bei Kickstarter, "hübsche Grafik über alles").

    Diesen "Trend" würde ich wiederrum so nicht unterschreiben.
    Vielleicht erregen diese Spiele eher deine Aufmerksamkeit, aber Veröffentlichungen nach dem "Kniziaprinzip" gibt es doch nach wie vor zuhauf.
    Und sie entsprechen auch dem, was so gut wie jeder Verlag als sein "Beuteschema" formuliert hat.


    Ein #Mombasa ist eher die Ausnahme als die Regel.

    Mein Blog (Illustrationen, Brettspieldesign, Angespielte Spiele)

  • Letztendlich ist die tiefere Beschäftigung mit einem Thema, z.B. durch Lesen zusätzlicher Texte (Wikipedia, Bücher, etc.),

    Mir ist es vor einigen Tagen in umgekehrter Richtung so ergangen. Ich habe den Roman Die Feuer von Murano mit Begeisterung gelesen. In Folge hatte ich ein großes Bedürfnis Titel wie RIALTO, MURANO, OLTRE MARE und VENEDIG zu spielen, um zu sehen wie viel vom Thema in den Spielen implantiert wurde.


    Aber - wie bereits schon gesagt wurde - die Verwendung eines Thema kann auch als Schuss nach hinten los gehen. Ich persönlich scheitere da am Spiel EUPHORIA. Mir gelingt es schlecht die thematischen Bezeichnungen in der Erklärung in Einklang mit den Spielbegebenheiten zu bringen. Es ist ein Spiel, das ich thematisch sehr spannen und gerne mögen möchten, bei dem ich aber nach inzwischen vielen Partien immer noch das Gefühl der Unsicherheit habe, EUPHORIA nicht regelkonform zu spielen.


    Liebe Grüße
    Nils

  • Vielleicht erregen diese Spiele eher deine Aufmerksamkeit, aber Veröffentlichungen nach dem "Kniziaprinzip" gibt es doch nach wie vor zuhauf.

    Was denn? Kannst du mir Beispiele nennen unter Spielen jüngerer Zeit, die in Spieldauer und Anspruch mit Klassikern wie Modern Art, Euphrat & Tigris, Durch die Wüste, Ra, Tadsch Mahal oder Amun-Re vergleichbar wären? Für mich haben sich die Spiele mit kurzer knackiger Hauptidee in den massentauglicheren Familenspiel- und Absacker-Bereich zurückgezogen (ähnlich wie Herr Knizia selbst), dabei mit merklichem Verlust an Spieltiefe. Das "aus wenig viel rausholen" ist für mich etwas im Spieldesign verloren gegangen.

  • Was denn? Kannst du mir Beispiele nennen unter Spielen jüngerer Zeit, die in Spieldauer und Anspruch mit Klassikern wie Modern Art, Euphrat & Tigris, Durch die Wüste, Ra, Tadsch Mahal oder Amun-Re vergleichbar wären? Für mich haben sich die Spiele mit kurzer knackiger Hauptidee in den massentauglicheren Familenspiel- und Absacker-Bereich zurückgezogen (ähnlich wie Herr Knizia selbst), dabei mit merklichem Verlust an Spieltiefe. Das "aus wenig viel rausholen" ist für mich etwas im Spieldesign verloren gegangen.

    Äh, genau diesen "massentauglicheren Familenspiel- und Absacker-Bereich" meinte ich eigentlich. ;)


    Das letzte von der Sorte, das mir untergekommen ist, ist #Karuba.
    Familienspiel für 2-4 in ca. 45 Minuten, klassisches Beuteschema der Verlage: Simple Regeln, wenig Material, aber erstaunlich viel rausgeholt: eine fordernde Aufgabe, Wiederspielwert durch Variation, schöner spannender Spielablauf.

    Mein Blog (Illustrationen, Brettspieldesign, Angespielte Spiele)

  • Mir wabert dabei folgender Gedanke durch den Kopf - anscheinend ist die Frage bzgl. Thema/Mechanismus zumeist bei den Vetretern der "Eurogames" gegeben. Denkt man an andere Genres, wie z.B. KoSims oder auch 18xx, ist das Thema der Treiber. Bei 18xx bin ich eben der Direktor einer Gesellschaft und fühle und spiele als eben solcher.
    KoSims sollte klar sein, ebenfalls sehr interessant finde ich die seit einiger Zeit auftauchenden "Euro-Wargames". Diese nehmen zwar Bezug auf ein globales Thema, z.B. WW2, stellen aber den spielerischen Aspekt in einem anderen Konsens dar. Race to the Rhine ist da ein gutes Beispiel: Primär erwartet man ein übliches "Haudrauf", spielerisch ist es aber ein logistisches Rennen/Puzzle.
    Ein weiterer Vertreter wäre First to Fight, auch hier wird ein gänzlich anderer Zweig im Bezug WW2 behandelt. Auch Churchill oder Triumph & Tragedy sind themengetrieben, ich würde diese als "PolSim" (politische Simulation) bezeichnen.
    Mag sein, das ich mit meiner Einschätzung falsch liege, aber mir gefällt so etwas erheblich besser als die gängigen Optimierungsspiele mit aufgepropftem Thema...

    Bitte senden Sie mir Ihre E-Mail doppelt, ich brauche eine fürs Archiv :/

  • Ich persönlich scheitere da am Spiel EUPHORIA.

    Deutsche oder englische Version? Die deutsche Übersetzung finde ich grausam, äh, "interessant". Da geht jedenfalls viel von dem Science Fiction Flair verloren. Dennoch: Ich kann schlecht beurteilen, wie gut das Spiel thematisch funktioniert, wenn man die klassischen dystopischen SF-Vorlagen von Fahrenheit 451 über Soylent Green bis Logan's Run überhaupt nicht kennt. Mag sein, dass es dann völlig unnahbar wird, auch auf Englisch.



    Äh, genau diesen "massentauglicheren Familenspiel- und Absacker-Bereich" meinte ich eigentlich.

    ;)


    Ja, stimmt, da hätte ich präziser sein können, dass ich eigentlich den Bereich der "großen" Spiele meine, wo es leicht ist, Spiele mit hoher Regelkomplexität zu finden, also Spiele, die schon auf den ersten Blick nach viel aussehen, während Spiele, in denen viel mehr drin steckt, als man auf den ersten Blick sieht, einen immer schwereren Stand haben -- und genau dieses "wesentlich gehaltvoller, als es auf den ersten Blick aussieht" macht für mich Knizia aus, selbst bei so vermeintlich simplen Sachen wie "Lost Cities".


    Vielleicht ist diese Entwicklung auch deshalb so, weil man früher Sachen öfter gespielt hat, während in der heutigen Veröffentlichungsflut es schon etwas Besonderes ist, wenn ein Spiel innerhalb eines Jahres zum fünften Mal auf den Tisch kommt. Ein Spiel, das nicht auf den ersten Blick schon etwas her macht, geht leider in einer Zeit unter, wo schnelle Internet-Ersteindrücke und Video-Reviewer, die das Spiel vielleicht 1-2 mal gespielt haben, mit ihrem Daumenheben bzw Daumensenken ganz wesentlich über den Verkaufserfolg mitentscheiden. Hätte ein Spiel wie Ra oder Euphrat & Tigris heute überhaupt noch die Chance, derart hoch bei BGG zu klettern?

  • Deutsche oder englische Version? Die deutsche Übersetzung finde ich grausam, äh, "interessant". Da geht viel von dem Science Fiction Flair verloren. Dennoch: Ich kann schlecht beurteilen, wie gut das Spiel thematisch funktioniert, wenn man die klassischen dystopischen SF-Vorlagen von Fahrenheit 451 bis Logan's Run überhaupt nicht kennt

    deutsch


    Zum Thema Dystopie habe ich mich im Netz eingelesen. Mir reicht eigentlich das reale Umfeld, um die Begebenheiten des Spielgeschehens nachzuvollziehen. :whistling:


    Danke für die Leseempfehlung.


    Liebe Grüße
    Nils (ist auf der Flucht)

  • Spiele wie T.I.M.E Stories oder den ganzen Legacy-Kram rein, denn diese Spiele versuchen ja gerade die "an einem Abend gespielt" Grenze zu sprengen.

    Also, TIME Stories geht ja noch in einer Session, aber z.B. ist Pandemie Legacy aus genau diesem Grund seit einem halben Jahr ungespielt, weil man mit 12-24 Partien rechnen muss, am besten in derselben Runde. An anderer Stelle hier im Forum konnte man lesen, wie sich eine Runde extra Urlaub nahm und vermutlich wird es darauf auch bei mir hinauslaufen...
    Was ich sagen will: Ich bin noch unentschlossen, wie ich diesen Trend beurteile - JA, die Geschichten sind schöner ABER mit mehr zeitlichen Invest.

    UpLive [bgg for trade] - einfach anschreiben, wenn Dich davon was interessiert!

  • Ja, stimmt, da hätte ich präziser sein können, dass ich eigentlich den Bereich der "großen" Spiele meine, wo es leicht ist, Spiele mit hoher Regelkomplexität zu finden, also Spiele, die schon auf den ersten Blick nach viel aussehen, während Spiele, in denen viel mehr drin steckt, als man auf den ersten Blick sieht, einen immer schwereren Stand haben -- und genau dieses "wesentlich gehaltvoller, als es auf den ersten Blick aussieht" macht für mich Knizia aus, selbst bei so vermeintlich simplen Sachen wie "Lost Cities".

    Ich glaube, da werden wir schwerlich diskutieren können, weil jeder andere Spiele auf dem Radar hat und die als unterschiedlich präsent und "groß" bewertet.
    Zumal auch der Zeitraum nicht klar abgesteckt ist. Ab wann haben denn diese Veröffentlichungen deiner Meinung nach aufgehört?


    Zitat

    Vielleicht ist diese Entwicklung auch deshalb so, weil man früher Sachen öfter gespielt hat, während in der heutigen Veröffentlichungsflut es schon etwas Besonderes ist, wenn ein Spiel innerhalb eines Jahres zum fünften Mal auf den Tisch kommt. Ein Spiel, das nicht auf den ersten Blick schon etwas her macht, geht leider in einer Zeit unter, wo schnelle Internet-Ersteindrücke und Video-Reviewer, die das Spiel vielleicht 1-2 mal gespielt haben, mit ihrem Daumenheben bzw Daumensenken ganz wesentlich über den Verkaufserfolg mitentscheiden. Hätte ein Spiel wie Ra oder Euphrat & Tigris heute überhaupt noch die Chance, derart hoch bei BGG zu klettern?

    Hier stimme ich dir zu, zumindest was die Einschätzung aus Konsumentensicht angeht.
    #Doom habe ich vor inzwischen fast zehn Jahren zum Beispiel locker 50mal gespielt. Einfach, weil wir nichts anderes hatten. Heute würde ich das vermutlich nach dem ersten Mal spielen als "broken" oder "uninteressant, x-beliebiger Dungeoncrawler" abstempeln und nichtmal mehr mit der Kneifzange anfassen. Auch habe ich heute nicht das geringste Interesse daran, Spielen nochmal eine Chance zu geben, die in den ersten 1-3 Versuchen (persönlich) durchgefallen sind. Weil's halt so viele andere Spiele gibt, und weil ein Spiel so einfach zu verkaufen und ersetzen ist (sowas wie Onlinetausch gab es damals nicht so präsent und nicht in der Form).
    Aus Verlags- oder Autorensicht sieht das vielleicht anders aus.
    (Als Spielebastler kann ich dir sagen: Viele meiner Kollegen beschäftigen sich durchaus damit, Spiele "elegant" zu machen (einfach zu lernen, aber viel Tiefe; wenig Material und Regeln, aber viel Immersion. Das ist so ne Art "heiliger Gral". Und auch die Verlage wollen das gerne, zumindest wenn man sich die "Leitfäden für Autoren" anschaut, das riecht dann auch mal nach "eierlegender Wollmilchsau")


    Viele Spiele würden heute so nicht mehr erscheinen, das ist sicher. Genauso wie Tolkien vermutlich heute keinen Verleger mehr finden würde für ein Buch, das mir 100 Seiten "Concerning Hobbits" anfängt.
    Aber was sagt das schon aus? Das wertet diese Spiele ja nicht ab, man muss sie im Kontext ihrer Zeit sehen.

    Mein Blog (Illustrationen, Brettspieldesign, Angespielte Spiele)

    Einmal editiert, zuletzt von PeterRustemeyer ()

  • Ein Spiel, das nicht auf den ersten Blick schon etwas her macht, geht leider in einer Zeit unter, wo schnelle Internet-Ersteindrücke und Video-Reviewer, die das Spiel vielleicht 1-2 mal gespielt haben, mit ihrem Daumenheben bzw Daumensenken ganz wesentlich über den Verkaufserfolg mitentscheiden.

    Das liegt ja hauptsächlich an der Dummheit und Trägheit der Masse, die sich viel zu leicht blenden läßt und auch der Verkaufs-Psychologie völlig hilflos gegenüber steht.


    Man muß sich diese Videos ja nicht (alle) anschauen, und wenn man's tut, sollte man es kritisch tun und nicht alles glauben, was einem da präsentiert wird.
    Da unterscheidet sich der Spielekauf nicht von jedem anderen Kauf - da sollte man das ja auch tun ...


    Ich glaube nicht, daß jemand wirklich objektiv sein kann - alle Meinungen sind subjektiv.
    Natürlich gilt das auch für mich.

  • Und auch die Verlage wollen das gerne, zumindest wenn man sich die "Leitfäden für Autoren" anschaut, das riecht dann gerne nach "eierlegender Wollmilchsau")

    Und da das keiner hinbekommt, entsteht soviel austauschbares. Wahrscheinlich auch einer der Gründe für diverse Kickstarterprojekte oder Kleinverlage, die ihre Ideen "ungebügelt" auf den Markt bringen wollen...

    Bitte senden Sie mir Ihre E-Mail doppelt, ich brauche eine fürs Archiv :/

  • Der Vortrag klang auch in meinen Ohren erst einmal sympathisch, und als Denkanstoß finde ich ihn bereichernd, aber er verkennt den Kern der Ursache: Es liegt nämlich nicht an der Art, wie man darüber spricht, sondern an der Art, wie ein Spiel entworfen wurde. Wenn ein Spiel nämlich gar nicht den Anspruch erhebt, mehr sein zu wollen als ein reizvolles Mechanismenpuzzle, warum sollten wir dann im Diskurs so tun, als sei es mehr? Da schreit doch das Lamm "hurz".

    Soziale Medien fügen Ihnen und den Menschen in Ihrer Umgebung erheblichen Schaden zu.

  • Und da das keiner hinbekommt, entsteht soviel austauschbares. Wahrscheinlich auch einer der Gründe für diverse Kickstarterprojekte oder Kleinverlage, die ihre Ideen "ungebügelt" auf den Markt bringen wollen...

    Man sieht das in Reinform bei Autorentreffen und Prototyptests, wenn man zum x-ten mal die selben, bereits dagewesenen Mechanismen in neuer Mischung vor die Nase bekommt...
    Da fehlt oft einfach das Alleinstellungsmerkmal. Aber wie auch? Es gibt heute so viele Spiele, es gibt das einfach alles schon.


    Pythagoras war zum Beispiel ein richtig schlauer Fuchs. Aber was der damals an Mathematik erfunden hat, reicht heute so nicht mehr, um als Genie zu gelten. Jeder Erstsemester kann seinen berühmten Satz beweisen. Aber womit sich die richtig genialen Mathematiker heute beschäftigen, das versteht der Durchschnittsmensch nicht mehr, das ist völlig losgelöst von allem, was sich irgendwie vermitteln ließe.
    Der Rest ist schon hinreichend abgearbeitet.


    So ist es mit den Spielen wohl auch: Die Mechanismen sind alle da, was wir Autoren nun machen, ist mehr eine Kombinationsaufgabe: "Ein Worker Placement Spiel mit Dice- und Deckbuilding und einer Auktionskomponente". Weil man mit den einzelnen Zutaten keinen mehr hinter dem Ofen hervorlocken kann. Hey, immerhin hab ich sie originell verknüpft!


    Diese eine Idee, dieses "Ich kreiere etwas völlig Neues, das dabei aber auch einfach und zugänglich ist und trotzdem voll viel Spieltiefe bietet"... Die Luft dafür wird dünn.

    Mein Blog (Illustrationen, Brettspieldesign, Angespielte Spiele)

  • Man sieht das in Reinform bei Autorentreffen und Prototyptests, wenn man zum x-ten mal die selben, bereits dagewesenen Mechanismen in neuer Mischung vor die Nase bekommt...

    Das liegt aber meines Erachtens zu einem großen Teil auch daran, dass nicht wenige Autoren nicht deshalb zum Autor wurden, weil sie eine Eingebung hatten, die sie umsetzen wollten, sondern weil sie einfach mal beschlossen haben, Autor zu werden, einfach so.

  • @Thygra


    Über die Größe der Anteile kann man sich natürlich streiten.


    Ich denke, es liegt auch zu einem großen Teil daran, dass es heutzutage schon so viele Spiele gibt.


    "Ich muss also einen Begriff erraten, und der Spielleiter gibt mir schwer zu interpretierende Hinweise? Das ist ja wie Mastermind!"
    "Nein, eigentlich nicht..."


    "Ich lege also Plättchen an, und wenn ein Gebiet... Carcassonne?"
    "Außer, dass beide Spiele Plättchen haben... Nein?"


    "Ich stelle verschiedene Würfel zusammen, und die geben mir dann Aktionen/Rohstoffe/xyz? Das ist ja wie Nations - The Dice game (oder ein mir unbekanntes älteres Spiel, das diesen Mechanismus erfunden hat)."
    "Nein, eigentlich ist es ein völlig anderes Spiel."


    "Ich würfel Kniffel-Aufgaben, um Monster zu besiegen? Wie das Ältere Zeichen?"
    "Nein, das hier heißt Alte Dunkle Dinge und ist was komplett anderes."


    Die Basis an "Altbekanntem" ist einfach verdammt groß.

    Mein Blog (Illustrationen, Brettspieldesign, Angespielte Spiele)

  • Die Basis an "Altbekanntem" ist einfach verdammt groß.

    Standing on the shoulders of giants

  • @PeterRustemeyer:


    Das ist mir schon klar. Ich habe auch überhaupt nichts dagegen, bestehende Mechanismen neu zu kombinieren. Dadurch sind schon eine Menge tolle Spiele entstanden.


    Es ging mir mit meinem Beitrag von vorhin nur um die Motivation, die dahinter steckt, weshalb jemand gerne Spieleautor sein möchte. Nach meiner Erfahrung haben nicht wenige Autoren einfach nur Lust dazu, Autor zu werden. Vielleicht, weil sie es cool finden. Oder weil sie hoffen, damit Geld verdienen zu können. Aber nicht aus einer Eingebung heraus.


    Das muss auch nichts Schlechtes sein. Die Entwicklung eines Spiels ist zu geschätzten 99% Handwerk, das man erlernen kann. Aber die wirklich herausragenden Spiele haben oft auch einen kleinen Anteil Eingebung oder Talent, der die Genialität ausmacht, und diesen Teil kann man nicht erlernen.


    Deshalb fühlen sich viele Spiele auch einfach "nur" nach gutem Handwerk an. Solche Spiele wären vor 20 Jahren aus der Masse herausgeragt, aber heute ist die Qualität der Masse so gestiegen, dass gutes Handwerk eben nur noch Durchschnitt ist. Das können halt heute viel mehr Autoren als früher. Und zugleich gibt es auch mehr Verlage als früher, da man heute auch als Kleinverlag Spiele mit derselben Materialqualität herstellen kann wie die großen Verlage - was vor 20 Jahren noch anders war.


    Und weil es mehr Verlage gibt, finden auch mehr Autoren einen Abnehmer für ihr Spiel. Wurde ein Spiel früher von 10 Verlagen abgelehnt, war es quasi tot. Heute kann ein Autor auch nach 50 Absagen trotzdem noch einen Verlag finden, der sein Spiel verlegt, zumal die Globalität auch noch hinzugekommen ist.


    Das führt zu immer mehr Veröffentlichungen von Spielen, die bestehende Mechanismen kombinieren und gutes Handwerk sind. Und weil die Menschen sehen, dass man so etwas bei einem Verlag unterbringen kann, denken sie "Das kann ich auch" und beschließen Autor zu werden. Das halte ich aber für eine falsche Motivation.


    Aber gut, bei Schriftstellern und Musikern ist das ja mitunter auch nicht anders ... ;)

  • Oder bei Filmemachern - vgl. YouTube, wo viele mit Begeisterung alles selbst machen.


    Ich erwarte ja, dass es durch Technologien wie Tabletopia einst Millionen von Spielen ganz ohne Verlage/Redaktionen geben wird, so ähnlich wie es in Appstores heute zig zusammen geklickte Apps gibt. Autoren brauchen eigentlich gar keinen Verlag mehr, wenn ein Brettspiel komplett digital sein kann.

    UpLive [bgg for trade] - einfach anschreiben, wenn Dich davon was interessiert!

  • Ich erwarte ja, dass es durch Technologien wie Tabletopia einst Millionen von Spielen ganz ohne Verlage/Redaktionen geben wird, so ähnlich wie es in Appstores heute zig zusammen geklickte Apps gibt. Autoren brauchen eigentlich gar keinen Verlag mehr, wenn ein Brettspiel komplett digital sein kann.

    Und dann soll ich alleine Bier trinken und Grillen während ich am Tablet zwischendurch ein paar Spielzüge mache?

  • Ich bewerte die Entwicklung nicht, für mich ersetzt es auch keine Partie am Tisch, aber ich spiele jetzt auch schon viel online, weil es praktisch ist.


    Und die ersten Kickstarterprojekte benutzen Tabletopia auch schon für Demos etc, da ist es nur eine Frage der Zeit, bis es die ersten Spiele "nur" dort gibt.


    Im Unterschied zum Computerspiel eben ohne jede Programmierkenntnisse online zu bringen...

    UpLive [bgg for trade] - einfach anschreiben, wenn Dich davon was interessiert!

  • Dann ist es kein Brettspiel mehr sondern ein Computerspiel

    Nur wo ist da halt dann die Grenze?


    Sehr schön zu sehen bei Armello ( Armello ) - das ist ein Computerspiel, welches eigentlich ein Brettspiel ist.
    Also, es war nie ein Brettspiel und will auch nie ein Brettspiel sein - stellt sich aber auf dem Computer als solches dar.


    Auch Card Crawl ( Card Crawl ) ist als minimalistisches Kartenspiel nur auf dem Rechner präsent - will also auch nie ein "richtiges" Kartenspiel sein...


    Also, da fließen die Grenzen aktuell massiv...
    Ich finde nicht, dass das Medium alleine bestimmt, was es für ein Spiel ist - wenn es denn mit Regeln, Spielmaterial, etc., etc. - identisch ist bei Computer- und Brettspiel.
    Als Beispiel die sämtlichen Umsetzungen von Brettspielen auf mobile devices. Sind das dann keine Brettspiele mehr??


    Edit:
    Was mir noch einfällt ist Tong!


    Das gab es zuerst nur auf Android und iOS - und jetzt wird daraus auch die physische Version verkauft: Tong | Board Game | BoardGameGeek

  • Klar ist das ein fließender Übergang, aber ich würde es nicht mehr als Brettspiel bezeichnen. Ein virtuelles Brettspiel wäre eine passendere Bezeichnung

    Ich gebe hier, auch wenn ich es im Text nicht explizit erwähne, immer meine persönliche Meinung wieder.

  • Hi,


    Die Frage wieso es solche solche Spiele, die fidel77 beschreibt so selten auf dem Eurogames Sektor so selten gibt wird imo doch im Beitrag ganz gut beantwortet. Die Spieleautoren/Readaktion/Verlags-Zunft dreht sich um ihre selbst geschaffenen Mechanismen. Den Vergleich zur Kunst fand ich sehr passend. Wir haben oft nur abstrakte Gebilde, welche nichts abbilden, sondern nur aus Formen und Farben (bzw Mechanismen) irgendwas ergeben. Als reiner selbstzweck. (was wie im Spiel als in der Kunst interessant sein KANN).


    Das ist das was ich als Thema eines Spiels bezeichne.


    Atti