Einer der Punkte, der in meinen Augen neben den minimalistischen Regeln bei unglaublicher strategischer Tiefe wesentlich zur Eleganz von Go beiträgt, ist die Messbarkeit der Spielstärke und deren Ausgleich. Der schwächere Spieler startet mit einer Vorgabe an Spielsteinen auf dem Brett abhängig vom
Stärkeunterschied. Danach wird ganz normal gespielt und so gibt es dann normalerweise eine ausgewogene Siegwahrscheinlichkeit. Bei sehr stark unterschiedlichem Niveau stößt dieses System auch an seine Grenzen, sehr viele Steine Vorgabe verändern das Spiel dann doch merklich. Aber für einen recht großen Bereich kann unterschiedliche Erfahrung so wunderbar ausgeglichen.
Bei Schach ist mir ein ähnliches Vorgehen weniger bekannt, vermutlich weil das nicht so einfach skalierbar möglich ist. Ansätze könnten da ebenfalls (zusätzlich reglementierte, z.B. kein Überschreiten der Mittellinie) Freizüge zu Beginn für den schwächeren Spieler oder der Verzicht auf Figuren beim
stärkeren Spieler sein. Ich glaube am geläufigsten ist wohl das Spielen mit Schachuhr und unterscheidlicher Zeitvorgabe. Das wäre nicht meins, ich hasse Zeitdruck, was in meiner Jugend wohl auch der Hauptgrund war, das Schach Spielen im Verein irgendwan nicht mehr weiter zu verfolgen.
Moderne Gesellschaftsspiele, die sich kooperativ oder solo spielen lassen, bieten meiner begrenzten Erfahrung nach oft Mechanismen, um die Schwierigkeit an das eigenen Können anzupassen. Herausragend ist mir dabei Spirit Island aufgefallen, aber z.B. auch Aeons End, Nemos War oder
Imperium:Klassik/Legenden bieten variable Schwierigkeitsgrade. Eigentlich kompetitive Spiele, die aber dank eines Bot/Automa auch eine Einzelspielermöglichkeit bieten, scheinen dabei weniger oft und weniger abgestufte Möglichkeiten zu bieten als Spiele, die direkt für Einzelspielbarkeit entworfen wurden.
Neben Solo-Spielen spiele ich vor allem mit meinen 3 Söhnen (8, 11 und 13 Jahre). Sie haben kein Problem damit auch umfangreiche und anspruchsvolle Regeln zu erfassen und zu behalten. Und für ihr Alter und ihre Spielerfahrung nutzen sie auch die strategischen Möglichkeiten der Spiele ziemlich gut. Trotzdem gewinne ich in vielen Spielen sehr zuverlässig. Aber das unterscheidet sic von Spiel zu Spiel. Bei Carcassonne spiele ich weniger agressiv, als ich das online tue. Ich greife da normalerweise ihre Städte und Wiesen nicht an, sondern baue friedlich für mich etwas auf. Bei Dominion oder Klong! verlaufen die Spiele recht offen. Bei Dominion probiere ich vielleicht auch ein wenig mehr aus, als ich es tun würde, wäre das hauptsächliche Ziel der Sieg. Und insbesondere mein Ältester hat seine favorisierten Karten, die ihm sehr helfen und die er dann in praktisch jedem Spiel dabei haben will. Bei Munchkin tun sich die Jungs zusammen und unterstützen mich nur in weniger oft als sich gegenseitig. Besonders beliebt ist dabei ein gemeinsamer Sieg, in dem 2 von ihnen gleichzeitig die 10 Punkte erreichen, weil einer als Elf den anderen in dem entscheidenden Kampf gegen ein Monster unterstützt. Teilweise wird zielgerichtet darauf hingespielt.
Aber bei vielen anderen Spielen gewinne ich doch regelmäßig mit großem Vorsprung. Das ist eigentlich kein Problem. Die Jungs akzeptieren, dass Papa besser spielt und ihr Anreiz dreht sich mehr um den zweiten Platz. Catan spiele ich normalerweise nicht mehr mit meinen Söhnen, sondern überlasse das der Mama, weil ich auch da fast immer gewinne und sich ein zweiter Platz schwer fair ermitteln lässt. Beispielsweise können die Punkte für die längste Handelsstraße bei einem Spieler liegen, aber der andere ist deutlich besser aufgestellt und könnte sie gegebenenfalls auch leicht übernehmen. Ich verzichte auch darauf Spiele, die ich mit meiner Familie spiele oder potentiell spielen könnte, digital/online zu spielen. Sowohl aufgrund dem Erfahrungsvorsprung als auch wegen Sättigung könnten sie sonst leicht für uns verbrannt sein. Das ist mir so z.B. schon mit Terraforming Mars und Zug um Zug passiert.
Ansonsten steht beim Spielen in der Familie bei uns die Freude am Spielen gegenüber dem Sieg oder den Platzierung im Vordergrund und das ist gut so. Trotzdem habe ich mir ein paar Gedanken gemacht, wie man unterschiedliche Erfahrung in einzelnen Spielen ausgleichen könnte. Je nach Spiel könnte man Punkte vorgeben. Das könnte man je nach vorherigem Ergebnis immer anpassen. Ich glaube das fühlt sich besser an, wenn dann die schwächeren Spieler von Beginn an mit der Punktvorgabe starten, als wenn man diese am Ende dazurechnet. Das geht in eine ähnliche Richtung wie die Steinvorgabe bei Go, die nur beim Aufbau etwas ändert. So könnte man auch dne schwächeren Spieler mit etwas mehr oder stärkere Spieler mit etwas weniger starten lassen, als in der Anleitung vorgesehen. Einfach ein Beispiel, ohne dass ich das weiter durchdacht oder gar ausprobiert hätte: der/die schwächeren Spieler
bekommen bei Agricola schon zu Beginn einen gewissen Satz an Ressourcen oder gar einen dritten Arbeiter.
Ansonsten wäre auch noch eine Anpassung der Regeln während des Spiels denkbar: So könnten Karten je nach Spielstärke mehr oder weniger Kosten oder ein schwächerer Spieler hat jede Runde eine zusätzlich Aktion. Das hat den Nachteil, dass man eine weitere Regel im Gedächtnis halten muss.
Grundsätzlich sehe ich folgende Schwierigkeiten, Unterschiede in der Spielstärke bei modernen Gesellschaftsspielen auszugleichen gegenüber dem einleitenden Beispiel Go. Die wenigsten Spieler werden ein und das selbe Spiel so oft spielen, wie das ein passionierter Go- oder Schachspieler vermutlich tut. Entsprechend ungenau wird die Einschätzung der eigenen Spielstärke ausfallen. Und die kann bei verschiedenen Spielen ganz unterschiedlich sein. Eine Einstufung für alle Spiele wird also offensichtlich nicht sinnvoll machbar sein. Und diese Spiele bieten erhebliche Variabilität innerhalb eines Spiels, die mal dem einen und mal dem anderen Spieler entgegen kommt. Normalerweise kommen nicht in jedem Spiel alle Karten vor oder der Spielplan ist von Spiel zu Spiel unterschiedlich aufgebaut. Das habe ich oben für Dominion beschrieben: mein Sohn hat eine erheblich erhöhte Wahrscheinlichkeit zu gewinnen, wenn bestimmte Karten im Markt enthalten sind. Das bei der Vorgabe eines Handicap zu berücksichtigen, wäre eine zusätzliche Herausforderung. Und dann ist da noch der Faktor Glück, der je nach Spiel eine unterschiedlich große Rolle spielt und in vielen, aber nicht allen Spielen vorkommt. Der macht, zumal bei relativ wenigen gespielten Partien, eine Ermittlung der tatsächlichen Spielstärke und damit die Grundlage
für deren fairen Ausgleich schwieriger.
Jetzt habe ich sehr viel geschrieben und möchte Euch hier nach Euren Meinungen und Erfahrungen fragen. Stellt für Euch das Spielen zwischen Spielern unterschiedlichen Spielniveaus ein Problem dar? Habt Ihr Hausregeln um das auszugleichen? Welche? Wenn nicht, welche könnten Ihr Euch vorstellen? Kennt Ihr kompetitive Spiele, die schon vom Autor vorgesehen einen derartigen Ausgleich mitbringen? Wünscht Ihr Euch, dass das in Zukunft öfter berücksichtigt wird, wie es sich für die Solospielbarkeit in den vergangenen Jahren entwickelt hat? Haltet Ihr das für wahrscheinlich? Warum oder warum nicht?