Am Sonntag der Ratinger Spieletage hatte ich die Chance, das neue Werk von Matthias Cramer spielen zu können. Kraftwagen ist ein gehobenes Familienspiel für 2 bis 4 Autobauer, die für knapp 90 Minuten die indirekte Interaktion mit etlichen konfrontativen Elementen suchen. Gutes Kennerspiel-Niveau und damit in einer ganz anderen Liga im Vergleich zu Automobile oder gar Kanban. Stattdessen ein mittelkomplexes Erlebnis mit genau der richtigen Denktiefe, ohne zu verkopft oder gar kompliziert zu werden.
Für mich persönlich ist es das bessere Glen More. Einmal weil es mich thematisch mehr anspricht und zudem seine Mechanismen auf den Punkt bringt. Da glänzt kein unnötiger Chrome, da gibt es keine umständlich zu verstehenden Sonderplättchen. Zum anderen, weil es sich besser präsentiert, schon alleine weil es nicht auf Kleinstgrösse geschrumpft wurde wie eben Glen More. Gemeinsam mit Glen More hat es den Aktionsmechanismus: Wer hinten dran liegt, ist am Zug und hat die freie Auswahl an den vor ihm liegenden Aktionen. Allerdings muss er mit seiner nächsten Aktion so lange warten, bis er wieder von allen Mitspielern überholt wurde. So entsteht ein ständiges Abwägen, wie viele Aktionssteine man wirklich überspringen soll, um eine vermeintlich stärkere oder passendere Aktion (teils auch mit mehreren Aktionen pro Aktionsstein) zu machen, aber zeitgleich längere Zeit nicht zum Zuge zu kommen.
Dabei dreht sich alles um die Anfangstage des Automobilbaus in Deutschland und Europa. Wir sind Autobauer, wobei so ein Bolide vereinfacht aus einer Karosserie und einem Motor besteht. Durch Forschungs-Aktionen können wir potentiell bessere Motoren und ebenso bessere Karosserien bauen. Diese Motoren und Karosserien müssen wir dann aber auch erstmal bauen, was weitere Aktionen kostet und zudem Platz in unserer Werkhalle wegnimmt. Da so eine Forschung nicht von alleine geht, braucht es Personal und das können wir über eine andere Aktion unserem Vorrat eingliedern. Wer sich auf diverse Aktionen konzentriert, kann Bonus-Siegpuntplättchen abräumen. So wird der erste Motorenbauer der Stufe X (hallo Erinnerungslücke!) belohnt oder eben der, wer zuerst drei Ingenieure über Forschungsaktionen angeheuert hat.
Die eingelagerten Karosserien und Motoren können am Ende der eigenen Aktion in den Verkaufsraum gestellt werden. Dazu braucht es dann wieder Personal und man bestimmt den Verkaufspreis. Mehr Personal bedeutet mehr Prestige beim Verkauf und ein höherer Preis schlägt sich direkt in mehr Siegpunkte nieder. Könnte so einfach sein das Autobauer-Leben. Ist es aber nicht, weil zwar sechs Autos in dem gemeinsamen Verkaufsraum Platz finden, dem gegenüber aber nur vier Käufer stehen. Zwei Autos werden also unverkauft verschrottet werden.
Welche Autor verkauft werden, bestimmen die Vorlieben der Verkäufer. Da gibt es welche, die nur auf die besten Motoren schauen, anderen hingegen wieder auf die beste Karosserie, auf den niedrigsten Preis oder den grössten Prestige. Und welche in der aktuellen Runde ins Spiel kommen, das bestimmen wir Spieler selbst, eben durch Käufer-Aktionen. Da nützt einem das beste Prestige-Auto nichts im Verkaufsraum, wenn es keinen passenden Käufer dazu gibt und dafür werden die lieben Mitspieler schon sorgen. Da Gleichstände zudem über den niedrigeren Verkaufspreis entschieden werden, sollte man auch bei der Verkaufspreis-Entscheidung nicht zu gierig werden, sofern man Konkurrent auf dem selben Niveau fürchtet. Wer hingegen mehr forscht und besser wird, kann nicht zeitgleich Autos bauen und ausstellen.
Nebenbei kann man Rennen fahren und so Siegpunkte einfahren. Dazu gibt es auch eine Aktion und wie weit man auf der Rennstrecke voranschreiten darf, entscheidet sich durch den eigenen Rennmotor. Wer den nicht zeitig aufrüstet, tuckert nur sehr langsam und schafft eventuell sogar nicht einmal eine oder weitere Runden, die Bonuspunkte versprechen. Da man fortschrittliche Motoren allerdings erst erforschen und dann bauen muss und die eigentlich auch für den Verkauf benötigt, haben wir einen lupenreinen Interessenskonflikt und verschiedene strategische Möglichkeiten, in direkter Konkurrenz zu den Mitspielern, seine Siegpunkte einzufahren.
Schön finde ich, dass wir selbst das Rundenende im Griff haben. Insgesamt werden drei Runden gespielt und eine davon ist zu Ende, wenn entweder alle sechs Automobilplätze des gemeinsamen Verkaufsraumes gefüllt sind oder alle vier Verkäufer plus x weitere Verkäuferaktionen gewählt wurden. Da kann man mächtig aufs Tempo drücken, während die Mitspieler eher langfristige Aufbau-Forschungspläne verfolgen und man selbst den Verkaufsraum mit minderwertigen Boliden flutet. Das richtige Timing zu finden und den Mitspielern keine Aktions-Geschenke zu machen, ist eine Herausforderung für sich. Denn eine optimale Aktion scheint nur die zu sein, die einem selbst nützt, aber ebenso die Möglichkeiten der Mitspieler minimiert mit mir in direkter Konkurrenz zu treten - sei es um Bonusplättchen, um Platz im Verkaufsraum, bei passenden Käufern oder auf der Rennstrecke.
Unsere Dreierpartie war zügig gespielt, da kaum Warte-Denk-Pausen entstehen und es baute sich ein enormer Spannungsbogen auf, wer es wie noch schaffen wird, seine Mitspieler zu übertrumpfen oder auszustechen. Kraftwagen kann man dabei schön konfrontativ und fernab lieb und nett spielen, wobei es zum Glück keine Aktionen gibt, die nur den MItspielern schaden, sondern in erster Linie denkt man dabei an sich. Königsmacher-Effekte habe ich keine gesehen und niemand musste sich "opfern", nur um die Anderen auszubremsen.
Mir hat Kraftwagen so gut gefallen, dass ich es mir gleich direkt bei Spielworxx vorbestellen werde - die verlangten 35 Euro inklusive Versand empfinde ich mehr als angemessen für das Gebotene. Wer sich für das Thema begeistern kann und zudem ein zugängliches wie indirekt-interaktives Konkurrenz-Spiel auf Kennerspiel-Niveau sucht, sollte ebenfalls zuschlagen. Kraftwagen ist allerdings kein zweites Kanban und auch nicht auf dem Denktiefen-Niveau von Arkwright in der Waterframe-Version - und genau das ist auch gut so. Ich freue mich auf kommende Partien, wenn es dann in x Wochen ausgeliefert wird.
Cu / Ralf
PS: Ich hätte diesen Beitrag auch als PEEP auf spielbox online stellen können, habe ich aber nicht, ganz bewusst nicht.