Was ist für mich ein richtig gutes Spiel?

  • Hui, da wäre ich tatsächlich mal an ein paar Hintergründen /Ausführungen (Stichworte genügen) - auch gerne per PM - interessiert! 😊

    Nachdem ich den Text fertig hatte, dachte ich mir: Warum eigentlich nicht für alle sichtbar? Deshalb also doch hier:


    Tja, was ist für mich ein richtig gutes Spiel? Das ist natürlich getrennt nach Spielkategorie zu betrachten. Für den Fall eines großen Spiels, also einem Spiel, dass vorwiegend mit mehreren Spielern gespielt wird und 60 Minuten oder länger dauert:

    Ich möchte in einem Spiel wirklich das Gefühl haben, zu spielen. Nicht zu arbeiten. Nicht zu rätseln. Kein Gedächtnistraining. Sondern bei jeder Partie relativ frei und entspannt etwas anderes ausprobieren zu können. Das bedeutet für mich, dass das Spieldesign:

    1) ... mir viele unterschiedliche Wege bietet, die ich ausprobieren kann. Es muss also mehr als ein oder zwei Hauptwege zum Sieg geben. Plus möglichst viele Mischformen. Und keiner davon darf dauerhaft besser sein als die anderen.

    2) ... mir nicht vorschreibt, was ich zu tun (und zu lassen) habe. Negativbeispiele:

    - Spiele, für die am Anfang zufällige Endwertungen gewählt werden, die später einen Großteil der Gesamtpunkte ausmachen. Oder Zwischenziele, die (zu) mächtige Boni geben. Ich werde also genötigt, auf genau diese Ziele zu spielen. In Maßen ist das okay, beispielsweise die Meilensteine bei Terraforming Mars, die sich aufteilen und bei vielleicht 10-15 Punkten pro Spieler nur einen Bruchteil der erzielten Gesamtpunkte von vielleicht 80-90 ausmachen.

    - Spiele, bei denen die Aktionen der Mitspieler mir vorschreiben, was ich zu tun habe. Im Sinne von: Wenn der Mitspieler den ersten Weg geht, musst Du den anderen gehen, weil du sonst keine Chance hast. In solchen Fällen ist dann oft schon die Spielreihenfolge entscheidend dafür, welche Wege erfolgreich sind. Schrecklich!

    - Spiele, in denen Umstände es unmöglich machen, bestimmte Wege zu probieren. Beispielsweise: Nur ein Spieler pro Runde kann Aktion X ausführen. Als Zweiter kann ich es dann nicht versuchen. Natürlich soll es Interaktion geben, aber nicht in Form von "gar nicht mehr möglich", sondern bspw. es wird teurer oder langwieriger, aber bleibt möglich. Oder aber: Um einen bestimmten Weg zu versuchen, benötigt man zwingend bestimmte Karten, die man anfangs (zufällig) einfach nicht hat. Beispiel: Die Ratten von Wistar.

    3) ... mir keinen komplexen Zug- oder Rundenablauf aufdrückt, den sich kein normaler Mensch merken kann (oder will). Negativbeispiel: La Granja.

    4) ... mich nicht ständig dazu zwingt, exakt zu rechnen. Ist zwar kein Problem für mich, im Kopfrechnen war ich schon immer gut, aber das hat mit Spielen nichts zu tun! Negativbeispiel: Funkenschlag.

    5) ... mir viele kleine Entscheidungen ermöglicht. Ich möchte also lieber 30 oder 40 ganz schnelle Aktionen als 10 große Aktionen mit Monster-Kettenzügen. Negativbeispiele: Die weiße Burg, Tiletum.

    6) ... mich zeitlich nicht unter Druck setzt. Also weder mittels Zeitlimit pro Aktion / Zug / Runde, noch indem ein Spieler mit seinen Aktionen dafür sorgen kann, dass ich mich beeilen muss, weil ein variables Spielende getriggert wird. Ich brauche (entgegen der üblichen Sichtweise vieler Redakteure / Verlage) keinen Spannungsbogen, der bei Spielende auf dem Höhepunkt ist. Ich möchte in Ruhe spielen und versuchen, damit ein (mein) Ziel zu erreichen. Negativbeispiele: Galaxy Trucker, Arche Nova.

    7) ... optisch das Spiel maximal unterstützt, also:

    - grafisch in sich schlüssig wirkt (nicht so, also ob mehrere Grafiker unabhängig verschiedene Teile gestaltet haben und irgendwer das dann mehr schlecht als recht zusammengestückelt hat). Negativbeispiel: Die Blumenstraße. Cover, Spielplan und Kartenillus haben drei völlig verschiedene Stile.

    - alle benötigten Informationen auf dem Spielmaterial, möglich symbolisch, dargestellt werden. Das sollte auch Startausstattung, Rundenwertung, Rundeneinkommen, Endwertung, etc. umfassen.

    - keine winzigen oder verschnörkelten Schriften und Symbole benutzt, sondern Nutzinformationen deutlich erkennbar darstellt. Negativbeispiel: Everdell.

    - auf platzraubende Riesenillustrationen und für den Spielablauf unnötige Flavour-Texte verzichtet.

    8) ... thematisch sinnvoll sein. Ich möchte das Gefühl haben, dass die Abläufe thematisch zumindest weitestgehend schlüssig sind. Und das Thema an sich muss auch passen. Sobald es in den Bereich "Dark Fantasy" oder Horror geht, bin ich raus. Also bitte keine Monster, Magier, Cthulhu. Feen und Waldelfen sind grenzwertig. Dafür ließe sich doch sicherlich auch ein realeres Thema finden, oder?

    9) ... auf unnötigen Schnickschnack verzichtet, vor allem auf 3D-Elemente, die das Spiel nicht braucht. Die nur Platz in der Schachtel und auf dem Tisch wegnehmen. Oder die Übersichtlichkeit behindern. Negativbeispiele: Everdell, Tapestry.

    Und wenn das ganze dann noch in einer Standardschachtelform daherkommt und in meine Spieletaschen passt, ist alles gut!

    (Fairerweise sollte ich sagen, dass in unserem Regal derzeit kein einziges Spiel steht, das alle dieser Kriterien erfüllt... ;))

  • Nachtrag für: Tja, was ist für mich ein richtig gutes Spiel?

    Für die Kategorie der Füller / Absacker / Aufwärmer, also Spiele mit Spieldauer von wenigen Minuten bis höchstens eine Stunde zu mehreren sieht das bei mir ganz anders aus.

    Hier zählt für mich vor allem der Unterhaltungswert für die Gruppe. Da können gerne mal die Emotionen hochkochen. Oder das Getriebe im Gehirn auf Hochtouren laufen. Bei solchen Spielen bin ich auch bereit, kooperativ zu spielen und in dem Fall sogar auch unter (gemeinschaftlichem) Zeitdruck.

    Solche Spiele dürfen brutal glücksabhängig sein (solange es sich über mehrere Partien ausgleicht), das Material muss nicht sonderlich hübsch sein. Beispiel: Krass kariert.

    Da in einer derart kurzen Zeit nichts sinnvoll aufgebaut werden kann, benötigt solch ein Spiel eigentlich überhaupt kein Thema. Meist wirken die Versuche, ein solches überzustülpen, für mich sogar hilflos bis lächerlich. Oftmals sogar störend. Beispiel: Die Crew. Ein tolles Spiel, mit den passenden Mitspielern gerne stundenlang gespielt. Aber wozu benötigt es dieses aufgepfropfte Weltraum- oder Tiefseethema?

    (Es gibt aber auch Ausnahmen, beispielsweise das geniale Guillotine :guillotine:, wo eigentlich nur das Thema den Spaß ausmacht.)

    Wichtig ist nur, dass die Regeln überschaubar und schnell erklärt sind, dass man ohne großen Aufbauaufwand losspielen und Spielspaß haben kann. Und natürlich muss wie immer das Spielmaterial das Spielerlebnis optimal unterstützen.

    Wenn dann aber alle still am Tisch sitzen und jeder vor sich hin grübelt, ist das Spiel für mich als Absacker raus. Fürs Grübeln habe ich die großen Spiele (siehe oben)!

  • malzspiele


    Ich widerspreche. Klar ist das Thema bei der Crew eigentlich egal, aber dennoch trägt es seinen Beitrag zum Gesamtgefühl bei. Mit „nackten“ Karten und ohne Thema wäre es in meinen Augen weniger reizvoll. Gerade die verschiedenen Missionen/Level passen doch eigentlich ganz gut. Die Missionsbeschreibungen hätten für mich kürzer sein können, aber dass thematisch überhaupt elnzelne Missionen sind, fand ich schon gut.

  • malzspiele
    Ich hoffe, es ist okay so, wenn ich meine eigenen Gedanken mit dranhänge.

    Ein Spiel ist für mich dann richtig gut, wenn es nahezu perfekt in die aktuelle Situation paßt. Von daher kann ich für mich nicht das "eine Spiel" benennen.

    - Nach streßigen Arbeitstagen benötige ich keinen Drei-Stunden-Kracher mehr, dafür aber gerne ein, zwei Absacker oder ein Spiel, welches mich lediglich auf einem angenehmen Niveau fordert - bei dem die Entscheidungen relativ kurz sind und die Downtime gering ist.

    - An freien Tagen darf eine Partie aber auch gern mal den gesamten Vormittag/Nachmittag/Abend dauern und dabei die Gehirnwindungen etwas stärker beanspruchen.

    - Es macht ferner einen großen Unterschied mit wem und in welcher Gruppengröße ich spiele. Solo, zu zweit, 3+ ... Sind es Wenigspieler oder Vielspieler? Da können ganz andere Spiele zum Einsatz kommen, und trotzdem können sie für die jeweilige Situation genau das richtige sein.

    - Einen thematische Verwebung mit den Mechanismen ziehe ich klar vor; doch interessanterweise gibt es auch hier die berühmte Ausnahme von der Regel: #CastlesofBurgundy Wenn das bei uns vorgeschlagen wird, sage ich selten nein.

    - Und ein Aspekt, der in letzter Zeit etwas mehr durchdringt: Ich werde ein wenig kritischer was einzelne Schritte beim Aufbauen betrifft. Ich liebe #Brass, aber das fummelige Sortieren der einzelnen Plättchen auf dem eigenen Tableau nervt mich. Es darf gerne eine Partie #Distilled sein, doch das Nachschlagen und Aussortieren, welche Charakterkarten bei welcher Rezeptkarte zur Auswahl stehen, empfinde ich als umständlich. Ein Auseinandersortieren der Materialien am Spielende ist für mich hingegen deutlich entspannter. Das macht mir (noch?) nichts aus.

  • Welche Positivbeispiele gibt es denn für die einzelnen Kriterien?

    Positivbeispiele sind gar nicht so einfach ... Ich versuche es mal:

    1) Da sehe ich in meinem Regal viele Spiele, die das schon recht ordentlich machen, also: Terraforming Mars, Arche Nova, Stone Age, Die Burgen von Burgund, Notre Dame, Puerto Rico, Rokoko, usw.

    2) Ganz heikler Punkt. Ich kenne kein Spiel, welches das wirklich gut löst. Auch unsere Designs bisher nicht, weil es echt schwierig ist.

    3) Auch hier als Beispiel: Terraforming Mars, Arche Nova, aber auch Tapestry, Great Western Trail, etc. Im Prinzip alle Spiele, deren Ablauf einfach daraus besteht, immer wieder reihum einen Zug zu machen. Dazwischen maximal hin und wieder eine kurze Verwaltungsphase.

    4) Das passt für einen Großteil der Spiele, zumindest, so wie ich sie spielen möchte, nämlich aus dem Bauch heraus.

    5) Auch hier: Terraforming Mars, Arche Nova, Tapestry, Great Western Trail.

    6) Jedes Spiel mit fester Rundenanzahl oder einer Spielendebedingung, die klar abzusehen ist.

    7) Spontan fällt mir dazu die Urfassung von Village ein. Und fast jedes Spiel, das Michael Menzel oder Ian O'Toole illustriert haben. Auch Tapestry löst es gut.

    8) Wieder einmal: Terraforming Mars, Arche Nova. Insgesamt bin ich da nicht sehr anspruchsvoll, selbst so etwas wie First Rat oder Rajas of the Ganges ist mir thematisch immer noch gut genug.

    9) Letztlich alle Spiele, die eben keinen Firlefanz wie 3D-Pappfiguren oder 3D-Minis, die problemlos auch durch einfache Plättchen, Holztokens oder Standees ersetzt werden könnten.

  • - Und ein Aspekt, der in letzter Zeit etwas mehr durchdringt: Ich werde ein wenig kritischer was einzelne Schritte beim Aufbauen betrifft. Ich liebe #Brass, aber das fummelige Sortieren der einzelnen Plättchen auf dem eigenen Tableau nervt mich. Es darf gerne eine Partie #Distilled sein, doch das Nachschlagen und Aussortieren, welche Charakterkarten bei welcher Rezeptkarte zur Auswahl stehen, empfinde ich als umständlich. Ein Auseinandersortieren der Materialien am Spielende ist für mich hingegen deutlich entspannter. Das macht mir (noch?) nichts aus.

    Ein guter Punkt! Das habe ich ganz vergessen, ist durchaus auch wichtig.

  • Ich widerspreche. Klar ist das Thema bei der Crew eigentlich egal, aber dennoch trägt es seinen Beitrag zum Gesamtgefühl bei. Mit „nackten“ Karten und ohne Thema wäre es in meinen Augen weniger reizvoll. Gerade die verschiedenen Missionen/Level passen doch eigentlich ganz gut. Die Missionsbeschreibungen hätten für mich kürzer sein können, aber dass thematisch überhaupt elnzelne Missionen sind, fand ich schon gut.

    So unterschiedlich sind die Leute. Für mich ist das Thema komplett willkürlich und taucht im Spiel gefühlt gar nicht auf. Das kommt teilweise sicherlich daher, dass wir uns auch niemals die Mühe machen würden, die Missionstexte durch- oder gar laut vorzulesen.

    Alles, was Flavour-Text ist, also nicht relevant für den mechanischen Spielablauf ist, wird bei uns ignoriert. Das Thema muss sich aus den eigentlichen Aktionen und den Bezeichnungen der spielrelevanten Abläufe ergeben. Ansonsten kann man darauf auch verzichten.

  • 3) ... mir keinen komplexen Zug- oder Rundenablauf aufdrückt, den sich kein normaler Mensch merken kann (oder will). Negativbeispiel: La Granja.

    Dank guter Rundenübersicht ist La Granja für mich da aber eher ein positives Beispiel. Das ist klar strukturiert und die einzelnen Schritte erfüllen doch eigentlich dein Kriterium der „vielen kleineren Aktionen“.

  • Dank guter Rundenübersicht ist La Granja für mich da aber eher ein positives Beispiel. Das ist klar strukturiert und die einzelnen Schritte erfüllen doch eigentlich dein Kriterium der „vielen kleineren Aktionen“.

    Auch hier sehe ich es anders: Schon die Tatsache, dass eine solche Rundenübersicht notwendig ist, ist ein schlechtes Zeichen. Für mich der Grund, das Spiel wieder zu verkaufen.

  • Ich gehe mal auf einem Punkt näher ein, der mir besonders wichtig ist, wenn es darum geht, was ein "gutes" Spiel auszeichnet.

    2) ... mir nicht vorschreibt, was ich zu tun (und zu lassen) habe [...]

    Als Beispiele nennst du dann Setup-Varianz mit Endwertungen (die so potenziell so dominant sein könnten, dass sie die ganze Spielweise bestimmen), durch Mitspieler-Interaktion erzwungene Entscheidungen ("aktiv dagegen spielen müssen") und sonstige spielmechanische Umstände wie begrenzte Einsatzfelder, die bestimmte Wege z.B. potenziell nur für den Startspieler erlauben.

    Mir würde zu diesem ganzen Themenkomplex zusätzlich noch ganz weit vorne "variable player powers" einfallen; das ist für mich in 90% der Fälle nämlich exakt das: es schreibt mir vor, was ich strategisch zu tun (und zu lassen) habe. Übliche Folge davon: strategische Verarmung. Genau deshalb bin ich auch kein großer Freund von solchen "variable player powers", gerade wenn sowas (wie es leider sehr üblich ist) im Rahmen einer Erweiterung nachträglich auf ein funktionierendes, gut ausbalanciertes Spiel noch draufgesetzt wird.

    In der Kritik, dass eine Beschneidung der strategischen Möglichkeiten grundsätzlich nicht wünschenswert ist, bin ich absolut bei dir. Aber ich würde es für mich doch ein wenig schwächer formulieren: Entscheidend sind für mich nicht die Einschränkungen und Vorgaben (die sind für sich genommen nämlich erstmal völlig harmlos), sondern das, was an strategischer Vielfalt am Ende noch übrig bleibt.

    Richtig ist: Wenn die strategische Vielfalt eines Spiels ohnehin nicht groß ist, dann ist jede einzelne der genannten Einschränkungen sofort geeignet, aus einem guten Spiel ein schlechtes zu machen. Aber trotzdem ist die Einschränkung an sich nicht per se schlimm. ich bin fest davon überzeugt, dass es möglich ist, mit jeder der genannten Einschränkungen sehr gute Spiele zu entwickeln, wenn sie eben von Anfang an in das Design integriert werden. Beispiele:

    • Setup-Varianz und Zwang, erstmal intensiv das Setup "lesen" zu müssen, um dann daraus eine Strategie herzuleiten. Beispiele: Dominion oder Auf den Spuren von Marco Polo oder Teotihuacan mit zufälligem Setup. Bei guten Spielern wird der allererste Zug mit sehr deutlichem Abstand die meiste Bedenkzeit brauchen. Das "was kann ich aus diesem Setup machen?" ist gewissermaßen das "Spiel vor dem Spiel", und das finde ich absolut reizvoll, solange man das Grübeln vor dem ersten Zug nicht krass übertreibt und gleichzeitig jemanden aus der "ich will sofort auf gut Glück losspielen!"-Fraktion am Tisch sitzen hat. Aber selbst wenn man vor dem ersten Zug etwas länger an seiner Strategie bastelt, die zu dem zufälligen Setup passt - das machen ja normalerweise alle parallel, also eher unkritisch.
    • "aktiv dagegen spielen müssen": alles mit multiplikativen Wertungen drin, z.B. Concordia, wo es für mich absolut zumutbar ist, von den Spielern in ihrer Gesamtheit zu verlangen, darauf aufzupassen, dass nicht ein Einzelner bei beiden Faktoren alleine davonläuft. Multiplikative Wertungen sind für mich ein schönes Beispiel, wie man einfache Nichtlinearitäten in Bewertungsformeln nutzen kann, um gezielte Anreize zu setzen und Interaktion zu erzeugen. Wenn's wichtig wird, darauf zu achten, was die Mitspieler so tun, ist das ja nicht verkehrt, sondern im Gegenteil absolut wünschenswert.
    • begrenzte Einsatzfelder: Agricola. Wenn ich kein Holz kriege, dann kriege ich eben Lehm oder sonstwas. Dann werden die Tiere eben nicht eingezäunt, sondern direkt zu Schnitzeln und Steaks gemacht. Dann mache ich mit dem Bau einer Feuerstelle Druck auf den Holzsammler und zwinge ihn so zu einer frühen Entscheidung, ob er damit Holzräume, Ställe oder Zäune bauen will. Agricola ist ein wunderbares Beispiel, dass man aus jeder Ressource unterschiedliche Sachen machen kann und andersrum auch zu jedem grundlegenden Ziel wie "Personen ernähren können" auch auf ganz unterschiedlichen Wegen gelangen kann. Dass einzelne Wege von Mitspielern temporär ausgeknipst werden, ist Teil des Designs.
    • variable player powers: Terra Mystica / Gaia Project. Das ist "variable player powers" in gut gemacht. Deutlich unterschiedlicher Fokus je nach Volk/Rasse, aber immer noch haufenweise interessante Entscheidungen während des Spiels. Ich persönlich denke sogar, dass der Erfolg des Spiels neben der tollen Ikonografie von Dennis Lohausen (ohne die das Spiel viele wohl überfordert hätte) maßgeblich daran liegt, dass da es endlich jemand mal geschafft hat, variable player powers ohne die normalerweise damit verbundene strategische Verarmung hinzukriegen. BTW: Je nach den Völkern der Mitspieler kann sogar auch noch eine Prise "aktiv dagegen spielen müssen" reinkommen ... und trotzdem gibt's keine strategische Verarmung.

    Ich würde sogar noch einen Schritt weiter gehen und sagen, dass viele sehr gute und herausragende Spiele sich für mich genau dadurch auszeichnen, dass sie Designs mit spürbaren Einschränkungen, die beim 08/15-Spieleautor/Redakteur ein Spiel schnell töten würden, eben doch irgendwie gut hinkriegen. Genau sowas ist dann auch eine Chance für Spieleautoren und Verlage, sich aus der Masse der Veröffentlichungen herauszuheben.

    In diesem Sinne beantworte ich die Frage "Was ist für mich ein richtig gutes Spiel?" aus dem Threadtitel mit: Clevere Nutzung von spürbare Einschränkungen ohne die damit oft verbundene Verarmung der strategischen Vielfalt. Denn genau sowas gibt dem Spieler dann interessante und spannende Denkaufgaben. Das ist bei weitem noch nicht alles, was ein gutes Spiel auszeichnet, aber für mich letztendlich doch irgendwie der Kern von allem.

  • Ich gehe mal auf einem Punkt näher ein, der mir besonders wichtig ist, wenn es darum geht, was ein "gutes" Spiel auszeichnet.

    2) ... mir nicht vorschreibt, was ich zu tun (und zu lassen) habe [...]

    Mir würde zu diesem ganzen Themenkomplex zusätzlich noch ganz weit vorne "variable player powers" einfallen; das ist für mich in 90% der Fälle nämlich exakt das: es schreibt mir vor, was ich strategisch zu tun (und zu lassen) habe. Übliche Folge davon: strategische Verarmung. Genau deshalb bin ich auch kein großer Freund von solchen "variable player powers", gerade wenn sowas (wie es leider sehr üblich ist) im Rahmen einer Erweiterung nachträglich auf ein funktionierendes, gut ausbalanciertes Spiel noch draufgesetzt wird.

    Geht mir ähnlich, habe auch bspw. die Adventure Party Erweiterung zu Klong daher wieder verkauft. Allerdings kann eben diese strategische Verarmung auch gut dazu genutzt werden um Komplexität zu reduzieren und den Einstieg zu erleichtern, das wurde bspw. bei „Eine wundervolle Welt“ sehr schön genutzt wo empfohlen wird anfangs mit den asymmetrischen Nationsseiten zu spielen und bei erfahrenen Spielern dann die symmetrischen zu verwenden. Wenn ich das mit Neulingen spiele nutze ich immer die asymmetrischen Seiten weil es so leichter fällt sich zurechtzufinden.

    Auf der andren Seite finde ich dann aber auch so extreme Asymmetrien wie bspw bei Tapestry sehr cool wo die grundsätzlichen Möglichkeiten sehr überschaubar sind und der Reiz darin besteht dann für mein spezifisches Volk eine passende Strategie herauszufinden. Wie du sagst oft sind es die nachträglich aufgesetzten Asymmetrien (auch Arnak habe ich mir selbst durch den Kauf der Expeditionsleiter Erweiterung vermiest)

  • Allerdings kann eben diese strategische Verarmung auch gut dazu genutzt werden um Komplexität zu reduzieren und den Einstieg zu erleichtern, das wurde bspw. bei „Eine wundervolle Welt“ sehr schön genutzt wo empfohlen wird anfangs mit den asymmetrischen Nationsseiten zu spielen und bei erfahrenen Spielern dann die symmetrischen zu verwenden.

    Das ist interessant. Danke für den Hinweis, das muss ich mir anschauen. "Eine wundervolle Welt" habe ich nie gespielt.

    Grundsätzlich habe ich schon eher den Eindruck, mit meiner Kritik an Variable Player Powers wegen der oft damit verbundenen strategischen Verarmung eine Minderheitenposition zu vertreten. Viele Spieler wollen ja genau das so haben. Meistens ist es ja eher umgekehrt: Symmetrisch für Einsteiger, während asymmetrische Seiten dann für Fortgeschrittene gedacht sind, oft zusammen mit Balancing-Modifikationen wie Aussuchen in umgekehrter Spielreihenfolge, wo man dann ausnutzt, dass Stärkeunterschiede der Völker/Rassen/Fraktionen pi-mal-Daumen in der selben Größenordnung liegen wie ein Startspielervorteil.

    Einmal editiert, zuletzt von MetalPirate (4. Oktober 2024 um 11:45)

  • Ich mag, wenn man symmetrisch anfängt und im Verlauf der Partie durch die eigenen Entscheidungen eine Asymmetrie aufgebaut wird, die von Spielern bewusst und gewollt herbeigeführt wird. Stellvertretend: Tyrannen des Unterreichs.

    Ich bin ein Fan von einfachen Regeln bei ausreichender Komplexität in Spiel, die durch Spieler und das Geschehen im Spiel aufgebaut wird. Wenn die Entscheidungen alle betreffen und der Zug des Gegners auch für mich wichtig ist. Stellvertretend: Concordia.

    Ich mag wenn Spiele unterschiedliche Mechanismen kombinieren und nicht komplett zu 100% durchrechenbar sind, gleichzeitig aber eine Entscheidung, die aufgrund von Zufall gefallen ist nicht automatisch bedeutet, dass man verlieren wird. Möglicherweise fehlt am Ende eben 1 Punkt, aber während dem Spiel ist es noch nicht absehbar. Stellvertretend: Dwellings of Eldervale.

    Ich mag wenn man es schafft eine 4er Partie in unter 2-3 Stunden zu spielen. Wenn es länger dauert, wird es problematisch. Stellvertretend: Brass.

    Ich mag wenn thematische Inhalte, bevorzugt mit historischem Hintergrund in ein Spiel einfließen, besonders wenn ich dabei etwas dazu lernen kann. Stellvertretend: PAX Pamir 2nd Ed.

    ...und wenn ein Spiel möglichst viele von den Elementen vereint umso besser!

    Ah .. und ich mag Karten, weil sie den Designern sehr viele Freiheiten geben und mir immer mehrere Entscheidungsmöglichkeiten geben.

    Einmal editiert, zuletzt von Constabler (4. Oktober 2024 um 12:06) aus folgendem Grund: Smartphone Tipperei...

  • zum Thema Aufbau: eins meiner Lieblingsspiele ist Arnak, das leider einen etwas längeren Aufbau hat. Mit dem zugekauften Insert geht das aber deutlich flotter. Daher meine ich als Tipp an Spieleautoren: ein gut geplantes Insert, vielleicht sogar mit herausnehmbaren Trays für die einzelnen Spieler für einen schnellen Aufbau, ist viel wert. Der Spaß/Zeit Wert eines Spiels geht deutlich in die Höhe, wenn man weniger aufbauen muss. Positivbeispiele: Parks, 7 Wonders Architects (Ich mag das Spiel nicht, wenige und stark eingeschränkte Entscheidungen, aber die Inserts sind toll!)

    Was ein gutes Spiel ausmacht, ist ja auch sehr subjektiv. Wir "Kenner" mögen meist Spiele mit vielen sinnhaften Entscheidungen und einem guten Spielfluss.

    Aber es gibt auch Leute, die MÖGEN Spiele, bei denen man Stundenlang einfach nur macht, was die Würfel/Karten einem vorschreiben. Man sitzt halt zusammen, muss nicht viel nachdenken und hat den Kopf frei zum quatschen.

  • Ein Spiel ist für mich dann richtig gut, wenn es mich thematisch abholt und Mechaniken hat, die sich wirklich vom Thema her ableiten.

    Ecken und Kanten darf es haben, perfekt muss es nicht sein. Spaß muss es mir natürlich machen, aber was Spielspaß ist, lässt sich nicht anders als subjektiv bestimmen.

    Also: Ich suche nicht groß nach Gott weiß welchen Kriterien, die ein "gutes" Spiel ausmachen.

    Spielerische Grüße Ernst-Jürgen

    TOP 10: 1. Viticulture - Compl. Coll. Ed., 2. Martians - A Story of Civilization, 3. Scythe, 4. Anachrony, 5. Snowdonia: Deluxe Master Set, 6. Räuber aus Skythien, 7. Age of Industry, 8. Nieuw Amsterdam, 9. Siedler von Catan - Entdecker&Piraten, 10. Alubari - A nice cup of Tea

    Einmal editiert, zuletzt von Ernst Juergen Ridder (4. Oktober 2024 um 15:21)

  • Daher meine ich als Tipp an Spieleautoren: ein gut geplantes Insert, vielleicht sogar mit herausnehmbaren Trays für die einzelnen Spieler für einen schnellen Aufbau, ist viel wert. Der Spaß/Zeit Wert eines Spiels geht deutlich in die Höhe, wenn man weniger aufbauen muss.

    Schon klar.

    Leider ist es nie der Spieleautor, der entscheidet, ob, und wenn ja, welche, Aufbewahrungsmöglichkeit mitgeliefert wird. Es sind die Verlage bzw. Redakteure. Und da die Entwicklung eines guten Inserts sehr viel Zeit kostet (zum einen Arbeitszeit, zum anderen Produktionsverzögerung, weil ein wirklich gutes Insert erst machbar ist, wenn bereits alle anderen Komponenten zu 100% fertig sind, also am besten erst dann, wenn erste Druckmuster vorliegen), ist das leider die absolute Ausnahme.

    Aber dafür gibt es ja mittlerweile viele gute Drittanbieter für solche Einsätze ...

  • Aber dafür gibt es ja mittlerweile viele gute Drittanbieter für solche Einsätze ...

    Yep. Wenn's gut sein soll, kostet ein Insert auch gerne nochmal genauso viel wie das Spiel selbst. Daher finde ich es absolut nachvollziehbar, dass die Verlage da normalerweise eher minimalistisch unterwegs sind und es den Käufern überlassen, ob und wie viel Geld sie für Inserts ausgeben möchten.

    Einfache Plastik-Tiefziehteile, die später durch Holz-Inserts ersetzt werden und in der Mülltonne landen, hätten gar nicht erst produziert werden müssen.