Beiträge von MetalPirate im Thema „Was ist für mich ein richtig gutes Spiel?“

    Allerdings kann eben diese strategische Verarmung auch gut dazu genutzt werden um Komplexität zu reduzieren und den Einstieg zu erleichtern, das wurde bspw. bei „Eine wundervolle Welt“ sehr schön genutzt wo empfohlen wird anfangs mit den asymmetrischen Nationsseiten zu spielen und bei erfahrenen Spielern dann die symmetrischen zu verwenden.

    Das ist interessant. Danke für den Hinweis, das muss ich mir anschauen. "Eine wundervolle Welt" habe ich nie gespielt.

    Grundsätzlich habe ich schon eher den Eindruck, mit meiner Kritik an Variable Player Powers wegen der oft damit verbundenen strategischen Verarmung eine Minderheitenposition zu vertreten. Viele Spieler wollen ja genau das so haben. Meistens ist es ja eher umgekehrt: Symmetrisch für Einsteiger, während asymmetrische Seiten dann für Fortgeschrittene gedacht sind, oft zusammen mit Balancing-Modifikationen wie Aussuchen in umgekehrter Spielreihenfolge, wo man dann ausnutzt, dass Stärkeunterschiede der Völker/Rassen/Fraktionen pi-mal-Daumen in der selben Größenordnung liegen wie ein Startspielervorteil.

    Ich gehe mal auf einem Punkt näher ein, der mir besonders wichtig ist, wenn es darum geht, was ein "gutes" Spiel auszeichnet.

    2) ... mir nicht vorschreibt, was ich zu tun (und zu lassen) habe [...]

    Als Beispiele nennst du dann Setup-Varianz mit Endwertungen (die so potenziell so dominant sein könnten, dass sie die ganze Spielweise bestimmen), durch Mitspieler-Interaktion erzwungene Entscheidungen ("aktiv dagegen spielen müssen") und sonstige spielmechanische Umstände wie begrenzte Einsatzfelder, die bestimmte Wege z.B. potenziell nur für den Startspieler erlauben.

    Mir würde zu diesem ganzen Themenkomplex zusätzlich noch ganz weit vorne "variable player powers" einfallen; das ist für mich in 90% der Fälle nämlich exakt das: es schreibt mir vor, was ich strategisch zu tun (und zu lassen) habe. Übliche Folge davon: strategische Verarmung. Genau deshalb bin ich auch kein großer Freund von solchen "variable player powers", gerade wenn sowas (wie es leider sehr üblich ist) im Rahmen einer Erweiterung nachträglich auf ein funktionierendes, gut ausbalanciertes Spiel noch draufgesetzt wird.

    In der Kritik, dass eine Beschneidung der strategischen Möglichkeiten grundsätzlich nicht wünschenswert ist, bin ich absolut bei dir. Aber ich würde es für mich doch ein wenig schwächer formulieren: Entscheidend sind für mich nicht die Einschränkungen und Vorgaben (die sind für sich genommen nämlich erstmal völlig harmlos), sondern das, was an strategischer Vielfalt am Ende noch übrig bleibt.

    Richtig ist: Wenn die strategische Vielfalt eines Spiels ohnehin nicht groß ist, dann ist jede einzelne der genannten Einschränkungen sofort geeignet, aus einem guten Spiel ein schlechtes zu machen. Aber trotzdem ist die Einschränkung an sich nicht per se schlimm. ich bin fest davon überzeugt, dass es möglich ist, mit jeder der genannten Einschränkungen sehr gute Spiele zu entwickeln, wenn sie eben von Anfang an in das Design integriert werden. Beispiele:

    • Setup-Varianz und Zwang, erstmal intensiv das Setup "lesen" zu müssen, um dann daraus eine Strategie herzuleiten. Beispiele: Dominion oder Auf den Spuren von Marco Polo oder Teotihuacan mit zufälligem Setup. Bei guten Spielern wird der allererste Zug mit sehr deutlichem Abstand die meiste Bedenkzeit brauchen. Das "was kann ich aus diesem Setup machen?" ist gewissermaßen das "Spiel vor dem Spiel", und das finde ich absolut reizvoll, solange man das Grübeln vor dem ersten Zug nicht krass übertreibt und gleichzeitig jemanden aus der "ich will sofort auf gut Glück losspielen!"-Fraktion am Tisch sitzen hat. Aber selbst wenn man vor dem ersten Zug etwas länger an seiner Strategie bastelt, die zu dem zufälligen Setup passt - das machen ja normalerweise alle parallel, also eher unkritisch.
    • "aktiv dagegen spielen müssen": alles mit multiplikativen Wertungen drin, z.B. Concordia, wo es für mich absolut zumutbar ist, von den Spielern in ihrer Gesamtheit zu verlangen, darauf aufzupassen, dass nicht ein Einzelner bei beiden Faktoren alleine davonläuft. Multiplikative Wertungen sind für mich ein schönes Beispiel, wie man einfache Nichtlinearitäten in Bewertungsformeln nutzen kann, um gezielte Anreize zu setzen und Interaktion zu erzeugen. Wenn's wichtig wird, darauf zu achten, was die Mitspieler so tun, ist das ja nicht verkehrt, sondern im Gegenteil absolut wünschenswert.
    • begrenzte Einsatzfelder: Agricola. Wenn ich kein Holz kriege, dann kriege ich eben Lehm oder sonstwas. Dann werden die Tiere eben nicht eingezäunt, sondern direkt zu Schnitzeln und Steaks gemacht. Dann mache ich mit dem Bau einer Feuerstelle Druck auf den Holzsammler und zwinge ihn so zu einer frühen Entscheidung, ob er damit Holzräume, Ställe oder Zäune bauen will. Agricola ist ein wunderbares Beispiel, dass man aus jeder Ressource unterschiedliche Sachen machen kann und andersrum auch zu jedem grundlegenden Ziel wie "Personen ernähren können" auch auf ganz unterschiedlichen Wegen gelangen kann. Dass einzelne Wege von Mitspielern temporär ausgeknipst werden, ist Teil des Designs.
    • variable player powers: Terra Mystica / Gaia Project. Das ist "variable player powers" in gut gemacht. Deutlich unterschiedlicher Fokus je nach Volk/Rasse, aber immer noch haufenweise interessante Entscheidungen während des Spiels. Ich persönlich denke sogar, dass der Erfolg des Spiels neben der tollen Ikonografie von Dennis Lohausen (ohne die das Spiel viele wohl überfordert hätte) maßgeblich daran liegt, dass da es endlich jemand mal geschafft hat, variable player powers ohne die normalerweise damit verbundene strategische Verarmung hinzukriegen. BTW: Je nach den Völkern der Mitspieler kann sogar auch noch eine Prise "aktiv dagegen spielen müssen" reinkommen ... und trotzdem gibt's keine strategische Verarmung.

    Ich würde sogar noch einen Schritt weiter gehen und sagen, dass viele sehr gute und herausragende Spiele sich für mich genau dadurch auszeichnen, dass sie Designs mit spürbaren Einschränkungen, die beim 08/15-Spieleautor/Redakteur ein Spiel schnell töten würden, eben doch irgendwie gut hinkriegen. Genau sowas ist dann auch eine Chance für Spieleautoren und Verlage, sich aus der Masse der Veröffentlichungen herauszuheben.

    In diesem Sinne beantworte ich die Frage "Was ist für mich ein richtig gutes Spiel?" aus dem Threadtitel mit: Clevere Nutzung von spürbare Einschränkungen ohne die damit oft verbundene Verarmung der strategischen Vielfalt. Denn genau sowas gibt dem Spieler dann interessante und spannende Denkaufgaben. Das ist bei weitem noch nicht alles, was ein gutes Spiel auszeichnet, aber für mich letztendlich doch irgendwie der Kern von allem.