Hi,
Nach langer Wartezeit war es heute endlich so weit: "An Infamous Traffic" von Cole Wehrle bei "Holland Spiele" wurde in 3er Besetzung 5 bis 6 mal gespielt.
Darauf aufmerksam wurde ich über den sehr empfehlenswerten "Heavy Cardboard" Podcast von Edward und Amanda Uhler - dort war nämlich An Infamous Traffic für den Heavy Cardboard "Golden Elephant Award" nominiert - eine kleine Trophäe für sehr anspruchsvolle Spiele außerhalb des Mainstreams, für die Industrie wahrscheinlich ziemlich unbedeutend, für den interessierten Geek von komplexen Spielen aber mMn sowas wie Sundance und Cannes zusammen
Also, was passiert bei An Infamous Traffic?
Jeder Spieler übernimmt die Rolle eines britischen Unternehmers um einerseits China zu destabilisieren und andererseits selber dabei den großen Reibach zu machen.
Überraschenderweise gewinnt nach 4 Runden der Spieler mit den meisten Siegpunkten. Klingt erstmals nach 0815 Spiel, ist es aber bei weitem nicht!
Das Spiel kann auch frühzeitig beendet werden, wenn es nämlich den Chinesen reicht und sie eine Revolution anzetteln - in diesem Fall gewinnt dann der Spieler, der die meisten Unternehmen zu diesem Zeitpunkt in China platziert hat, und so für die beste Ausgangsposition für den Neustart gesorgt hat.
In unseren Partien wurde zweimal mit der Revolution beendet, der Rest verlief "nach Plan" und wurde durch Siegpunkte ausgemacht - Rekord dabei waren heiße 8 Punkte
Was passiert da jetzt genau?
Prinzipiell verläuft das Spiel nach relativ wenigen, aber nicht sehr eingängigen Regeln (das Regelheft umfaßt nur 9 Seiten). Wenn man am Zug ist, führt man eine von 5 möglichen Aktionen durch:
1. Unternehmen in seine "Holdings" bringen
Entweder investiere ich in Händler, Schiffe oder Opium. Dabei werden dann einfach die entsprechenden Counter von unterhalb des Spielertableaus auf die obere Seite gelegt und sind ab diesem Zeitpunkt verfügbar. Das etwas andere Gefühl dabei: wir bezahlen das ganze nicht mit Cash, sondern jede Gesellschaft hat ihren Wert - und genau dieser Wert ist unser Zahlungsmittel. Will ich z.B. in Flotten investieren, nehme ich mir den entsprechenden Counter und verringere dabei den Wert meiner Gesellschaft.
Blöderweise beginnt jede Gesellschaft mit einem Wert von 0 - kann aber bis negativ 4 spekulieren.
Investments sind aber gleichzeitig beschränkt - je höher der Wert meiner Gesellschaft, desto mehr Investments kann ich machen - ein Investment ist aber immer möglich, maximal 5 sind schaffbar (Rekord bei uns waren 4 Investments bei einem Wert von 7)
2. Unternehmen auf den Plan/nach China bringen
Sollte man diverse Unternehmen in seinen Holdings haben, kann man sie jetzt auf den Spielplan nach China setzen. Dabei gibt es einige Bedingungen die erfüllt sein müssen, damit man seinen Counter auch platzieren darf. Das wichtigste dabei: die "opportunity". In einigen Regionen liegen Würfel aus - diese Würfel müssen mit mindestens einem Würfel aus dem Vorrat übereinstimmen, um überhaupt die Möglichkeit zu haben, einen Counter in diese Region zu legen. Der Würfel-Vorrat wird bereits vor dem Spiel definiert und ist somit keine Überraschung - auch wenn es das noch werden kann
In den Regionen befinden sich sogenannte "Supply-Lines" - sollte zu irgend einem Zeitpunkt so eine Supply-Line vollendet sein, kommt es zu einer kurzen Zwischenwertung - das ist auch die einzige Möglichkeit, wie man den Wert seiner Gesellschaft erhöhen kann. Die Supply-Lines umfassen dabei ein Kontingent von 4 - 6 Feldern. Um so eine Linie zu befüllen benötigt es einerseits Opium, andererseits eine Flotte und dazu noch eventuell Händler, Bürokraten und/oder Schmuggler.
Dummerweise geben die Würfel in den Regionen nicht nur die "opportunity" an sondern bestimmen auch gleichzeitig die Nachfrage, die es zu erfüllen gilt. Und ausschließlich nur, wenn die gelieferten Waren gleich oder niedriger als der Bedarf sind, kann man liefern und den Wert seiner Gesellschaft erhöhen.
3. Verschwörungen
Auf dem Spielplan befinden sich 8 Verschwörungskreise die mit unterschiedlichen Möglichkeiten bestückt sind. Will ich mich an den Verschwörungen beteiligen, nehme ich einfach alle Counter aus einem Kreis und platziere sie auf dem Plan.
Dabei gibt es Schmuggler und Missionare die die Nachfrage in den Regionen erhöhen und zusätzlich die "opportunity" erweitern können - dazu werden dann Würfel aus dem Vorrat genommen, gewürfelt und in die jeweilige Region gelegt - das ist auch die einzige Situation in der gewürfelt wird.
Chinesische Polizisten können Schmuggler und Missionare entfernen und so auch Nachfrage und Opportunity wieder reduzieren.
Bürokraten können Supply-Lines schneller vervollständigen aber auch durch unterschiedliche Werte dafür sorgen, dass eine Überproduktion ein Ausliefern unmöglich macht.
Britische Truppen können gesammelt werden, um bei einer Mehrheit den Ausgang eines Opiumkrieges zu beeinflussen.
4. einen eigenen Preis reduzieren
Bis jetzt noch unerwähnt: der Preis eines Unternehmens das in China platziert wird, wird vom jeweiligen Spieler selbst bestimmt. Ich kann mich also entscheiden, ob mein Opium 0,1,2 oder 3 "revenue" wert ist. Bei "An Infamous Traffic" ist es allerdings erlaubt, dass ich den festgesetzten Preis eines Mitspieler einfach unterbieten kann, und so seinen Counter gegen meinen - sofern der Wert niedriger ist - austauschen darf. Um dem entgegen zu wirken kann es manchmal Sinn machen, den eigenen Wert eines Unternehmens zu reduzieren.
5. Passen
Einfach beschließen, auszusteigen. Allerdings gibt es selbst da einen kleinen Kniff:
der erste Spieler der passt wird Startspieler für die nächste Runde, der zweite Spieler der passt, bestimmt die Richtung in der in der nächsten Runde gespielt wird (also im oder gegen den Uhrzeigersinn)
Außerdem kann ich beim Passen meinen zukünftigen Nachfolger nach London schicken, um dort eventuell noch einen Preis/eine Belohnung einzuheimsen.
Auch das ist für mich neuartig und genial: jede Runde werden zu Beginn Preise verdeckt ausgelegt (einer weniger als Mitspieler). Zu Beginn der Runde darf ich mir einen Preis davon ansehen - die Werte der Preise rangieren dabei von -1 bis 3. Beim Passen entscheide ich dann auch somit, ob ich mit meinem Nachfolger ins Rennen um diese Preise gehe - der im Wert höchste Nachfolger hat die erste Wahl usw. Allerdings kenne ich ja genau nur einen Marker dieser Preise - was wenn dieser negativ war, oder 0 - beginne ich zu gambeln und hoffe darauf, dass der/die anderen Marker höher sind? Warte ich ab, was meine Mitspieler machen und probiere dann eventuell den Wert meines Nachfolgers zu erhöhen? Da entspinnt sich ein nettes, kleines, psychologisches Spielchen...
Dazu muss man auch sagen, dass diese Preise die Haupteinnahmequelle für Siegpunkte sind.
Sodala, das war mal im Groben, was man in dem Spiel so macht. Aber wie fühlt sich das Spiel nun an?
Der Einstieg gestaltete sich bei uns ein bisschen holprig. Obwohl die Regeln relativ kurz sind, gibt es doch einige Ausnahmen und Kleinigkeiten die man gerne vergisst bzw. immer wieder mal nachlesen muss. Viel schwieriger ist es allerdings, zu verstehen, was man eigentlich so macht und was das für Auswirkungen hat. Bei An Infamous Traffic gibt es tatsächlich solche Situationen, wo eine kleine, vielleicht auch unüberlegte Aktion, 2 Runden später eine unglaubliche Auswirkung entfalten kann und man dann nur noch mit offenem Mund staunt und überrascht ist.
Zusätzlich ist das Spiel hundsgemein und man spielt nur auf Konfrontation - vielleicht ist es manchmal sinnvoll ein kurzes Bündins mit einem Mitspieler einzugehen, allerdings nur um einen größeren Vorteil daraus zu ziehen und ihm gleich hinterher mit diesem Vorteil mal richtig eins reinwürgen zu können. Oh, Spieler A hat endlich genug Nachfrage und opportunity in einer Region geschaffen? Dem hau ich mit einer Polizeiaktion das gleich wieder zusammen! Oder Spieler B konnte endlich Opportunity in einer Region schaffen um sein mühsam verdientes Opium zu platzieren - ein gut gespielter Schmuggler wird das gleich wieder zerstören...
Man muss teilweise schon fest schlucken oder mal ein herzhaftes "Du fieses Arschloch" raushauen um seinen Frust zu ertragen - allerdings läßt eine Retourkutsche meist nicht lange auf sich warten und man selbst wird Opfer verbaler Attacken - herrlich!
Auffallend war auch, dass sich wirklich jede Partie komplett anders entwickelt hat. Durch die Verschwörungen, den Würfelvorrat, die Mitspielerentscheidungen usw. wird garantiert kein Spiel wie das andere verlaufen. Die zweite Partie hat bei uns ca. 20 Minuten gedauert, da der geplante und eingetretene Opiumkrieg unerwartet in einer Revolution geendet hat, und so Spieler Nummer 3 mit 2 Unternehmen am Plan einfach gewonnen hat. Somit umfaßt die Spieldauer 20 - 120 Minuten, je nachdem was in China so abgeht.
Etwas negativ waren zwei Partien, wo schon relativ schnell der Gewinner feststand - wir haben dann aber einfach den Sieger vorzeitig erklärt und die nächste Partie begonnen - somit hab ich auch damit kein Problem.
In diesem Spiel sind so viele tolle, für mich neuartige Kniffe und Entscheidungen versammelt, dass ich wirklich jedem, der nur annähernd mal was anderes probieren mag, An Infamous Traffic nur wärmstens an Herz legen kann.
Wer nicht die (stinkige ) gedruckte Version aus Amiland importieren mag, kann sich auch die Print and Play Files kaufen und selbst basteln.
Wer sich mal einen Einblick auf Video holen mag:
Wer Heavy Cardboard noch nicht kennt, sollte auch mal unbedingt dort reinhören:
Und wer gleich bestellen mag:
So, sollte das wirklich jemand alles gelesen (und auch verstanden haben ) - Danke dafür!
Zeit fürs Bett,
LG
Lukas
PS: @Kaermo
Zumindest AIT werd ich mal behalten