Beiträge von MetalPirate im Thema „An Infamous Traffic“

    Wie zu erwarten war. Ich habe mein An Infamous Traffic schon Ende letzten Jahres verkauft.

    Ob ich bei einer neuen Version mit dabei mit, bleibt trotzdem abzuwarten. Die alte Version war schwer auf den Tisch zu kriegen, was natürlich auch, aber eben nicht nur an der besseren Prototypen-Qualität des Materials lag.

    Du meinst das Äußere sei keine gute Werbung für das Spiel, meinst Du damit das Material oder die Optik?

    Beides. Das fängt an beim Papier-Spielplan, geht über das Grafikdesign vom Autor höchstselbst auf ordentlichem Amateur-Niveau (aber eben nicht wirklich professionell) und hört noch lange nicht auf beim Startspielermarker als Counter in Fingernagelgröße. Beim Startspielermarker würde dir z.B. jeder Grafikdesigner erklären, dass dort bei dieser Mini-Größe nicht noch wichtige Information untergebracht werden kann, nämlich Spielrichtung durch leicht unterschiedlich aussehende Vorder- und Rückseite. Deshalb geht hier auch kein Ersetzen durch: "Unser Startspielerstein ist jetzt <beliebigesObjekt>."


    Wer regelmäßig mit solchem Material zu tun hat, also insbesondere natürlich die Cosim-Fraktion, für den ist das sicher alles kein Problem. Aber in meiner Euro-lastigen Runde behaupte ich mal, dass die beiden, denen das Spiel am Ende nicht so gefallen hat, im Prinzip schon mit einer negativen Grundeinstellung ihren ersten Zug gemacht haben, und das lag im wesentlichen an der Optik. Es gibt keine zweite Chance für einen guten ersten Eindruck.

    In der Nacht und heute morgen unter der Dusche ist mir das Spiel nochmal durch den Kopf gegangen. Gestern abend beim Aufschreiben war ein Fehler drin. Der Führende muss natürlich die Qing-Plättchen mit Polizei-Aktion nicht ins nirgendwo setzen, sondern damit harmlose Missionare verhaften lassen, damit Würfel zurück in den Dice Pool kommen. Missionare und nicht Schmuggler, weil Schmuggler an Versorgungslinien mitarbeiten und deren Zustandekommen auch in seinem Interesse liegt. Ändert nicht an der Grundaussage, dass er aktiv gegen die Möglichkeit der Revolution arbeiten muss. Er muss auf Möglichkeiten verzichten, die ihm selbst mehr nutzen würden und/oder früh passen. Unter dem Strich kostet es ihn bessere Aktionen, was einem Catch Up Mechanismus gleichkommt.


    Das Spiel hat auch eine interessante Meta-Ebene. Wenn im 4er Spiel einer nach Punkten klar führt und die Mitspieler kennen das Spiel halbwegs, dann muss der Führende hoffen, dass eher viele Polizei-Aktionen ausliegen. Sonst wird es die Revolution geben. Insgesamt hat das Design so einige, schön verkoppelte Gleichgewichtssysteme, wo ein Ausschlag hier dafür sorgt, dass man ganz wo anders gegensteuern muss. Absolutes Expertenspiel.


    Was das Spiel aufgrund des Designs auch hat, ist ein ganz erhebliches Kingmaking-Potenzial. Das ist nicht unbekannt in Spielen, die wenig Siegpunkte haben (AIT kann man mit ~5 SP gewinnen) und ebenfalls üblich in Spielen mit zwei komplett verschiedenen Siegkriterien je nach Spielverlauf (hier: normalerweise Siegpunkt nach 4 Runden, aber sofortiges Spielende bei Revolution und Gewinn durch meiste Counter auf dem Plan). Bei AIT ist jeder bis zum Schluss im Rennen um den Sieg und das spitzt sich dann vermutlich in gewisser Normalität darauf zu, dass ein Spieler entscheiden kann, ob Spieler X über Bedingung A gewinnt oder Spieler Y über B. Das kann ich bei AIT aber akzeptieren, weil das Thema so extrem stark ist, auch in den Mechanismen drin. Das Spiel ist auch ein bisschen Geschichte spielerisch erleben und dabei lernen.

    Thread-Nekromantie...


    Heute abend gespielt: #AnInfamousTraffic als 4er. Ich fand's klasse, ein anderer würde es gerne nochmal spielen, zwei anderen hat es nicht so gefallen. War auch irgendwie eine komische Partie. Dass AIT-Partien sich völlig unterschiedlich entwickeln könnten, wusste ich vorher. Aber das selbst zu erleben, ist nochmal ein bisschen was anderes als alles, was man sich vorher angelesen oder ausgedacht hat...


    In unserer Partie kamen in Runde 1 und 2 jeweils nur einmal Qing-Forces mit Polizei-Aktion in die conspiracy circles, aber dafür viele schwarze Counter. Die Würfel auf dem Plan und die Würfel im Dice Pool waren oft unterschiedlich, also wenig opportunity. Es wurde ein bisschen destruktiv gespielt und demzufolge waren in Runde 3 irgendwann 10 schwarze Counter auf dem Brett außerhalb erfüllter supply chains. Also Revolution, ausgelöst durch einen Spieler, der dann gesagt hat "nach Siegpunkten gewinnen kann ich nicht mehr, also Revolution, dann bin ich Zweiter". Also am Ende Sieg durch: ein einziger Counter auf dem Brett und Tie-Breaker meiste Prize-Tokens gewonnen. Ich wusste, dass sowas passieren kann, aber für alle anderen fühlte sich das schon sehr komisch an...


    Im Nachhinein kann man natürlich sagen, dass jeder etwas unglücklich gespielt hat, ich auch. Ich hätte als Führender nach Siegpunkten (das Spiel gut vorbereitet zu haben, zahlt sich hier definitiv aus!) in Runde 3 mehr oder weniger sofort passen müssen, um den anderen die conspiracy-Aktion teuer zu machen. Aber genau wegen dieser komplett verqueren Zusammenhänge mit Zwang zum Um-die-Ecke-Denken hat mir das Spiel eigentlich sehr gut gefallen. Sehr anspruchsvoll, sehr interaktiv, sehr thematisch, eigentlich genau mein Ding. Okay, auf der anderen Seite gibt es die äußere Erscheinung. Die ist unter aller Sau definitiv keine Werbung für das Spiel. Genau deshalb ist auch sehr fraglich, ob und wann ich das Spiel nochmal auf den Tisch kriegen werde. Aber schauen wir mal, ich werde es wieder versuchen...


    Das ist so ein Spiel, das einem noch ein paar Tage durch den Kopf gehen wird. Und sowas ist meistens ein gutes Zeichen.



    PS: Gerade zuhause nochmal nachgezählt. 64 Token, 8 Polizei-Aktionen, 24 schwarze Token (8 Missionare + 16 Schmuggler). 14 in Runde 1 auf dem Brett, äh: auf dem Papier, jeweils +8 in Runde 2/3. Also knapp die Hälfte draußen in Runde 3. Revolution möglich wenn: schwarz minus Polizei <= 10 minus eventueller Hafenöffnungen. Theoretisch fehlt links noch ein "minus Schmuggler in kompletten Versorgungsketten", aber da sich die Versorgungsketten durch Polizeiaktionen aufbrechen lassen, ist das de facto nicht so wirklich relevant, wenn auch aktiv gegeneinander gespielt wird. (Und so soll es sein, AIT ist schließlich kein Coop-Spiel.) Damit ist eine Revolution, auch "Revolution aus Versehen", gar nicht mal soooo unwahrscheinlich. Wer das nicht haben will, weil er nach Siegpunkten führt, der muss aktiv die Polizei in den Bergen von Weitfortistan, d.h. irgendo im Inland, wo definitiv nix los ist, auf gewollt erfolglose Opium-Suche schicken, einfach um den gefährlichen Counter zu deaktivieren. Also effektiv eine Aktion verschwenden. Auch eine sehr interessante Form von Catch-Up-Mechanismus... Und das in einem Nerd-Expertenspiel, wo diese Nerds doch eigentlich so stolz darauf sind, Catch-Up-Mechanismen doof zu finden...