Die Messehalle 8 der SPIEL'17 hatte so einige Überraschungen zu bieten. Fast schon zu viele Kleinstverlage buhlten um die Aufmerksamkeit der Besucher, die ihren Weg in diesen hintersten Teil der Messe gefunden hatten. Dabei lohnte sich der Weg schon alleine für den Foodtrack am Halleneingang. Leckere Burritos der leicht gehobenen Preisklasse mit gutem Nachbrennfaktor. Das aber nur am Rande. Um also Aufmerksamkeit zu bekommen, musste ein Spiel schon etwas besonderes bieten und da war der dreidimensional vom Spielbrett aufragende Pappberg von Mountaineers ein echter Hingucker.
Die Kickstarterkampagne von Massif Games soll Anfang November starten, wenn die Grafik noch überarbeitet wurde. Das hoffe ich, denn nicht jeder Autor ist auch zeitgleich ein guter Grafiker, sofern er nicht Menzel mit Nachnamen heisst. Auf der Messe wirkte die Grafik von Mountaineers zu sehr nach schematischer Landkarte, aber ohne die Übersichtlichkeit zu erreichen und ohne Bergsteigeratmosphäre vermitteln zu können. Die Übersichtlichkeit ist allerdings wichtig, denn wir wollen in maximal Sechserrunde diesen Berg in der Spielplanmitte besteigen.
Vier unterschiedliche Herausforderungskarten pro Spieler bringen dabei am Spielende Siegpunkte. Für unsere Probepartie wurden diese Karten vorab vom Autor ausgewählt. Normalerweise hat man eine gewisse Vorauswahl. Da heisst es zum Beispiel, dass man 12 Kletterhaken in ununterbrochener Reihe vorweisen soll und dabei kein Schneegebiet überquert. Andere Karten verlangen hingegen, den Bereich von drei verschiedenen Bergseen zu erreichen oder die höchste Hütte des Berges. Wichtig ist, dass man einen Plan hat, wohin man überhaupt klettern will. Das fängt von der Einstiegsposition an und hört bei der Kletterroute auf. Dabei zeigt der Berg mit seinen drei Seiten unterschiedliche Gebiete, während man den Namen dieser Gebiete auf dem flach liegenden Spielplan wiederfindet und mit den Namen der Herausforderungskarten abgleichen muss. Im Messetrubel war ich anfangs damit ein wenig überfordert, auch weil hier englischsprachige Spezialbegriffe genutzt werden, die bisher nicht Teil meines Wortschatzes waren. Zudem kannte der Autor sein Spiel zu genau, konnte dieses Wissen uns aber nicht wirklich vermitteln. Anfangs hatten wir einige Fragezeichen auf der Stirn, bis der Ablauf so halbwegs klar wurde.
Da man auch um die Pappecken des Berges klettern kann, ist der Pappberg auf seiner Grundplatte drehbar. Das klappte gut, zeigte dabei aber auch das Manko des Spiels. Während man die eine Seite sieht, zeigen die zwei anderen Seiten eher zu den Mitspielern und die bekommen in keinster Weise mit, was man überhaupt in seinem Zug auf seiner Bergseite macht. Der Berg ragt zwischen uns auf und versperrt uns fernab des eigenen Zuges die Sicht auf den Bergteil, an der gerade die Action passiert. Da der dreidimensionale Berg spielerisch keinen Mehrwert hatte, den ich erkennen konnte, hätte man das Spiel auch flach auf einen Spielplan abbilden können. Nur dann wäre die optische Besonderheit des Spiels nicht mehr vorhanden. Also empfiehlt sich, seine Aktionen zu kommentieren, was wir bei der Messelautstärke aber schnell aufgegeben haben. Zu Hause am Spieltisch mildert sich dieses Manko also ab.
Wenn ich jetzt noch erwähne, dass jeder Spieler zu Beginn seines Zuges eine zufällige Ereigniskarte vom Stapel zieht, die für alle Mitspieler den Nachschub an Kletter-Aktionspunkten bringt, eventuell das Wetter ändert, für Sonderbedingungen im laufenden Zug sorgt und teils eine Sonderfunktion erlaubt, habe ich eventuell den letzten interessierten Leser verloren. Ok, wir haben Zufallsereignisse, eine langweilige bis unübersichtliche Grafik, ein sichtversperrenden Berg und dazu zwar eine schön gestaltete Spielerablage, nur passten dort nur drei der vier Karten ohne Überlappung nebeneinander ins Aufstellfach.
Trotzdem fand ich das Spiel auf seine ganz besondere Art interessant. Wir besteigen hier einen richtigen Berg, wenn auch nur aus Pappe. Die Bergseiten sind doppelseitig und modular, so dass Vielfalt geboten wird. Es gibt unterschiedliche Charaktere und Sonderaktionen, die man zunächst per Aktionspunkte kaufen und freischalten muss, um die später nutzen zu können. Wir schlagen kleine Kletterhaken in die Pappwand des Berges und die können von den lieben Mitspielern auch wieder durch eigene ersetzt werden und so die Route unterbrechen. Wollen wir das verhindern, können wir gegen Aktionspunkte unsere Kletterhaken sichern, aber nur begrenzt. An der Stelle kommt Interaktion ins Spiel, weil wir eben im Wettstreit den selben Berg besteigen und ganz unterschiedliche Ziele haben.
Mountaineers ist aus dem Familienspiel The Mountaineers weiterentwickelt worden. Dort gab es auch diesen dreidimensionalen Berg. Per Würfelwurf bewegte man sich vorwärts. Veröffentlicht wurde das Spiel hingegen nicht. Die Mechanismen wurden für Vielspieler erweitert und nun soll es unter dem Namen Mountaineers über Kickstarter finanziert werden.
Ein Herzblutprojekt, dem es allerdings der redaktionelle Feinschliff fehlt und das deshalb seine Ecken und Kanten hat. Durch diese Ungeschliffenheit wirkt es allerdings besonders. Ob es spielerisch fernab des ersten Whow-Faktors des drehbaren Berges überzeugen kann, wage ich nicht zu beurteilen. Ich habe da meine Zweifel, bin aber mindestens ebenso gespannt, wie sich das Spiel bis zur Veröffentlichung weiterentwickeln kann.
Wer Timber Tom mag und sich ebenso fürs Bergsteigen begeistern kann und zudem ungewöhnliche Spiele sucht und kleine Designschwächen verzeihen kann, der sollte mal einen Blick wagen. Ich bin beim kommenden Kickstarter dabei, alleine schon aus Neugier. Mehr Bilder und auch ein Kickstarter-Preview-Video findet Ihr auf BGG: https://boardgamegeek.com/boardgame/233932/mountaineers
Cu / Ralf