Rückblick auf meine Erstpartie in Viererrunde:
Nach meiner Demosession auf der SPIEL 2017 kam ich zu folgendem Fazit: "Ein Herzblutprojekt, dem es allerdings der redaktionelle Feinschliff fehlt und das deshalb seine Ecken und Kanten hat. Durch diese Ungeschliffenheit wirkt es allerdings besonders. Ob es spielerisch fernab des ersten Whow-Faktors des drehbaren Berges überzeugen kann, wage ich nicht zu beurteilen." Gut 18 Monate später konnte ich meine Erstmeinung überprüfen, denn Messepartien sind auch immer etwas besonders und können aufgrund der Atmosphäre vor Ort ins Extreme pendeln - gut wie auch übel.
Mit der vorliegenden Verkaufsversion hat der Autor und Grafiker und Verleger und Playtester Corey Wright sein kommerzielles Erstlingswerk umgesetzt. Dem Stempel eines Herzblutprojektes merkt man dem Spiel an - positiv wie auch negativ. Erneut fällt auf, dass die Ecken und Kanten dieses Spiels einem besseren Ersteindruck im Wege stehen. Wieder frage ich mich, warum so etwas im Playtesting nicht aufgefallen ist, wenn die Kickstarter-Kommentare und BGG-Postings so eindeutig sind. Wie einfach hätte man das Spiel besser machen können.
Der dreidimensional aufragende Berg aus drei oder vier Seitenteilen steht leider nicht wirklich stabil für eine komplette Partie. Wir mussten mehrmals den Berg geraderücken, weil der sich aus der zu flachen Vertiefung der Bodenplatte gelöst hatte. Kein Beinbruch, aber dennoch nervig. Eben weil das alles mit einer dickeren Bodenplatte hätte vermieden werden können. Auf BGG gibt es derweil einige Anregungen, wie man den Berg stabiler machen kann. Der Autor nickt, verweist auf potentielle Verbesserungen in einer eventuell nie kommenden Zweitauflage und dreht ein kurzes Video, um zu beweisen, dass sein Exemplar stabil steht. Schön und gut, hilft mir persönlich aber nicht weiter. Entweder nehme ich diese Materialschwäche hin oder greife bei einer über 110 Euro teuren Collectors-Version zur Bastelschere.
In der Collectors-Version liegen Karten-und-Komponenten-Halter aus Pappe für jeden Spieler bei. Tolle Sache, weil man seine Routenkarten doch jederzeit im Blick behalten will und die eigenen Holzpropfen und Proviantplättchen dort sammeln kann. Im Spiel braucht man diese Holzpropfen in aufsteigender Reihenfolge und die mit den höchsten Ziffern für seine Sonderaktionen. Also sortiert man vorab und sucht in den herumkugelnden Propfenvorrat nach den richtigen Ziffern. Völlig unnötig wenn den Karten-und-Komponenten-Haltern eine U-förmig gebogene Pappe mit vorgestanzten Löchern für die Aufbewahrung der Propfen beiliegen würde. Daran hat aber anscheinend niemand beim Playtesting gedacht. Also auch hier in jeder Partie neu suchen und sortieren oder erneut selbst zur Bastelschere und Lochstanze greifen und nachbessern.
Die Kartenpakete im Spiel sind vorsortiert, um direkt mit der geleiteten Partie im Download-Dokument "First Climb" loslegen zu können. Tolle Idee. Blöd nur, dass die Anleitung kein einziges Wort über diese Vorsortierung verliert und auf den Kartenpaketen auch kein Hinweis auf diese geführte Partie zu finden ist. Nur wer auf der Herstellerwebseite oder bei BGG sucht, der stolpert über dieses "First Climb"-Heftchen zum Download. Da hat man sich also als Verlag die Extraarbeit gemacht und lässt die Kartenpakete vorsortieren, nur damit sich der Käufer über diese merkwürdige Sortierung wundert, alles bei der Materialkontrolle durchzählt und ordnet und die "First Climb"-Partie so nie mehr spielen kann, weil es bis heute keine Auflistung gibt, wie man diese Erstsortierung wieder herstellen kann.
Spätestens hier habe ich ein wenig Mitleid mit dem Autor, der sich anscheinend übernommen hat und das nicht nur finanziell, wie er offen anspricht. Nur wie soll ich Werbung für seine restlichen 500 Exemplare machen, wenn er selbst solche Anfängerfehler macht und dafür einen dreistelligen Betrag als Gegenleistung verlangt? Das spielerisch völlig ausreichende Grundspiel kostet allerdings nur 60 US-Dollar plus Versand.
Wer mein Geld haben will, soll auch bitte eine angemessene Gegenleistung liefern und mich nicht zur Nacharbeit zwingen, wenn ich das Spiel so spielen möchte, wie es sein sollte und wie es sein könnte. Oder erwarte ich da zu viel, weil heutzutage schlicht jeder ein Spiel in China & Co produzieren lassen kann, ohne dass sich selbst hinterfragt wird, ob man so ein Projekt überhaupt stemmen kann mit seinen ganzen potentiellen Stolpersteinen.
Kommen wir aber nun zum Spiel selbst ...
Mountaineers sieht beeindruckend aus. Gross und mächtig ragt der Berg dreidimensional aus dem Spielbrett. Bei Tageslicht sind die Ziffern-Gravuren der Holzpropfen zum Glück besser zu erkennen. Hier also Entwarnung, wenn auch einige besser gearbeitet sein könnten. Der Spielablauf ist zudem recht eingängig bis einfach und die Übersichtskarten helfen dabei, sich zu erinnern, was man alles machen kann.
Zu Spielbeginn sucht sich allerdings jeder erst einmal seinen einen Charakter mit Sondereigenschaft aus vier Möglichkeiten aus und auch die potentiellen Routenkarten wollen gesichtet und auch vier Routen reduziert werden. Dazu muss man den Berg ausreichend gut analysieren und vorab planen, wo es sich anbietet, in den Berg einzusteigen und welchen Weg man gehen will. Da man immer nur eine oder knapp zwei der drei Bergseiten im Blick hat und auch im Spielverlauf die Bergseiten wechseln kann, beginnt ein fröhliches Gedrehe, um eine Übersicht zu bekommen. Als Extra gab es Bergkarten im Jumboformat, aber davon eben auch nur ein Exemplar, so dass maximal zwei Spieler zeitgleich anhand des Berges planen können.
Entweder resigniert man jetzt schon oder nimmt sich die nötige Zeit, um die Partie durchzuplanen. Durchaus realistisch, weil eine Bergtour will ja geplant werden, wenn die erfolgreich sein will. Aber spielerisch ist das leider ein arg solitären Vergnügen, bei dem zudem die Mitspieler stören, wenn die ebenfalls den Berg in andere Richtungen drehen wollen. Wer hier einfach losspielen will, wird leider keinerlei Chancen haben. Denn die meisten Siegpunkte macht man über seine erfüllten Routenkarten und ein falscher Einstiegspunkt kann mal eben alle potentiellen Punktechancen unwahrscheinlich bis unmöglich machen.
Hat man diese Hürde überwunden, die durchaus planerisch Spass machen kann, weil man den Berg aus seinen zufällig zusammengesetzten Seiten wirklich lesen muss, startet man ins eigentliche Spiel - die Umsetzung seiner Planungen.
Wenn jetzt wirklich alle vier Spieler auf einem dreiseitigen Berg herumkraxeln, sollte man sich in die Quere kommen und der Mechanismus der Sicherungshaken käme voll zum Tragen, um seine Route zu sichern oder fremde Routen zu kreuzen und trotzdem die eigene Route nicht zu unterbrechen. Wir hatten hingegen viel Platz und das deshalb, weil ein Mitspieler zunächst den Berg schlicht auf der niedrigsten Höhenstufe umrundete und auch so etliche seiner Routenkarten, wenn auch nicht alle, erfüllen konnte. Ein anderer Mitspieler verhaspelte sich ein wenig mit den Sonderaktionen und geriet leicht frustriert schnell ins Hintertreffen. Somit war der Weg für die restlichen zwei Mitspieler frei und auf dem Berg arg viel Platz. Schlechte Voraussetzungen für einen guten Ersteindruck einer von mir erhofften konfrontativen Kletterpartie.
Zu Zugbeginn ziehen wir eine Ereigniskarte. Die ist schön thematisch und passt zum Geschehen. Meist verliert oder gewinnt man je nach aktueller Umgebung ein Proviant, das man als Energie für alle möglichen Aktionen benötigt. Man wird also zufällig ausgebremst oder bevorteilt. Der Berg ist eben unvorhersehbar und auch das passt gut zum Thema des Spiels. Rein spielmechanisch muss man diesen Amitrash-Faktor mögen und das Kopfkino einschalten. Weil ansonsten sind diese Ereignisse nur lästig und das wäre schade, weil man sich selbst den Spielspass raubt.
Die Ereignisse erlauben zudem sogenannte Ereignisaktionen, die immer direkt etwas mit dem Ereignis zu tun haben und auch aufbewahrt und passender später von einem gespielt werden können. Damit kann man dann wieder Strecke gut machen oder sich aus einer misslichen Lage befreien oder wird am Spielende mit Sondersiegpunkten belohnt, wenn man die Bedingungen bis dahin erfüllt hat. Gefällt mir, weil sorgt für eine zusätzliche spielmechanische Ebene.
Zeitgleich ist der gemeinsame Ereigniskartenstapel auch ein Zeitmesser und sorgt rund alle zehn Karten für einen Wetterumschwung. Jeder ist nur zehn Mal am Zug. Das hört sich wenig an und klingt nach einer überschaubaren und knackig-kurzen Partie. Wir brauchten weit über zwei Stunden, was ich aber nicht dem Spiel sondern eher der Erstpartie ankreide. Man kann Mountaineers durchaus zügiger spielen, weil man eigentlich seine Routenplanungsphase längst abgeschlossen haben sollte und auch während der Mitspielerzüge noch Zeit hat, seine Planungen nachzukorrigieren. BGG listet 30 bis 360 Minuten auf, also 30 Minuten pro Spieler. Somit lagen wir sogar fast im zeitlichen Rahmen, nur fühlte es sich leider nicht so an, weil die Spielzeit zu ungleich verteilt war.
Bei mir liefen meine Planungen gut, ja bis dann das Wetter umschlug und ich nur arg mühsam jenseits der 6000 Meter klettern konnte. Somit war eine der Routenkarten bis zum Spielende nicht mehr erfüllbar. Zumindest sah ich keinen alternativen Weg, um so viele Eisfelder noch am Stück zu durchqueren im geforderten Abstieg dieser Routenkarte. Am Ende war es ein Kopf-am-Kopf-Rennen. Ein Unentschieden in Sachen Punkte und somit entschied, wer effektiver am Berg unterwegs war und da hatte ich mehr Wegpunkte gebraucht.
Was bleibt als Fazit? Erstmal verdient das Spiel eine nachgebesserte Ausstattung. Auf eine Zweitauflage würde ich da nicht hoffen. Also muss man bereit sein, da selbst Hand anzulegen. Wer das nicht macht, wird sich über einen unstabilen Berg und Propfen-Suchorgien in der Deluxe- oder Collectors-Edition ärgern und das tut dem Spielspass nicht gut. Dann braucht das Spiel eine Spielrunde, die bereit ist, das Spiel in eine Planungsphase vor dem ersten Zug und den nachfolgenden 10 Spieleraktionen, bei denen man seinen Plan umsetzt und eventuell aufgrund der veränderten Bedingungen oder Mitspielerrouten nachkorrigiert, einzuteilen und daran den Reiz des Spiels sieht. Im Spielverlauf gibt es Zufallsereignisse, die muss man ebenso mögen und sich dabei die Geschichte des Berges und seiner Wanderung erzählen lassen.
Mountaineers ist kein Eurogame, eher ein thematischer Amitrash mit vorgelagerter Planungsphase. Es sieht anders als gewöhnlich aus und spielt sich auch anders. Nach der teilweise verkorksten Erstpartie hatte ich das Spiel auf dem Marktplatz eingestellt. Vorschnell, wie ich inzwischen sagen muss. Ich werde dem Spiel in anderen Runden nochmals eine Chance geben. Weil im Kern hat es das Potential, um Spass machen zu können, wenn man bereit ist, sich auf diese Art von Spiel einzulassen.