Gehobenes, sehr gutes Euro-Game – aber Thema kommt nicht so gut heraus

Gespielt wird „Carnegie“ über 20 Runden. Jede Runde wählt der aktive Spieler eine Aktion aus „Personal“, „Verwaltung“, „Entwicklung“ und „Bau“. Hiermit aktiviert er alle zugehörigen Abteilungen auf dem eigenen Unternehmenstableau. Personalabteilungen können beispielsweise Arbeiter im Unternehmen in andere Abteilungen verschieben. Verwaltungsabteilungen lassen neue Abteilungen aus einer Auslage hinzukaufen. Entwicklungsabteilungen lassen neue Projekte vorbereiten (in den vier Bereichen „Wohnungen“, „Kommerz“, „Industrie“ und „Infrastruktur“) oder die Transportgeschwindigkeit (Karren, Kutsche, Eisenbahn) in den vier Regionen der USA vorantreiben. Und mit der Bauabteilung kann ich die vorbereiteten Projekte in den Städten der USA bauen. Nach dem aktiven Spieler folgen alle anderen Spieler reihum ohne Einschränkungen.


Getrieben wird das Ganze durch meine Arbeiter, die in den Abteilungen stehen. Sehr oft muss ich, um eine Aktion ausführen zu dürfen, den Arbeiter in den vier Regionen der USA auf Mission schicken. Der Arbeiter steht mir so lange nicht zur Verfügung, bis er über das Aktionstableau wieder zurückgeholt hat. Neben der Aktion sind dort nämlich die vier US-Regionen Westen, Mittlerer Westen, Süden und Osten abgebildet. Wähle ich also eine Aktion, kehren auch alle Arbeiter dieser Region ins Unternehmen zurück und generieren anhand der Transportfähigkeit noch einen kleinen Bonus.


Zum Schluss gibt es noch die Möglichkeit der Spenden, was nicht anderes ist als die Generierung von Siegpunkten am Ende des Spiels anhand von beispielsweise der Ausbaustufe der Transportgeschwindigkeit, der Anzahl an Projekten in einer US-Region oder bestimmte Abteilungen im Unternehmen. Neben diesen Siegpunkten gibt es auch Siegpunkte, wenn ich es geschafft habe, die großen Städte San Francisco, New Orleans, Chicago und New York alle oder teilweise miteinander durch Projekte zu verbinden.


„Carnegie“ ist ein Eurogame, wie es im Buche steht, mit einer gehobenen, aber keiner zu hohen Komplexität. Die Verzahnung der Aktionswahl, Abteilungsaktivierung, indirektem Arbeitereinsatz, Projektforschung und -bau hat mir sehr gut gefallen. Es ist recht leicht verständlich, was in meinen Augen auch an der sehr guten Anleitung liegt. Grafisch ist das Spiel sicherlich eher funktional geraten, aber das ist bei einem Eurogame ein bisschen zu verschmerzen. Die Ikonographie ist dafür sehr eindeutig. Während der ersten Partie musste ich kaum etwas im Regelheft nachschlagen (wobei das Spiel über die Boardgamearena entsprechende Hilfetexte als Popup einblendet, was sicherlich geholfen hat).


Schade finde ich dennoch, dass das eigentliche Thema sehr wenig zum Tragen kommt. Die weißen Würfel stellen irgendwelche beliebigen Güter dar und die Projekte werden durch Scheiben dargestellt. Welche Art von Projekt ich gestalte, ist absolut unwichtig für mich. Relevant ist nur, welche Boni das Projekt generiert (Geld, Güter, mehr Arbeiter, Siegpunkte) und in welche Stadt ich es dann passend bauen kann. Auch die Spenden für Ausbildung, Menschenrechte, Wohlfahrt und Gesundheit sind irrelevant. Wichtig ist nur, wo ich meine Scheibe platziere, um dieses Spendenfeld zu besetzen und Siegpunkte am Ende dafür zu erhalten.


Kritik am Thema bzw. an der Personenwahl von Carnegie gibt es im Netz dennoch, da er laut Wikipedia neben den guten Taten Menschen in seinen Stahlwerken ausbeute und auch nicht viel von Frauenwahlrecht hielt und sich nicht gegen Sklaverei positionierte. „Shut up and sit down“ widmen sich in einer Podcast-Episode dem Spiel, aber auch der Person.


Ich habe eine Partie solo gegen den Automa „Andrew“ gespielt und eine Partie zu dritt. Beide haben mir gut gefallen. In meiner Erstpartie gegen Andrew verlor ich knapp mit 110:111, was mir aber zeigt, dass das Spiel auch beim ersten Mal schon einigermaßen gut verstanden werden kann. Dank des automatischen Ablaufs bei Boardgamearena dauerte die Partie auch „nur“ 90 Minuten, wobei ich mir natürlich Zeit ließ. Die zweite Partie zu dritt dauerte ca. 130 Minuten (hochgerechnet, weil wir an einem Punkte eine Pause machen mussten und asynchron weiterspielten). In dem Zusammenspiel gefällt mir sehr gut herauszulesen, welche Aktionen die Mitspieler wohl machen werden, von denen ich profitieren kann bzw. umgekehrt selbst Aktionen zu wählen, für die meine Mitspieler keine aktiven Arbeiter, keine Güter, kein Geld etc. haben.


Ich bin froh, das Spiel bei Boardgamearena ausprobiert zu haben. Bei Tabletopia (oder real) wäre mir der Verwaltungsaufwand, vor allem für den Automa, viel zu viel gewesen. Ansonsten handelt es sich um ein sehr gutes Eurogame, das ich sehr gerne wieder mitspielen werde. Für einen eigenen Kauf reicht es bei mir aber nicht, dafür ist es mir zu unthematisch.