Beiträge von ravn im Thema „Evolution des Brettspiels: Spiele, die eine Story erzählen und sich entwickeln?“

    Hab es da nicht mal ein Kartenspiel, bei dem die Spielregeln als Karten ausgespielt wurden?

    Jip, Fluxx und "Das regeln wir schon" sind da meine Beispiele an Spielen, wobei ich aufpassen muss, dass sich meine Spielidee nicht zu sehr dorthin bewegt. Denn da sind die Spielmechanismen fix und vorgegeben, wodurch das Spielgeschehen eher mechanisch wird. Die Varianz ist nur durch die Vielzahl an Karten gegeben. Eine wirkliche Entwicklung gibt es aber nicht.

    Wobei ich in meinen Überlegungen so weit gehen, dass ich nicht nur Dinge kombinieren möchte, sondern eben auch Handlungen und Beziehungen zwischen Dingen. Das alles von den Spielern entwickelt, die sich ersteinmal ihre Funktionssprache dafür basteln müssen, damit die "Leute der eigenen Gruppe" zusammenarbeiten können und man sich auch mit den Mitspielern (also den "Leute deren Gruppe") unterhalten kann, sofern man auf die trifft.

    Eventuell wird der eine oder andere da aber auch überfordert sein und sich fragen, was er jetzt mit der leeren Spielekiste voller Blankokarten anfangen soll. Deshalb mein Einstieg über das Thema "Pre-Steinzeitvolk entwickelt sich", wo zu Spielbeginn eben nur grundlegende Sachen vorgegeben sind.

    Lässt sich auch prima mit einem Entdeckungsaspekt verbinden, wenn man eben auf "Expedition" geht und dort dann viele neue Dinge entdecken kann, teilweise passiv ("Wilde Beeren"), teilweise aktiv ("Wilder Bär") und darauf reagieren kann (passive Dinge) oder muss (aktive Dinge).

    Mal sehen, ob und was aus der Idee wird, die ich hier das allererste Mal öffentlich gemacht habe.

    Einen Mechanismen während der Spielpartie zu erfinden, wäre im Prinzip nicht schwer. Man bräuchte eigentlich nur ein szenarienbasiertes Spiel mit Kampagnenmodus mit einen Passus im Regelwerk, der ungefähr besagt: "Wenn Ihr dies tun wollt, dann überlegt Euch dazu Regeln und wendet sie während der gesamten Kampagne an". Ist banal und wahrscheinlich nicht das, was Du meinst, aber läuft es nicht genau darauf hinaus?

    Ich meinte mit "erfinden", dass sich das Spiel während des Spiels dauerhaft verändert. Eben dadurch, was die Spieler an Mechanismen dazuerfinden und über Spielmechanismen in das Spiel einbauen - auch für künftigte Partien.

    Ein sehr grobes Beispiel aus meiner "R-Evolution" Spielidee: Jeder Spieler eines Steinzeitstammes hat anfangs eine sehr kleine Auswahl an Aktionsmöglichkeiten - auf vor sich ausliegenden Karten festgehalten. Eine Aktionskarte ist "entdecke einen neuen Rohstoff". Damit kann man dann auf einer leeren Karte des Typs Rohstoff zum Beispiel "Wilde Beeren" finden und damit für das Spiel neu erfinden. Durch die Aktionskarte "essen" in Kombination mit "Wilde Beeren" entdecke/erfinde ich die Auswirkungen, die das Essen von wilden Beeren hat. Das halte ich auf der Karte "Wilde Beeren" fest. Ebenso könnte man neue Aktionen entdecken/erfinden wie "jagen" und das in Kombination mit dem Kartentyp Werkzeug "Netz" und dem Kartentyp Rohstoff "Fische" ergibt dann die Möglichkeit, viele Fische auf einmal zu bekommen, die man dann später "essen" kann. Blöd nur, dass man noch keine Möglichkeit kennt, Rohstoff-Karten mit dem Zusatz "verderblich" zu lagern.

    Damit entwickelt sich das Spiel in seinen Möglichkeiten im Spielverlauf weiter, eben durch Mitspielerhand. Eine andere Gruppe, die mit einem solchen neuen Spiel startet, wird eventuell nie "Wilde Beeren" als Rohstoff entdecken, dafür aber viel eher auf die Idee kommen, andere Karten miteinander zu kombinieren, um ganz neue Karten erfinden zu können.

    Das kann man sogar soweit herunterbrechen, dass man zunächst noch seine eigene Aktionssprache weiter-entwickeln muss über Karten ... Ob das aber alles als spielbares Spiel umzusetzen ist, das weiss ich noch nicht. Ist aktuell nur eine Idee von vielen weiteren Ideen, die in diese Richtung "das Spiel im Spiel weiterentwickeln" geht.

    Cu / Ralf

    PS: Wie kann ich Zitatblock-Boxen in Firefox komplett rauslöschen?

    Das mit "alle bekannten Brettspiel-Mechanismen gesehen und gespielt haben" war nur der Ausgangspunkt meiner Überlegungen und nicht die zentrale Aussage. Wer sich daran stösst, kann dem gerne mit "alle (für mich wichtigen) der bekannten Brettspiel-Mechanismen" seine überspitzte Absolutheit nehmen. Aber mit Übersättigung hat das nichts zu tun, sonst hätte ich heute in entspannter Runde nicht meine 34. Partie Marco Polo gespielt, total versagt, aber Spass an der Herausforderung gehabt - und dass, obwohl Marco Polo keine wirklich neuen Mechanismen erfindet, sondern eben bekannte Mechanismen geschickt kombiniert. Ebenso wenig brauche ich immer wieder was Neues und hechel da ungern durch Neuheiten, darum ging es zumindest mir nicht, als ich dieses Thema erstellt habe.


    ABER, auch in der 34. Partie von Marco Polo kommen keine neuen Mechanismen dazu. Marco Polo braucht das auch nicht.

    Trotzdem finde ich es spannend, sich zu überlegen, ob es nicht ein Gesellschaftsspiel geben kann, dass in der Spielpartie selbst neue Mechanismen erfindet, die einzelne Partien überdauern und in Folgepartien weiterleben und genau das Teil des Spielkonzeptes macht. Ein wenig zu vergleichen mit Dominion, welches das Deckbuildung (bekannt aus Sammelkartenspielen) in spielerischer Umsetzung zum Kernthema seines Spiels gemacht hat und dem Brettspiel damit neue Horizonte geöffnet hat.

    Ob diese Mechanismen-Evolution in Gesellschaftsspiele wirklich funktioniert und dann auch noch Spass macht fernab der Faszination, etwas erschaffen zu haben, weiss ich noch nicht. Deshalb auch dieser öffentlicher Diskussionsansatz zum Gedankenaustausch unter Geeks. Danke für die bisherigen Anregungen dazu.

    Cu / Ralf

    Ich meine, aktuell an einem Punkt angekommen zu sein, an dem ich alle bekannten Brettspiel-Mechanismen in ihren Ausprägungen, Variationen und Kombinationen gesehen und gespielt habe. Von Workerplacement über Deckbuildung und Aktionspunkte bis Mehrheiten und viel mehr. Dabei habe ich viele tolle, entspannte, herausfordernde, spannende und lustige Stunden in ebensolchen Spielrunden verbracht. Von einfach über kreativ bis komplex und kompliziert. Trends wie Bagbuildung und die Neuinterpretation bekannter Marken per Würfel sind gekommen und teils auch schon wieder gegangen. Das Smartphone wurde Teil des Spiels, mal als Helfer, mal als Taktgeber.

    Dabei schaffen es viele Spiele, durch ihr Regelkonstrukt eine Story zu erzählen. Eine Story, die im Idealfall in jeder neuen Partie immer etwas anders ist, weil sich Rahmenbedingungen und Mitspieler und Spielweisen verändern. Allzu oft bleibt diese Story aber auf der Ebene der Mechanismen hängen, erzählt wenig fantasievoll sondern eher mechanisch. Kein Wunder, entstehen diese Storys doch eher generisch. Wirkliche Überraschungen bleiben aus, da die Entwicklungspotentiale der Story einer Brettspielpartie arg begrenzt sind, weil alle Elemente vorgegeben und vorab bekannt sind.

    Gerade deshalb finde ich die Ansätze von TIME Stories und Pandemic Legacy so erfrischend interessant. Ich weiss eben nicht, was alles während einer Spielpartie wird passieren können. Das Spiel überrascht mich und lebt auch von seinen Überraschungen, während das grundlegende Regelkonstrukt, auf denen diese Überraschungen sich entfalten können, möglichst einfach gehalten sind, um einen unkomplizierten Einstieg zu ermöglichen und nicht abzulenken. Schliesslich soll der Spieler nicht auf der Ebene der Grundregeln stecken bleiben. Nachteil dabei ist allerdings, dass der Wiederspielwert entweder arg begrenzt oder schlicht nicht gegeben ist. Diesen Preis muss man anscheinend zahlen, wenn Spiele vor allem von ihrer Story und den zu entdeckenden Überraschungen und Wendungen leben.

    Auf einer ganz anderen Seite der Spielmechaniken gibt es das Genre der kreativen Spiele. Spiele, die ihre Mitspieler ins Spielgeschehen einbeziehen und erst durch die Kreativität der Mitspieler leben können. Als ein Beispiel möchte ich "Ein solches Ding" nennen. Durch die zufällige Kombination von Mitspielerkarten entsteht in den Mitspielerköpfen eine Idee von einem Ding. Dabei ist es arg unwahrscheinlich, dass ein solches Ding in Folgepartien erneut auftaucht, dazu ist die Kartenanzahl in ihren Kombinationsmöglichkeiten zu hoch und jeder Mitspieler hat auch einen anderen Denkansatz. Ein Spiel wie "Ein solches Ding" kann man fast unbegrenzt oft spielen, denn die Story entsteht mit Hilfe der Spieler und ist jedesmal überraschend neu. Allerdings braucht es schon eine Spielrunde, die sich darauf einlassen mag und bereit ist, ihren Teil zur Storyentstehung beizutragen.

    Wäre dann nicht der nächste Schritt auf der Entwicklungsskala der Brettspiele, dass der vorgegebene Storyansatz von TIME Stories & Co mit der kreativen Einbeziehung der Mitspieler kombiniert wird? Eben so, dass die Mitspieler selbst im Laufe einer Partie Spielelemente entwickeln, die dann Teil des Spiels und der Story werden und auch über eine Partie hinaus leben und gegebenenfalls wieder verdrängt werden könnten? Ein Brettspiel also, dass sich durch die Partien der Mitspieler laufend verändert und nicht durch Vorgaben wie Pandemic Legacy in seiner Entwicklung nach x Partien abgeschlossen ist? Ein Brettspiel, das keine feste Gruppe an Mitspielern braucht, sondern in einer Partie als Story abgeschlossen ist und durch die Entscheidungen dieser Mitspieler sich für die Folgepartie dauerhaft verändert hat. Und was würde passieren, wenn man dann zwei sich ganz unterschiedlich entwickelte Brettspiele kombinieren würde?

    Auf einer spielmechanischen Ebene wäre das durch Kartenhüllen mit unterschiedlichen Rückseitentypen möglich. Die Spielrunde kann in ihrer Partie neue Karten im Rahmen eines Spielmechanismus entwickeln, auf eine Blankokarto festhalten und dann in diese Kartenhüllen schieben. Andere Karten könnten so im Laufe einer Partie verdrängt, eventuell sogar dauerhaft vernichtet werden. Am Ende der Partie sind die Karten dann nicht mehr die, die man noch zu Spielbeginn hatte - einige sind neu dazugekommen, andere haben sich bewährt, andere wurden verdrängt oder auch nur modifiziert. Unter dem Arbeitstitel "Parasit" bin ich schon seit einiger Zeit daran, mir in Gedanken die Möglichkeiten dazu auszumalen. "Parasit" deshalb, weil man ebenso als Variante gezielt zwei Kartenpacks zweier Spielrunden gegeneinander antreten lassen soll und daraus dann ein kombiniert neues Spiel entsteht, fernab der Entwicklung innerhalb eines Kartenpacks.

    Ein anderer Ansatz unter dem Arbeitstitel "R-Evolution" zeichnet die komplette Entwicklungsgeschichte einzelner Volksstämme mit Beginn der Menschwerdung nach. Wobei selbst das Vokabular und die daraus dann möglichen Spielmechansimen einer Spielpartie (mit Wirkung auf die nachfolgenden Partien) durch die Spieler selbst entwickelt werden müssen. Ist aber alles noch in einer sehr frühen Konzeptstudie. Die grundlegende Idee dahinter ist, den kreativen Ansatz der Mitspieler mit einem vorgegeben Storyansatz sich entwickeln zu lassen, ohne dass man jemals erahnen könnte, was nach x oder xx Partien daraus geworden ist. Die eigentliche Herausforderung sind die Selbstregulierungsmechanismen, dann wenn alles möglich ist, wird auch alles gemacht werden bishin zu einer Karte "Finito: Ich habe hiermit gewonnen und Euch alle unterjocht".

    So oder so, die Zukunft des Brettspiels bleibt spannend!

    Cu / Ralf