Ich habe das Spiel jetzt dreimal gespielt ... und ich kann es irgendwie noch nicht richtig einordnen. Ich weiß nicht, ob ich es für eine 6,5 oder 8,0 halten soll -- das ist so der Rahmen der Ersteindrücke. Mein Problem dabei: Wie viele wirkliche Entscheidungen bietet das Spiel wirklich? Und wie oft tut es nur so, als gäbe es zig Optionen, aber in Wirklichkeit ist völlig klar, was zu tun ist? Und ist der Würfelturm, so unterhaltsam er auch ist, wirklich mehr als ein Gimmick, das eine gehörige Portion Chaos und Zufall hinzufügt?
Aber fangen wir von vorne an. Ich habe gespielt: 3x eine hier im Marktplatz gekaufte Essential Edition als 2er-Spiel. Zweimal ohne jede Erweiterungen, beim letzten Mal mit den anderen Wechselstuben (-> macht nicht viel Unterschied). Tower mit B2-Plättchen, so dass fast immer Keshis hängen geblieben sind. Meine ungefähren Punktezahlen waren 140, 160 und nochmal 160, was für ein 2er-Spiel schon ganz gut sein dürfte. Ich kenne fast alle Spiele von Stefan Feld und mag auch die meisten. Meine liebsten Feld-Spiele sind Bora Bora, Bonfire, AquaSphere, Luna -- in dieser Reihenfolge. Also: tendenziell eher die komplexeren Felds, gerne auch mit etwas mehr Interaktion. Soviel zur Einordnung.
Ich sehe, was vielen an Marrakesh gefällt. Es bietet viel Spannung, insbesondere beim Keshis-in-den-Turm-werfen und dem anschließenden Draften. Das hat was. Aber: das Spielgefühl kommt mir manchmal so vor wie mit einem Ohr Musik hören. Oder vom Fernseher berieseln lassen. Denn wo sind die echten, kniffligen Entscheidungen? Eine Aktion aktiv auswählen, das mache ich z.B. nur genau dreimal im gesamten Spiel - nämlich mit dem Assistenten zum roten Keshi. Bei den restlichen 33 von 36 Aktionen in meinem Spiel wähle ich nur die Reihenfolge in drei 12er-Packs von vorab festgelegten Aktionen (eben bis auf rot). 33 von 36 Aktionen sind vorgeben, nur 3 sind frei wählbar.
Auch bei der 3er-Keshi-Wahl am Anfang jeder Runde gaukelt das Spiel einem mehr Auswahl vor als real da ist. Theoretisch gibt es 440 verschiedene Auswahlmöglichkeiten von 3 aus 12. Aber es ist doch völlig klar, dass ich als Nicht-Startspieler nichts anbiete, was ich selbst brauche. Es ist völlig klar, dass blau am Anfang jedes Durchgangs besonders wertvoll ist. Wer als Nicht-Startspieler in Runde 1 blau reinschmeißt, tja ... der kann vielleicht immer noch Spaß mit Marrakesh haben, aber rechnen kann er jedenfalls nicht. Das ist Pseudo-Varianz, getrieben durch allerlei suboptimale Zugoptionen, und sowas macht für mich ein Spiel nur aufgeblasener, aber nicht besser.
Ebenso ist völlig klar, dass rosa im Laufe das Spiels immer uninteressanter wird (und vermutlich genau deshalb auch von überdurchschnittlich vielen Schriftrollen-Plättchen gepusht werden muss). Es ist auch völlig klar, dass ich im letzten Durchgang die Farben, die der Mitspieler wegen kompletter Bezirksfüllung gar nicht mehr draften darf, ihm gesammelt vorwerfen werde. Es ist nicht wirklich schwer zu sehen, dass grün und grau sich gut ergänzen (Datteln zum Kauf von Schriftrollen). Oder beige und weiß (Geld zum Kauf von siegpunktträchtigen Toren). Oder rot und blau (Wasser zum Schiffchen-Fahren). All das sind keine wirklichen Entscheidungen, sondern beim einen Spieler nach Regellesen und beim anderen nach dem fünften Spiel völlig klar (und bei manch anderem vielleicht auch niemals).
Beim Draften wieder dann genauso. Wenn Keshis in Gruppen von 2-1-1-1-1 ausliegen, dann braucht's schon sehr besondere Situationen, damit die 2er-Gruppe nicht die naheliegende Wahl ist. Alles ist Euro-typisch irgendwie gut, insbesondere in der Aufbauphase (Engine Building) am Anfang, und wenn ich die Wahl habe, ob ich 4 Keshis kriege und mein Mitspieler nur 2, oder wir alle beide je 3 bekommen, dann ist optimale Entscheidung normalerweise klar. Es ist ja nicht nur die eigene Auswahl, sondern (gerade im 2er!) auch bedeutsam, dass der einzige Mitspieler weniger bekommt.
Man kann in Marrakesh natürlich viel suboptimalen Blödsinn zusammenspielen, dazu bietet das Spiel enorme Möglichkeiten. Aber, und das ist hier ein bisschen auch die Frage an die immer noch mitlesenden Marrakesh-Veteranen: Wie groß ist die Gefahr, dass sich das Spiel mit etwas Spielerfahrung in einer Gruppe guter Spieler doch irgendwie wie auf Schienen spielt, weil in den meisten Situationen der beste Zug einfach klar ist? Wie viel von meinen kritischen Anmerkungen erledigt sich durch Hinzunehme eines dritten oder vierten Spielers?
Etwas meiner Kritik am gleichförmigen Verlaufe ohne nennenswerte Entscheidungen entgegen wirken natürlich die Schriftrollen, die zumindest auf dem Papier unterschiedliche strategische Pfade anbieten. Das will ich gerne zugeben. Bei unserem dritten Spiel habe ich z.B. gezielt darauf gespielt. Ich hatte Plättchen für (1) Wasser bekommen bei einem neuen Abschnitt der Treppen, (2) Wasser anstelle von Datteln nehmen dürfen beim Aktivieren von grün, (3) +2 statt +1 SP für weitere Schritte am Ende des Flusses. Besonders stark war meine allerletzte Aktion im ganzen Spiel: Fischer schon auf Anschlag, blaue Leiste auf 8, einen Haufen von 10 gesammelten Wassertokens im Vorrat, dann blau aktivieren => (8+10) * 2 = 36 Punkte auf einem Schlag. Geht. (Und das war die zweite Fischer-Aktion, getriggert mit rot. Mit blau gab's vorher schon mal dicke Punkte!)
Aber auch dieses dritte Spiel hat sich wieder ein gutes Stück wie auf Schienen angefühlt. Wenn ich jedes Wasser ohne Begrenzung als 2 SP ansehen kann, dann tausche ich z.B. gerne im Souk 1 Ware gegen 2 Wasser = 4 SP. Das braucht nicht viel Nachdenken. Diese Quote kriege ich mit Luxuswaren niemals, da ist die Siegpunkt-Quote nur 2,0 bis 2,6 SP/Warenkeshi. Diese Möglichkeiten mit Wasser-bezogenen Sonderfähigkeiten zu erkennen, das macht mir absolut Spaß! Diesen Plan dann mit eher wenig nennenswerten oder kritischen Entscheidungen zwei Stunden lang runterzuspielen, tja, das finde ich dagegen weniger spaßig.
Kommen wir zum letzten Punkt, der mich etwas stört, insbesodere für das 2er-Spiel. Das enorme Maß an Zufall. Beim Draften kriegt der Startspieler 0-2 Keshis mehr als der Zweite -- bei (knapp) 3 als Erwartungswert gedrafteter Keshis ist das prozentual gesehen schon viel. Das kann (!) sich aufsummieren und das macht dann bei Engine Building schnell einen spürbaren Unterschied. Oder bei den Oasen: Dass man sie früh erkunden muss, um dann gezielt darauf spielen zu können, das finde ich soweit absolut klasse! Im Spiel sind so einige richtig schöne Design-Ideen drin, und das ist eine davon. Aber dass die Oasen so krass unterschiedlich viel Wert sein können, in Kombination mit "passt zufällig toll (bzw. gar nicht)" beim späteren Entdecken, hmmm, das ist mir gefühlt dann ein bisschen zu viel des Guten.
Außerdem habe ich auch das Gefühl, dass es, zumindest im 2er-Spiel, einen nennenswerten Startspieler-Vorteil geben könnte. Der Erste kann sein Engine Building tendenziell schneller in Gang kriegen und hat normalerweise den Erstzugriff auf besonders attraktive Schriftrollen.
Marrakesh wird vermutlich nicht zu meinen Top-Felds aufschließen können. Da gibt's locker eine Handvoll Feld-Titel, die ich reizvoller finde. Ich sehe zwar durchaus den Reiz von Marrakesh, aber das ist irgendwie ein Reiz für Spieler, die an einem spannungsvoll dahinplätschernden Spiel Spaß haben, auch wenn diese Spannung nicht durch die Spieler und Spielaktionen, sondern vornehmlich durch einen Zufallsgenerator kommt. Aber ich bin jemand, der auch analytisch an Spiele herangeht und gute Spiele daran misst, dass in jedem Zug mehrere Zugoptionen gibt, die alle auf den ersten Blick ähnlich gut aussehen, z.B. weil ihre Vorteile auf unterschiedlichem Zeithorizont wirken. Ich möchte solche Abwägungen haben. Ich möchte wirklich Aktionen auswählen und nicht nur ihre Reihenfolge. Ich möchte unterschiedliche Dinge machen können. Und davon bietet mir das immer ziemlich gleichförmig verlaufende Marrakesh irgendwie ein bisschen zu wenig.