Hallo,
ich möchte hier nicht von einer, sondern gleich von zwei Weimar-Spielen am Freitag, 08.12.2023 berichten. Ich schreibe ein paar Erläuterungen für diejenigen hinein, die das Spiel noch nicht gespielt haben.
Der Bahnstreik brachte unseren Zeitplan etwas durcheinander, aber dennoch war es total schön, die Truppe nach einigen Jahren wieder zu sehen. Wir losten die Fraktionen aus: Joerg2211 spielte die KPD, B. das Zentrum, Christian Bahrke übernahm die DNVP und ich die SPD. SPD und Zentrum bilden zu Beginn des Spiels die Regierung.
Ziemlich schnell in Runde 1 konnte die KPD eine weitere Räterepublik in Berlin errichten und eine starke Straßenkampftruppe in Essen bereit zu stellen (mit einer Räterepublik startet die KPD, vier müssen erreicht werden, wobei die in Berlin doppelt zählt und somit drei für einen KPD-Sudden Death genügen würden). Im Parlament wurde hitzig diskutiert. Der DNVP gelang es ein Regime zu errichten, verlor dieses aber auch wieder. Aber die Gefahr kam von links: nur dank KPD-Würfelpech und dem Einsatz von Gustav Stresemann (er kann veranlassen, dass Würfelwürfe wiederholt werden), konnte die Regierung einen vorzeitigen Sieg der KPD verhindern. Wir handelten die umfangreiche Zwischenphase ab, nur um festzustellen, dass die KPD vor dem ersten Zug in Runde 2 einen Sonderzug machen darf... ...und selbst Stresemann konnte nicht verhindern, dass die KPD damit die notwendigen Räterepubliken für den Sieg zusammenbekam. Na, das ging ja schnell...
Der Abend war noch jung und die meisten motiviert, so dass wir flugs das Spiel neu aufbauten.
Diesmal ging es über vier Runden; hier in Kurzform:
- Die Republik hatte gelernt, dass man Berlin verteidigen muss.
- Mit dem Spruch "die Gefahr kommt von rechts" nutzte man die Gelegenheit der KPD stets eins auf den Deckel zu geben und die Regierung reduzierte die KPD-Straßenkämpfer regelmäßig bzw. versuchte dieser die USPD abspenstig zu machen (beides führt dazu, dass der Betroffene Karten für Debatten aufwenden muss). Dennoch waren zwei Räterepubliken kaum zu verhindern.
- Die DNVP unterstützte freundlicherweise die Regierung und machte der KPD in München das Leben schwer. Zwischenzeitlich waren zwei Regime auf dem Brett: München und Rostock.
- Der Regierung, die dauernd durch SPD und Zentrum gebildet wurde, gelang es aber die Räterepubliken und die Regime wirksam einzudämmen, stets auf Kosten guter Ereignisse oder v.a. im Falle der SPD auf Sitze im Parlament. So war die Fraktion der SPD im Parlament auf vier Sitze (!) zusammengeschmolzen und auch die Vertretungen in den Städten waren dünn gesäht. Das Zentrum konnte sich stark etablieren und stellte in Runde 4 auch den Kanzler. Gut voran kamen die Regierungsparteien auch mit der Außenpolitik und konnten dennoch die negativen Auswirkungen gut balancieren.
Wir einigten uns auf ein Rundenende nach Runde 4, da es schon fast Mitternacht war und einige ja noch einen einstündigen Heimweg antreten mussten. Nur ein bisschen Gamey versuchten Zentrum und SPD noch schnell zwei Verträge zu verhandeln, was der SPD noch einmal einen guten Schub gab. Das Spiel endete mit einem Punktsieg für die SPD 41 (gute Regierungsarbeit zahlt sich halt aus ; 5 Punkte habe ich (SPD) allerdings der NSDAP zu verdanken - aber das ist wie Cum ex: daran kann ich mich schon gar nicht mehr erinnern), gefolgt vom Zentrum 34, dann DNVP 28 und KPD 20.
Mein Fazit ist sehr positiv, aber sicher nicht unumstritten und ich habe total Lust auf mehr.
+ tolles Material - man hat schon fast das Gefühl, dass das ein HABA-Spiel für Große ist.
+ tolles Setting: die Karten sind gut durchdacht, sie machen die Entscheidungen schwer und fügen sich wunderbar in das historische Thema ein - man bekommt Lust, die Ereignisse und Themen noch einmal nachzulesen. Ich mag auch die Gefahr, dass das Spiel schnell vorbei sein kann - und auch, dass es hier eine gewisse Ohnmacht gibt, dass man eben nicht wirksam dagegen ankommt. Es passt eben auch gut in die heutige Zeit.
+/- Würfel. Sicherlich ist es ein gutes Glückselement, was die Unberechenbarkeit von Entscheidungen widerspiegelt, aber manchmal fragt man sich, ob man da nicht einen anderen Mechanismus hätte finden können. Ich bin da gespalten. Irgendwie ist es auch verbindend und aufregend, wenn sich vier Köpfe über den Würfelteller beugen und das Ergebnis bejubeln oder die Erfindung des Würfels verteufeln.
+ Asynchronität: ein echter Mehrwert! Jede Fraktion spielt sich etwas anders und dennoch muss man genau wissen, was der andere kann oder nicht kann. Und die Regierung hat zudem noch zwei extra Fähigkeiten, die auch gut eingesetzt werden wollen. Mit wechselnden Bündnissen auf ([sehr] kurze) Zeit muss man natürlich umgehen können.
- Keine Chance mit weniger als 4 Personen zu spielen.
+ Trashtalk-Fähigkeit: maximal Punktzahl. "Wäre es nicht klüger, wenn Du statt x y machen würdest?!?!" (mit dem unausgesprochenen Nachsatz: "...weil es mir besser in den Kram passen würde!") oder "Immer warten wir auf das Zentrum!" oder als SPD "Ich habe alle Gegner im Blick!" (und hält sich dabei die Hand vor das rechte Auge - da saß die DNVP...), auf historischer Ebene, dummes Zeug reden - großartiger Spaß!
+ Wenig Downtime (außer das Zentrum braucht wieder so lange oder die SPD versucht diese eine tolle Karte in das Spiel zu bringen)
Ich würde es jederzeit wieder spielen. Es ist schon nicht so einfach, alles im Blick zu behalten. Man hat schon immer etwas das Gefühl, jetzt doch nicht den perfekten Zug zu machen, obwohl man den so gut geplant hat. Als Zentrum oder SPD muss man das Spiel über 6 Runden bekommen, dabei ist es schon so, dass man einen Ertrinkenden in ein brennendes Ruderboot zu ziehen versucht. KPD und DNVP müssen konsequent an ihrem Ziel arbeiten, Regierungsarbeit kann dabei nur ein kurzer Ruhepol sein.
Es kam die Kritik auf, dass die Aktionen nicht ausreichen, um das Ziel (z.B. Sudden Death) wirksam zu erreichen. Dem kann ich mich nicht anschließen. Aus eigener Erfahrung als SPD/Regierungspartei kann ich zumindest berichten, dass ein Gegenputsch auch eine 4er Operationskarte bedingt, die man eben auch nicht so einfach auf der Hand hat. Vorher muss man ja auch noch Einheiten in die jeweilige Stadt mobilisieren... ...ich finde, dass die Aktionen der einzelnen Fraktionen/Regierung schlüssig ineinandergreifen.
Mit welchem Spiel ist es vergleichbar? Keine Ahnung, vielleicht eine Kombination eines COIN mit Twilight Struggle? Oder Elisabeth I. mit Churchill?
Ich hoffe, die hier mitlesenden MItspieler finden jetzt nicht so viele Darstellungsfehler - oder sie mögen sie mir verzeihen.