Ich persönlich fand Eternals wider Erwarten richtig gut.
Ich verstehe, dass man den Film nicht mögen kann, da es de facto definitiv Dinge zu kritisieren gibt. Angefangen von der durchschnittlichen Musik, über die ausufernde Lauflänge, zu der bereits von Graboid angesprochenen zahmen Regie, bis hin zu den teils arg verwaschenen CGI-Kampfszenen (Angelina Jolies akrobatische Sprünge gehen nicht mal mehr für einen erfahrenen Stuntman als menschenmöglich durch und Schweben/Fliegen haben wir auch schon weit organischer gesehen). Alles nachvollziehbar. Aber so krass schlecht, wie er international gehated wird, ist er meines Erachtens nach definitiv nicht. Aber lasst uns von vorne beginnen.
Die Trailer waren allesamt grausam und haben keine Lust auf den Film gemacht, so viel steht mal fest. Zu wenige Actionszenen und die, die zu gezeigt wurden, sahen uninteressant, uninspiriert und/oder schlecht animiert aus. Die Witze waren entweder forciert oder mäßig lustig, der Cast abgesehen von den zwei Diven und ein paar GoT-Gesichtern mittelprächtig at best. Kaum richtige Zugpferde drin. Die Charaktere waren mir ebenfalls nicht bekannt. Eternals? Nie gehört. Und dabei bin ich mit Marvelcomics rund um die X-Men & Co aufgewachsen. Demnach war der Streifen für mich persönlich schon "destined to fail". Er konnte mich nur unterwältigen und enttäuschen. Hat er verrückterweise aber nicht. Denn im Gegenteil: er hat mir sogar sehr, sehr gut gefallen. Und das trotz all der obigen Schwächen und obwohl er kein recht hatte, derart gut zu sein. Doch was gefällt mir denn so sehr daran, dass ich eine derart hohe Wertung für einen random Marvelfilm vergebe?
Erst einmal mag ich den Scope des Films. Die Probleme der letzten 25~ Avengersfilme erscheinen plötzlich unwichtig bis nichtig, da wir hier nicht auf Planetenebene, und auch nicht auf Galaxienebene, sondern auf Universenebene operieren. Die Celestials werden als die Schöpfer und "Erhalter" der verschiedenen Galaxien eingeführt und wirken übermächtig. Wie man sich Götter vorstellen würde, wahrscheinlich. Und die Eternals als Weltraumpolizei muss diese Galaxien vor den bösen Aliens, den Deviants beschützen. Doch sind die Deviants gar so böse? Womit wir bei Punkt Zwei wären: der Philosophie.
Eternals schneidet so viele tolle metaphysische Probleme und Diskurse an, dass es eine wahre Wonne ist. Ist ein potentieller Schöpfer immer gerecht? Ist eine Gattung zu verachten, nur weil sie Arterhaltung betreibt? Wie weit sollte blinder Gehorsam gehen? Sind Menschen schützenswert, oder sollte man sie ihrem Schicksal überlassen? Wenn man Kriege verhindern könnte, sollte man es tun? Wie wichtig ist Familie und Freundschaft? Was fängt man mit einem Leben an, wenn man weiß, dass man eigentlich unsterblich ist? Was sind dann die eigenen Ziele, Wünsche und Sehnsüchte? Ich fand diese zahlreichen Gedankenexperimente im Film unendlich spannend und habe mich in den Dialogen darüber geradezu verloren. Auch nach Ende des Kinobesuchs habe ich noch sehr lange darüber nachgedacht und an den Folgetagen jetzt mit verschiedensten Menschen darüber gesprochen. Sie lassen mich einfach nicht los und deswegen bin ich Chloé Zhao einfach nur unendlich dankbar, dass sie hier im Film so viele tolle Ideen eingebaut hat.
Auch opulente Schauplätze bekommt man um die Ohren gepfeffert, dass es eine wahre Wonne ist. Indien, Südamerika und das alte Babylon wechseln sich mit Wüsten, Meer, Wald und einer Eislandschaft ab. Für Vielfalt ist definitiv gesorgt und wenn es langweilig wird, geht es mal in eine Stadt oder in ein Raumschiff. Klar ist hiervon viel animiert, aber dafür sind diese Setpieces wenigstens gut gemacht und sehen nicht so künstlich aus wie einige der Fights.
Apropos Fights. Für mich hatte der Film genau die richtige Anzahl an Kämpfen. Weit, weit weniger, als in einem "normalen" MCU-Film, aber noch genug, um einen immer wieder bei der Stange zu halten und über die lange Zeitspanne des Kinobesuchs hinweg nicht die Aufmerksamkeit zu verlieren oder gar in Langeweile abzudriften. Immer, wenn man auch nur ansatzweise dachte: "ah, jetzt könnte schon mal wieder eine Actionszene kommen" kam auch genau wieder eine. Das war für mich absolut optimal. Dem geneigten MCU-Dauerfanboy könnte es aber ein bisschen zu wenig Rumms sein. Ich meine zum Beispiel, mich erinnern zu können, dass Jeremy Jahns vor anderthalb Wochen in seiner Videorezension gesagt hätte, die Kämpfe wären zu wenig gewesen und nur der Endkampf hätte sich rewarding angefühlt (oder so in der Art). Das empfand ich persönlich nicht so. Ich kam auch davor schon auf meine Kosten. Jeder einzelne Protagonist hatte genug denkwürdige Szenen, um sich anständig profilieren zu können.
Und wo wir schon bei den Charakteren sind. Führe mal zehn neue Charaktere in 2.5 Stunden ein, die kein Mensch kennt. Zhao ist das meiner Meinung nach wirklich sehr gut gelungen und ich ziehe meinen Hut vor der Tatsache, dass ich mich jetzt, Tage nach dem Film, noch an alle Namen und viele Charakterzüge erinnern kann. Vor allem auch die Opfer, die von den meisten dieser Helden gen Ende hin gebracht werden, sind von dramatischer Tragweite kaum zu überbieten.
Auch, dass man den Mut bewiesen hat ***SPOILER*** hier mehrere Hauptcharaktere komplett sterben zu lassen, finde ich absolut bemerkenswert. In wie gesagt rund 25 Avengersfilmen ist vielleicht maximal Quicksilver und Iron Man gestorben, und Steve Rogers ist als Captain America in Rente gegangen. Plus Quicksilver kam dann sogar in anderer Form in WandaVision wieder, was man in einer potentiellen zweiten Staffel auch noch ausbauen könnte und das Alter Ego wieder verändern könnte als comedic reveal. Egal. Was ich damit sagen will, ist: die Stakes waren hier bei Eternals höher. Man hat emotional mehr connected. Keiner war dem Tod gefeit. Sowas mag ich und gab es ja ironischerweise jüngst schon sehr prominent in Game of Thrones, wovon sich ja einige Schauspieler hier wiederfinden.
Leute, die sich an der Tatsache stören, dass hier eine gehörlose Superheldin mitspielt, kann ich überdies auch ganz und gar nicht verstehen. Ich bin selbst nicht der größte Freund von andauernder, übertriebener Political Correctness und wenn man mir im Voraus gesagt hätte, dass hier ein Hauptcharakter dabei ist, der den ganzen Film über nur mit Zeichensprache spricht, hätte ich wahrscheinlich abgewunken und wäre nicht reingegangen. Das hätte echt gut sein können. Aber ich wusste es nicht und habe mich einfach auf den Film eingelassen und wisst ihr was? Es hat mir nicht geschadet, es hat mir nicht sauer aufgestoßen, und es war auch nicht "on the nose". Es hat sich alles organisch angefühlt und selbst der Kuss zwischen zwei homosexuellen People of Colour hat mich absolut NULL gestört oder auch nur eine Sekunde aus der Immersion gerissen. Nada. Das war super geschrieben und hat stets Sinn gemacht. Im Gegenteil: ich fand Brian Tyree Henry und Lauren Redloff sogar mit am besten vom ganzen Cast. Die Art und Weise wie beide geschauspielert haben hat mich komplett abgeholt, verzaubert und war sehr überzeugend. At least in my eyes. Das kann man anders sehen, aber so ist nunmal meine persönliche Sichtweise.
Auch Kumail Nanjiani und seinen non-Superhelden Sidekick Harish Patel fanden viele nervig und unnötig - ich persönlich aber gar nicht. Ich fand beide erstaunlich witzig und bei ihren Szenen habe ich am meisten gelacht im Film.
Meine mehr oder weniger heimlichen Stars des Streifens sind jedoch eindeutig Gemma Chan und vor allem Barry Keoghan. Chan wird ja überall gehyped, gelobt und gilt als einer der wenigen, international anerkannten Positivpunkte von Eternals. Daher geschenkt. Keoghan liefert hier aber eine Performance ab, die ich definitiv als denkwürdig einstufen würde. Er stiehlt einfach in jeder Szene jedem Hauptcharakter die Show und spielt Hayek, Jolie, Harington & Co locker an die Wand. Teilweise wirken seine Zeilen wie aus einem Theaterstück vorgetragen. So langsam, so bedacht, so kraftvoll. I fucking love it. Ganz großes Kino, was er hier zeigt.
Daher kann ich mich alles in allem nur für die ganze Negativpublicity Stellvertreter-entschuldigen: die Kritiker wissen es anscheinend nicht besser und wollen jetzt nach den kollektiven Highlights Dune und Bond mal wieder gemeinschaftlich auf etwas eintreten, sich ein einfaches Opfer suchen. Da kommt eine Indieregisseurin mit einem politsch korrekten Megablockbuster epischer Lauflänge von Marvel mit zehn noname-Rollen natürlich sehr gelegen. Das Ding konnte wohl nur floppen, was sehr traurig ist.
Für mich ist es ein verkannter Rohdiamant, der sich hoffentlich über Blu-Ray Verkäufe und Streamingzahlen auf Disney+ noch aus dem komplett roten Bereich rausretten kann und möglicherweise ein "Late Bloomer" wird. Viele heutige Klassiker wurden ursprünglich von Kritikern zerrissen oder sind an den Kinokassen gefloppt, wie zum Beispiel seinerzeit Citizen Kane, Tron, Blade Runner, The Big Lebowski, Fight Club, Donnie Darko, Children of Men, oder oder oder...klar ist er definitiv nicht so stark wie diese Meisterwerke bzw. Kultfilme, aber besser als sein aktueller Ruf ist er allemal. Und meines Erachtens nach sogar eine Zweitsichtung wert. Allein schon wegen der ganzen philosophischen Denkanstöße.
Gebt euch demnach bitte einen Ruck und löst eine Kinokarte. Schlimmer als Black Widow kann es selbst bei Nichtgefallen wohl kaum werden.
8.5 von mir.
Lg