Für eine Doktorarbeit ist der Titel zwar immer noch nicht fancy genug, aber für einen unknows-Thread reicht es sicher. Ich habe gestern einen interessanten psychologischen Effekt einer spielmechanischen Entscheidung bei kooperativen Spielen kennengelernt, über den ich gerne sprechen würde.
In vielen (den meisten?) kooperativen Spielen ist der Rundenablauf so, dass erst eine Spielerin am Zug ist und danach zufällige Ereignisse des Spiels passieren, die meist irgendetwas schlimmes passieren lassen. In #FlashPointFireRescue breitet sich nach meinem Zug das Feuer durch einen Würfelwurf im Haus aus. In #Pandemie ziehe ich Karten, in welchen Städten neue Viren auftreten. Diese Ereignisse können auch dafür sorgen, dass das Spiel verloren geht. In Pandemie kann ein Mensch sterben, eine Explosion geschehen oder das Haus aufgrund dessen zusammenbrechen. In Pandemie kann es zu einem Ausbruch oder gleich einer Kaskade kommen.
In dem Spiel #TheSpill (https://boardgamegeek.com/boardgame/338479/spill) haben sich die Designer anders entschieden. Hier passiert das Zufallsereignis zu Beginn eines Zuges. Ich sehe dann, wo wir überall das Spiel verlieren könnten (zu viele Tiere krank oder zu viele Spillouts) und kann entsprechend handeln – oder auch nicht. Spieltechnisch hat diese Designentscheidung wenig Auswirkungen. Ob ich am Ende der Runde die Würfel werfe und der nächsten Spieler mit der nahenden Katastrophe konfrontiert wird oder die Person es selbst zu Beginn ihres Zuges, macht wenig aus. Einzig in der letzten Runde (nach potentiellem Gewinn) werden einmal mehr Würfel geworfen.
Das Ereignis aber am Zugbeginn abhandeln zu lassen, hat bei mir folgende, psychologische Effekte ausgelöst:
1. Entscheidungen sind rein faktenbasiert. In #FlashPoint oder #Pandemie treffe ich risikobasierte Entscheidungen. Wenn es an drei Stellen brenzlig wird, ich mich aber nur um eine kümmern kann, muss ich abwägen, welche Stelle ich nehme und welche halt nicht. Ich wäge dabei auch ab, wie wahrscheinlich es ist, dass dort etwas passiert und hoffe natürlich auch auf mein Glück. In #TheSpill dagegen sehe ich die Niederlage als Fakt vor Augen. Ich muss etwas dagegen tun (Öl entfernen oder Tiere retten), damit am Ende meines Zuges nicht Schluss ist. Und ich kann ausrechnen, ob es sich lohnt meinen Zug überhaupt noch zu beginnen. Wenn ich nicht mindestens X Spillouts entfernen kann oder ein bestimmtes Tier nicht erreichbar zum Retten ist, ist das Spiel vorbei. Ich muss es dann aber auch erst gar nicht versuchen. Das wirkt sich auf mich schon fast deprimierend aus, weil ich nichts mehr tun kann, um das Schlimmste (die Niederlage) zu verhindern
2. Es gibt weniger Emotionen. Fast jeder kennt das Gefühl der Erleichterung in #Pandemie, falls von sechs Karten drei nicht gezogen werden dürfen und tatsächlich diese drei auch nicht kommen. Oder wenn ich mich eben um eine von drei Städten kümmere und dann tatsächlich diese Stadt gezogen wird und nicht die andere. Ich kann dann stolz behaupten, welche Weitsicht ich hatte. Es fühlt sich belohnend und gut an. Und umgekehrt ist da Aufschrei am gesamten Tisch groß, wenn dann doch die andere Stadt gezogen wird und wir verlieren. Natürlich wird die Schuld (spaßeshalber) auf mich geschoben. Aber das erzeugt Emotion und Spannung am Spieltisch. Bei #TheSpill war es immer so, dass die Würfel zu Zugebeginn geworfen wurden und dann war das Spiel halt aus, weil ich nichts dagegen machen konnte. Selbst ein Gewinn kam uns nicht zufriedenstellend vor. Wir hatten halt sehr antiklimatisch irgendwann gewonnen.
3. Der Spieldruck ist geringer. Wenn wir nach meinem Zug aufgrund eines Zufalls verlieren, kann ich es immer auf den Zufall schieben. Natürlich haben wir in Summe falsch agiert, dass es soweit gekommen ist. Aber am Ende war doch ein gewisser Zufall im Spiel. Bei #TheSpill empfand ich den Druck als größer, dass ich mich zwingend um potentielle Niederlagen kümmern muss. Ich kann nicht einfach sagen, dass ich etwas anderes mache, weil ich das für sinnvoller halte und auf mein Glück am Zugende hoffen. Entweder ich kümmere mich jetzt darum oder das Spiel ist aus.
4. Es gibt manchmal keine Entscheidungen. Daraus resultierend ist der Zug, wenn wir einer Niederlage bevorstehen, vorgegeben. Ich muss mich zwingend um X und Y kümmern, damit das Spiel weitergeht. Manchmal habe ich noch die Wahl des Ortes, wo ich agiere. Aber ich kann ansonsten nicht frei entscheiden, wie ich meinen Zug gestalte. Das fühlt sich einengend an.
Meine Fragen an Euch: Kennt Ihr andere kooperative Spiele, bei denen zuerst der Zufall wirkt und man danach am Zug ist und muss etwas Anstehendes verhindern? Wie fühlt sich das bei Euch an gegenüber einer Zufallskomponente am Spielende? Ist Euch der Effekt überhaupt schon einmal aufgefallen? (Ich spiele jetzt seit ca. 20 Jahren und es war mir neu.)
Gruß Dee