Beiträge von MetalPirate im Thema „Lieber viele oder wenige Züge in einem Eurogame? (Nein, das ist kein 18xx-Thema!)“

    @ylathor : Das Musterbeispiel für lange Züge mit vielen einzelnen Schritten sind für mich die Lacerdas. Die finde ich längst nicht alle toll (auch weil es ein schmaler Grat ist zur Verkomplizierung als Selbstzweck), aber #Vinhos und insbesondere #Lisboa halte ich für gelungene Beispiele für Spiele mit eher wenigen und eher langen Züge. Da ist jedes Detail wichtig und spannend, aber gleichzeitig ist auch das Thema stark genug, um die gewaltige Regelmenge erträglich zu machen.

    Auch manche der "T-Spiele" von Board & Dice (#Tiletum, #Tabannusi) haben eher wenige, aber dafür umfangreichere Aktionen, aus denen man viel herausholen muss. Auch beide sehr gelungen. (Für das bekannteste und IMHO auch beste T-Spiel, nämlich #Teotihuacan, gilt das dagegen weniger. Da hat man eher mehr, eher kürzere Aktionen.)

    Alle genannten Spiele (Lisboa, Vinhos, Tiletum, Tabannusi) haben definitiv keinen Mangel an (überwiegend indirekter) Spieler-Interaktion. Deren Spieltiefe entsteht nicht durch sinnlose Verkomplizierungen.

    Was ist denn überhaupt der Mehrwert eines extrem komplexen, langen Zuges?

    Ganz einfach: Es ist schwieriger, das gut hinzukriegen, weil es weniger Fehler verzeiht. Damit dann auch in gewisser Weise belohnender, wenn das gut geschafft hat. Und genau deshalb findet man sowas dann auch eher im Heavy Euro Bereich als bei den Familienspielen.


    Wenn jeder Zug ewig geht, weil so viele Schritte/Aktionen gemacht werden, ohne das andere etwas machen können, ist das nicht einfach ein schlechtes Design?

    Das kann schlechtes Design sein, muss es aber nicht zwingend, wenn nämlich die Mitspieler einen guten Grund haben, den überlangen Zug aufmerksam zu verfolgen. Also im Normalfall weil es sie selbst irgendwie betrifft, was der andere macht.


    Vielleicht habe ich dann ein komplexes Spiel, aber mir ist es lieber die Spieltiefe kommt durch die Mitspieler und nicht durch komplexe, lange Züge.

    Ich weiß nicht, ob ich dem zustimmen würde. In der Zielrichtung schon, aber bei den wirklich guten Spielen mit komplexen, langen Zügen ist die Komplexität des Zuges eben nicht nur Selbstzweck, sondern eine schwierige Optimierübung, die sehr wohl auch Mitspieler-Interaktion enthält, u.a. aus dem oben beschriebenen Grunde, dass niemand gerne 15 Minuten nur Däumchen drehen will, bis er wieder dran ist.

    das eigentliche „Problem“ [liegt] bei uns Spielern. Erst über seine Möglichkeiten nachzudenken wenn man dran ist - einfach nervig.

    Richtig. Aber unterschiedliche Spiele schaffen es unterschiedlich gut, das Vorhalten eines "Plan B" zu erlauben, und dann ist's auch wieder ein Problem des Spiels und nicht nur der Spieler.

    Es macht schon einen Unterschied, ob mich die Mitspieler-Interaktion zwingt, die Reihenfolge von drei ohnehin für die nähere Zukunft geplanten Aktionen umzustellen ("okay, dann mache ich jetzt erstmal Y statt X" - z.B. in Terraforming Mars) oder ob die Mitspieler-Interaktion direkt vor meinem Zug potenziell den gesamten Zustand des Spielfeldes einmal komplett umschmeißt ("okaaaay, dann lass mich mal überlegen, was jetzt noch geht..."). Das von Wuschel genannte Five Tribes (-> 2D-Mancala) ist ein wunderbares Beispiel für letzteres. Da hat ein Mitspielerzug das Potenzial, nicht nur meinen Plan A zu killen, sondern auch noch die Pläne B, C und D gleich mit dazu, während parallel diverse neue Optionen auftauchen, die neu bedacht werden wollen. Five Tribes ist super -- nur halt nicht mit Grüblern, die verträgt's überhaupt nicht.

    Ja, letzten Endes liegt das Problem immer bei uns Spielern. Aber während die einen Spiele diese möglichen Probleme kaschieren helfen, lassen sie andere Spiele direkt sichtbar werden.

    Wir sollten jedoch etwas aufpassen, dass uns die Diskussion von Zugalternativen nicht zu weit von Dee s eigentlichem Threadthema wegbringt. Das ist eine eigene Sache, die mit Anzahl/Länge der Züge erstmal nicht so viel zu tun hat, auch wenn Spiele mit eher vielen Zügen davon stärker betroffen sein können, weil man dann natürlich ein paar mal öfter mit dem Komplett-neu-überlegen-müssen konfrontiert sein kann.

    In den letzten Jahren ist mir bei den großen Eurogames aufgefallen, dass diese sehr oft mit wenig Zügen pro Spieler auskommen. Meist sind es nur 10 bis 15 pro Spieler.

    Yep. Das habe ich auch beobachtet. Wenige, aber dafür sehr ausufernde Züge. Sei es weil sie extrem kleinteilig aus vielen Einzelschritten bestehen (Typ: Lacerda) oder weil viele andere Sachen mit getriggert werden können (die beliebten Kettenzüge in vielen moderneren Designs). So ein bisschen dazwischen liegen die Jederzeit-Aktionen, die man nach Lust und Laune eben jederzeit noch zusätzlich durchführen kann. Im größeren Stile eingeführt von Herrn Rosenberg. Da sind wir mittlerweile auch da angekommen, dass Jederzeit-Aktionen einen nennenswerten Anteil an der Gesamtspielzeit eines Spiels einnehmen können, z.B. bei Tiletum: das gesamte (!) Ressourcen-Verbraten erfolgt dort über Jederzeit-Aktionen.

    Witzigerweise war vor 10-15 Jahren das genaue Gegenteil modern, also kurze Züge: mach irgendwas Kleines (Karte spielen / Figur setzen), bekomme irgendwas, zack, nächster Spieler. Kurze Downtime. Musterbeispiel sind für mich viele Designs von Mac Gerdts, z.B. Navegador oder Concordia.

    Irgendwann wird sich die Mode auch wieder in diese Richtung drehen, wenn die Spieler das Warten auf ihren nächsten Züg überdrüssig sind.


    Wie ich an diversen anderen Stellen bereits geschrieben habe, muss ein "gutes" Spiel mir mindestens 20-30 Züge bieten, um die Wartezeiten gering zu halten.

    Tendenziell bin ich da ganz bei dir. Auch bei dem Reiz, der sich durch einen Mix von kurzen und langen Zügen ergibt.

    Ich würde es aber nicht ganz so absolut sehen wollen. Auch ein Lacerda mit 12-15 ausufernden Zügen kann Spaß machen. Solche Züge müssen dann aber auf eine andere Art beim Design durchgeplant sein. Da ist dann jedes Gramm Fett zu viel. Ich bin nicht der allergrößte Lacerda-Fan, aber genau das kriegt er IMHO vielfach besser hin als andere Autoren mit wenigen überlangen Zügen in ihren Spielen.