Spoilerfreier Ersteindruck:
In entspannter Zweierrunde heute die ersten drei Kapitel gespielt und gewonnen, wobei es im dritten Kapitel echt knapp war. Auch weil wir bis zum Ende nicht wussten, ob und was eventuell noch alles von uns verlangt wird. Eine böse Aktionsscheibe zu frühzeitig gezogen und das Abenteuer wäre verloren. Das wäre aber unsere eigene Schuld gewesen, weil inzwischen wissen wir, wie man "diverse" Situationen abwenden kann. Und genau da punkten für mich "Die Abenteuer des Robin Hood".
Es wird von Kapitel zu Kapitel nicht nur spielerisch anspruchsvoller, weil nach und nach neue Spielmechanismen eingeführt und erklärt werden. Zusätzlich lernt man in den Rollen von Robin Hood & Co die Gegend kennen und kann diese Erfahrung eventuell für weitere Kapitel nutzen, sofern sich die Umstände nicht zu sehr geändert haben. Allerdings haben wir selbst nach drei Kapiteln längst noch nicht alles gesehen und entdeckt, auch weil sich der Spielplan im Laufe der Zeit teils dauerhaft, teils temporär, teils auf das aktuelle Abenteuer bezogen ändert.
Die Grundidee einen grafisch schönen Spielplan zu haben, auf dem wirklich alles passiert und dieses Alles auch grafisch dargestellt wird, ist erfrischend neu und in der Umsetzung wirklich gelungen. In der Theorie können durch die aufklappbaren Plättchen drei Status dargestellt werden, in der Spielpraxis ergeben sich daraus aber weitaus mehr und auch überraschende Möglichkeiten, die ich so und besonders mit so wenig Verwaltungsaufwand in noch keinem storygetriebenen Abenteuer-Erlebnisspiel gesehen habe. Erinnerte mich mit der Visualisierung von zeitlichen Abläufen ein wenig an Micro Macro Crime City, nur eben ohne Morde und eben Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft nicht gleichzeitig im Blick.
Die Spieleschachtel nennt zwar rund 60 Minuten pro Abenteuer, aber wir haben uns weitaus mehr Zeit gelassen. Einen ganzen Sonntagnachmittag bis Abend inklusive Essenspause. Warum auch nicht, hat uns ja keiner gehetzt, auch wenn das Spiel durch einen eingebauten Timermechanismus einen daran hindert, sich alles anzuschauen, nur weil es am Wegesrand oder hinter der nächsten Lichtung auf Entdeckung wartet. So mussten wir uns schon entscheiden, was wir machen wollten und was eben nicht. Alles einfach wild drauflos entdecken, das wird kaum möglich sein und somit bleiben ausreichend viele Handlungsoptionen liegen, selbst wenn man in einem zweiten Anlauf nichts verändern würde. Was das Spiel im Falle eines Scheiterns aber macht - erlebt haben wir das allerdings noch nicht, weil alle drei Kapitel gewonnen, wenn auch knapp und dadurch spannend bis zum Schluss.
Zudem merke ich bei Robin Hood, dass sich da jemand in Person des Autors und Grafikers enorm viel zur Benutzerfreundlichkeit seines Spiels überlegt hat. So sind auf der Rückseite des Hardcover-Buches nur bestimmte Plättchen gelistet. Aber nur genau die wird man mehrfach finden müssen und die Abbildung hilft enorm dabei, die so schnell aufzufinden, dass dadurch keine Stockung im Spielablauf entsteht. Wer das Buch hat, hält es hoch und die Mitspieler auf der anderen Tischseite sehen genau, wo diese gelistetn Plättchen zu finden sind. Einfach und praktisch. Wer da nach einer Übersicht aller Plättchen ruft, hat den eigentlichen Sinn dieser Abbildung an genau dieser Stelle im Buch (noch) nicht verstanden. Im Spielverlauf wird so etwas aber klar.
Da viel und wirklich viel im Buch geblättert und vorgelesen wird, macht sich der Hardcover-Einband durch die gegebene Stabilität gut bezahlt. Einzig die Schnittkanten der Seiten hätte ich mir sauberer gewünscht, weil die wirken in meinem Exemplar wie mit einem zu stumpfen Messer abgeschnitten und sind entsprechend rauh. Kenne ich so von anderen Büchern nicht und wirkt ein wenig wie ein Mängelexemplar oder zweite Wahl. Hier sehe ich Verbesserungspotential, besonders wenn ich da an meine alten D&D 2.0 und 3.0 Playerbooks zurückdenke, die selbst nach Jahren des ewigen Blätterns noch perfekt aussahen. So macht man es richtig Kosmos.
Tja und die Papp-Plättchen nutzen sich ab an den Griffrändern. Da lässt sich nichts beschönigen. Dazu sitzen die anfangs, durch kleine Verbindungspunkte in der oberen Schicht des Spielplan gehalten, zu fest in diesem drin. Es braucht eine gewisse Kraft im Zeigerfinger, um die Plättchen dort erstmalig herauszubrechen und herauszuhebeln, auch weil die fernab der Verbindungspunkte arg stramm in ihrem Spielplan-Stanzrahmen sitzen. Mit Saugnäpfen kommt man da nicht weit. Da man zudem den richtigen Hebelwinkel erwischen muss und die Ausbrechrichtung mal nach links, mal nach rechts, mal zu einem und mal von einem weg zeigt und einige Plättchen echt widerspenstig sind, bleiben Abnutzungsspuren an den Pappschichten nicht aus - nach einem Kapitel und nach unseren drei gespielten Kapiteln umso mehr. So mit meinem Exemplar erlebt.
Bespielbar ist mein Exemplar weiterhin, aber als "neuwertig" könnte ich das nach einem ausgedehnten Spiele-Sonntag nicht mehr bezeichnen. Da kann man noch so achtsam und vorsichtig sein. Es ist sichtbar bespielt und das wird auch weiter zunehmen. Jemanden das Spiel ausleihen und dann keine weiteren Abnutzungspuren erwarten, dass solltet Ihr weder Euch noch dem Leiher antun, denn das wird nicht gut enden.
Wer Neuzustand-Sammler ist, dem wird hier entweder dauerhaft das Spielerherz bluten oder er wird zu dem Punkt kommen müssen, wo es egal ist, weil das Spielerlebnis trotz aller Material-Abnutzung eindeutig im Vordergrund steht. Und ob die Plättchen nun teilweise mehr oder noch mehr vermackt sind, ist für das reine Spiel völlig egal. Trotzdem wäre es gut, wenn Kosmos hier nachbessern könnte. Auch weil einige Spielrunden wohl weniger Probleme mit zu fest sitzenden Plättchen haben als andere. Fertigungstoleranzen oder Schwankungen in der Stanzqualität oder nur unterschiedlicher Gebrauch?
So bleibt für mich im Fazit ein wirklich spielenswertes Spielerlebnis mit der für mich richtigen Portion Glück und dem ausreichenden Anteil an Taktik und Planung, damit das Spielgeschehen nicht beliebig wirkt und wird. Meine absolute Empfehlung, sofern man mit vermackten Papp-Plättchen leben kann und eventuell nach einem Spieltag die ärgsten angestossenen und aufgeribbelten Kanten per Prittstift flicken mag, um die Gebrauchsspuren ein wenig zu kaschieren. Neuwertig wird so ein Spiel nach dem ersten Gebrauch aber nie wieder aussehen. Das muss klar sein - ansonsten Finger weg. Fernab der Materialherausforderungen deshalb eine 9 von 10 im BGG-Maßstab für mich. Wenn einem perfektes Material auch nach x Partien wirklich wichtig ist (wobei x durchaus 1 sein kann), wird daraus allerdings leider eine deutliche Kaufwarnung, sich vorab mehrfach bespielte Exemplare mal anzuschauen und dann selbst zu entscheiden.
Ein "Spiel des Jahres"-Kandidat? Ja, aber mit Fragezeichen. Eben weil ich noch nicht einschätzen kann, wie einzelne Exemplare nach einem kompletten Durchgang aller Kapitel aussehen werden. Darf ein Spiel, das eine Auszeichnung anstrebt, ein Gebrauchsgegenstand und damit auch von unwiderruflicher Abnutzung betroffen sein? Oder würde damit ein falsches Zeichen gesetzt, dass Spiele nur eine begrenzte Anzahl von Partien halten brauchen? Die Langzeiterfahrungen werden es zeigen und auch, wie Kosmos auf die kommenden unterschiedlichsten Rückmeldungen in Sachen Materialabnutzung reagiert und handelt.
Vor der Erstpartie empfehle ich zudem, die Spielbretter mal eine Nacht unter einer Plexiglas-Platte aufzubauen und mit Gewichten beschwert, ein wenig platt zu drücken während des Austrocknen des Materials im heimischen Klima. Dann verziehen sich die Spielplanteile weniger stark. Zumindest sehen die jetzt auch nach einem Spieltag immer noch wesentlich flacher ausliegend aus, als frisch aus der Spieleschachtel gezogen. Ein typisches Problem von doppellagigen Spielbrettern, zu denen es ebenso viele und erprobte Gegenmaßnahmen gibt, das dauerhafte Aufbäumen zu minimieren.
Ein Tipp noch: Wenn Ihr es in Zweierrunde spielt und Ihr eher Vielspieler seid, dann traut Euch, direkt mit zwei Charakteren pro Mitspieler anzutreten. Weil ansonsten verpasst Ihr diverse Storyabschnitte, die speziell nur bei einzelnen der vier Charaktere vorhanden sind. So im ersten Kapitel aufgefallen, weil da ganze Seiten überblättert werden. Zudem lassen sich mit vier Charakteren auf dem Spielbrett die Kapitel wesentlich taktischer spielen, eben weil es mehr Möglichkeiten des Zusammenspiels gibt.