Basierend auf die Frage im Nachbarthread (Suche Wargame als Anfänger) möchte ich ganz kurz von meinem ersten Wargame berichten
Longstreet Attacks: The Second Day at Gettysburg ist ein H&C Spiel im Grand Tactical Bereich. Scale: Regiment / 130 m / 20 min pro Turn. Spiel ist ein 1 mapper, gezeichnet vom kürzlich verstorbenen Rick Barber. Das Spiel reiht sich in die (hauptsächlich) American Civil War Serie "Blind Sword System". Spiel ist von Hermann Luttmann, den manche von Dawn of the Zeds kennen könnten. Spieldauer: 1 Tag bis ein Wochenende. Da wir langsame Spieler sind, könnt ihr das ggf. durch 2 teilen.
Warum habe ich das Spiel gewählt?
Mein eigentlich erstes richtiges Wargame war Sekigahara (wenn man Forbidden Stars und Twilight Imperium 4 nicht dazu zählt). Mich haben die Karten in Sekigahara genervt, weil sie naturtypisch die Strategie einschränken, man taktisch das Beste aus den Karten holen sollte und ich mir mehr Freiheiten gewünscht habe (andere Apsekten haben mir gefallen, weswegen ich es doch gut bewerte). Gesucht habe ich folglich ein H&C Spiel, in das man schnell reinrutschen kann. Longstreet Attacks erschien mir mit einem BGG Gewicht von 3,3 als der passende Kandidat, insbesondere weil das Regelwerk wohl recht kompakt sein soll und die Map mich angezogen hat.
Als Anfänger war ich vom Regelwerk auf den ersten Blick eher schmunzelnd verstört und habe Wochen gebraucht, um mich während Pendlerfahrten da reinzufuchsen. Es ist schon viel trockener als eine "normale" Brettspielanleitung. Vieles hat mich verwirrt, weil Begriffe nicht direkt erklärt wurden und es teils ungenau formuliert wurde. Auch fehlt es an Bebilderungen. Text-Beispiele, welche auf Kampfsituationen mit Hexafeldern referieren, kann man getrost ignorieren. Jetzt als mehrfacher Absolvent von Partien muss ich sagen, dass es doch relativ kompakt ist, verständlich aufgebaut, aber bei normalen Spezialfällen (2+ Einheiten greifen eine andere Einheit an [Nahkampf oder Schussgefecht] und ggf. gibt es mehrere benachbarte feindliche Einheiten) immer wieder ins Regelbuch schauen muss. Generell ist es aber schon anfängerfreundlich, viel mehr würde ich aber einem kompletten Anfänger nicht zutrauen, ohne ein hohes Frustrationspotential zu haben. In der Hinsicht war die Wahl erfolgreich.
Geholfen hat es, das Spiel für mich alleine Probe zu spielen. Da setzen sich die Regeln Stück für Stück zusammen. Das hilft mehr, als das Regelbuch zum dritten Mal durchzulesen. Bei "normalen" Brettspielen ist eine Probepartie nicht notwendig.
Ein weiterer Grund für die Wahl des Spiels war die Map. Mich interessiert die Bewegung von Einheiten und das Suchen von Schutzräumen, Flanken usw. über reichhaltigem Terrain. Das Terrain muss mich immersiv als Handelnder einspeisen, deswegen habe ich mir auch was im Tactical Bereich gesucht, aber auch Abstand zu tristen Maps wie Panzer oder GD 42 gehalten.
Und ich muss sagen, das reichhaltige Terrain von LA ist der Knaller. Es macht wahnsinnig viel Spaß bei der Wahl von Bewegungszügen. Das Gezeichnete von Barber war anfangs umständlich, da manches nicht so klar war, aber nach einiger Zeit verschwand die Unklarheiten und was blieb war die reichhaltigere Immersion im Gegensatz zu Hex-geometrischen Maps a la Drive on Stalingrad, mit denen ich mich motivationstechnisch echt schwertue. In der Hinsicht war das Spiel ein voller Erfolg, an dem sich andere Spiele noch messen müssen.
Thematisch hatte ich keine Vorstellungen, aber wollte etwas, das nicht mit WW II zu tun hat, da es genügend Spiele in diesem Themenbereich gibt, um die ich eh nicht drumherum komme (EotS, EF, ...). Mit ACW konnte ich nicht viel anfangen, aber ich wollte offen sein. Verwunderlich ist mein Interesse für das Thema durch LA gestiegen, was ich nicht gedacht habe, da ich Wargames eigentlich nicht wegen der Geschichtsstudie, sondern des Spiels spielen wollte. Diesbezüglich ist ein Wunsch in mir angewachsen, ein Grand Tactical/Low Operational Wargame zu spielen, das im Südwesten/Rheinland-Pfalz von Deutschland angesiedelt ist. So richtig fündig bin ich noch nicht geworden. Hier auch ein überraschender Erfolg des Spiels.
Zum Spiel selber:
Das Spiel läuft im allgemeinen gut ab. Die CRT und Cohesion Tests fühlen sich systematisch sehr, sehr gut an, sind aber ein Tacken zu wenig tödlich, weswegen das Spiel doch eher Grindy ist. Das Chit Pulling flutscht (zu zweit) richtig gut, auch wenn mich die Events eher stören und unnötig erscheinen, als dass sie das Spiel für mich bereichern, andere werden hier bestimmt eine andere Meinung haben. Die Bewegungen der Frontlinien sind interessant und es passiert einiges in dem Spiel. Der Broken Track dagegen nervt mich, weil ich will, dass wenn eine Einheit endlich "stirbt", die auch tot bleiben soll, sonst fühlen sich meine Errungenschaften nichtig an, insbesondere bei so einem grindy Spiel wie diesem. Die Szenarien sind unterschiedlich und mir gefällt, dass es auch sehr kleine gibt, weil das auch zu spannenden Gefechten führt. Das Spiel ist generell herausfordernd und es gibt immer wieder interessante Entscheidungen zu treffen. Bezüglich der Balance bin ich mir nicht sicher, weil es sich manchmal doch einseitig spielt, aber dafür müsste ich die Szenarien mehrmals spielen, um das für mich zu verifizieren und vom Spieler zu differenzieren. Die Partien laufen doch länger ab, als gedacht, bleibt aber im hohen spielbaren Rahmen.
Was nun?
Aktuell lerne ich die OCS Regeln und möchte Tunisia II für mich erst mal alleine spielen. Ob es so gut für 2 Leute geeignet ist, muss sich noch herausstellen, da wir eh schon so lange brauchen und IGO-UGO die Downtime erhöhen. BCS als zoom-in Variante ist auf dem Weg und Last Hundred Yards ist fürs erste wieder auf den Schrank gewandert, weil ich das doch eher zu zweit spielen möchte und wir aktuell gerne noch mehr Zeit mit LA verbringen möchten. A Distant Plain sollte/wollte mein Partner lernen, weswegen es auch bald zu viert erfolgt. Generell hätte ich nicht gedacht, dass Wargames so viel Spaß machen werden und mir zusammen mit 18xx so sehr den Fokus auf herkömmliche Spiele rauben werden.
Ob ich mir andere Spiele in dem System holen werde ist noch fraglich. Das Terrain von LA finde ich auf den ersten Blick bei weitem am interessantesten und die Events und der Broken Track nerven mich doch eher, aber ansonsten finde ich das System richtig gut und kann es nur weiterempfehlen.