Regeln in Brettspielen haben wesentlichen Einfluss auf das Erlebniss Brettspiel. Sind sie schlecht strukturiert und geschrieben, dann können sie alle Käufer knechten und zum Nachschlagen oder Ausweichen auf unterschiedlichste Brettspielforen zwingen. Mir persönlich macht es Spaß redaktionell gut betreute Regeln zu lesen und ich habe alle meine Spiele durch die Regellektüre gelernt, nicht durch das Schauen von Erklärvideos. Erklärvideos sind aus meiner Sicht ein tolles Zusatzangebot, ersetzen die Regellektüre aber nicht, da in Regelvideos oft nicht alle Eventualitäten abgedeckt werden (können), welche sich aus dem Regelwerk oder sich aus dem Kontext erschließen lassen. Nun muss man sagen, dass der allgemeine Trend - zumindest wenn ich hier oftmals Beiträge lese - klar in Richtung Regelvideo geht. Prinzipiell nicht schlecht, zumal verschiedene Menschen audiovisuell aufnahmefähiger sind, doch entwertet diese Verschiebung die Bedeutung der Brettspielanleitung?
Wenn ich einen Vergleich bemühen wollte, dann würde ich die Brettspielregel mit einem:r Schiedsrichter:in vergleichen. Wieso? Wenn die Leistung gut ist, dann wird das schweigend hingenommen, aber nicht wirklich thematisiert. Gibt es Fehlentscheidungen oder passt einem persönlich etwas nicht (wie beispielsweise Schiedsrichter:in), dann ist der Aufschrei groß.
Brettspielanleitungen sind weit mehr als ein paar Seiten Text mit Bildern, sie sind der Zugang zum Spiel oder sollten dies zumindest sein. Als im Zuge der Ankündigung von Frosted zur Lokalisierung von Imperial Steam die Option einer separat erhältlichen deutschen Regel für Besitzer:innen der englischen Version angekündigt wurde, da war das bekundete Interesse relativ hoch. Als die Regel dann über den Webshop für 13€ zu bestellen war, da war vom ehemaligen Interesse gar nicht mehr so viel vorhanden. 13€ für eine Regel? Da gibt es mittlere Spiele im Adventskalender oder bei anderen Aktionen billiger - mit enthaltener Regel! Nun ist es so, dass die Regel in einer Auflage von 50 Stück gedruckt wurde und dadurch die Kosten logischerweise höher liegen als bei einer normalen Brettspielauflage. Diese Situation zeigt jedoch, dass der in eine Anleitung geflossene Arbeitseinsatz und die Wertvorstellung eben dieser Leistung durch den oder die Käufer:in nicht zusammenpassen.
Voidfall, den letzten großen Kickstarter von Mindclash, habe ich selbst unterstützt und mich für die deutsche Version entschieden. Zum damaligen Zeitpunkt war nicht klar, wer sich für das deutsche Regelwerk verantwortlich zeigt. Mittlerweile ist klar, dass es Geeky Pen ist, eine professionelle Agentur zur Lokalisation von Brettspielen. Auf Boardgamegeek hat eben jene Agentur einen Thread eröffnet, in dem sie Übersetzungsvorschläge für Begriffe des englischen Originals auflisten und um Rückmeldung bitten. Hier lässt sich nun darüber streiten, ob Rückmeldungen eingeholt oder der kreative Schöpfungsprozess ausgelagert wird. Was für mich mal wieder viel erschreckender ist: wenn man sich die Begriffe, die dort als deutsches Equivalent aufgeführt werden, anschaut, dann wirken sie wie 1:1 Übersetzungen ohne jeglichen Bezug zum Spiel. Natürlich sind manche englischen Wortschöpfungen phonetisch ansprechender, aber das ist es nicht was ich meine. Es wirkt so, als würde tatsächlich einfach übersetzt, ohne jeglichen Bezug zum Spiel.
Das ist etwas was ich selbst schon häufiger beobachtet habe. Selbst einfachste Regeln, wie beispielsweise die erste deutsche Version des nun bei Asmodee unter "In aller Ruhe" geführten Tranqulity, wurden durch eine ähnliche Agentur jedoch derart verhunzt, dass viele das Spiel nach deren Lesen für nicht wirklich spielbar hielten. Im Fall von Voidfall habe ich ein ähnlches, wenn auch nicht so ausgeprägtes, Gefühl. Hier wird eine deutsche Version angeboten, die jedoch nur übersetzt wird. Dadurch entstehen am Ende Unklarheiten und Fehler, die am Ende den Spielspaß trüben, den eine Regel eigentlich ermöglichen sollte.
Frosted Games wird hier im Bezug auf Regeln oft als Beispiel von guter Arbeit genommen. Im deutschsprachigen Raum haben wir Glück, da Spiele oftmals nicht nur aus dem englischen übersetzt, sondern auch redaktionell über-/bearbeitet werden. Hier gibt es noch viele weitere toll arbeitende Personen - beispielsweise Gernot Köpke - die ich explizit inkludieren möchte, auch wenn ich selbst das Beispiel Frosted Games bediene.
Ich finde es immens wichtig, dass Spielen weiterhin gute Regeln beiliegen. Wie viel diese vom Kaufpreis am Ende ausmachen, das lässt sich von außen nicht sehen (ich glaube Thygra hatte in einem anderen Thread etwas um 10+% erwähnt), ich hoffe aber, dass genug eingepreist ist, damit die Redakeure:innen fair entlohnt werden. Ben2 hat in der Vergangenheit schon oft davon gesprochen, dass die Bezahlung im Vergleich zu anderen Branchen nicht wirklich hoch ist, umso mehr weiß ich seine und die Arbeit der anderen zu schätzen, die tatsächlich das Spiel verstehen wollen, dann die Regeln anpassen und diese nicht einfach zu übersetzen.
Dieser Thread ist zum einen ein Danke an all jene, die beruflich oder privat viel mehr Zeit in die Erstellung und Betreuung von Regeln stecken, als sie es müssten. An all jene, die verstehen wollen, wie das Übersetze/Umgeschriebene/neu Strukturierte bei dem oder der Lesenden ankommt und die Passagen so lange überarbeiten, bis diese sich in das restliche Regelwerk einfügt und am Ende den Zugang zum Spiel und den Spaß daran ermöglicht.
Zum anderen würde mich interessieren wie ihr dazu steht. Seht ihr in der Geste und Regel für 13€ ein faires Angebot? Findet ihr Regeln aufgrund der vielen Regelvideos tatsächlich unwichtig (auch wenn ja zumindest der Videoproduzent ein gutes Regelwerk als Arbeitsgrundlage benötigt)? Würdet ihr einen Aufschlag von 3-5% mehr bei Spielen bezahlen, wenn das Geld dann direkt den Fachkräften hinter den Regelheften zugute käme?