Beiträge von Oliver im Thema „Flamme Rouge“

    Das Spiel #UmReifenbreite habe ich damals bei einem Freund ein paar mal gespielt, aber als Junge erschien es mir immer furchtbar komplex für so etwas einfaches wie Fahrradfahren. Heute musste ich mir erst einmal in einem Video ansehen, wie das noch funktionierte. Im Vergleich zu #FlammeRouge ist es meiner Meinung nach wirklich recht komplex, Flamme Rouge spielte sich bereits nach der ersten Partie sehr flüssig. Ich hatte auch nie den Eindruck, Flamme Rouge wäre umständlich. Man muss jedoch berücksichtigen, dass es auf einem Dominion-ähnlichen Deck-Mechanismus aufbaut. Und Dominion wird in unserer Familie noch immer sehr oft gespielt. Uns ist also diese Handhabe des Decks mit Mischen und Durchziehen sehr geläufig - vielleicht empfinden andere das als umständlich oder unnatürlich.

    Zu Taktik und Strategie: ( Andy_Zoo:( Es ist tatsächlich sehr schwer, auszureißen. Eigentlich müssen mehrere, teilweise durch Glück bedingte Komponenten eintreten, damit ein Ausreißversuch gelingt. Noch schwerer ist es, einen Ausreißer tatsächlich über eine lange Strecke ins Ziel zu fahren - das ist fast unmöglich. Beides habe ich aber schon erlebt, mit ein bisschen Kartenzieh-Glück und wenn die anderen Spieler den Moment tatsächlich verschlafen. Aber das ist für mich wie im "echten" Rennen: Ein gelungener, über lange Strecken geplanter Ausreißversuch gelingt nur selten. In den Bergstrecken ist das gezielte Ausreißen einfacher, aber wenn man die Strecke kennt oder "lesen" kann, werden viele an bestimmten Stellen Ausreißversuche starten, die natürlich den eigenen Versuch wieder zunichte machen. Wenn es aber funktioniert und ich kann tatsächlich den Sprinteur mit meinem Rolleur in eine gute Position bringen und wenn ich dann tatsächlich im letzten Draft die notwendige 9 habe, dann ist das schon ein absolutes Highlight. Über solche Rennen wird dann hier in der Familie auch noch lange gesprochen: "Wisst ihr noch, wie ich im letzten Zug die 9 hatte, und der Phillip (Anm.: Phillip = Sohn, ärgster Konkurrent) nur noch schlapp war .... ?" :)

    Den Vergleich zu Formula D kann ich nicht so recht über die Mechanik, als mehr über das Spaßgefühl und die "Rennatmosphäre" den Vergleich ziehen. Uns machen beide Spiele sehr viel Spass. Ich würde hier jedoch auch Flamme Rouge aufgrund seiner Einfachheit den Vorzug geben.

    "Es geschah im mittleren Teil des Rennens. Ich hatte mich mit meinem Team gut im vorderen Teil des Feldes verankert. Der Asphalt floss dahin. Ab und zu wechselten wir uns sauber in der Führung ab, um möglichst lange unsere Kräfte zu sparen. Mein Sprint-Profi sah gut aus, bisher musste er sich noch nicht nennenswert verausgaben. Die große Steigung zur Mitte der Etappe kam in Sicht. Bergwertung. Vorsichtig positionierten sich die Fahrer im Feld, als wir langsam auf den ersten Anstieg zurollten. Doch was war das? Das deutsche Team trat in die Pedale. Noch vor dem Berg! Innerhalb kurzer Zeit klaffte eine Lücke von ca. 30 Metern zwischen dem Feld und den Ausreißern - unmöglich aufzuholen an einer Steigung mit bis zu 12%. Bevor der Rest auf diesen Ausbruchsversuch reagieren konnte, hingen wir schon im Anstieg. An eine Aufholjagd war jetzt nicht zu denken - vielleicht wieder bei der Abfahrt. Doch die Deutschen bauten ihre Führung aus. Mit einem erneuten Sprint der Ausbrecher ging es in die Abfahrt. Verdammt! So früh so weit weg - wer hätte das an dem Streckenprofil ahnen können? Alle Verfolger mühten sich nach Leibeskräften, aber die Bemühungen zerrissen eher das schützende Feld und führten zur Verausgabung aller. Dieser unglaublich schlaue Zug des deutschen Teams sicherte ihnen schließlich den Etappensieg. Im Ziel blickte ich den Gewinnern in die Augen und zollte ihnen Respekt - hervorragend taktiert. So wurden Rennen gefahren und gewonnen!"

    (Zum Hintergrund der "Deutschen": Unsere Flamme Rouge-Teams stellen Nationen dar, blau ist Deutschland)

    Flamme Rouge

    Für uns ist #FlammeRouge schon jetzt unser Spiel des Jahres. Ich hatte das Spiel nach einer Probepartie auf der Messe in Essen gekauft und jetzt - nach unzähligen Rennen auf dem heimischen Küchentisch - kann ich mit Fug und Recht behaupten: Dieses Spiel ist bei uns eingeschlagen, wie eine Bombe. Es war eher ein wenig Geheimtipp und ein Kauf auf gut Glück, ich hätte nie damit gerechnet, dass unsere Familie so begeistert ist. Die Regeln können in den ersten drei Zügen schnell erklärt werden und schon ist man mittendrin in der Taktik eines Fahrradrennens. Ausreißen oder Mitfahren? Wie fit sind noch die anderen? Kann ich es mir leisten, mich im hinteren Teil des Pelotons ziehen zu lassen? Wie lange? Wann steigt der erste in die Pedale? Gewinne ich mit Hartnäckigkeit oder Sprint? Wieviele Berge liegen noch vor mir? Wieviele 9er habe ich noch im Deck? Taktik und Strategie des Spieles bergen so viele Fragen - ständig muß man abwägen und Entscheidungen treffen und doch kann es sein, dass einem die Dynamik des Feldes die Strategie zunichte macht. Eben ganz wie in einem echten Rennen.

    Die Regeln

    Jeder Spieler führt ein Team aus 2 Fahrern: Einem Roleur und einem Sprinteur. Jeder Fahrer hat ein eigenes Kartendeck, jede Karte enthält eine einstellige Zahl. Die Anzahl Zahlen ist dabei begrenzt (z. B. hat der Sprinteur 3x2, 3x3, 3x4, 3x5 und 3x9). Daraus ergibt sich, dass der Roleur gut darin ist, ein gleichmäßiges, aber nicht zu schnelles Tempo zu fahren und der Sprinteur grundsätzlich etwas langsamer ist, aber mit 3 Neunern zumindest für eine kurze Zeit einen Sprint hinlegen kann. Runde um Runde nimmt jeder Spieler für jeden seiner Fahrer jeweils 4 Karten vom Deck, entscheidet sich für eine der gezogenen Karten und legt diese verdeckt vor sich ab. Bei 4 Spielern liegen also nach kurzer Zeit 8 Karten auf dem Tisch. Alle decken gleichzeitig auf. Die Fahrer werden auf der Rennstrecke um die jeweiligen Zahlen auf den Karten vorgesetzt. Wenn alle gezogen haben, tritt der Windschatten-Effekt ein. Alle Lücken von genau einem Feld werden von hinten nach vorne geschlossen. Alle noch einzeln stehenden Fahrer müssen eine Ermüdungskarte in ihr Deck mischen - ähnlich der Fluchkarte in Dominion verdreckt sie das eigene Kartendeck. Einmal benutzte Karten werden abgelegt, die drei Karten die nicht im Zug benutzt wurden, wandern wieder ins Deck. So muss ich mich in jedem Zug neu entscheiden: Vollgas oder Ziehen lassen?

    Die Rennstrecke wird zusammengesetzt aus verschiedenen Streckenteilen. Manche Teile enthalten Anstiege und Abfahrten, die der Taktik erst die Würze geben. Anstiege setzen praktisch ein Geschwindigkeitslimit, Abfahrten beschleunigen. Durch den Windschatten-Effekt kann es dazu kommen, dass ich schneller in einem Berg bin, als mir lieb ist oder das ein Ausreißversuch von der Macht des Feldes einfach langsam wieder eingeholt wird - obwohl die doch nur mit 3en oder 4en fahren!

    Die Atmosphäre

    Es ist fantastisch, wie nahe Flamme Rouge der Taktik und Dynamik in einem tatsächlichen Rennen kommt - dabei bin ich noch nicht einmal ein großartiger Fahrrad-Rennen-Fan. Ich habe ab und zu mal bei der Tour de France hingeschaut, aber seit dem Beginn der Skandale auch eher nicht mehr. Umso mehr überrascht mich meine eigene Begeisterung. Aber die über viele Versionen auf diese Einfachheit gebrachten Regeln sind so dicht und so tief in den taktischen Möglichkeiten (Asger selbst referenziert Dominion und Magic - The Gathering in seinem Developer Diary), dass jede Runde unglaublichen Spass bereitet - auch, wenn man am Ende verliert.

    Flamme Rouge schlägt auch eine Brücke zwischen Viel- und Wenigspielern. Ich habe selten ein Spiel erlebt, was dies für beide Parteien auf eine so zufriedenstellende Art und Weise schafft. Wir hatten schon Abende mit der Spielegruppe, an denen das Spiel als Aufwärmer auf den Tisch kam - und diesen Tisch dann bis tief in die Nacht nicht mehr verlassen hat! Ein Rennen dauert ca. 30 bis 45 Minuten und hat nahezu keine Downtime. Und dennoch hat jedes Rennen das Potenzial für ein Herzschlagfinale.

    Die Ausstattung

    Ossi Heikkala ist der Illustrator, der hinter den großartigen Zeichnungen steckt. Er versetzt uns in die Zeit der großen Renn-Klassiker Anfang des 20. Jahrhunderts. Seine Gesichter geben den zwei Fahrern und den Teams einen Charakter und fangen den Geist und die Strapazen eines Rennens wunderbar ein. Die Streckenteile sind beidseitig bedruckt, so dass eine große Anzahl Kombinationen möglich sind. Die Einstiegsstrecke ist ohne Berge und lohnt sich aus unserer Sicht nur für ein reines Zeitfahr-Rennen und die erste Erklärpartie. Danach müssen die Rückseiten mit den Anstiegen und Abfahrten ins Spiel! Eine kleine Anzahl Strecken wird durch entsprechende Karten vorgegeben.

    Die Radfahrer sind aus Plastikmodellen und komplett in der Farbe der Teams. Ich habe das Pinseln schon lange, lange aufgegeben, aber hier fange ich es vielleicht doch noch einmal an. Die Miniaturen schreien förmlich danach. An der Haltung der Fahrer ist auch wunderbar der Typ Fahrer zu erkennen - wesentlich besser als auf dem leicht angedeuteten S und R auf dem Rücken.

    Grand Tour

    Asger hat auf BoardGameGeek eine Regel für eine Grand Tour eingestellt. Diese verknüpft einzelne Renn-Etappen zu einer großen Tour und führt damit praktisch einen Legacy-Effekt in die Partien mit ein. Dieser führt dazu, dass ich z. B. meine Rennen immer schon mit einem Teil der Erschöpfungskarten des Vortags beginne und diese irgendwann spielen muss, um sie loszuwerden (in einer einzelnen Partie kann ich das meist vermeiden). Die Tour-Wertung ergibt sich auch aus den Tourpunkten, die ich über die gesamte Zeit gesammelt habe. Hier kann also ein konstanter Zweiter durchaus die ganze Tour gewinnen.

    Fazit

    Was der Stapelmechanismus bei #CamelUp, ist der Windschatten bei #FlammeRouge. Dabei ist der Glückseffekt bei Flamme Rouge bei weitem nicht so dominant wie bei Camel Up. Aber der Spielspass ist enorm. Egal ob Familie oder Spielegruppe - das Spiel ist immer willkommen und oft wird nicht nur eine Partie gespielt. Wer mit Rennspielen natürlich überhaupt nicht glücklich wird, für den ist das Spiel nichts. Auch Grübler und Maximal-Effizienz-Optimierer werden wahrscheinlich nicht so viel mit dem Spiel anfangen können. Wer aber ein erstaunlich tiefgründiges Regel-Leichtgewicht sucht und sich vielleicht noch ein bisschen mit Radsport oder Sport an sich anfreunden kann, der sollte sich Flamme Rouge aus dem Lautapelit-Verlag mal ansehen.