Ich finde, es gehört zum Respekt vor einer demokratischen Entscheidung, dass man diese dann auch mit allen Konsequenzen und im gewollten Sinne umsetzt. Und die Intention der meisten Brexit-Wähler ist ja nicht, lasst uns möglichst viel so lassen wie bisher, nur eben nicht EU-Mitglied sein, sondern ein voller Austritt und echte Eigenständigkeit ("Independence Day").
Die Brexit-Entscheidung kann man falsch finden (was ich tue), und man kann sie gefährlich finden (was ich ebenfalls tue) - die LePens und Wilders und vermutlich auch die AfDler dieser Welt rufen ja nun schon nach eigenen Volksentscheiden in ihren Ländern. Insofern bin ich voll dafür, dass die Briten jetzt genau das bekommen, was sie mehrheitlich wollten. Raus aus der EU mit allen Konsequenzen - dass vor denen in den Kampagnen nicht gewarnt worden sei, kann ja nun keiner behaupten. Sollen die Holländer und Franzosen und alle anderen ruhig sehen, was sie davon hätten. Nicht, weil ich den Briten etwas Böses wünsche oder sie jetzt bestraft sehen will, sondern weil Freiheit eben bedeutet, Entscheidungen zu treffen und mit diesen zu leben. Zugleich fände ich es gut, für den unwahrscheinlichen (?) Fall, dass die Briten in ein paar Jahren zu der Erkenntnis kommen, dass sie in der EU doch besser dran wären, dann ein beschleunigtes Aufnahmeverfahren vorzusehen.
Ich bin ein großer Fan der europäischen Idee. Selten habe ich so ein Gefühl von Freiheit gehabt wie beim regelmäßigen fußläufigen Überqueren der Europa-Brücke zwischen Strasbourg und Kehl während meines Auslandsstudiums - in einer Region, die in unzähligen deutsch-französischen Kriegen immer wieder erobert wurde, ist das Verschwinden von Grenzen schon etwas ganz Besonderes. Ich halte die europäische Idee für zu wichtig, um sie dem Populismus zu überlassen, der bei jeder Form von Volksbefragung unweigerlich die Hauptrolle spielt. Nicht umsonst war noch vor dem Alter die Bildung eindeutigster Indikator für die Brexit-Zustimmung: Je ungebildeter, desto EU-feindlicher. Ja, europäische Einheit ist eine elitäre Idee ... weil sie eben kollektive und manchmal abstrakte Vorteile schafft, die (Stichwort z.B. Freizügigkeit innerhalb der EU) populistisch und vorurteilsbasiert einfach auszuschlachten sind, zugleich aber gesamtwirtschaftlich große Vorteile bringen. Aber nur so kann die EU vor den Populisten beschützt werden. Was nicht heißt, dass es nicht viele Verbesserungspotentiale gibt ...