In dem Review-Thread meinte doch irgendjemand, er könne nicht verstehen, warum jemand einen "Verriss" schreiben wollte und unterstellte da ganz komische Sachen.... Eine mögliche Erklärung haben wir hier: man macht kurz vor Mitternacht eine unvorsichtige Bemerkung, dass einem das gerade auf dem Spieletreff gespielte Spiel nicht besonders gefallen hat, jemand fragt warum, man will kurz antworten und aus dem schnell heruntergetippten Mittagspausen-Geschreibsel wird auf einmal vom Mod ein eigener Thread kreiert... Schon ist ein "Verriss" da, der nie als solcher geplant war....
Okay, jetzt isses also ein eigener Review-Thread, also nochmal mit ein bisschen Abstand ein paar Ergänzungen, bisschen analytischer, weniger emotional. GAH funktioniert. Das ist's dann aber auch schon. Spaß macht's kaum. 85% der Mechanismen sind Standardware. Das ist an sich soweit nicht schlimm, wenn (a) diese Teile spannend zusammengebaut sind und (b) die restlichen 15% das Spiel wenigstens ein Stückchen aus der Masse herausheben. Siehe "Konzil der Vier", das schafft genau das recht gut.
Ein solches solides Anknüpfen an Bewährtes plus gelunge eigene Nuancen schafft GAH leider beides nicht. Statt spanned fühlt es sich flach, dröge, eindimensional, unoriginell an. Ressourcen nehmen, Aufträge erfüllen, variable Ziele erreichen. Alles schon mal besser gesehen. Amis, die Euro-Spiele nicht so mögen, sagen gerne "cube pusher". Oh ja, genau das ist es, GAH ist eine mustergültige Inkarnation dieses Konzepts. Würfelchen von A nach B schieben und dabei direkt oder über Umwege Siegpunkte generieren. Wie im Eingangsposting beschrieben auch innerhalb eines Zuges sehr oft nehmen, nutzen und gleich wieder zurück in den Vorrat damit. Klötzchen ("Speisen"/"Getränke") aus dem persönlichen Lager ("Küche") den Auftragskarten ("Kaffeehaus-Gästen") zuordnen, kostet nämlich Geld. Direkte Versorgung kostet nichts. Also: nehmen, nutzen, direkt wieder zurücklegen (wenn Bedarf komplett erfüllt) als Ideal-Standard. Äh ja. Das schreit doch geradezu nach Streamlining und so bleibt eine relativ themenlose Würfelchen-Geschubse-Beschäftigungstherapie für Hardcore-Optimierfreaks.
Bei den anderen anderen 15% Nicht-Standard-Ware kann bei GAH den Eindruck haben, dass dem Spiel noch etwas feilen gut getan hätte. Denn die sind auf den ersten Blick schon interessant. Leider nur auf den ersten Blick. Die Rede ist vom Würfel-Mechanismus. Der besagt im Prinzip: man würfelt eine Menge Würfel (bei drei Spielern: 12), sortiert sie nach Augenzahl, jeder Zahl ist einer Aktion zugeordnet. Soweit erinnert es erstmal an La Granja oder Yspahan oder ein paar andere Sachen mehr. Abwechselnd wählt man eine Aktion durch Wegnehmen eines Würfels (wie bei La Granja), aber jetzt das Besondere und zugleich das Grundproblem von GAH: wenn nur ein Würfel da liegt, macht man die Aktion einmal, liegen fünf Würfel da, gleich fünfmal. Die Stärke der Aktion ist krass unterschiedlich. Das Haupt-Designproblem bei einem solchen Ansatz ist jetzt, wie man das als Spieleautor in den Griff kriegen will.
Besonders starke Aktionen werden natürlich am Anfang genommen, d.h. je später jemand dran kommt, umso schlechter (und dummerweise ist auch das Ausgangsniveau am Anfang immer unterschiedlich). Die Idee der Autoren war jetzt, bei fester Reihenfolge mit im Uhrzeigersinn wechselndem Startspieler einmal vorwärts im Uhrzeigersinn und einmal rückwärts gegen den Uhrzeigersinn zu spielen. Im 3er-Spiel: A-B-C-C-B-A. Die Summe der Positionen auf der Reihenfolge ist immer 7: 1+6 = 2+5 = 3+4. Das wäre ausgegleichen dann und nur dann, wenn die Güte der Auswahl linear abnehmen würde. Tut sie aber nicht. 1+6 ist im Schnitt besser als 3+4. Nur auf frühen Positionen kann man von extremen Würfelergebnissen profitieren (und das teilweise ganz extrem!), in der Mitte und gegen Ende ist alles irgendwie brauchbar.
Ein anderes Spiel, bei dem ein ganz ähnlicher Paarbildungs-Ansatz wunderbar funktioniert, ist Mangrovia (tolles Spiel, leider ziemlich unterschätzt). Da sind die Aktionen in ihrer Summe sehr ausgeglichen und obendrein wird die Position in vorgegebener Reihenfolge gewählt. Ein solcher Mechanismus zur Wahl der Reihenfolge durch irgendeine Spielaktion, sei es "Startspieler sichern, dann im Uhrzeigersinn weiter" (Mangrovia, Lords of Waterdeep, diverse andere) oder "freie Verteilung aller Reihenfolgen-Plätze" (diverse Feld-Titel, La Granja) hätte GAH sicher auch sehr gut getan. In dem Moment wäre man schon wieder seines eigenen Glückes Schmied, anstatt völlig hilflos zusehen zu müssen, wie bei schlechten Würfelergebnissen alles den Bach runter geht, gerade wenn man auf der mittleren Position sitzt. Lasst die Spieler mit spielerischen Mitteln um die beste Position in der Reihenfolge kämpfen und vieles löst sich von alleine...
Außerdem müssten ein paar Abpufferungen für ungünstige Würfelergebnisse her (nicht nur neu würfeln!) und dazu unterschiedliche Wege, um an benötigte Ressourcen zu kommen. Wie oft habe ich schon über die obskure mallorquinische Dachziegel-Magie in La Granja gelästert, Ressourcen herbeizaubern durch Umdrehen von irgendwie magischen Dachziegelmarkern, wow! Thematisch völliger Schwachsinn, aber spielmechanisch wichtig, weil durch gezielte Aktion erwerbbarer Puffer für schlechte (Würfel-)Zeiten. Ebenso die Waren mit vielen Tauschmöglichenkeiten oder noch einiges mehr in La Granja, was genau das Problem löst, das GAH massiv hat.
Insgesamt habe ich den Eindruck, dass Grand Austria Hotel nicht ausreichend zu Ende entwickelt wurde. Es fehlt ein bisschen Streamlining in den Standardsachen, die müssten deutlich knackiger rüberkommen, und es fehlt ganz deutlich das Feilen an den eigenen Besonderheiten. Darin ist GAH leider ziemlich ernüchternd. Letztendlich haben die Autoren auf das zentrale Design-Problem der krass unterschiedlich starken Aktionen im Laufe einer Runde mit dem A-B-C-C-B-A Spielreihenfolge-Ansatz bei im Uhrzeigersinn wechselndem Startspieler nur eine ziemlich unbefriedigende Lösung gefunden. Liefert nicht, zuviel Downtime, unintuitiv obendrein.
Wer sich selbst schwierige Designfragen stellt, der entscheidet mit der Antwort auf diese Fragen ganz wesentlich über die Qualität des Spiels. Auf den Spuren von Marco Polo zeigt, was aus einem 0/8/15-Standard-Euro-Spiel herauszuholen ist, wenn man eine wahnwitzig krasse Asymmetrie als Designproblem hinzufügt und dieses (Balancing-)Problem überragend gut löst. GAH zeigt dagegen nur, wie man das Designproblem eine Abfolge von Zugoptionen mit (in etwa) exponentiell fallender Güte auf keinen Fall in ein Spiel gießen sollte. Die etwas schale Erkenntnis: so wie bei GAH sollte man's jedenfalls nicht machen. Und GAH braucht man deshalb meiner Meinung nach auch wirklich nicht kaufen. Verzichtbar.
werde ich dann Grand Austria nicht mit allerhöchster Priorität weiter verfolgen. Vllt. werfe ich noch einmal einen Blick darauf, wenn ich Lust auf ein neues, großes Spiel mit Würfeln habe.
Da gibt's besseres. Wenn du Marco Polo schon hast, dann wirf den Blick lieber auf andere Würfelspiele von Yspahan bis Bora Bora. (Bei letzterem: Achtung, anspruchsvolle Lernkurve, aber dann eines der genialsten Spiele der letzten Jahre.)
Hatte das Spiel auch auf dem Radar, aber nach den letzten Lookout Spielen, nur mit vorherigem Test. Ob ich den jetzt noch brauche weiß ich nicht.
Ja, in manchen Punkten erinnert es mich auch ein bisschen an Murano von letztem Jahr. Ähnliche Problematik. Das, was das Spiel aus der Masse herausheben könnte (hier: der Würfelmechanismus, dort: das "gondola movement" statt "worker placement", ist auf den ersten Blick deutlich interessanter als es sich beim Spielen nachher zeigt. Sollte es etwa zu schnell vor der Messe in Essen noch veröffentlicht worden sein? Was "große" Spiele angeht, ist Lookout seit der Übernahme durch Mayfair irgendwie auf dem absteigenden Ast...