Beiträge von MetalPirate im Thema „Top oder Flop: Bora Bora“

    [Ganz allgemein, nicht nur auf Bora Bora bezogen:] Wenn man in einem 2er-Spiel den Eindruck hat, dass die Startbedingungen unterschiedlich schwer sein können, dann kann der tendenziell stärkere Spieler dem anderen vor Spielbeginn auch den Tausch der Spielertableaus anbieten.

    Als jemand, der tendenziell gut spielt, habe ich persönlich kein Problem mit so einem "du wählst, was ich spielen soll"-Ansatz. Spielen soll allen am Tisch Spaß machen, Gewinnen ist mir nicht das Wichtigste, und wenn man manchmal auf komische Wege gezwungen wird, die man sich nicht selbst freiwillig ausgesucht hätte, dann kann man auch als starker Spieler einem Spiel manchmal noch neue Facetten und Erkenntnisse entlocken.

    Ich logge keine Partien und ich stoppe keine Spielzeiten. Für mich gibt's nur die Kategorien "reicht für abends unter der Woche" und "reicht nicht für abends unter der Woche". Bora Bora ist ersteres. :)

    Wenn ich unbedingt eine Zeit nennen müsste, würde ich 90 Minuten sagen für eine Erstpartie zu zweit, bei der man keinen Anspruch hat, alles perfekt spielen zu wollen.

    Tip: Stoffbeutel verwenden zum Ziehen der Plättchen. Das verkürzt die Aufbauzeit enorm.

    Zum Thema "am Anfang schon durch die ersten Ziele vorentschieden": Jein. Richtig ist: Die zufällige Verteilung der ersten Ziele ist ein überproportional starker Glücksfaktor gleich am Anfang und, ja, das hat selbstverständlich Auswirkungen auf die Gewinnchancen, wenn man es mit sehr guten Gegnern mit dem primären Ziel des Gewinnes spielt.


    Trotzdem würde ich das nicht überbewerten. Da ist mir zu viel Wettbewerbs-Spieler-Denke dahinter. Agricola ist auch nicht sofort "broken", wenn man am Anfang einfach zufällig 7+7 Karten verteilt, anstatt speziell zusammengestellte (d.h. ausgeglichenere) Decks verwendet oder ausgleichende Varianten wie Karten-Drafting nutzt. Außerdem ist gerade Bora Bora voll von Situationen, wo man einen Plan B oder C braucht. Durch den speziellen Würfel-Einsetz-Mechanismus wird man regelmäßig aus den gewünschten Aktionen herausgeblockt. Oder, einfacher noch, man braucht eine Aktion der Stärke 5, hat aber mit keinem der drei Würfel mehr als 4 gewürfelt. Was dann? Durch gutes Spielen kann man sehr viel aufholen. Das ggf. notwendige Umschwenken auf einen Plan B wird von den diversen zu erledigenden Zielen gut unterstützt. Das Spiel wirft einem immer wieder Knüppel zwischen die Beine, hilft einem aber auch spielmechanisch bei der Suche nach alternativen Lösungen. Mit den Aufgabenplättchen sind mehrere Kurzzeitziele direkt vorgegeben. Genau genau dabei könnte man sich sonst wunderbar verheddern.


    Nach einigen Spielen Bora Bora bekommt man dann auch ein Gefühl dafür, dass der vermeintlich wahllos zusammengewürfelte Mechanismen-Mischmasch doch nicht so beliebig ist. Gerade einige zunächst schwach erscheinende Sachen bekommen ihren Sinn. Da sind z.B. die Götterkarten, um Einsetzregeln außer Kraft zu setzen. Oder die Tätowierungen, die die Spielerreihenfolge beeinflussen und damit, ganz wesentlich!, wer zuerst die zu erledigenden Aufgaben wählen darf. Der Anfänger macht nur Aktionen, die direkt bei Aufgaben helfen, weil er keine Zeit opfern will für Aktionen, die nur indirekt nutzen, und genau das ist suboptimal. Erst die richtig gespielte Götterkarte oder ähnliches macht manchmal das Aufgabenlösen schaffbar.


    Ich fand Bora Bora bei den ersten paar Partien ganz okay, nicht mehr. "Klick gemacht" hat dann, als ich eine Partie hatte, wo wir alle am Anfang nur niedrig gewürfelt haben. Gegenseitiges Blocken bis zum Äußersten, kaum Aufgaben erfüllt und im Ergebnis ein Mangelspiel, bei dem ein "Im Jahr des Drachen" ein Zuckerschlecken im Vergleich dazu war. Genau da liegt auch ein großer Reiz von Bora Bora. Je nachdem, ob insgesamt hoch oder niedrig gewürfelt wird, skaliert das Spiel von Mangelspiel bis Überflussspiel. Manche Leute, die gerne eine feste Strategie stur durchspielen, sagen dann gerne: "kein echtes Strategiespiel, bloß Taktik!" Ich weiß nicht. Taktik-Elemente hat Bora Bora auch, keine Frage, aber für mich ist's trotzdem primär Strategie. Nur halt in der Form, dass sich die richtige Strategie dem enorm veränderlichen äußerlichen Rahmen variabel anpassen muss.


    Ich glaube, ein kleines bisschen Streamlining hätte dem Spiel gut getan, z.B. bei den Fische-Punkten und den zugehörigen Götterkarten. Oder bei dem zu füllenden 3x4 Bauplatzmuster. Oder beim Schieben von Hütten auf Hüttenplatz Nummer 12. Da gibt's schon ein paar Sachen, wo Komplexität erhöht wird und der spielerische Mehrwert das nicht immer rechtfertigt. Jedenfalls aus meiner Sicht. Grundsätzlich gehe ich davon aus, dass Stefan Feld bzw. die Redakteure und Spieletester bei Alea wissen, was sie tun. Aber ich könnte mir trotzdem vorstellen, dass da das übliche Problem zugeschlagen hat, dass man nach zu langer Beschäftigung mit einem Spiel etwas blind wird für die "Komplexitätskosten" einzelner Regeln.

    Erstmal vorweg meine Meinung in Kurzform: Das Spiel ist gut. Der Kernmechanismus ist genial. Aber es braucht einige Durchläufe, um das Spiel zu verstehen. Das Hereinkommen ist Arbeit, das Spiel selbst nicht.


    Kernmechanismus ist Würfel-Einsetzen als Erweiterung des klassischen Arbeiter-Einsetzens. Würfel haben ja bekanntlich ein großes Problem: wenn's auf hohe Zahlen (oder Einser oder Pasche oder was auch immer) ankommt, gewinnt Glück ganz schnell die Überhand über Strategie. Im Falle von Bora Bora sind hohe und niedrige Zahlen gleichermaßen gut, aber auf völlig andere Art. Hohe Zahlen geben starke Aktionen, niedrige Zahlen blockieren Aktionen besser. Das funktioniert auf eine ebenso einfache wie geniale Art: im Gegensatz zum klassischen worker placement gilt nicht "besetzte Felder sind für andere geblockt", sondern "niedrigere Zahlen gehen immer, gleich oder höher nicht". Hohe Zahl gleich starke Aktion und man hat das oben beschriebene Muster, dass hohe und niedrige Zahlen auf andere Art gut sind. Das ist genial gelöst. Und gleichzeitig wird damit auch schon klar, dass man bei Bora Bora nicht einmal am Anfang seine Strategie sich überlegt und diese durchzieht. Bei Bora Bora wird Würfelglück in Entscheidungsraum-Vielfalt übersetzt.


    Zu den genannten Kritikpunkten von @Sankt Peter:

    Zitat

    Das Spiel zu erklären dauert mindestens 45 Minuten. Da schalten die meisten bereits ab

    Nehmen wir die 45 min nicht absolut, sondern als "wesentlich länger als bei vergleichbaren Spielen", dann klares JA. Zusätzlich kommt noch hinzu, dass man beim ersten Spiel garantiert überwiegend Blödsinn zusammenspielen wird.


    Zitat

    Vollkommen beliebiges Thema. Es kommt kein Flair auf.

    Das würde ich nicht so sehen. Innerhalb der Vergleichsgruppe Eurospiele würde ich es sogar als (leicht) überdurchschnittlich thematisch sehen.



    Zitat

    lange Spielzeit (rd. 3 Stunden). Spiel fühlt sich wie Arbeit an.

    Auch hier: nein. Das Hereinkommen IST Arbeit. Das Spiel nicht. Woher die Einschätzung kommt, kann ich aber schon verstehen: Mechanismen-Monster mit steiler Lernkurve, taktiklastig und daher AP-anfällig bei bestimmten Mitspielern.



    Zitat

    keinerlei Interaktion

    Das ist Unsinn. Weiß man spätestens dann, wenn der liebe Mitspieler mit einer "1" eine schwache Popel-Aktion auf einem Aktionsfeld macht, das man selbst mit seiner "5" nutzen wollte, um eine besonders starke Aktion zu machen -- was dann aber wegen der "1" nicht mehr geht. Da kommt Freude auf! BTW: Für Rahdo liegt Bora Bora genau auf der Grenze, die er in Sachen gegeneinander spielen gerade noch akzeptabel findet.



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    es gibt für alles Siegpunkte, so dass es scheint, als würde es egal sein was man macht

    nicht weiters erwähnenswert weil genre-typisch



    Zitat

    die Spielertableaus sehen schrecklich aus

    Auf den ersten Blick völlig überladen, aber mit etwas Erfahrung super, denn da stehen wirklich fast alle Regeln in symbolischer Form drauf. Ähnlich wie bei "What's Your Game?" Spielen. In Anbetracht des schweren Einstiegs in das Spiel ein fast schon notwendiges Opfer. Denn sonst hätte man jedes Mal, wenn man das Spiel nach einem Monat des Nicht-Spielens aus dem Schrank holt, erstmal eine Stunde Einarbeitungszeit. Die symbolische Regelzusammenfassung auf den Spielertableaus (und in geringerem Maße auf dem Hauptspielbrett) sind genau das, was bei einem zuvor schon einmal gespieltem Spiel das erneute Regellesen ersetzt.



    Zitat

    das ganze Spiel besteht aus Zufall und ist nicht steuerbar

    Völliger Blödsinn.



    Zitat

    alles wirkt wie ein Sammelsurium von Mechanismen, die nicht miteinander verbunden sind. Weniger wäre mehr gewesen

    Der erste Satz stimmt -- für den Ersteindruck. Mit etwas Spielerfahrung nicht mehr. Dass "weniger mehr gewesen wäre", bin ich aber fast geneigt zu unterschreiben.



    Zitat

    Spiel ist wie eine Mischung aus Trajan und BuBu, bzw. ein weiterentwickeltes BuBu. Trotzdem würde ich immer eines der beiden anderen vorziehen, da diese eingängiger sind und Bora Bora nicht mehr bietet
    - Spiel ist kompliziert und nicht komplex

    In Sachen Komplexität finde ich Trajan ziemlich vergleichbar. BuBu ist eine andere Baustelle, da sehe ich wenig Ähnlichkeiten.


    Fazit: Ich verstehe gut, woher die genannten Kritikpunkte kommen. Dennoch finde ich das Spiel sehr gut. Vielleicht hilft meine Einschätzung zu den Punkten dem einen oder anderen, sich selbst ein besseres Bild zu machen. Bora Bora ist sicher nicht für jeden das richtige Spiel.