Ich war sehr interessiert, bin aber nach dem Test auf der Spiel eher geneigt nicht zu backen
Hier hab ich was zu meinen Eindrücken geschrieben
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RE: Spiel '22 - Ersteindrücke gespielter Spiele
Ich habe
Galileo Project spielen können.
Das Spiel war ja eine ziemliche Überraschung, vor der Messe hatte es niemand mit dem ich gesprochen habe auf dem Zettel und dann war es auf einmal in Halle 3 mit riesigem Stand und 6 Demotischen da.
Das Material wirkt sehr hochwertig, besonders natürlich die Poker Chips. Artwork sieht auch gut aus. Die Erklärung war etwas herausfordernd da der Name des Verlags hier Programm war. (Sorry We Are French)
Nachdem die erste Hürde des Verstehens dann aber…
Glaube auch ganz abgesehen von allen Balance bedenken das es ein sehr sehr spezielles Spiel sein wird und wirklich nicht leicht auf den Tisch zu bringen.
Wenn das später auf dem Gebrauchtmarkt so günstig wie HP:tB gibt kann ich noch immer zugreifen um es der Cyberpunk Brettspielsammlung hinzuzufügen.
Ich würde gerne auf ein paar Dinge eingehen.
1.) Balancing der Ressourcen
Also ich habe in den 7 Partien (alle 3-4 Spieler) nicht die Erfahrung gemacht, dass Konsumgüter zu stark sind.
Ja, sind sie erst einmal im Spiel, wird man sie schlechter wieder los als die anderen Ressourcen (abgesehen von evtl. Daten-Ressourcen).
ABER: alle anderen Ressourcen haben einen Vorteil bzw. eine Sonderregel (Augmentierungen = +1 LP, Drogen = +1 Bewegung, Daten = der betroffene Konzern bekommt sogar -1 SP). Des Weiteren können durch Gewalt und Skandale SCHNELLER ins Spiel gebracht werden. Bei Gewalt bekommt man einfach über ein Verbrechen gleich 2 Ressourcen (eine auf dem Ort, eine auf dem "Gewalttäter", der dadurch zum Kriminellen wird). Bei Skandalen ist es so, dass wenn man mit einem Charakter, der bereits eine Skandal-Ressource hat, wiederum einen Skandal verbreitet, dann werden gleich ZWEI Skandal-Ressourcen generiert.
Ich persönlich habe sogar die Erfahrung gemacht, dass man nicht Konsumgüter sondern Augmentierungen am schlechtesten wieder los wird, aus dem einfachen Grund, dass die meisten Spieler keine Aktion verschwenden, um einen Charakter zu töten, dieser dann aber lediglich eine Augmentierung (=1LP) verliert.
Des Weiteren habe ich die Erfahrung gemacht, dass sich Gewalt am schnellsten verbreitet, insbesondere wenn zwei Spieler/Konzerne darauf hinspielen.
Bei unserem gestrigen Spiel hat nur ein Gewaltmarker gefehlt und das Spiel wäre mangels Marker relativ früh beendet gewesen, weil keine Marker mehr in der Reserve waren. D.h. da muss man über VERHAFTEN, HINRICHTEN oder ERMITTELN frühzeitig zusehen, die Gewalt in Zaum zu halten.
Konsumgüter sind meines Verständnisses nach auch dann futsch, wenn der Selbstmordattentäter sich und andere Charaktere in den Tod reißt.
Wie es sich verhält, wenn der Mörder gar nicht auf demselben Feld stand (z.B. Scharfschützin oder ein Charakter auf dem Low-Techs-Konzernfeld tötet einen Charakter im Gefängnis) geht aus den Regeln leider nicht hervor.
2.) Mechaniken und Zielgruppe
Ja, das Spiel wirbt mit dem Innovativen Mechnismus (Shared Worker Placement). Dies dürfte primär Liebhaber von Eurogames aufmerksam machen. Wenn sich dann aber herausstellt, dass das Spiel zwar keine trashigen Elemente à la Kämpfe mit Würfeln hat ABER eben auch KEIN Eurogame ist, dass könnte den einen oder anderen enttäuschen.
Da ist es aus Marketingsicht nicht gerade optimal mit dem Begriff "worker placement" zu werben, zumal es letzlich auch kein Placement ist sondern eine Mischung aus Movement und Activation.
D.h. während ein Spiel wie Red Outpost ( in dem auch jeder Spieler jeden Worker nutzen kann) ein Eurogame ist, ist Axon Protocol vielmehr ein (hoch)thematisches Erlebnisspiel, das aber im Kern sehr deterministische Mechanismen hat. Das widerspricht sich aber nicht, sondern macht hier auch themnatisch Sinn, sprich man spielt Hacker und handelt Routinen von Charakteren ab. Von daher, es ist fast immer glasklar was passiert, wenn man eine Aktion ausführt. Das Chaos kommt nun dadurch, dass Spieler jederzeit Karten spielen können, um eine Aktion zu beeinflussen oder ganz zu verhindern.
Ich persönlich habe weder eine Präferenz für Eurogames noch für thematische Spiele, wobei ich auch kein Fan der Extreme bin. Sprich, staubtrockene rein mechanische Eurogames sind nicht meine Favoriten, aber auch nicht stumpfe Würfel-Miniaturen-Skirmisher.
Von daher finde ich Axon Protocol einen sehr guten Hybriden. Das Spiel lebt aber durch sein Thema und die Vielfalt der Charaktere
3.) Unübersichtlichkeit und zu viele und komplexe Charaktere
Aus meiner Erfahrung fängt es erst an, etwas unübersichtlich zu werden, wenn mehr als ca. 10 Charaktere im Spiel sind. Andererseits kommen ja Aktivierungsmarker auf benutzte Charaktere und deren Standies werden umgekippt. Von daher sieht man relativ schnellt, welche Optionen man noch hat.
Was hier aber extrem gelungen ist, ist, dass die Routinen der einzelnen Charaktere super passen, d.h. man muss sich eben NICHT jedes Mal wieder alles durchlesen, sondern wenn man einmal weiß was eine Person kann, ist die Sache klar. Man muss nur den "Programmiercode" vestehen. Wer einfache WENN-DANN-Excel-Formeln beherrscht, hat null Problem.
Die Komplexität und leichte Gefahr der Analyse Paralyse kommt, dann wenn viele Charaktere im Spiel sind und man anfängt zu überlegen, welcher Charakter einem an welchem Ort gerade das Beste bringt. Das macht für mich aber auch den Reiz aus.
Was mir persönlich etwas bitter aufstößt ist, wenn man über eine teils negative Spielerfahrung berichtet und folglich ein Spiel schlecht redet, die Spielerfahrung aber darauf basiert, dass die Spieler selbst Schuld daran sind. Wenn man einfach stumpf und sinnlos durch Phishing mehr und mehr Charaktere ins Spiel bring, dann hat man etwas SEHR falsch gemacht. Wenn man dann sogar zwischen den Zeilen liest, dass man das gemacht hat, weil man daran interessiert war, mehr Charaktere zu sehen und was sie können, DANN kann man das nicht dem Spiel ankreiden.
Dann sollte man sich einfach vor oder nach der Partie den Stapel der Charaktere anschauen.
4. Spielerzahl
Ich würde klar verneinen, dass man das Spiel mit mehr als 3 Spieler nicht spielen sollte.
Es ist genau anders herum.
- 2 Spieler kann ich mir nicht gut vorstellen, eben weil es da keine Überschneidung an Ressourcen gibt.
- 3 Spieler ist eine gute Spielerzahl, was Dauer versus Erlebnis angeht
- ab 4 Spielern wird es aber richtig interessant, nämlich wenn ALLE Ressourcen relevant sind und es genügend Überschneidungen gibt, so dass man z.T. mal mit anderen Spielern zusammenarbeiten muss.
- ich habe es noch nicht mit 5-6 Spielern gespielt, aber da ich das Spiel mit drei Neulingen in knapp 2 Std geschafft habe incl. einiger Überlegungszeit, dürften 5-6 Spieler auch nicht den Zeitrahmen sprengen, zumal das "natürliche Ende" des Spiels nicht linear mit der Spielerzahl steigt. Also ich hätte schon richtig Lust auf eine epische 6-Spieler-Partie, wenn ALLE Ressourcen doppelt vertreten sind.
Übrigens kann ich interessanterweise NICHT bestägigen, dass die Spieler es schlechter haben, die nur eine der beiden Ressourcen mit einem anderen Spieler teilen. Zwar breiten sich die "doppelten" Ressourcen anfangs schneller aus, ABER alle anderen Spieler gehen auch gezielter dagegen vor. Ab der zweiten Hälfte des Spiels setzt eine Art "Relativierungs/Ausgleichsphase" ein, in der mehr Ressourcen das Spiel verlassen als neue dazu kommen. Wer zu früh klar in Führung geht, den wird es dann kalt erwischen.
Wenn es Dinge am Spiel zu kritisieren gibt, dann aus meiner Sicht erstmal nicht das Spiel an sich, SONDERN:
1. Material
Obwohl es einfach nur MEGA-tolles stimmungsvolles Material hat, leidet es aber unter der ein oder anderen "Kinderkrankheit"
- die Standies der Acrylmarker sind aus meiner Sicht definitiv ein Produktionsfehler
- auf den Augmentierungmarkern [weiß auf gelb] kann man nichts erkennen
- auf dem Double-Layer-Board ist die "Rote Zone" schlecht erkennbar
2. Rechtsschreib-/Textfehler
Es ist mehr als akzeptabel, wenn man das "ß" durchgängig durch "ss" ersetzt (mag auch Produktionsgründe haben), ABER wenn man auf dem FINALEN Spielbrett "Stasse" statt "Strasse" liest....da brauchen einfach ALLE, die an der Spielentewicklung beteiligt waren, eine Augmentierung für die Augen.
Ich will ja nichts sagen, aber ich gehe davon aus, dass die Word-Rechtschreibprüfung das direkt erkannt hätte.
Auf einigen Karten und auch im Regelbuch sind einige Schreibfehler, die einem gewissenhaften Leser eigentlich direkt auffallen dürften. D.h. es ist nicht zu viel verlangt, dass sich min. eine Person einen halben Tag Zeit nimmt, um das Material Wort für Wort durchzugehen.
3. Regeln und Übersichtskarten
Auf den ersten Blick scheint alles da zu sein und auch schön strukturiert zu sein.
Nach den 7 Partien, die ich gespielt habe, würde ich aber prognostizieren, dass das Spiel ein MEHRseitiges FAQ benötigt. Die Interaktion der Charaktere, Orte und Karten führen immer wieder zu Situationen, für die es in den Regeln keine eindeutige Vorgehensweise gibt.
Ich habe angefangen in einer Datei alles zu sammeln, was sich während des Spielens als unklar oder zumindest nicht eindeutig bestätigt herausgestellt hat.
Grundsätzlich sind die Regeln NICHT so sauber gestaltet, wie es ein "Profi" getan hätte. Viele Dinge findet man an verschiedenen Stellen und einige Dinge sind an KEINER Stelle wirklich vollständig, so dass man teils hin- und herspringen muss. Für mich ist mittlerwile fast alles klar, ABER die ersten ca. 3 Partien waren eine halbe Katastrophe.
Z.B. sind Übersichtskarten, die die möglichen Aktionen und den Rundenablauf zeigen extrem mangelhaft, wenn dort Dinge fehlen.
Die Ortaktion sucht man vergebens und ebenso fehlt eine klare Angabe, für welche Aktionen man eine Softwarekarte abschmeißen muss. Dafür muss man das halbe Regelwerk durchblättern.
Insgesamt würde ich klar verneinen, dass die ausgelieferte Version eher den Charakter eines Prototypen hat.
Aber mit ein wenig mehr Zeit für einen "finalen Check" und zumindest mit einem Halb-professionellen Lektor (was große Verlage sicher haben), wäre das Endprodukt zu 100% sauber statt nur zu 99%.
Das, was man für den aufgerufenen Preis bekommt, ist allerdings echt gut. Da gibt es sicher so einige, die schon allein wegen der Acryl-Standies 100 EUR verlangt hätten.