Beiträge von Daily Aviator im Thema „Die Jäger des verpassten Schnäppchens und wieso ich auch mit 20% auf Alles keine 80% Verständnis aufbringen kann“

    Machen Kickstarter eigentlich den Markt für andere Spiele schlechter?


    Es gibt jetzt 2 größere Unternehmen (TMG und CMON) von denen ich weiß, die sich auf Kickstarter konzentrieren, die in Lieferschwierigkeiten geraten bzw. bei denen die offiziellen Bilanzen scheiße aussehen. Was diese Unternehmen über Wasser hält ist der Cashflow aus neuen Kickstartern aber es ist absehbar, dass dieses Kartenhaus über kurz oder lang zusammenbrechen wird.


    Ist es ein Problem für etablierte Verlage, dass solche über lange Zeit unter Verlust operieren können oder ist der Anteil von Kickstarter am Markt insgesamt zu klein, als dass dies einen Effekt hätte?

    Für mich als Kleinverlag macht es zunächst glaube ich keinen Unterschied, egal was mit CMON und Co. passiert. Allerdings könnte ich mir vorstellen, dass - wenn da etwas schief läuft, z. B. bei der Auslieferung - das Vertrauen in Kickstarter im Allgemeinen sinkt. Und darunter leiden dann ggf. andere Kleinverlage, die Kickstarter „brauchen“.


    Insgesamt wäre meiner Ansicht nach ohne Kickstarter auch die Vielfalt der angebotenen Spiele auf dem Markt kleiner und ggf. auch in den Nischen weniger exzentrisch.

    Wow, in diesem Thread ist wirklich viel zum Nachdenken dabei. Ich bin immer noch gespalten und komme deshalb für mich zu dem Schluss, dass wir als Verlage natürlich digital mitgehen sollten, dass Direktvertrieb klare Vorteile hat und dass ein gut informierter Fachhandel dennoch eine nennenswerte Ergänzung ist, ohne den einiges an Vielfältigkeit fehlen würde.


    Mir geht es da wie PeterRustemeyer, im Grunde habe ich beim Schreiben vom "Fachhandel" immer (nur) das FreiSpiel Freiburg vor dem geistigen Auge oder Roskothen und den Wolpertinger, was meiner Meinung nach schon echte Musterbeispiele eines zeitgemäßen Brettspielerlebnisladens sind. Denn im FreiSpiel z. B. können die Menschen sich beraten lassen, Spiele ausprobieren, einen Kaffee trinken oder an gelegentlichen Workshops und Autoren-Treffen sowie (Magic/Yu-Gi-Oh)-Events teilnehmen. Und das Team berichtet auf Social Media transparent darüber, was ihnen gefiel und was nicht. Angesichts der großen Auswahl haben sie dort kein Problem damit, offen zu sagen, wenn Spiele nicht halten, was sie versprechen. Und die Aussage einer dort verkaufenden Person spiegelt letztlich die Meinung von 4–5 Mitarbeitenden wieder und nicht nur genau eine Meinung.


    Vielen Dank für die vielen interessanten Einsichten und dass dieser Thread nicht "typisch Unknowns" gelaufen ist. Das macht mir richtig viel Spaß. Der Thread hier wäre z. B. als Podiumsdiskussion oder Video-Talk auch richtig gut gewesen.

    Ich habe heute im aktuellen Katapult Magazin (Druckausgabe) einen interessanten Artikel über die Buchpreisbindung gelesen und wie sie dazu beigetragen hat, die Vielfältigkeit der deutschen Verlags- und Buchhandelsszene aufrecht zu erhalten, während diese in Ländern ohne Buchpreisbindung schleichend ausgedünnt wurde. Ich kann und darf den Artikel hier nicht abtippen, ich fasse aber mal zusammen, was davon auch für unsere Branche interessant und übertragbar sein könnte, auch wenn wir ja keine Preisbindung haben. Um die geht es mir aber auch nicht sondern um den möglichen Effekt des Fachhandels.

    • Die Buchpreisbindung hat es ermöglicht, dass auch in ländlichen Regionen und Kleinstädten Buchläden (read: Fachhandel) funktionieren, da die Menschen nicht durch Rabattaktionen der großen Häuser in die Städte gezogen werden können und der Kleine Handel somit auch eine Chance hat.
    • Spannend: in Orten mit Buchladen (read: Fachhandel) wird pro Kopf mehr gelesen/Bücher konsumiert als in Orten ohne Fachhandel. Das erlaubt mir fast schon die Untermauerung meiner Annahme, dass der Fachhandel Neukunden gewinnen kann oder Menschen, die bereits im Hobby sind, zu weiteren Käufen anreizt.
    • Der Artikel geht auch darauf ein, dass das Online-Geschäft nicht 1:1 das analoge Geschäft ersetzen konnte, da wo es weggebrochen ist.
    • In Ländern, in denen der Fachhandel gewichen ist, waren die Verlagshäuser genötigt, ihre Bestseller besser zu bewerben und keine Nischenprodukte oder kleine Verlage mehr ins Sortiment zu nehmen. Es wurde mehr von dem verkauft, von dem man wusste, dass es sich verlauft und weniger gewagt. Bzw. hat die fehlende Buchpreisbindung auch dazu beigetragen, dass die Verkaufsschlager oft rabattiert wurden und die seltene Nachfrage kleinerer Titel zu deren Nachteil noch zu einer Preissteigerung bei diesen führte, da es aufwändiger und kostspieliger war, sie überhaupt im Programm zu haben, ... wodurch sie sich noch schlechter verkaufen.

    Einiges davon beobachten wir jetzt schon. Deswegen halte ich die Sorge der Kleinverlage für berechtigt, dass sie ohne den Fachhandel in Existenznöte kommen. Ich konnte das bei uns im ersten Lockdown sehen: Bricht die Beratung weg, werden weniger Board Game Circus Spiele verkauft. Der Handel kann die Kunden nicht aktiv dazu beraten und sie greifen zu dem, was sie schon kennen oder anderweitig häufiger gesehen haben. Oder zu den Pandemie-Angeboten, die große Verlage/Vertriebe dem Handel machen, der daraufhin gleich ganze Tische mit Aktionsware vollstellt, hinter der wir unsichtbar werden.


    Aus Sicht der größeren Verlage/Vertriebe ist das auch folgerichtig und ich kann und will ihr Handeln deshalb nicht kritisieren. Ich würde es genau so machen (müssen) wenn ich an ihrer Stelle wäre. Es ist an uns, andere Wege zu finden und dabei trotzdem möglichst wenig von der guten Infrastruktur des Fachhandels zu verlieren, die wir haben. Ich bin nicht unbedingt Fan davon, dass jeder Verlag einen Direktvertrieb macht und hunderte ihr eigenes Süppchen kochen, wenn die Folge davon eine reduzierte Vielfalt ist - weil nicht alle dabei gewinnen können oder überhaupt in der Lage sind, diese Wege zu beschreiten. Vielleicht bin ich da aber auch zu oldschool, den Handel "dabei" haben zu wollen. Vielleicht verkaufen wir alle in Zukunft online, die Kundschaft muss sich selbst informieren und wir neu Wege finden, um auf uns aufmerksam zu machen.

    Ich lese hier wahnsinnig gerne mit. Und ich habe auch einiges beizusteuern, mehr als ich hier tippen könnte. Ich beschränke mich mal auf ein paar Dinge:


    Als Kickstarter aufkam, war ich früh dabei. Etwa um das Jahr 2010 herum. Damals habe ich sogar versucht, meine von Brettspielen unabhängigen Marketingdienstleistungen auf Kickstarter-Crowdfunding zugeschnitten anzubieten. Die Idee ist zunächst gescheitert, der hiesige Markt war noch nicht so weit. Später feierten insbesondere Brettspiele auf Kickstarter ihren Siegeszug und ich konnte mit Heldentaufe 2016/2017 dann doch noch mein Marketing in einer (und später mehreren) Kickstarterkampagnen unterbringen.


    Parallel dazu baute ich Board Game Circus als Übersetzungsstudio auf und lernte immer mehr Menschen in der Branche kennen. Eine Sache, der ich dabei immer wieder begegnete, war innerhalb der deutschen Industrie die Ablehnung gegen Kickstarter. Ich kenne mehrere Autoren, die jahrelang die Veröffentlichung ihres Spiels über Kickstarter verweigert haben, weil sie immer auf ein „normales“ Release gehofft haben. Es gab und gibt auch immer noch eine Art Ablehnung gegen Kickstarter durch Händlerinnen und Händler. Mittlerweile sehen viele allerdings auch die Chance oder erkennen es als notwendiges Übel, wenn man so will.


    Vielleicht hat sich die hiesige Branche dadurch selbst ausgebremst. Vielleicht liegt der Grund wirklich in einer gewissen Eitelkeit und Überzeugung, dass die vorhandenen Strukturen schon die richtigen sein werden. Als ich noch im Musikbusiness tätig war, konnte ich zahlreiche Labels scheitern sehen, die sich nicht auf die Digitalisierung durch iTunes und später Spotify etc. eingestellt hatten. Denen ist quasi der komplette Markt weggebrochen. Meine Hoffnung war und ist immer, dass der Brettspielbranche nicht das selbe passiert.


    Wahr ist aber auch, dass sich die Kickstarter-Vermarktung und das traditionelle Geschäft nicht ohne weiteres vereinen lassen. Denn beides erfordert einen enormen Arbeitsaufwand in ganz unterschiedlichen Bereichen, die nicht ohne weiteres von wenigen mitarbeitenden abgedeckt werden können.


    Die oben gestellte Zeitfrage lässt sich unter anderem damit erklären, dass eine Kickstarter-Kampagne schon während der 3-4 Wochen in denen sie läuft, täglich rund um die Uhr Kommunikation mit den Backern bedeutet. Und auch nach Abschluss der Kampagne darüber hinaus natürlich einen voll umfänglichen Kundenservice. Ich habe das selbst mehrmals als Betreuer von Kickstarter-Kampagnen gemacht und es ist so viel Aufwand, dass in diesen Wochen nichts anderes mehr möglich ist. Ein Unternehmen müsste also speziell dafür mindestens eine Person abstellen, die 3-6 Wochen lang nichts anderes tut, als nur Kommentare zu beantworten und E-Mails zu beantworten. Gemessen am Zeitaufwand und den Kosten dafür, ist der zu erwartenden Ertrag relativ gering.


    Nutze ich als Verlag hingegen die klassischen Strukturen, dann kann ich den Artikel relativ schnell aus der Hand geben und mich in der Redaktion um weitere Spiele kümmern. Mit Abgabe meiner Spiele an den Vertrieb übernimmt dieser die Verteilung an den Handel. Der Handel wiederum übernimmt das Verkaufen. Als Verlag muss ich mich dann vorrangig um den Kundenservice im Falle von Reklamationen kümmern und natürlich dafür sorgen, dass meine Titel beworben werden. Auch das bedeutet Aufwand, doch durch alle Beteiligten wie eben den Vertrieb und den Handel, erreiche ich relativ gut eine breite Aufstellung und Skalierung meiner Verkaufszahlen. Auf Kickstarter kann ich ebenfalls eine Skalierung erreichen, bin aber nur punktuell an genau einer Stelle aufgestellt. Beides erfordert wie gesagt komplett unterschiedliche Vorgehen.


    Mittlerweile gibt es ja auch verschiedene Herangehensweisen, das Beste aus beiden Welten zu verbinden, so dass sowohl die Verlage als auch die Kundschaft davon profitieren können. Konkret wären hier zum Beispiel die Vorbestellaktionen von Frosted Games oder uns bei Board Game Circus zu nennen. Oder Projekte bei denen das Spiel zustande kommt, sobald sich eine bestimmte Menge an Interessenten dafür gemeldet hat. Alles, was den Verlagen aber auch den Händlerin und Händlern hilft, das Interesse und damit die zu erwartende Abnahmemenge festzulegen, trägt zu einer sicheren Planung eines Projektes bei. Schon in dem Moment kann eventuell wieder mehr gewagt werden, wenn die Unterstützung im Vorfeld sichtbar wird.


    Ich möchte auch noch erwähnen, dass wir uns glücklich schätzen können, hier in Deutschland verhältnismäßig viele Fachgeschäfte zu haben. Diese sind es, die nicht nur informierte Personen als Kundschaft haben sondern eben auch jene, die bisher kaum gespielt haben, mit dem Hobby in Verbindung bringen. Wir Verlage in Deutschland wissen diese Läden sehr zu schätzen und betrachten sie als unsere wichtigsten Partner. Deshalb ist vielfach unser Handeln und Tun eben auch so ausgelegt, dass wir diese Partner mit denken und nicht umgehen. Das könnten wir, wir sind aber der Meinung, dass wir uns langfristig damit keinen Gefallen tun. Deshalb sollte eine zukunftsträchtige Strategie aller Partnerinnen und Partner so aussehen, dass Innovation möglich ist aber eben auch die breite Skalierung über einen Fachhandel.


    Und damit können wir eigentlich wieder zu dem Punkt kommen, dass Spiele vielleicht einfach 10-15% mehr kosten dürften, dann wären genau diese flexiblen, innovativen Möglichkeiten drin. Aber selbst das ist zu einfach gesprochen, es gehören ja noch viele andere Faktoren hinzu, wie zum Beispiel der Produktionsort, die Transportwege und all diese Dinge, die das physische Geschäft in einer digitalen Zeit so schwer machen. Dabei betrachte ich das gar nicht als Gejammer über den Status Quo, denn der ist für uns alle ja immer noch ziemlich gut. Sondern einfach als Herausforderung, die es zu meistern gilt. Wir alle, und da schließe ich mich mit ein, sind es ja gewöhnt, dass alles überall zu jeder Zeit verfügbar ist, mehr oder weniger auf Abruf. Und da ist die Spielebranche bedingt durch die Produktionszeiten und den Transport und andere Faktoren eben doch noch sehr behäbig. Was dann allerdings wieder gut ist, wenn es darum geht, ausreichend Zeit in die Entwicklung wirklich gute Produkte zu stecken.

    Ich finde, das ist ein sehr schöner Thread mit guten Gedanken und interessanten Denkansätzen. Wir haben mehrmals ins Auge gefasst, als Verlag Kickstarter zu nutzen. Nicht wegen des Geldes sondern als „Vertriebskanal“, um so an die Menschen in den USA etc. zu kommen. Aufgrund des hohen Aufwands, des Zeitfaktors und der hohen Kosten haben wir es dann jedes Mal wieder verworfen. Während Kickstarter einerseits das finanzielle Risiko „übernehmen“ kann, ist es doch ein Vabanque Spiel, ob die Initialen kosten für Grafik, Marketing und Kommunikation am Ende ihren Einsatz wert waren. Kickstarterkampagnen sind keinesfalls risikofrei für einen Verlag.


    Als Ben2 sagte, dass die vergleichsweise niedrigen Preise in Deutschland Innovation bremsen, habe ich ihm innerlich zugenickt. Im umliegenden Ausland sind die UVPs meist ca. 10-15% höher, was den Verlagen mehr Spielraum für die Entwicklung aber auch das Material, Artwork und Marketing lässt. Wir tun uns allen hier keine Gefallen mit den niedrigeren Preisen, da Spiele - zumindest von deutschen Kleinverlagen - unter diesen Umständen über lang Gefahr laufen, unter zu gehen oder vom Markt zu verschwinden.


    Unter den aktuellen Umständen ist es oft leichter, risikofreier und günstiger, ausländische Titel zu lokalisieren, als eigene Titel komplett zu entwickeln und in die Redaktion, das Artwork, hunderte Tests etc. zu investieren. Zumal eigene Titel erst mal in der Kommunikation gegen die Lokalisierungen antreten müssen, die im Ausland oft schon durch Videos, Rezensionen etc. in die Medien gebracht wurden und mehr Wahrnehmung erfahren.


    Zur Originalthema: Ich kaufe selten Spiele. Und wenn dann kaufe ich sie spontan weil ich sie haben möchte, ohne nach Angeboten zu suchen. Im Gegenteil, ich gebe gerne das aus, was der stationäre Fachhandel aufruft, weil der so wichtig für uns alle ist. Ich finde es aber vollkommen in Ordnung, bei Angeboten zuzuschlagen oder einen Kauf aufzuschieben, bis es mal eine Preis-Aktion gibt.