Ich lese hier wahnsinnig gerne mit. Und ich habe auch einiges beizusteuern, mehr als ich hier tippen könnte. Ich beschränke mich mal auf ein paar Dinge:
Als Kickstarter aufkam, war ich früh dabei. Etwa um das Jahr 2010 herum. Damals habe ich sogar versucht, meine von Brettspielen unabhängigen Marketingdienstleistungen auf Kickstarter-Crowdfunding zugeschnitten anzubieten. Die Idee ist zunächst gescheitert, der hiesige Markt war noch nicht so weit. Später feierten insbesondere Brettspiele auf Kickstarter ihren Siegeszug und ich konnte mit Heldentaufe 2016/2017 dann doch noch mein Marketing in einer (und später mehreren) Kickstarterkampagnen unterbringen.
Parallel dazu baute ich Board Game Circus als Übersetzungsstudio auf und lernte immer mehr Menschen in der Branche kennen. Eine Sache, der ich dabei immer wieder begegnete, war innerhalb der deutschen Industrie die Ablehnung gegen Kickstarter. Ich kenne mehrere Autoren, die jahrelang die Veröffentlichung ihres Spiels über Kickstarter verweigert haben, weil sie immer auf ein „normales“ Release gehofft haben. Es gab und gibt auch immer noch eine Art Ablehnung gegen Kickstarter durch Händlerinnen und Händler. Mittlerweile sehen viele allerdings auch die Chance oder erkennen es als notwendiges Übel, wenn man so will.
Vielleicht hat sich die hiesige Branche dadurch selbst ausgebremst. Vielleicht liegt der Grund wirklich in einer gewissen Eitelkeit und Überzeugung, dass die vorhandenen Strukturen schon die richtigen sein werden. Als ich noch im Musikbusiness tätig war, konnte ich zahlreiche Labels scheitern sehen, die sich nicht auf die Digitalisierung durch iTunes und später Spotify etc. eingestellt hatten. Denen ist quasi der komplette Markt weggebrochen. Meine Hoffnung war und ist immer, dass der Brettspielbranche nicht das selbe passiert.
Wahr ist aber auch, dass sich die Kickstarter-Vermarktung und das traditionelle Geschäft nicht ohne weiteres vereinen lassen. Denn beides erfordert einen enormen Arbeitsaufwand in ganz unterschiedlichen Bereichen, die nicht ohne weiteres von wenigen mitarbeitenden abgedeckt werden können.
Die oben gestellte Zeitfrage lässt sich unter anderem damit erklären, dass eine Kickstarter-Kampagne schon während der 3-4 Wochen in denen sie läuft, täglich rund um die Uhr Kommunikation mit den Backern bedeutet. Und auch nach Abschluss der Kampagne darüber hinaus natürlich einen voll umfänglichen Kundenservice. Ich habe das selbst mehrmals als Betreuer von Kickstarter-Kampagnen gemacht und es ist so viel Aufwand, dass in diesen Wochen nichts anderes mehr möglich ist. Ein Unternehmen müsste also speziell dafür mindestens eine Person abstellen, die 3-6 Wochen lang nichts anderes tut, als nur Kommentare zu beantworten und E-Mails zu beantworten. Gemessen am Zeitaufwand und den Kosten dafür, ist der zu erwartenden Ertrag relativ gering.
Nutze ich als Verlag hingegen die klassischen Strukturen, dann kann ich den Artikel relativ schnell aus der Hand geben und mich in der Redaktion um weitere Spiele kümmern. Mit Abgabe meiner Spiele an den Vertrieb übernimmt dieser die Verteilung an den Handel. Der Handel wiederum übernimmt das Verkaufen. Als Verlag muss ich mich dann vorrangig um den Kundenservice im Falle von Reklamationen kümmern und natürlich dafür sorgen, dass meine Titel beworben werden. Auch das bedeutet Aufwand, doch durch alle Beteiligten wie eben den Vertrieb und den Handel, erreiche ich relativ gut eine breite Aufstellung und Skalierung meiner Verkaufszahlen. Auf Kickstarter kann ich ebenfalls eine Skalierung erreichen, bin aber nur punktuell an genau einer Stelle aufgestellt. Beides erfordert wie gesagt komplett unterschiedliche Vorgehen.
Mittlerweile gibt es ja auch verschiedene Herangehensweisen, das Beste aus beiden Welten zu verbinden, so dass sowohl die Verlage als auch die Kundschaft davon profitieren können. Konkret wären hier zum Beispiel die Vorbestellaktionen von Frosted Games oder uns bei Board Game Circus zu nennen. Oder Projekte bei denen das Spiel zustande kommt, sobald sich eine bestimmte Menge an Interessenten dafür gemeldet hat. Alles, was den Verlagen aber auch den Händlerin und Händlern hilft, das Interesse und damit die zu erwartende Abnahmemenge festzulegen, trägt zu einer sicheren Planung eines Projektes bei. Schon in dem Moment kann eventuell wieder mehr gewagt werden, wenn die Unterstützung im Vorfeld sichtbar wird.
Ich möchte auch noch erwähnen, dass wir uns glücklich schätzen können, hier in Deutschland verhältnismäßig viele Fachgeschäfte zu haben. Diese sind es, die nicht nur informierte Personen als Kundschaft haben sondern eben auch jene, die bisher kaum gespielt haben, mit dem Hobby in Verbindung bringen. Wir Verlage in Deutschland wissen diese Läden sehr zu schätzen und betrachten sie als unsere wichtigsten Partner. Deshalb ist vielfach unser Handeln und Tun eben auch so ausgelegt, dass wir diese Partner mit denken und nicht umgehen. Das könnten wir, wir sind aber der Meinung, dass wir uns langfristig damit keinen Gefallen tun. Deshalb sollte eine zukunftsträchtige Strategie aller Partnerinnen und Partner so aussehen, dass Innovation möglich ist aber eben auch die breite Skalierung über einen Fachhandel.
Und damit können wir eigentlich wieder zu dem Punkt kommen, dass Spiele vielleicht einfach 10-15% mehr kosten dürften, dann wären genau diese flexiblen, innovativen Möglichkeiten drin. Aber selbst das ist zu einfach gesprochen, es gehören ja noch viele andere Faktoren hinzu, wie zum Beispiel der Produktionsort, die Transportwege und all diese Dinge, die das physische Geschäft in einer digitalen Zeit so schwer machen. Dabei betrachte ich das gar nicht als Gejammer über den Status Quo, denn der ist für uns alle ja immer noch ziemlich gut. Sondern einfach als Herausforderung, die es zu meistern gilt. Wir alle, und da schließe ich mich mit ein, sind es ja gewöhnt, dass alles überall zu jeder Zeit verfügbar ist, mehr oder weniger auf Abruf. Und da ist die Spielebranche bedingt durch die Produktionszeiten und den Transport und andere Faktoren eben doch noch sehr behäbig. Was dann allerdings wieder gut ist, wenn es darum geht, ausreichend Zeit in die Entwicklung wirklich gute Produkte zu stecken.