Aber Vienna ist sicher nicht mit La Isla gleichzusetzen. [...]
Von Vienna ist seit gut zwei Wochen das Vorstellungsvideo von Paul Grogan draußen. Hatte ich mir angeschaut und ich hatte es auch schon mal hier erwähnt. Sowohl Vienna wie auch Cuzco sind erstmal "Re-Themes": exakt gleiche Mechanik wie beim Vorgängerspiel, aber das Thema ist komplett ausgetauscht. Absolut alles hat andere Namen, funktioniert aber rein mechanisch fast genauso wie zuvor. Oder sagen wir lieber: Bei Cuzco [Ex-BoraBora] ist's fast gleich, da ist es eher nur Kosmetik (plus minimales Streamlining, was ich erstmal für einen Pluspunkt halte, z.B. bei Baumaterial->Federn), während bei Vienna [Ex-LaIsla] schon etwas mehr geändert wurde.
Insbesondere wurde bei Vienna etwas Komplexität draufgesattelt. Das war naheliegend. Zur historischen Einordnung/Erinnerung: La Isla war bei Alea in der Mid Box und nicht in der Big Box Reihe positioniert. Die Alea-Redaktion (Stefan Brück) hatte es als etwas zu leichtgewichtig für Big Box angesehen (d.h. in der Tradition u.a. von Puerto Rico, Tadsch Mahal, Ra, fünf dicken Felds; das "Leichtgewicht" Broom Service kam erst später als Alea Big Box). IMHO war das auch ein Startpunkt von dem Übel: Durch die Schachtelgröße war der Preis vorgegeben, dadurch durften z.B. die Karten nur Mini-Euro-Größe haben und andere Komponenten waren dünne Pappe. Selbst für Alea-Verhältnisse (und dann gerade auch im Vergleich zu den früheren Stefan Feld Big Box Spielen!) fühle sich das schon äußerlich billig an. Auch deshalb ist La Isla komplett gefloppt. Von daher ist es für mich absolut logisch, da etwas Komplexität draufsatteln zu wollen, um den gleichen Fehler nicht nochmal zu machen.
Aber zurück von der Historie zu Vienna. Das neue Setting (Agenten in Wien nach WK2) finde ich durchaus gelungen. Auf jeden Fall besser als der Unfug mit dem Entdecken ausgestorben geglaubter Tiere auf der Insel mit "ganz zufälligerweise" perfekter Symmetrie. Was in Sachen Komplexität draufgesattelt wurde, klingt erstmal auch handwerklich sauber gemacht. Löst bei mir keine sofortigen Begeisterungsstürme aus, aber das muss es auch nicht. Passiert eh selten; das meiste finde ich erst nach Ausprobieren gut. Soweit also erstmal völlig in Ordnung. Vienna würde ich durchaus mal ausprobieren wollen, wenn sich die Gelegenheit dazu ergibt.
Ich halte La Isla auch für nicht ganz so schwach wie es vielfach gemacht wurde; dazu findet man sicher auch noch alte Beiträge von mir hier im Forum. Da war ich eher in der Minderheit in einem tendenziell negativ gestimmten Umfeld. Das Spiel wurde IMHO nämlich eher von Äußerlichkeiten gekillt: schwaches Thema, schwaches Material, schwach bei der Usability durch zu viele zu kleine Karten, und das war noch nicht mal alles, was man nennen könnte. Der Gebrauchtmarkt war schnell geflutet, der Preis fiel schnell. La Isla war ratz-fatz "verbrannt". Aber der Kernmechanismus ist gar nicht soooo schlecht. La Isla ist für mich Kategorie "verschenktes Potenzial"; leider nicht das einzige Feld-Spiel dieser Sorte. Richtig aufbereitet braucht sich La Isla IMHO nicht verstecken hinter anderen Felds.
Jetzt das große ABER: Dafür, um aus der großen Masse der vielen ordentlichen und guten, manchmal auch sehr guten, Feld-Spiele herauszuragen, reicht's allerdings bei La Isla meiner Meinung nach auch nicht. Wenn mir jemand sagt, wo seine Vorlieben liegen, werde ich ihm bzw. ihr problemlos fünf andere Felds empfehlen können, die im Schnitt nicht mal ein Drittel von dem kosten, was man hier für das unsichere Experiment Vienna zahlen soll. Tja; das ist halt der Fluch des guten, produktiven Spieleautors: er wird an den Highlights gemessen und das macht's schwer, immer noch ordentliche Durchschnittsware für superteure Preise an den Mann zu bringen. Insofern sehe ich null Gründe, hier mitzumachen. Eher noch würde ich bei Cuzco mitmachen als bei Vienna.
In jedem Falle würde ich Vienna-Interessenten empfehlen, sich (1.) die Vienna-Regeln durchzulesen und dann (2.) sich intensiv mit nochmal La Isla zu beschäftigen, denn da gibt es anders als bei Vienna unabhängige Kritiken und nicht nur Werbung. Die Frage hier ist, ob man da in den überwiegend negativen Kritiken abweichend vom Mainstream und in Kenntnis der neuen Vienna-Regeln mehr Potenzial sieht und denkt: Ja, super, jetzt machen sie's endlich richtig! Das meine ich absolut ernst so. Wie oben gesagt: Ich selbst sehe dieses Potenzial durchaus und Garphill hat mich z.B. mit Raiders of Scythia wieder zurückgewonnen, nachdem bei mir der direkte Vorgänger Raiders of the North Sea und später nochmal Architects of the West Kingdom nach wenigen Spielen "ausgespielt" waren.
Aber für La Isla sehe ich persönlich auf Basis der mir vorliegenden Informationen tendenziell eher eine Verbesserung in Form von "statt unterdurchschnittlich wird's jetzt überdurchschnittlich". Anders als bei den beiden Raiders-Spielen sind das nicht nur einzelne Stellschrauben, die richtig justiert werden müssten. Bei La Isla ist die Basis einfach zu unspektakulär und durchschnittlich, um bei einer Überarbeitung Großes erreichen zu können. Mehr als einen Achtungserfolg sehe ich da nicht. Bora Bora / Cuzco ist für mich das ganz klar bessere Spiel.