Liebes Corona-Tagebuch,
ich möchte mal eine Geschichte erzählen, wie das im Corona-Jahr 2020 so ist, wenn jemand schwer erkrankt, der einem nahe steht – manchen Ärger und Sorgen hätte man sicher auch ohne Corona gehabt, andere eben nicht… Einiges davon habe ich hier schon erzählt, aber mir ist gerade nach einer Zusammenfassung, und für sowas sind Tagebücher ja da.
Der Mensch, um den es geht, ist mein Papa, ein bis dahin absolut gesunder (oder gesund wirkender), topfitter 75jähriger Mann, der im Januar 2020, als alles noch normal war, wegen einer Kleinigkeit ins Krankenhaus musste, ein unspektakulärer und häufiger Eingriff, den er wie erwartet problemlos wegsteckte. In den paar Tagen, die er in der Klinik war, konnten wir (Mama, Tochter, Schwiegersohn) ihn gemeinsam besuchen, und auch sonst musste man sich keine großen Gedanken machen. Alles war gut.
Es war Ende März/Anfang April, eine Zeit, in der auch Corona einen anderen Schwerpunkt im Leben eingenommen hatte, als klar wurde, dass da noch einiges auf ihn und uns zukommen würde. Die Krebsdiagnose kam aus dem Nichts, und mein Mann und ich standen da und kamen uns so hilflos vor. Von ersten Untersuchungen und dem Biopsie-Termin erfuhren wir auf der Treppe vorm Haus, weil wir uns nicht mehr so eng mit meinen Eltern treffen wollten – weil meine Mama wiederum zur absoluten Hochrisikogruppe gehört. Wir konnten nichts machen – wir durften ihn auf keinem Weg begleiten, alles musste er alleine durchstehen. Alle Fragen alleine stellen, alle Schockmomente alleine verarbeiten. Da sehr schnell klar war, dass es auf eine schwierige OP rauslaufen würde (deutlich erschwert durch die frischen Narben der kleinen OP aus Januar), reduzierten wir den Kontakt noch weiter und skypten nur noch. Denn an meinen Papa durfte jetzt erst recht nix ran – die OP eigentlich nicht aufschiebbar, der hätte nicht mal niesen dürfen. Alle Ergebnisse von Voruntersuchungen und Gesprächen erfuhren wir am Bildschirm. Das war schon schwer – aber wenn man mich nach dem einen, schwersten Moment des Jahres 2020 fragt, dann war das der Tag, an dem ich ihn zuhause abholte, wo er sich weinend von meiner Mama verabschiedete, und ihn in die Klinik fuhr. Dort nahm ich ihn ganz kurz in den Arm, und dann marschierte er mit seinem Rollköfferchen, mit hängenden Schultern, so ängstlich und so ALLEIN (es durfte niemand mit rein) durch die Tür, und ich stand an meinem Auto und guckte hinterher. Ich setze mich ins Auto und kam zwei Kurven weit, bevor ich ranfahren musste, weil es nicht mehr ging. Dieser Moment verfolgt mich echt bis heute. Ich konnte nur denken - wenn jetzt was passiert, konnte ich nicht mal richtig verabschieden.
Dann die schweren Wochen des Krankenhaus-Aufenthalts – wobei wir im Mai das große Glück hatten, dass wir ihn gerade so wieder besuchen durften. Allerdings immer nur alleine, für eine Stunde pro Tag, und nach Einzelanmeldung mit Fieber messen. Schlange stehen vorm Krankenhaus, Eintragen in die Besucherlisten, Hals strecken für die Fiebermessung und Besucheraufkleber auf den Pulli pappen wurde für meine Mama und mich zur Normalität. Die Narbe aus Januar macht alles schwerer, und es wurde komplizierter als gedacht. Der Krankenhausaufenthalt war unterbrochen von einigen Tagen, die er zuhause verbringen musste – musste, weil er unseres Erachtens eigentlich nicht in einem Zustand war, in dem er hätte entlassen werden können. Sehr schwierige Tage, in denen dann auch mein Mann und ich ran mussten und hier und dort aushelfen, obwohl wir lieber Abstand gehalten hätten. Maske auf und durch war daher die Devise. Nach mehreren Wochen kam mein Paps endgültig aus dem Krankenhaus und war 20 Jahre gealtert. Weg war er, der muntere Senior, den man immer ausbremsen musste, damit er sich nicht übernimmt, statt dessen ein fast schon gebrochener alter Mann, der mit diesem rasanten Verfall irgendwie klar kommen musste.
Die Reha schloss direkt an. Die Reha, hach was hatten wir Hoffnung in die Reha gesetzt und was wurden wir enttäuscht. Davon abgesehen, dass sie mir die Augen geöffnet hat, wie betreuungsintensiv meine Mama tatsächlich werden kann, lief einfach alles schief. Auch hier hatte Corona Anteil – von Kleinigkeiten wie der Tatsache, dass man den nur gebrochen Deutsch sprechenden Arzt mit Maske natürlich noch schlechter versteht, bis hin dazu, dass Kontakte knüpfen durch Maske und Einzelplätze beim Essen deutlich erschwert wurde. Auch besuchen kam nicht in Frage, es wurde viel geskypt.
Vier Wochen, die uns wie Ewigkeiten vorkamen, denn auch medizinisch brachte ihm die Reha leider nicht viel – eine Infektion schlich sich ein, Übungen konnte und durfte er nicht mehr mitmachen, und natürlich war das Essen auch nicht gut genug 😉 Als ich ihn danach am Bahnhof abholte, stieg ein gefühlt noch älterer Mann in mein Auto, als wir in Reha geschickt hatten….
Es folgten Arzttermine, Medikamente, ein langsames Eingewöhnen zuhause. Sein Gesundheitszustand wurde kaum besser, die Infektion war zwar bald im Griff, aber andere Übungen, um die OP-Nachwirkungen zu verbessern, konnte und durfte er nicht vornehmen. Zu dem Zeitpunkt, als er hierzu endlich weiterführende Termine hatte, und wir hofften, nun ginge es aufwärts, zog er sich einen Narbenbruch zu und musste erneut operiert werden. Dieses Mal durfte er im Krankenhaus überhaupt keinen Besuch empfangen, war aber glücklicherweise auch nicht allzu lange drin. Aber klar – die erneute OP verschleppte alles andere weiter.
Dann war es aber soweit, und die Physiotherapie konnte starten. Ließ sich auch alles gut an, er war wieder guter Dinge, Hoffnung keimte – letzte Woche nun die Meldung, dass wegen Corona keine weiteren Physiotermine mehr stattfinden können. Glücklichweise hat er aber nun Möglichkeiten, zuhause zu trainieren, und noch wichtiger, er hat einen alten Freund getroffen, der akkurat die gleiche Krebsdiagnose mit quasi gleichem Verlauf vorzuweisen hat. Ich denke und hoffe, auch der Austausch wird ihm helfen, und wir schauen nun aktuell etwas zuversichtlicher in die Zukunft.
Sicherlich hätten wir vieles hiervon auch ohne Corona mitmachen müssen – aber nicht in dieser Schwere. Corona begleitete uns an sehr vielen Stellen durch diese Zeit und tut es immer noch. Und da ich nun so nah an der absoluten Risikogruppe dran bin und hier auch Kontakt halten muss, da sie mich brauchen, bin und bleibe ich weiterhin vorsichtig. Freunde zu Besuch? Nein. Spieleabende? Nur per Skype. In die Büroküche? Nur mit MNB. Bouldern? Geht ja aktuell eh nicht, fehlt mir aber mittlerweile seit März und wird auch noch lange fehlen müssen. Weihnachten? Nur mit den Eltern. Silvester? Nur zuhause mit den Katzen, aber das ist wenigstens wie immer – ich hasse Silvester 😉 So wie ich eben an „meiner“ Risikogruppe nah dran bin, so sind es andere eben auch an ihrer, und so wie ich meine Eltern nicht gefährden will, will ich auch nicht die nahestehenden Personen von anderen gefährden. Daher gilt für mich – Frischluft schnuppern im Tierheim und ansonsten bleibt der Hintern zuhause, außer natürlich an den Präsenz-Tagen im Büro, auf die mein Arbeitgeber nicht verzichten will…
Hoffen wir einfach auf eine bessere Zeit und bleiben wir bis dahin rücksichtsvoll.
Deine Martina