Beiträge von Sir Bobo im Thema „03.02.-09.02.2020“

    Ich kann noch aus der Ecke der Essen 2019-Neuheiten ein paar Spielerfahrungen berichten.


    #Electropolis




    Das aus Taiwan stammende Electropolis kam zwischenzeitlich zweimal als 3er-Partie auf den Tisch und ist ein recht flott in ca. 1h machbares Tile-Placement Spiel rund um die Produktion von Strom. Hierbei wählen die Spieler jeweils Kraftwerke und öffentliche Gebäude aus und platzieren diese Plättchen auf einen begrenzten, eigenen Bauplatz, um dadurch am Ende möglichst viel Elektrizität produzieren und Aufträge erfüllen zu können, ohne durch Minuspunkte aufgrund von Umweltverschmutzung und leeren Feldern zu viel zu verlieren.


    Kernmechanismus ist hierbei in jeder der 8 Runden die Entscheidung, wie viel aneinandergereihte Plättchen man aus einem Kreis nehmen möchte, denn je mehr man nimmt, desto weiter hinten liegt man in der Spielerreihenfolge und muss sich mit den Resten begnügen. Dabei ist zusätzlich auch die Reihenfolge für die mögliche Auswahl von Karten relevant, die nicht nur Aufträge für das Spielende liefern (z.B. "befülle ein 4x4 Feld und bekomme dafür 8 Punkte"), sondern auch gnadenlos bestimmen, in welchem Bereich man überhaupt seine Plättchen legen darf. Da man auch evtl. bestimmte Plättchen jagt, um etwa sein bisher wertloses Atomkraftwerk noch mit einem Endlager und Uran zu bestücken, muss man immer auch die Mitspieler und deren Bedürfnisse im Blick haben, um eine sinnvolle Spielerposition zu bestimmen. Passe ich nicht auf und muss mehr Plättchen nehmen als ich aufgrund meiner Karte platzieren kann, hagelt es negativen Public Support, der mir sonst die Umweltverschmutzung "erledigt" (zufriedene Bürger meckern weniger über Smog und tränende Augen...).


    Electropolis ist aufgrund begrenzter Komplexität durch 4 Kraftwerkstypen, Public Support Gebäuden und Reinigungsanlagen ein sehr fokussiertes Spiel mit einer eleganten Reduktion auf den spannenden Kernmechanismus, der auch schnell erklärt ist und trotz eigener Baustelle eine ständige Interaktion mit den Mitspielern erfordert. Es gibt hierzu übrigens auch ein empfehlenswertes Heavy Cardboard Let's Play. Mein einziges Manko liegt tatsächlich an meinem persönlichen Geschmack, der etwas höhere Komplexität bevorzugt und sich hier evtl. doch etwas mehr Variabilität der Plättchen gewünscht hätte. Dennoch muss ich einfach anerkennen, dass das Spiel in zwei unterschiedlichen Gruppen sofort sehr gut angekommen ist. Daher knistern 7.5/10 funkensprühende Überladungen durch die Leitung!



    #Terramara


    In dem auch gerne auch mal als "Stone Age für Experten" bezeichneten Quined Games Titel Terramara hat eine Partie zu Dritt erste Eindrücke in die Stärken und Schwächen dieses Spiels vermitteln können. In diesem umfangreichen Worker Placement-Spiel auf der Jagd nach Siegpunkten platziert jeder Spieler mehrere Erkunder und einen Häuptling auf ein sich langsam veränderndes Spielbrett, um damit Ressourcen zu sammeln, zu bearbeiten und damit Karten zu kaufen sowie gleichzeitig auf einem Straßen- und Flusstrack nach oben zu klettern und schließlich auf eine Kampfstärke zu steigern.


    Ein wesentliches Element dieses Spiels stellt die knackige Begrenzung der verfügbaren Felder für die eigenen Meeple dar. Während der Chieftain zwar andere Erkunder problemlos verdrängt, kann er nur auf aufgedeckte Felder gesetzt werden. Die Erkunder müssen dagegen entweder mehr Kampfkraft als ein bereits auf einem Feld sitzender Meeple aufweisen oder sich mit freien Feldern begnügen. Ein besonderer Kniff ist dabei, dass besonders lukrative Felder auf Reihen liegen, die erst im Laufe des Spiels umgedreht werden (oder sogar nie) und daher diese Erkunder darauf erst einmal gefangen bleiben und die Folgerunde(n) nicht zur Verfügung stehen.


    Darüber hinaus beinhalten die mit verarbeiteten Rohstoffen gekauften Karten nicht nur Siegpunkte, sondern auch starke Einmaleffekte oder dauerhafte Spezialfähigkeiten, mit denen man sich dann kleine Combos basteln kann. Wie man es sich denken kann, sind die Elemente auch noch herrlich miteinander verzahnt und man muss immer wieder schwierige Entscheidungen treffen. Marschiert man etwa den Landweg hinunter, kann ich direkt und damit am schnellsten durch die Mitte gehen oder für einen Schritt mehr links gehen und dort kleine, aber teilweise wichtige Boni (Rohstoffe, Punkte etc.) mitnehmen oder rechts eine Flagge bei einem Spielendziel (z.B. Punkte für grüne Karten) platzieren. Obwohl man zwei Wagen hat, sind die Schritte begrenzt und man muss sich immer wieder gut überlegen, welche Prioritäten man setzt.


    Die Interaktion ist hierbei aufgrund der begrenzten Felder "klassisch brutal" und zwingt einen immer wieder, die eigenen Bedürfnisse vorauszuplanen und wichtige Felder schnell zu besetzen. Auch aufgrund des Mechanismus der sich ändernden Felder für die Erkunder werden manche Rohstoffe plötzlich knapp und es werden verzweifelt Alternativen etwa über Bonusfelder gesucht, um einen wichtigen Auftrag noch erledigen zu können. Auch kann einmal pro Runde (und bei bestimmten Aufträgen) ein Überfall auf andere Mitspieler gestartet werden. Dann bestimmt die Position auf dem Kampftrack, ob man jeden 4ten oder vielleicht nur jeden 8ten Rohstoff abgeben muss. Dieses Risiko kann man etwas steuern, kann aber gerade gegen Spielende etwas hässlich werden, da die Karten dann sehr teuer sind und ein kampfstarker Spieler die Erfüllung eines letzten Auftrags damit sabotieren kann.


    Terramara hat interessante Mechanismen und Entscheidungsmöglichkeiten, aber auch seine Ecken und Kanten. Die Anleitung ist leider nicht besonders gelungen und hat wenig Struktur, gerade wenn man Detailfragen nachschlagen will. Auch sind die Aufträge nicht nochmals gesondert erläutert. Die Kampfleiste ist mit den aufgedruckten Zahlen und Schilden nicht gerade intuitiv und es ist nicht immer aus allen Perspektiven am Spieltisch leicht, die vollständige Übersicht über Karten und freie Felder zu behalten. Am meisten hat mich jedoch das Downscaling bei niedrigerer Spielerzahl gestört: Es werden dann nicht nur zufällige Felder dauerhaft geschlossen, sondern zusätzlich werden noch Figuren eines Dummyplayers platziert, die dann lediglich bei höherem Kampfwert noch von einer Figur besetzt werden können. Dummerweise hat dieser Dummy jedoch die ersten Runden maximale Zahlen erhalten, womit insgesamt noch die verfügbaren Felder extrem ausgedünnt wurden. Ich konnte den Dummy erst am Spielende einholen, doch bis dahin muss man mit gnadenlosen Einschränkungen leben, was die gefühlte "Härte" nochmals erhöht hat. Bei der Spiellänge muss man in den ersten Runden mit 2.5 - 3 Stunden Spielzeit rechnen, was gefühlt für das Gebotene vielleicht etwas kürzer ausfallen sollte.


    Dennoch hat mir das Spiel und viele Einzelelemente wie z.B. das Drafting von Startvorteilen oder die freie Entscheidung, wann man seinen Startbonus in eine Punkteengine ändert, gut gefallen und die zugehörigen Entscheidungen waren hart, aber dennoch konnte man mittelfristige Strategien mit entsprechenden Adjustierungen "dank" Mitspieleraktionen auch durchziehen. Wer hier blind die Arbeiter streut und sich in eigenen Zielen verzettelt (z.B. trotz Kartenkaufstartvorteil auf die Kampfleiste stürzen und den Straßentrack und dessen Boni völlig ignorieren), erlebt in der Punktewertung seine Überraschung und entsprechend rangierten die Ergebnisse der ersten Partie von 46 bis 131 Punkten (und ich muss mir überlegen, wie ich meine Mitspieler bei dieser "Klatsche" zu weiteren Partien mit mir motivieren kann... *g*). Auch hier gibt es übrigens ein gutes Heavy Cardboard Let's Play für einen Ersteindruck. Von meiner Seite gibt es hierfür 7/10 Mammutknochen auf den Neandertalerschädel!



    Abschließend erwähne ich noch gerne ein paar Ersteindrücke zu kleineren Kartenspielen:


    #SilverAmulet


    Nach der recht teuren Bezier Games-Ausgabe hat nun Ravensburger eine handliche, deutschsprachige Version von Silver Amulet herausgebracht. Als bekennender CABO-Fan konnte ich dieses Spiel nun in unterschiedlichen Konstellationen spielen und bin nur eingeschränkt überzeugt. Spielmechanisch hat man verdeckte Karten mit Zahlenwerten vor sich und versucht, diese Zahlen zu identifizieren und zu reduzieren bzw. Karten loszuwerden und andere Spieler entsprechend zu ärgern. Hierbei entscheidet man immer, ob man die Zahl einer Karte vom Ablagestapel nutzt oder eine Karte zieht und dann auch alternativ die Kartenfähigkeit ausführt (z.B. Tausche eine Karte mit dem Nachbarn oder sehe dir eine Karte an).


    Während einige Regeln gerade bzgl. des Spielendes gestreamlined wurden, muss man die Kartenfähigkeiten auf jeder Karte nun verstehen und mit dem etwas komplexeren Mechanismus offener und verdeckt liegender Karten zurechtkommen (was bei Vielspielern besser klappt als bei jüngeren, CABO-erprobten Familienmitgliedern). Insgesamt bleibt die sehr gute Mechanik der Vorgänger erkennbar, aber bin ich daher erst einmal zurückhaltend und werde meine CABO-Karten weiterhin als einfachere Alternative behalten, daher von mir auch nur 6/10 versilberte Werwolfpatronen.



    #FoxInTheForestDuet



    Dieses reine 2-Player-Coop-Stichspiel "Fox in the Forest Duet" ist sicherlich ein sehr seltenes Tierchen in der Kartenspielwelt. Durch das gezielte Stechen von Karten in einem 3-Farben-Set mit vielen Sonderfähigkeiten versuchen zwei Spieler, möglichst gezielt einen Marker auf einem Track innerhalb der Karte zu halten. Wenn ein Spieler einen Stich gewinnt, bewegt sich der Marker um die Anzahl der Pfoten auf den Karten in dessen Richtung und sollte möglichst auf einem Feld mit einem Edelstein landen. Wenn man alle Steinchen eingesammelt hat, hat man gewonnen, doch rennt man über das Kartenende hinaus oder benötigt man längere Zeit, wird das Spielfeld immer enger.


    Hierbei ist es elementar, ohne ausdrückliche Kommunikation die Optionen des Mitspielers zu verstehen und so möglichst gezielte Stiche zu ermöglichen. In den beiden gespielten Partien war es jeweils sehr knapp, doch vermutlich werden Stichspielprofis hier etwas schneller den Dreh herausbekommen. Als Ersteindruck schließt dieses Spiel eine kleine Lücke für 2 Spieler unterhalb "Die Crew" und erhält dafür zumindest 7/10 Fuchsschwänzen an der Mantaantenne.



    #Oriflamme


    Ein ganz anderes Kaliber hat das kurzweilige Hau-und-Stech-Kartenspiel "Oriflamme", welches vielleicht am besten als Bastard von Loveletter mit einem Sack giftiger Skorpione beschrieben werden kann. Jeder Spieler startet mit einem identischen Kartendeck von 10 Karten, wovon drei Karten zufällig entfernt werden. Danach platziert man eine Handkarte verdeckt am Anfang oder am Ende einer Kartenreihe. Diese Kartenreihe wird dann, beginnend mit der ersten Karte, nacheinander aktiviert und man kann sich entscheiden, die eigene Karte aufzudecken und die Fähigkeit auszuführen oder diese Karte liegenzulassen und darauf Siegpunkte zu sammeln.


    Natürlich gibt es eine Menge dreckige Fähigkeiten, andere Karten zu eliminieren, Fallen zu legen oder Reichtümer anzuhäufen. In diesem sehr schnellen Spielchen wird geblufft, geflucht und gekichert. Gerade bei der empfehlenswerten Spielerzahl von 4-5 Spielern ist hier ordentlich Chaos angesagt und Strategieplaner werden frustriert in die Tischkante beißen, dennoch ist für Unterhaltung gesorgt und wem Love Letter schon immer mit "too much romance" zu rosa war, kann sich hier endlich in ähnlicher Länge etwas härter austoben. Daher gibt es von mir dafür 6.5/10 vergiftete Dolche in den Rücken...