Hier ein paar subjektive Gründe, warum ich Robinson Crusoe nicht so sehr mag, wie andere kooperative Spiele:
1. Die Ursprungsregeln waren ein Graus. Das ist denke ich sogar mittlerweile allgemeiner Tenor. Wer also die allererste Edition hat, schaut in die Röhre und muss es anhand von Videos oder (ggf. ausgedruckten) PDF Files der neuen Anleitung lernen.
2. Das Spiel ist zu schwer. Und damit meine ich nicht "mimimi"-schwer, sondern ultraharte Bockschwierigkeit. Wir haben in verschiedenen Besetzungen das erste Szenario vielleicht fünf Mal gespielt und jedes mal verloren. Ignacy, der Autor mit hunderten Partien auf dem Buckel, hat das Spiel schon mehrfach in live ausgestrahlten Streams verloren. Nein: er wurde zerstört. Wenn also selbst der Erfinder, der es eigentlich theoretisch am besten wissen müsste, was die Dos und Don'ts sind, nicht hinkriegt, sein eigenes Spiel zu bezwingen, tja - dann wurde es wohl willentlich so designed, dass man nur einen Teil der Partien gewinnt. Und mit einem Teil meine ich hier einen Bruchteil. Und das gefällt mir einfach persönlich nicht. Ein Coop darf gern schwer sein, aber es muss wenigstens zu 50% der Fälle überhaupt auch gewinnbar sein. Wenn ich von vornherein rangehe und weiß, "na gut: wir gewinnen heute eh wieder nicht, weil es eigentlich gar nicht geht", na dann habe ich auch keine Lust, es überhaupt erst auf den Tisch zu packen. Ins Gesicht spucken lassen kann ich mir von meinen Schülern, das muss nicht noch zu Hause ein Brettspiel übernehmen. Und wie gesagt: wir sprechen hier nicht von kognitivem Anspruch oder einer "Herausforderung". Wir sprechen von einer per se unfairen Ausgangssituation in manchen Szenarien, die egal durch welche Vorgehensweise nicht notwendigerweise gebändigt werden kann. In der Regel jedenfalls. Und das ist nicht meine Art von Spiel. Es bringt mir nichts, eine Begegnung mit einem Tiger zu haben, die beim ersten Mal nichts macht, jedoch beim zweiten Mal etwas Schlimmes auslöst, wenn sie denn gezogen wird. Einfach weil es gut und gern möglich ist, dass ich die Karte direkt im nächsten Zug ziehe, wenn ich beim Mischen Pech habe. Das ist dann für mich kein gesundes Design. Es sollte wenigstens ein klein wenig Leeway dabei sein, sodass ich überhaupt auf die Situation reagieren oder mich ein bisschen vorbereiten kann. Denn thematisch macht das auch keinen Sinn, dass der Tiger erst verschwindet und dann in der nächsten Millisekunde doch noch aus dem Gebüsch auf mich drauf hüpft. Wobei wir hier dann schon beim nächsten Punkt wären:
3. Das Thema kommt nur einigermaßen durch.
Ich möchte nicht behaupten, dass Robinson Crusoe unthematisch wäre. Weiß Gott nicht. Es hat tolles Artwork (mir gefallen alle bisher erschienenen Editionen und nicht nur die von Dutrait Illustrierte), es hat viele gute Ideen und man fühlt sich auch schlecht dabei. Man fühlt sich wie auf einer einsamen Insel, wo alles schief läuft, was schieflaufen kann, und man sich an jeden kleinen Strohhalm positiver Art klammert. Aber: Trotzdem komme ich nicht umhin, die mechanische Seite des Spiels zu sehen. Setze deine Arbeiter ein, setze mehr für bessere Aktionen, usw. Am Ende sind es dann eben doch nur Scheiben. Minis mit verschiedenen Bases hätten mir hier tatsächlich wesentlich besser gefallen und die Immersion für mich immens erhöht. Das gleiche gilt für die Ressourcencubes -> realistische Tokens wären schön gewesen. Auch mehr Flavourtext hätte mir gefallen. Der Text auf den Karten ist stimmig, aber ein einzelner Satz zu einem großen Ereignis ist dann manchmal doch etwas mager. Hier hätte ein Buch wie bei Oben & Unten absolut Sinn gemacht und man hätte noch mehr choose your own adventure-Entscheidungen mit einbauen können. Verzweigungen, längere Pfade, usw. Ich bin hier einfach nicht so tief drin, wie, sagen wir, in einem Nemesis. Und selbst das hat auch kein Buch oder Verzweigungen. Aber das Erlebnis ist viel cineastischer, man steckt viel tiefer drin. Es ist einfach mehr Ameritrash, ohne dass es gleich "viel mehr" Glück besitzt. Finde ich jedenfalls.
4. Nächstes Ding: Robinson Crusoe hat ein Alpha Leader-Problem. Und obwohl ich normalerweise der Erste bin, der sagt, dass das an der jeweiligen Gruppe bzw. den Mitspielern liegt, verleitet Robinson Crusoe schon ein bisschen dazu, dass jemand das Ruder an sich reißt. Es ist eben wie bei Der Herr der Fliegen oder wie das Buch noch gleich heißt: irgendjemand stellt sich als Anführer heraus und übernimmt dann Verantwortung. Er will nicht, dass man scheitert, also tut er alles dafür, dass die Gruppe weder verhungert noch stirbt. Er nimmt Neulinge an die Hand und klärt sie über die Optionen auf, auch wenn dies manchmal das Aufzeigen der aktuell bestmöglichen Züge funktioniert. Denn am Ende ist es meistens nur Worker Placement. Entscheidungen, welche Scheibe ich wo hin setze und wie viele ich benutze. Würfelaugen kann man bei anderen Spielern nicht beeinflussen, die sinnvollsten Pfade zu gehen um das Überleben der Gruppe zu sichern, schon. Und gerade in diesem Inselsetting schreit es danach. Die Serie LOST comes to mind as well. Was hätte man also dagegen tun können im Designprozess? Mehr individuelle Aktionen einbauen, artifiziell die erlaubte Kommunikation einschrenken, mehr versteckte Informationen inkludieren, das Überleben der Gruppe vom Überleben des Einzelnen etwas mehr abkoppeln (z.B. durch geheime persönliche Ziele), oder oder oder. Es hätte viele Möglichkeiten und Wege gegeben.
5. Und quasi mein letzter Punkt, wie leider so oft: Das Spiel ist mir zu lang. Eine Partie Robinson Crusoe geht bei bestmöglichem Verlauf (also dem nicht sofortigen, erstmöglichen Ableben) in Vollbesetzung gut und gern mal drei Stunden. Und solange trägt es sich aber für mich nicht. Dafür ist es zu unthematisch bzw. mir zu wenig immersiv (siehe 3.). Nach anderthalb Stunden bin ich gelangweilt von immer dem selben Scheibenplatzieren und der ständigen Unfairness. Es ist ein Titel voller kleiner Verzweiflungen und Enttäuschungen, anders zum Beispiel als Terraforming Mars, wo immer wieder kleine Belohnungen ausgeschüttet werden hier und da (erreichte Meilensteine, gewettete Errungenschaften, großer Einkommensanstieg, ein erfolgreich eingesneakter Städtebau für viele Siegpunkte am Ende, usw.). Diese Freude verspüre ich bei RC nicht. Außer es passiert mal etwas äußerst Positives, was in der Regel aber aus einer Aneinanderreihung von viel Glück resultiert. Das befriedigt mich dann einfach nicht, da ich lieber selbst für den positiven Effekt verantwortlich bin. Hier stört dann quasi der Hybridanteil von Robinson Crusoe, der Erstens negative Erlebnisse statistisch zu bevorteilen scheint und Zweitens eben wie gesagt eher durch Glücksmomente Freude auslöst, als durch "Können" respektive aktive kognitive Entscheidungsprozesse.
Wie dem auch sei. Ich möchte niemandem Robinson Crusoe madig machen. Ich finde das Spiel gut und würde es in einer kleineren Gruppe von Leuten, die den Titel kennen, auch wieder mitspielen. Nur einfordern würde ich es nicht und besitzen muss ich es gleich gar nicht. Es ist für mich die Quintessenz einer knappen 7.0 auf BGG. Gerade noch gut quasi. Daher aber für mich persönlich niemals das beste Coop aller Zeiten. Nicht in meiner Top 10 und eventuell sogar nicht mal in meiner Top 20 Coops.
Spirit Island hingegen halte ich für eines der intelligentesten und brilliantesten Designs der letzten 10+ Jahre. Es ist ein faszinierendes, asymmetrisches Puzzle ohne Alpha Leader-Problem mit toller, origineller Thematik, super interessanten Fähigkeiten, vielen Handlungsoptionen und extremer(!) Skalierbarkeit. Ich kann das Spiel von babyleicht bis hammerhart durchkonfigurieren. Daher ist dann eben für jeden Spielgeschmack auch was mit drin, alle Vorlieben werden abgedeckt. Außer eben für den beinharten Ameritrasher. Denn dafür ist der Glücksanteil, wo jetzt was spawnt etc. dann wohl doch zu niedrig.
Ps: Der Moment, wo ich wusste, dass ich dieses Spiel lieben werde, war übrigens der Tag vor 5 Jahren, als ich dieses Video hier sah. Die erste Vorstellung des Spiels überhaupt, damals innerhalb eines Interviews mit dem Autor selber:
R. Eric Reuss ist für mich seitdem mehr oder weniger die Nummer Eins auf dem Radar der Autoren-Newcomer und ich halte ihn für einen hochintelligenten Vordenker, der uns hoffentlich in der Zukunft noch mit weiteren Erscheinungen im 'Medium to Heavy' Euro-Segment beglücken wird.
PPs: Ich gönne natürlich nichtsdestotrotz beiden Spielen den Sieg und bin auch nicht böse, wenn es Robinson Crusoe mit nach Hause nimmt. Das Spiel hat seine Fanbase und das ist völlig legitim. Ich persönlich hätte mich einfach für Spirit Island mehr gefreut und hätte es ein Mü mehr verdient gesehen. Macht aber nichts. Life goes on
Lg