Beiträge von ravn im Thema „Ist "klug, aber faul" eine Zielgruppe?“

    Gute Beispiele für komplizierte Spiele sind die Erstlingswerke von Phil Eklund. Um möglichst viel von der Wirklichkeit abzubilden, gibt es etliche Sonderregeln, die rein spielerisch wenig bringen, aber vorhanden sind, damit diverse Spezialfälle abgedeckt werden können. Deshalb ist der Zugang zu diesen Spielen auch so schwierig, aber auf spielmechanischer Ebene im Vergleich zu typischen Eurogames bleibt dann recht wenig übrig.


    Hätte mich das Thema "Raumfahrt" nicht interessiert, ich hätte mir High Frontier in der Erstauflage nicht angetan. Spielmechanisch eher Magerkost, aber kompliziert, um möglichst realitätsnah zu sein. Kein Wunder, warum das nur die wirklichen Freaks spielen. Meilenweit von der Massentauglichkeit entfernt. Aber selbst ich möchte auch nicht immer ein High Frontier spielen, eben weil es sich teilweise mehr wie Arbeit als Spiel anfühlt, aber ausreichend faszinierend ist, dass ich dann doch ab und zu mal spielen möchte. Dann aber meist zu zugänglicheren Alternativen greifen, die weniger Vorarbeit erfordern, um herausfordernden Spielspass zu haben.


    Deine Beispiel Coimbra und teilweise Ein Fest für Odin empfinde ich als X mathematische Gleichungen mit Y Unbekannten. Klar kann ich am Spieltisch das alles durchrechnen, Wahrscheinlichkeiten aufstellen, potentielle Strategien gegeneinander aufwiegen und im Geiste Siegpunkte zählen. Aber warum? Da ist mir der Aufwand zu hoch, um möglichst optimal spielen zu können. Rein zügig und intuitiv gespielt, habe ich hingegen gegen langatmige Optimierer keine Chance. Da ist dann das Ergebnis zudem unbefriedigend. Und x Stunden mitzuerleben, wie Mitspieler durch angestrengte Denkarbeit ein Holzklötzchen auf einer Siegpunktleiste um einige Felder weiter voranbringen als ich selbst, der eher intuitv seine Spielzüge absolviert, das ist für mich (inzwischen) keine Freizeitbeschäftigung mehr, die mich reizen würde.


    Ich kenne aber genügend Spieler, die solche Optimier-Klötzchenschiebe-Rechen-Spiele mit möglichst wenig direkter Interaktion und mit möglichst wenig spielbezogener Kommunikation mögen. Nur frage ich mich da oft, ob die nicht auch einfach solo spielen könnten. Aber jeder so, wie er mag.


    Also bin ich faul und fühle mich gut dabei. :)

    Gibt es eine echte Zielgruppe an Leuten, die prinzipiell in der Lage sind, sich in komplex-komplizierte Spiele reinzufuchsen, aber schlicht keine Lust drauf haben?

    Ja klar und gleichzeitig klar nein.


    Weil der Denkansatz ist rein kommerziell angelegt und zielt auf die eigentliche Frage, welche Spieleigenschaften man treffen muss, um möglichst eine ausreichend große Zielgruppe zu treffen, der ich mein Produkt Spiel verkaufen kann.


    Ich lasse mich aber nicht auf eine plakativ formulierte Zielgruppe reduzieren, weil dafür ist mein Spielegeschmack zu komplex und umfangreich. Deshalb wehre ich mich dagegen, in Schubladen einsortiert zu werden, die viel zu klein und eng sind und mir nicht gerecht werden, weil sie so sehr vereinfachen, dass alle Aussagen davon ausgehend, keinen Wert mehr haben.


    Ich spiele bevorzugt gute Spiele und diese Güte hat nichts mit einer Komplex-Kompliziertheit zu tun. Das ist überhaupt kein Kriterium für mich. Ein Sticky Chameleon spiele ich genauso gerne wie ein Time of Crisis. Ob konkret ein Sticky Chameleon oder ein Time of Crisis auf den Tisch kommt, hängt von meiner Stimmung und der potentiellen Spielrunde ab, die sich ebenso darauf einlassen möchte.


    Da gibt es kein schwarz-weiß und somit auch keine Antwort auf Deine Frage. Eben weil die Frage von vereinfachten Voraussetzungen ausgeht, die nach meinen Erfahrungen so nicht existieren. Pseudo-intellektuelle Zeitverschwendung für mich, weil wie soll man zu einer Antwort kommen, wenn die Frage schon falsch ist?