Zum Thema grundsätzlich ein Artikel von zwei namhaften deutschen Linguisten, die schwerlich einer verschwindend geringen Minderheit angehören.
Geschlechtergerechte Sprache ist demokratische Pflicht - Kultur - Süddeutsche.de
Zitat
Unabhängig von diesen populistischen Angriffen wird allerdings auch aus der Sprachwissenschaft Kritik am Gendern geäußert. Dabei geht es im Wesentlichen um zwei Punkte: Genus hat, erstens, nichts mit Sexus zu tun, also das grammatische nichts mit dem biologischen Geschlecht. Zweitens beziehen sich Personenbezeichnungen im Maskulinum nicht nur auf Männer, sondern auf beide Geschlechter gleichermaßen. Dies nennt man das "generische" Maskulinum.
Beide Erkenntnisse sind eng miteinander verflochten und bilden den Dreh- und Angelpunkt einer jeden Kritik an geschlechtergerechter Sprache. Wenn das Genus nichts über das Geschlecht sagt, sollten Frauen kein Problem damit haben, im Maskulinum angesprochen zu werden - und Ausdrücke im generischen Maskulinum wie "der Wähler" stellen aufgrund der Unmarkiertheit des Sexus ohnehin keinen präzisierungsbedürftigen Fall dar. Leider gibt es mit diesen Erkenntnissen ein nicht ganz unwichtiges Problem: Beide sind sie nämlich falsch.
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Ich bin zwar grundsätzlich deiner Meinung, aber an dem Artikel habe ich letztes Jahr an anderer Stelle schon Kritik geübt, daher möchte das auch hier tun, wenn auch nicht so ausführlich.
Dein Zitat bricht nämlich an einer schönen Stelle ab - vor der Begründung.
Ich möchte aus der Begründung zitieren:
Zitat
Dass etwas mit der "Genus ist nicht Sexus"-These nicht stimmen kann, sieht man schon daran, dass das Genus in bestimmten Fällen das einzige Mittel ist, das natürliche Geschlecht zu bezeichnen. Substantivierte Adjektive werden allein durch das Genus auf Männer oder Frauen bezogen: die Kranke gegenüber der Kranke. Viel wichtiger ist aber, dass in der Linguistik längst der Nachweis erbracht wurde, dass das Genus direkte Auswirkungen auf die Vorstellung von Sexus hat, und zwar konkret auf die Wahrnehmung. Grundlegend dafür ist die Erkenntnis, dass Personenbezeichnungen wie Terrorist, Spion, Physiker, Lehrer, Erzieher, Florist oder Kosmetiker ein sogenanntes soziales Geschlecht aufweisen, das unterschiedlich stark ausgeprägt sein kann. Es leitet sich aus dem realen Geschlechteranteil ab und aus Stereotypen, die man der jeweiligen Personengruppe zuschreibt. Bei diesen Beispielen nimmt der männliche Anteil vom Terroristen bis zum Kosmetiker in diesem Sinne beispielsweise ab.
Hier argumentieren die beiden zwar nicht schlecht, und nicht mal grundsätzlich verkehrt, aber eben fälschlich und unpräzise.
Denn: Genus HAT nichts mit dem Sexus zu tun. All die vermeintlichen Gegenbeispiele der beiden erklären lediglich, dass in unserer heutigen Gesellschaft, die nun wirklich durch viel, VIEL mehr als nur die Sprache geprägt wird (Traditionen, Medien, Erziehung, Gesetze, Normen) von den Menschen ein Bezug vom Genus zum Sexus hergestellt wird!
Die Behauptung ist nicht falsch - ja, unsere kulturelle Prägung beeinflusst unsere Wahrnehmung des Sexus bestimmte Objekte. Und ja, wir ziehen angesichts dieser Prägung durchaus eine Korrelation zwischen Genus und Sexus.
Aber das bedeutet nicht, dass der Genus etwas mit dem Sexus zu tun hat. Die beiden SIND voneinander unabhängig. Egal, ob wir dazwischen nun eine Verbindung ziehen oder nicht.
Dass die Begründung der beiden hinkt, merkt man schon daran, dass so gut wie alle ihre Beispiele extrem moderne Begriffe sind: "Grundlegend dafür ist die Erkenntnis, dass Personenbezeichnungen wie Terrorist, Spion, Physiker, Lehrer, Erzieher, Florist oder Kosmetiker ein sogenanntes soziales Geschlecht aufweisen, das unterschiedlich stark ausgeprägt sein kann." Kaum einer dieser Berufe ist älter als hundert Jahre - "Genus" und "Sexus" allerdings sind deutlich älter. Die Behauptung, der Genus beeinflusse den wahrgenommenen Sexus, zu begründen, indem man die soziale Sexusprägung einer Handvoll moderner Berufe ins Feld führt, ist einfach extrem kurz gedacht und beweist nur, dass unsere Wahrnehmung von Genus und Sexus ein modernes Phänomen ist - und dadurch vermutlich durch andere Aspekte konstituiert wird als allein die Sprache.
Wie gesagt: Ich will nicht mal unbedingt die Schlussfolgerung der beiden kritisieren, aber ihr ganzer Text strotzt m.E. vor falschen Argumentationsketten und Ableitungen.