Mir fällt es extrem schwer, mich bei dem Thema wirklich kurz zu fassen. Dazu sind es über all die Jahre viel zu viele Einflüsse und viel zu viele Spiele gewesen … Die groben Trends: Liebe für abstrakte und Kartenspiele sowie ein Hang zum kompetitiven Spielen war wohl schon immer da – genauso wie Skepsis gegenüber Zufallselementen Je interessanter die Entscheidungen sind und je höher die Entscheidungsdichte ausfällt, desto eher gefällt mir ein Spiel – heute noch mehr als früher. Je älter ich werde, desto mehr fokussiere ich mich auf die mir wirklich wichtigen Spiele und Inhalte. Wenn ich die richtigen Leute mit hinreichend viel Zeit zur Verfügung hätte, würde ich heutzutage wohl ausschließlich Hardcoresachen (Splotter, 18xx, Lacerda etc.) spielen.
Mein Curriculum Ludorum in der tl;dr-Fassung:
Spiele des Jahres mit Familie => Schach => Monopoly, Auf Achse, Poker mit Kumpel => Rummikub, Rommé & Canasta mit Oma => Siedler => Siedler PC-Version => Brettspielwelt.de => Carcassonne, Lost Cities, Kardinal & König, Puerto Rico, Tichu, Halali etc. => SPIEL, Turniere, Ligen, Meisterschaften, Poker => BSW-/Spiele-Treffen => abstrakte Spiele, Age of Steam, Race for the Galaxy, unknowns, Brass, Ruhm für Rom => Boardgamearena, Boite a jeux, BoardgameCore => Burgen von Burgund, Haggis, Heavy Euros, Splotter, Kanban, Twilight Struggle => 18xx
… und der Wall-of-Text¹-Version:
Meine Eltern kauften zu Weihnachten ein Spiel, meist das Spiel des Jahres oder von der Empfehlungsliste (Hase & Igel, Scotland Yard, Bärenspiel, Sagaland, Heimlich & Co etc.). Das spielten wir dann immer mal wieder, die alten natürlich auch – mal mit Eltern, mal ohne.
Irgendwann kam Schach dazu, wahrscheinlich so mit 8. (Mein Vater ist schon mein Leben lang Vereinsspieler.) Mangels Verein an unserem damaligen Wohnort blieb mir allerdings nur, gegen ihn zu spielen. Ergo: Learning by Losing. Also viel Lektüre, die immerhin vorhanden war, viele Schachrätsel (Zeitmagazin) etc. Irgendwann hatte ich dann eine Chance. In meiner Erinnerung habe ich abgespeichert, dass recht bald danach Anzahl und Häufigkeit der Partien rapide nachließ – aber da mag mir mein Hirn auch einen Streich spielen. Mein Vater konnte mir allerdings auf Nachfrage auch keinen guten Grund mehr nennen Ich erinnere mich außerdem noch an den Versuch eines Vereinsspielers bei uns im Ort eine Jugendgruppe aufzuziehen. Mehr als zwei Turniere kamen dabei leider nicht zustande. Da die Partien gegen meinen besten Freund auf Dauer auch nicht sonderlich interessant waren, fiel Schach leider recht früh wieder vom Wagen. Wir landeten stattdessen (in der Grundschulzeit) immer wieder bei Monopoly und Auf Achse. Als Teenies spielten wir neben PC und Playstation eigentlich nur noch Poker um Pfennige.
Ebenfalls als Teenie habe ich sehr viele Runden Rummikub, Rommé und Canasta mit meiner Oma gespielt (RIP). Das dürfte neben Schach den Grundstein für meine Liebe zu abstrakten und Kartenspielen gelegt haben. Auch bei Ferienbesuchen bei meiner Tante gab’s dank 4 Kids eigentlich immer Spielpartner und auch reichlich Auswahl im Spieleschrank (abstrakte Holzinselspiele bis zu Mainstreamkram wie Ligretto oder Phase10). Auch ein Carrom-Brett gab’s dort und bald zog dann auch eins bei uns daheim ein. Endlose Sessions gegen Freunde waren die Folge. Irgendwann nervte das suboptimale Brett allerdings so sehr, dass es in der Ecke verstaubte (und Jahre später als einer meiner ersten ebay-Verkäufe in die Geschichte einging ).
Mein persönlicher Knackpunkt war Siedler (Catan für die Jüngeren ). Mit Tante, Onkel und deren Kids wurde das bei meinen regelmäßigen Besuchen rauf und runter gespielt – mit sehr, sehr bescheidenem Erfolg So bescheiden, dass sie mir irgendwann das PC-Spiel zu Weihnachten schenkten, verknüpft mit dem unverhohlenen Hinweis, dass ich doch mal ein wenig üben solle, damit ich ihnen mal das Wasser reichen könnte. Nun ja, das mit dem PC-Spiel war ganz lustig und meine Siegquote am Tisch stieg auch rapide an. Es war ganz schön lästig gegen die ganze Familienbande bestehen zu müssen. Dieses „Stahlbad“ war aber im Nachhinein betrachtet eine gute Vorbereitung in Sachen Psychologie für spätere Turniere
Ein paar Jahre später (?) saß ich nach der ersten Woche Studium in meiner Bude und hatte nichts zu tun. [Party machen? s. Benutzertitel ] Mir fiel ein, dass ich mal was von „Siedler online spielen“ gelesen hatte und fand den Hinweis auch wieder.
http://www.brettspielwelt.de war flott eingetippt und BAM! ab ging’s in den Kessel … Die BSW war genial. Zwar gab es damals neben Siedler nur eine überschaubare Anzahl Titel, aber die wollten natürlich alle erkundet werden. Anfang des Jahrtausends war jedes neue Spiel dort ein Happening. Ich lernte, was es gab (Lost Cities, Kardinal & König!) und was neu dazu kam, selbst die üblen wurden wenigstens probiert (Schrille Stille, Intrige).
Bald kam Carcassonne. Das zog mich neben Siedler so sehr in den Bann, dass ich beide online 1000e Male zockte, an offline-Turnieren teilnahm und auch online Ligen und Turniere spielte und einige Jahr lang auch organisierte. Dieses Engagement erstreckte sich im Laufe der Zeit auch auf andere Spiele (Vielseitigkeitsliga, BSW-Olympia-Orga). Selbst wenn’s nur um Online-„Ruhm“, einen schnöden Pokal oder evtl. ein Spiel als Preis geht, verleihen solche Formate Spielen dann doch noch mal eine ganz andere Dimension. Dieser Hang zum Kompetitiven sollte mich später zu Zeiten des Pokerbooms in Deutschland zum Online-Poker führen, als Student eine sehr willkommene Einnahmequelle. (Vor’m Black Friday war ich raus.)
Über das Organisieren von Turnieren lernte ich auch Puerto Rico kennen, welches mein erstes – naja – heavy Euro gewesen sein dürfte. Bei einem offline-Treffen einiger Organisatoren eines BSW-Städteturniers erklärte mir (BSW-Admin) TORBEN PR in 5 Minuten … Jau, geiles Ding. Nichts verstanden und danach ca. 30 Spiele online dilettiert, bis ich’s endlich geschnallt hatte und sinnvoll agieren konnte. Spätestens seit diesem Erlebnis weiß ich, was eine gute, an die Mitspieler angepasste Regelerklärung wert sein kann Leider waren damals recht viele Experten in der BSW zugange, die PR bereits totanalysiert hatten. Dadurch war eher schnell die Luft raus.
Das BSW-Spiel schlechthin ist aber Tichu. Lange Zeit währte ich mich dagegen, weil ich aufgrund des Hypes darum eher skeptisch war. Irgendwann knickte ich jedoch ein. Es dauerte ein wenig, aber irgendwann war ich Feuer und Flamme und widmete mich ein paar Jahre lang Ligen und Turnieren. Selbst mit festen Partnerinnen war das oft genug mit reichlich Nervenkitzel verbunden Dafür liebe ich das Spiel bis heute, selbst wenn ich’s nur noch sehr selten mal auf einem Treffen spiele. [=> Unbedingte Empfehlung für alle, die Kartenspiele mögen und eine feste 4er-Runde haben!]
Apropos Treffen: Das spielerische Highlight eines jeden Jahres war für mich lange Zeit das BSW-Treffen auf der Pfadfinderburg Rieneck. 4 Tage und 3 Nächte zocken, bis einer am Tisch einschläft (Hi Düsi ). Dort lernte ich einige Spiele abseits der BSW-Bibliothek und etliche Leute persönlich kennen. Über die Jahre wurden aus manchen Chat-Bekannten gute Freunde. Mit manchen treffen wir uns heute noch mindestens einmal im Jahr für ein paar Tage. [Wir? Meine Frau hat eine niedrigere BSW-ID als ich Aber ich schweife ab ]
Die BSW ist ja heutzutage nun nicht gerade für Hardcore-Kracher verschrien. Damals war es etwas besser, aber Puerto Rico, Fürsten von Florenz und Funkenschlag trotzdem das Ende der Fahnenstange. Hm, Imperial vergessen, aber das wollte irgendwie niemand spielen – leider … So waren die BSW-Treffen für mich die ideale Möglichkeit, mal nach oben hin auszubrechen. Reef Encounter, Railroad Tycoon und Spiele von alea kreuzten meinen Pfad und legten den Grundstein für den langsamen Abschied von den einfacheren BSW-Daddeleien (Lost Cities & Co). Auch beim Spielen mit Freunden zeigten sich bereits meine heutigen Präferenzen. Ein Freund schleppte häufig Ameritrash an und ein anderer liebte Cosmic Encounter. Ich so: In dieser Runde war’s daher immer ein Glücksspiel, was auf den Tisch kam – Spaß hatten wir trotzdem. [Insider: Primamarkt!]
Ich hatte das Glück in meiner aktivsten BSW-Zeit in einen Ort zu ziehen, in dem ein ebenfalls sehr aktiver BSWler wohnte (ganz in der Nähe meiner damaligen Freundin), der sich zudem als Spiele-Sammler entpuppen sollte. So lernte ich in kurzer Zeit bei gemeinsamen Spielerunden etliche alte wie neue Spiele kennen. Teilweise müssten das mehrere Dutzend im Monat gewesen sein, darunter viele 2er-Spiele, herausragend dabei die Gipf-Serie. Da war sie wieder die alte Liebe zu den Abstrakten Das prägendste Spiel war im Nachhinein betrachtet allerdings Halali. Ausgerechnet Halali? Das hielt ich bis dahin für ein absolutes Glücksspiel – bis ich das mal ihm gegenüber äußerte und ich so richtig gnadenlos etliche Male am Stück platt gemacht wurde. Ok, es ist kein Glücksspiel. Es ist eher ein Prototyp für „hat Zufallsanteile, aber der bessere Spieler gewinnt trotzdem 2/3 oder mehr“. Das setzte ich dann in der BSW um Einen ähnlichen Effekt erlebte ich später nochmal bei Street Soccer.
Der nächste Knackpunkt kam via Boardgamegeek, für mich auch vor 15 Jahren schon die Quelle schlechthin. Es ist also kein Wunder, dass die Sammlung bei mir/uns im Laufe der Jahre deutlich anwuchs Bei BGG entdeckte ich 2006 Age of Steam. Eisenbahn?! Pick-up-and-deliver? Das weckte Erinnerungen an Auf Achse Leider kam es in meiner damaligen Runde nicht wirklich an und da es bis heute keine einfache Online-Umsetzung gibt, konnte ich es nie so auskosten, wie ich das gerne wollte. Wobei: Besser so, das wäre ein Mega-Timesink. Immerhin war mir seit der ersten Partie klar, dass es Spiele gibt, die einen von Anbeginn flashen können. Auch 13 Jahre später ist es immer noch mein Lieblingsspiel.
In der Folge merkte ich bei Spieleabenden mit Freunden allerdings immer häufiger, dass mir die Standard-Euros nicht mehr wirklich reichten. Klar war das schön, mit netten Leuten ein paar gemütliche Stunden zu verbringen, aber rein spielerisch fehlte mir was.
Ich versuchte zwar über die Jahre immer wieder, auch härtere Sachen in die Runden zu bringen und die Spiele funktionierten auch, aber der Drang der anderen zu etwas weniger denklastigen Spielen war doch deutlich spürbar Race for the Galaxy und später Ruhm für Rom kamen damals häufiger auf den Tisch und waren exzellente Kompromisse. Kartenspiele mochte ich ja schon immer und sie sind auch die Lieblingskategorie meiner Frau. Zu zweit spielten wir außerdem auch mal die „härteren“ Sachen von Troyes bis hin zu Pret-a-Porter. Sowohl das Spielen mit Freunden als auch zu zweit ließ mit Familienzuwachs (hüben wie drüben) allerdings langsam nach. Zeit und Nerven sind halt endlich
So musste ich andere Wege finden, meinen Fix zu bekommen, und stolperte z. B. irgendwann über unknowns. Ich weiß nicht mehr wie oder durch wen (wahrscheinlich gab’s einen Tipp von Klaus_Knechtskern), aber den Tag verfluche ich immer mal wieder
Auch Brass lief mir über den Weg, weil Wallace. Im Gegensatz zu Age of Steam gab und gibt’s davon eine taugliche Online-Version. Es sollten 100e Partien folgen Später kamen dann Boardgamearena, Boite a jeux und BoardgameCore dazu. So lernte ich u. a. Haggis (Tichu-Methadon für 2) und Kanban lieben (danke nochmal an unittype001 für den entscheidenden Stupser!), konnte endlich mal Race, Troyes, Im Jahr des Drachen und Antiquity richtig erkunden und bei Food Chain Magnate sogar von Anfang an bei einem Strategiekracher dabei sein. Irgendwann dazwischen gab’s noch eine längere Burgen von Burgund Episode, welches allerdings nach Detail-Analyse der Pläne und dem Ausfall meiner Lieblingsgegner bei BAJ aus meinem Fokus geriet. Dank der von Klaus im Nachgang der Analyse angeregten Features ist dort zwar einiges besser geworden, aber irgendwie reizt(e) es mich nicht mehr so … Lange Jahre nagte an mir, dass ich Twilight Struggle mangels interessierten Mitspielern nie die Chance geben konnte, die es eigentlich verdient hatte. Erst einige Zeit nach Erscheinen der digitalen Edition konnte ich dann allerdings nachvollziehen, warum es einige für ein absolutes Meisterwerk halten. Auch wenn der Zufall doch manchmal arg nervt, zähle ich es heute zu meinen Lieblingsspielen. Diese Erfahrung mit einem damals schon 10 Jahre alten Spiel war für mich ein weiterer wichtiger Schritt weg vom Jagen nach Neuheiten und hin zur tieferen Erkundung einzelner, schwergewichtiger Titel.
Einen entscheidenen Einfluss zur Fokussierung auf die Heavy-Euros hatte aber auch unsere Tochter. Wenn man Haba & Co. rauf und runter spielen „muss“, dürstet es einen sehr schnell nach dem anderen Ende der Skala Da sollte man besser jede Gelegenheit auskosten. Ich möchte aber gar nicht jammern. Der ursprünglich mal nur semi-ernst gemeinte Masterplan „Puerto Rico mit 8“ läuft immerhin prima.
Des Weiteren hat sie großen Anteil daran, dass in den letzten Jahren einige alte und manche neue Klassiker meist in kurzer Folge auf den Tisch kamen (Zug um Zug (Skandinavien!), Kardinal & König, El Dorado, Azul) und ich endlich das Projekt „Regal ausdünnen“ angehen konnte. *hust* Einige, der für die spielerische Sozialisation nicht mehr notwendigen oder untauglichen Spiele (Koops!), durften und dürfen endlich gehen. Auch für eine Renaissance einiger abstrakter Spiele ist sie hauptverantwortlich. Das meist tolle Material, einfaches Regelwerk, oft kurze Spieldauer und trotzdem eine hohe Dichte interessanter Entscheidungen (für mich) machen sie für uns zu fast idealen Vater-Tochter-Spielen. Das funktioniert aber wohl auch nur mit halbwegs frustrationstoleranten Kids so gut, denn das dauernde Verlieren will erst mal verkraftet werden Neben den Gipfen, Quoridor, Blokus 3D, Einfach Genial etc. hat’s ihr in letzter Zeit besonders Santorini angetan. [… mich nerven die unnötig unterschiedlichen Stockwerkvarianten …]
Es wird jedenfalls weiter spannend bleiben, ihre Entwicklung und auch ihre Einflüsse auf mich zu beobachten.
In den letzten 1 – 2 Jahren habe ich das Live-Onlinespielen bis auf wenige Ausnahmen stark reduziert. Der Plan war, stattdessen ein paar weiße Flecken auf meiner Spielelandkarte anzugehen und z. B. Splotters wie Great Zimbabwe und Indonesia mal genauer zu erkunden. Nun ja … Das ist bisher nicht sonderlich erfolgreich gewesen. Auch die nur bei günstigen Gelegenheiten mal gespielten 18xx sollten eigentlich schon länger eine deutlich höhere Priorität erhalten. Das funktionierte immerhin halbwegs, auch wenn ich mich da wirklich mal in Board18 & Co reinfuchsen müsste, um sie regelmäßig spielen zu können … Aber immerhin wird es so langsam. Mal sehen, wer mit auf diesen Zug springen kann und mag und wohin die Reise in den nächsten Jahren gehen wird
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