Kingdom ist viel mehr Strategy Realm Making, als ATO, dessen Schwerpunkt ganz anders liegt als bei ATO. Dort ist die klassische Heldenreise viel präsenter. Ich lasse mir die Geschichte gerne beim Spielen und nicht beim Lesen erzählen was mir alles vorkaut.
Und genau das ist einer von vielen Punkten, warum ATO bei mir nicht gezündet hat. Als ATO angekündigt wurde, wollte ich es unbedingt haben, weil es sich für mich wie eine perfekte Mischung aus KDM und meinem Hang zu griechischer Mythologie las. Ich liebe KDM, schon allein wegen den vielen Berserk Anleihen. Aber es sind halt nur Anleihen. Aber dann eine leicht abgewandelte Story einfach nachzuerzählen, die eigentlich im Kern jeder kennen sollte (Stichpunkt: Argonautensage), motivierte mich nur semioptimal. Und wenn dann die Kämpfe auch noch gähnend langweilig sind, dass jeder am Tisch seine WhatsApp Nachrichten spannender findet, als das, was sich auf dem Brett abspielt, ist das Spiel zum Scheitern verurteilt. Bei KDM ist das noch nicht einmal vorgekommen, dass da irgendjemand das Handy in der Hand hatte (außer als Übersetzungshilfe). Ab diesem Moment konnte es in keinem der Kernelemente überzeugen.
KDM hat den großen Vorteil, dass niemand die Welt kennt. Man wacht in einer Welt auf, weiß weder, wer man ist, noch wie man da hinkommt. Um darüber nachzudenken, bleibt keine Zeit, denn auf einmal begrüßt uns der White Lion. White Lion vs. Lendenschurz und Steinkeil. Während man bei KDM die Story ist, die mit jeder neuen Kampagne komplett anders ablaufen kann, ist sie in Teilen bei ATO schon vorgegeben. Die Reise bleibt auch immer die gleiche, was mich jetzt auch nicht dazu motivieren würde, ATO noch einmal zu spielen. Die Legeplättchen sind vorgegeben, wie bei 7th Continent. Bei einem zweiten Anlauf wüsste ich somit praktisch, wo was passiert und wo ich was finde. Deshalb fühlt sich ATO extrem gescriptet an, weil ich kein Überraschungsmoment erlebt habe, bei dem ich meine nächsten Schritte ganz genau überlegen musste. Es gab keine Spannung, keine Gamechanger und an lustige Momente kann ich mich auch nicht erinnern. Vielleicht ändert sich das im Laufe des Spiels, wenn man in Circle 2 oder 3 ankommt. Aber so weit habe ich nicht gespielt. Ich bin einfach zu alt, um mich 50 Stunden durch ein Spiel quälen zu müssen, um ein paar Aha-Momente zu erleben. Meine Lebenszeit ist begrenzt. :p Und von dem Verwaltungsausmaß bei ATO, möchte ich erst gar nicht anfangen. Wenn man am Tisch mehr damit beschäftigt ist, den Wust aus Sheets unter Kontrolle zu bringen, als dem Geschehen zu folgen, ist das Spiel für den armen Schriftführer eh gelaufen. Da finde ich den Aufwand bei KDM wesentlich angenehmer, weil da die Sheets um einiges besser sind und auch selbsterklärender. Bei ATO habe ich sehr schnell angefangen, die App zu nutzen. Wobei ich eigentlich Apps in Brettspielen immer sehr kritisch sehe.
Wir haben ATO zu zweit und zu dritt gespielt. Ich würde es allerdings auch eher als Solospiel einordnen. Und für alle, welche die Argonautensage kennen, dürfte die Story jetzt nicht der große Wurf sein. Zumindest nicht so langweilig, wie sie in ATO erzählt wird. Wer die Kämpfe spannend findet und damit seinen Frieden hat, dem gönne ich jeden Spaß der Welt mit ATO. Aber ich beurteile ein Spiel nach meiner Spielerfahrung, die ich mit diesem Spiel verbinde und ob es den Spielspaß halten kann. Erinnere ich mich nach 2 Jahren noch an einzelne Partien, oder an einzelne Spielmomente? Und da ist KDM als auch ein S&S für mich ganz weit vorn. Und ich kann Becki sehr gut verstehen, wenn er mit KDM nicht zurechtkommt. Er vermisst die Heldenentwicklung, explizit seine Heldenentwicklung. Und das bietet KDM genauso wenig, wie ATO eine Heldenentwicklung im klassischen Sinne besitzt. Bei ATO sind wir höchstens Lokführer. Und wenn die Lok kaputt geht, werden wir auf die nächste Lok gesetzt. Wo man bei KDM noch sagen kann…ok, wir spielen „einen gemeinsamen Helden“ (die Siedlung), die den eigentlichen Erfolg oder Misserfolg der Kampagne bestimmt, gibt es das in dem Ausmaß bei ATO nicht. Zumindest fühlt sich für mich das Base-Building der Argo nicht so immersiv an, wie bei KDM. Bei KDM ist jede Siedlungsphase eine Zitterpartie. Egal wieviel Siedler man hat, es können in jeder Siedlungsphase zu wenig sein. Genauso, wie die Argo erforscht werden muss, um craften zu können, müssen auch bei KDM die Settlement-Location und Innovation erforscht werden. Ansonsten sieht es mit Waffen und Rüstungen etc. sehr traurig aus. Aber bei ATO muss ich nehmen, was ich bekomme. Da bestimmt der Techtree die Reihenfolge. Bei KDM kann ich selbst entscheiden, was ich in welcher Reihenfolge bauen will. Was nützt mir der Rüstungsschmied, wenn ich im nächsten Kampf eine bestimmte Waffe vom Waffenschmied haben könnte, die uns ggf. als Gruppe nach vorn bringen könnte. Die Variabilität und das Taktieren, ist bei KDM um einiges höher als bei ATO. Bei KDM ist der strategische und taktische Part aber ganz eng mit der Siedlung verknüpft, weniger in den Kämpfen. Die Siedlung ist Dreh- und Angelpunkt. Ein paar Entscheidungen in der Siedlung falsch getroffen und KDM reduziert sich zu einem zeitlich begrenzten BB. Denn dann wird die Kampagne sehr schnell vorbei sein.
Auch wenn ich mit Becki in seinen Videos nicht immer konform gehe, so verstehe ich, warum er ein Spiel so bewertet, wie er bewertet. Er hat einfach eine ganz andere Herangehensweise an Brettspiele und ganz andere Ansprüche an ein Spiel. Und so leid es mir tut, er wird sich wohl bald selbst laminieren müssen. Denn DAS Spiel, auf das er wartet und was GD bei ihm ablösen wird, kann es in einer Zeit, wo es immer mehr weg von Qualität geht, nicht mehr geben. Das Mechanik-Rad erfindet sich nicht mehr neu. Spieltiefe, Story, Immersion, Exploration, Taktik, Strategie erfordert Aufmerksamkeit, die heute kaum noch einer bereit ist in irgendwas zu investieren. Wir sind mittlerweile bei einer Aufmerksamkeitsspanne von unter 5 min angekommen. Diese beiden Pole lassen sich heutzutage nicht mehr vereinen.