Beiträge von MetalPirate im Thema „Welches Spiel fandet ihr am komplexesten / kompliziertesten und warum?“

    Anachrony ist auch deshalb einfach, weil es strategisch völlig eindimensional ist. Mach das, was Fraktion und Leader dir vorgeben zu tun; davon abweichen loht nicht. Wie das Spiel auf Weight-Werte über 4 bei BGG kommt, ist mir ein Rätsel. Das ist ein hübsch anzusehendes, aber letztendlich ziemlich durchschnittliches Workerplacement-Spiel mit der einzigen Besonderheit, dass man Kredite nicht in Geld, sondern in Warenform aufnimmt.

    cold25 : #TheGallerist empfinde ich auch als sehr anstrengend und zunehmend unthematisch, wenn man es gut spielen will. Optimierung auf verschachelte Rückfallschritte auf dieser komischen Leiste, Optimierung auf Bonusplättchen, die mit vollen Händen über den Plan gestreut werden, und allerlei mehr vom Himmel gefallenes Zeugs, das mit steigender Spielerfahrung das Thema killt. Aber #VinhosDeluxe und #Lisboa sind beides echte Highlights, die dir gefallen müssten, wenn ich auf deine Top-5 Liste schaue.


    Wobei ich dazu sagen muss, dass das wie immer bei mir für das Mehrspielerspiel gilt. Einer meiner wenigen Solo-Versuche war tatsächlich mal Lisboa und das fand ich solo absolut furchtbar. Abbruch nach ein paar Zügen. Wobei das Solo-Spieler nicht abschrecken muss, denn Solospielen ist allgemein nicht mein Ding.

    Zu #Lisboa würde ich den entsprechenden Thread empfehlen: [2017] Lisboa - Vital Lacerda

    Ggf. könntet ihr ( Puma und cold25 ) dann dort auch von euren Ersteindrücken und Anfängererfahrungen berichten. Lisboa ist ein Spiel, bei dem man erstmal über eine gewisse Hürde drüber kommen muss. Das gilt umso mehr, wenn man es sich selbst erarbeiten will und man keinen Regelkundigen hat, der es einem erklärt.

    Puma : So wild ist #Lisboa nicht. Wenn du andere Spiele von Herrn Lacerda kennst, dann weißt du ungefähr, was dich erwartet. Die Züge bestehen aus recht vielen kleinen Schritten, deren richtige Abfolge man erstmal verinnerlichen muss. Die ersten Züge spielt man nach Checkliste runter. Aber dann kommt man eigentlich recht gut rein.


    Ein guter Erklärer hilft bei solchen Sachen wie Lisboa natürlich auch enorm, und zwar auf mehreren Ebenen: er kann bei der Erklärung schon die Zusammenhänge zwischen den Untersystemen verdeutlichen, er kann Anfänger bei der formal korrekten Durchführung der Züge ein bisschen anleiten (am Anfang definitiv notwendig!), und wenn er wirklich gut ist, bringt er auch noch ein bisschen Thema mit portugiesischer Geschichte rüber, denn da bietet Lisboa enorm viel, noch mehr als andere Spiele von Vital Lacerda. Beispielsweise kann man damit, dass der moderne und aufgeklärte Premierminister (anders als der gläubige König) kein allzu großer Freund der Kirche war, so manche Spielmechanismen erklären, etwa dass man Einfluss bekommt für die Abgabe von Kirchenprivilegien.

    Ich halte diesen Wiktionaryeintrag mit Verlaub für nicht besonders gelungen.

    Sehe ich auch so. Das "Daher ist Kompliziertheit immer negativ konnotiert." darin stimmt einfach nicht. Es mag zwar oft so sein, aber zumindest in unserem Spielerkreis ist klar, dass eine oft erwünschte hohe Komplexität in vielen Fälle auch eine gewisse Regelmenge erfordert, und das gilt auch unabhängig davon, ob man das aus der Euro- oder der AT-Ecke heraus betrachtet. Niemand wird z.B. bestreiten, dass #MageKnight komplizierte Regeln hat. Allein schon die Menge ist furchteinflößend, auch für Vielspieler. Auch die größten Mage Knight Fans werden das zugeben. Aber auch große Regelmengen werden akzeptiert, wenn sie als "leider nun mal notwendig" angesehen werden können. Deshalb ist "kompliziert" zumindest in unseren Kreisen keinesfalls immer so eindeutig negativ besetzt.

    Komplex finde ich gut. Kompliziert stört mich grundsätzlich auch nicht, allerdings mit einem ganz großen ABER: unnötige und überflüssige Kompliziertheit stört mich extrem! Unnötige Kompliziertheit existiert nach meiner Erfahrung in zwei Formen:

    • Sachen, die im Prinzip gar nicht so kompliziert sind, werden in der Regel einfach nur schlecht erklärt, so dass man sie erst nach dreimaligem Lesen und zweimaligem Spielen wirklich verstanden hat. Etwa beim Regellesen lange unklar bleibender logischer Ablauf des Spiels (Phasen, Runde, Züge, etc.) oder völlig unverständliche Vorwärtsreferenzen im Text, die Wissen voraussetzen, das man beim Erstkontakt mit dem Spiel zum Zeitpunkt des Lesens noch gar nicht hat. (Musterbeispiel: Spielworxx-Regeln)
    • Verkomplizierende Spielregeln, die weder thematisch noch spielmechanisch notwendig sind. Für jede komplizierte Regel muss ein entsprechender spielerischer (oder thematischer) Gegenwert da sein, der die Existenz dieser Zusatzregel rechtfertigt. Das geht stark in die Richtung von fehlendem Streamlining: etwas ist umständlicher als es sein müsste, um den gewünschten Effekt zu erzielen. Auch das bringt unnötige Kompliziertheit und macht ein Spiel für mich damit schlechter.

    Die richtig guten komplexe Spiele leiden weder unter dem einen noch unter dem anderen. Unter den bereits genannten Spielen würde ich das z.B. bei #Madeira, #DieAlchemisten oder #GaiaProject so sehen. Das sind zwar Komplexitäts-Brocken mit vielen Regeln, aber absolut "rund", da hätte man kaum etwas besser machen können.


    Bei anderen komplexen Spielen sind mehr oder weniger große Abstriche zu machen. Bei #GreatWesternTrail ist z.B. die Regel nur dafür ausgelegt, in einem Rutsch gelesen und verstanden zu werden. Wenn man etwas sucht, findet man nichts. Das ist noch okay, und in Anbetracht der Komplexität des Spiels auch irgendwo verständlich (ich behaupte nicht, dass ich das besser gekonnt hätte), aber es ist dann eben nicht mehr "gut" (das erlaube ich mir dann schon festzustellen, auch wenn ich nicht im Detail sagen könnte, wie man es besser hätte machen sollen).


    Andere Regeln sind einfach mengenmäßig so viel, dass es fast automatisch Abstriche bei der Verständlichkeit gibt, z.B. bei #MageKnight . Nicht ganz so schlimm ist's bei allen #Lacerda-Sachen: unglaublich kleinteilig, bei den ersten Spielen überhaupt nur durch schrittweises Abarbeiten von Checklisten machbar, aber spielerisch und thematisch ist das normalerweise gerechtfertigt, also passt das noch unter dem Strich. All das bisher Beschriebene ist für mich noch der Bereich "okay bis gut".


    Darunter kommt dann der Bereich, wo es für mich anfängt, störend zu wirken und Minuspunkte zu geben. Da denke ich dann: da hätten die Macher "nur" mal kritisches Feedback einholen müssen, um klare und eindeutige Fehler abzufangen. Fehler, die so absolut offensichtlich sind, dass sie nicht nur mir, sondern vielen anderen Spielern unabhängig voneinander sofort auffallen. Dafür braucht's dann Playtester, Regelleser, etc., die nicht zu eng am Spiel dran sind und deshalb betriebsblind bzw. nicht nur Firmenmitarbeiter/Freunde, die eh alles toll finden. Und von den Machern natürlich auch eine entsprechende Kritik-Kultur, dass man es schafft, diese notwendigen und produktiven Fremdeinflüsse sich abzuholen.


    Die Kategorie fängt an bei #AquaSphere, das ich für eines der besten Feld-Spiele überhaupt halte, welches leider von einer unnötig schwer verständlichen Regel getrübt ist, geht dann über die redaktionell leider mehr oder weniger in den Sand gesetzten eigentlich guten Spiele wie #FoundersOfGloomhaven (schlechtes Regelheft, etwas fehlendes Streamlining, grafische Präsentation verbesserungsfähig) oder, in verschärfter Form, dann #Agra (miese Spielregel, viel zu viele unnötige Detailregeln, noch dazu gepaart mit "usability"-Problemen beim Spielmaterial) bis hin zu solchem (IMHO) schwachen "kompliziert, um kompliziert zu sein"-Murks wie #Feudum, wo ich mich frage, ob man das hat, weil man damit protzen will, dass man das Komplexeste vom Komplexen zuhause herumstehen hat, oder ob das bei den Besitzern auch wirklich gespielt wird, und wenn ja, mit wem.