Beiträge von Sepiroth im Thema „„Bessere Spiele für bessere Spieler“: Ein Plädoyer von Synes Ernst für Spielekritik mit Niveau“

    Synes Ernst will ja durch seine Wünsche "Bessere Spiele für bessere Spieler" haben.


    Ich frage mich nur, ob eine entsprechende Rezension überhaupt bemerkt werden würde. Es gab einmal ein sehr interessantes Experiment im Bereich der klassischen Musik. Einer der besten Geiger hat mit einer der teuersten Geigen eines der schwierigsten Stücke der Welt in der Rush Hour in einem U-Bahnhof gespielt. Es hat nur keiner als das wahrgenommen, was es war.


    Das Fazit damals war, dass man Besonderheiten oftmals nur dann erkennt, wenn auch Zeit, Umgebung, Stimmung, etc. passen. Erkenne ich also die geschliffene Rezension auf BGG als herausragende Spielekritik, wenn ich auf dem Flohmarkt stehe und wissen will, ob das vor mir liegende Spiel ein Kleinod zum Schnäppchenpreis, oder ob es doch eher unterdurchschnittlich ist.


    Natürlich sind das alles sehr philosophische Ansätze und ein Ideal bzw. eine Utopie mag zwar nicht erreichbar sein, aber oftmals ist ein leuchtender Stern als Orientierung in der Nacht das beste was einem verirrten Wanderer passieren kann. Ich finde die Formulierungen von Ernst, genauso wie Bandida, aber als zu absolutistisch formuliert. Auf mich wirkt es eben nicht nur als Idealvorstellung, sondern als "untere Grenze". Und das diskreditiert für mich zu viele Personen, die ihr Herzblut in diese Projekte stecken. Ganz so, als würde man einem Verfasser einer Buchkritik in einer Schülerzeitung jegliches Können absprechen, nur weil er ein paar Vorgaben für Rezensionen nicht eingehalten hat. Damit stellt man sich eben auf eine höhere Stufe, schaut auf andere hinab und muss sich eben nicht wundern, wenn man als (hier eventuell sogar negativ besetzte) Elite bezeichnet wird.

    Ich ärgere mich zum Beispiel jedes Mal, wenn ein "Rezensent" einem Multiplayer-Solitärspiel (wie z. B. Take it easy) vorwirft, es hätte keine Interaktion. Da hat dann auch jemand die Zielgruppe nicht verstanden ...

    Was bedeutet für Dich "vorwerfen"? In eine Rezension, so wie Ernst sie sieht, muss es rein, damit der Solitär-Hasser auch weiß dass es nichts für ihn ist. Auch in die abschließende Meinung zum Spiel sollte es angeführt werden, wenn es eben für den Rezensenten dadurch besonders gut/schlecht ist.

    Wenn man natürlich reinschreibt, dass es ein schlechtes Spiel ist, weil es nur solitär ist, dann gebe ich Dir natürlich vollkommen recht. Das wäre dann aber auch bei den Rezensions-"Gegnern" hier Konsens, dass sie so etwas nicht wollen.

    Alle anderen profitieren immer von einer guten Rezension.

    Das ändert nichts daran, dass "alle anderen" eben sehr wenige ("Elite"?) sind und ich dazu glaube, dass Tom Vasel oder HuC eben auch von vielen Gelegenheitsspielern geschaut werden, die einfach unterhalten werden wollen. Vielleicht sogar ohne sich tatsächlich für die Spiele zu interessieren.


    Und ich bin mir auch nicht sicher, dass diese Aussage stimmt. Wenn der Kritiker sagt, dass das Spiel seine volle Wirkung erst nach 15+ Partien entfaltet, ich es dann aber immer noch dröge finde, habe ich sehr viel Spielzeit "verloren". Ich glaube da bei der immensen Anzahl an guten Spielen auf dem Markt eher daran, dass ich eh nicht alle "guten" Spiele zocken kann. Somit ist mein Risiko mit dem Verpassen des ein oder anderen sehr guten Spiels geringer als die Investition von 15+ Partien in ein für mich schlechtes Spiel.

    Also gute Rezensionen nur für Expertenspiele? Dem Gedankengang kann ich nicht folgen.

    Die Frage für mich ist, wer will solche Rezensionen? Der Gelegenheitsspieler eher nicht. Um beim Klischee zu bleiben: Der kauft das SdJ und hat vermutlich Spaß damit. Und ich glaube das Klischee ist nicht so weit von der Realität weg.

    Damit bleibt wieder das Problem des Journalisten: Er muss für das Publikum schreiben. Wenn aber nur die "Elite" (Expertenspieler) sowas interessiert, ist der Anteil an entsprechenden Spielen in den Rezensionen eben auch unverhältnismäßig hoch. So wie eben in Literaturkritiken eher Texte über Grass als Texte von Pratchett zu finden sind. Und damit sind wir wieder dabei, dass es eben doch etwas elitäres ist.


    Was ich natürlich auch möchte sind gewisse Standards, die meiner Meinung nach aber tiefer angesiedelt sind. Ich möchte wissen, wie viele Partien der verfasser hinter sich hat, welchen Hintergrund als Spieler er hat, was seine Vorlieben sind und was er wie recherchiert hat (Quellen). Und das möchte ich ja nur, um seine Meinung (nichts anderes ist ja eine Rezension oder Kritik) in meinen Kontext einordnen zu können.

    Wo ist bei Dir das Regalgezwitscher zu den Quacksalbern, Azul, Kingdomino oder Funkelschatz? Deine Auswahl ist aus meiner Sicht (bitte nicht als Angriff verstehen) eben schon elitär, einfach weil Du ein "elitärer" Spieler bist. Ich unterstelle einfach mal, dass Monopoly, Scrabble und Mensch-Ärgere-Dich-Nicht eben nicht auf Deinem Spieltisch landen. Und bei Funkelschatz brauche ich auch nicht 10+ Partien, um eine inhaltlich saubere Rezension zu schreiben.

    Und was ich eben noch mehr bezweifle ist, dass sich dadurch bessere Spiele oder gar "bessere Spieler" (was ist das?) hervortun.

    Warum sind wir an einem Punkt, wo das als elitär gilt? Echt? Ich kann gar nicht nachvollziehen, dass es hier ÜBERHAUPT ein Gegenargument geben kann.

    Willst Du wirklich behaupten, dass sich die Literaturkritiker nicht als "Elite" sehen? Mit denen will Synes Ernst die Rezensenten aber vergleichen. Er sieht sie also auch als eine Elite. Und wenn Du ehrlich bist, dann finden tiefgreifende Buchbesprechungen eben keinen Zuspruch bei den Massen. Und genau das ist doch die Definition der "Elite", eben etwas herausgehobenes zu sein aus der Masse. So wie sich die Viel- und Expertenspieler eben auch aus der Masse herausheben. Das ist quasi die Elite der Brettspieler. Klar haben die andere Bedürfnisse, als die Gelegenheitsspieler. Aber soll das wirklich der Anspruch sein? Auch auf dem Niveau der Bild kann es gute journalistische Qualität geben, nämlich dann wenn der Artikel gut recherchiert und echte Informationen beinhaltet. Ob der Form und Sprache kann man immer streiten, aber das ist für mich nicht der Gradmesser. Erst recht nicht, wenn ich mir die entsprechende Zielgruppe ansehe. Und andersherum gibt es auch in der Zeit, SZ oder FAZ genügend Artikel die eben die Recherche und den Informationsgehalt vermissen lassen, den ich mir wünsche.

    Wird jetzt aber die Literaturlandschaft wirklich besser, wenn wir nur noch Bücher von Grass, Brecht und Ishiguro lesen? Werden herausragende Autoren wie Terry Pratchett oder Wolfgang Hohlbein in Literaturkritiken umfassend behandelt? Werden die mit entsprechenden Kritiken besser? Ich für meinen Teil kann alle diese Fragen mit -Nein- beantworten.

    Damit kann ich aber auch den Forderungen nicht viel abgewinnen.

    Eines möchte ich an die aus meiner Sicht hervorragende Zusammenfassung von MetalPirate noch hinzufügen:


    Denkt bei einem Vergleich mit Literaturkritik und dem geforderten gleichen Anspruch an Hape Kerkelings "Hurz!". Dieses zwar alte, aber immer noch unglaublich gute Beispiel an Satire zeigt, wohin solch eine Forderung führen kann. Nämlich in die Lächerlichkeit....wollen wir das wirklich bei Spielen auch? Also dass eine gute Rezension niemand mehr wirklich ernst nimmt?


    Ich möchte das nicht....

    Das was sychobob und Torlok sagen kommt ja dann noch dazu. Die Masse und Veröffentlichungsgeschwindigkeit erhöht sich ständig, so dass sich "die Welt ständig schneller dreht". Ich persönlich finde das mit den ganzen Auswirkungen wahrlich nicht gut, aber leider sehen das die meisten anders. Bzw. handeln sie so als ob sie es anders sehen und versuchen dann zu entschleunigen...

    Die Utopie mag oben beschrieben sein, aber die ist selten wirklich erstrebenswert. Realismus ist da meiner Meinung nacj besser.

    Ich sehe es so: "Kultur" wird sehr häufig nur von einem geringen Personenkreis konsumiert. Warum sonst müssen Theater oder Konzerthallen von öffentlicher Hand gesponsort werden. Kultur stellt natürlich einen essentiellen Teil unserer Gesellschaft dar. Trotzdem ist es immer nur für eine "Elite". Warum sollte also das Ziel einer Spielekritik der oben genannte Anspruch sein, wenn es doch so wenige interessiert. Für mich sind Gesellschaftsspiele zwar an sich Teil unserer Kultur, aber nicht im speziellen wie vielleicht Goethes "Faust".

    Und die unterschiedlichen Wünsche im Brettspielbereich von den Nutzern dieses Forums im Vergleich zur Masse kann man ja sehr gut an den Verkaufszahlen ablesen. Die meisten hier lassen die SdJ links liegen. Die sind kommerziell aber sicher vor den meisten Lieblingsspielen der Forumsnutzer.