#BrassLancashire und #BrassBirmingham
kristallisiert sich für dich bereits ein Favorit heraus?
Nein. Beide sind gleichermaßen reizvoll. Das einzige, was sich für mich bisher herauskristallisiert hat, ist die Erkenntnis, dass ich mich mit Birmingham deutlich schwerer tue als mit Lancashire. [...]
Ich beantworte die Frage ein zweites Mal, jetzt nach jeweils mindestens einem halben Dutzend Partien in beiden Varianten (2er und 3er). Mein Favorit ist mit leichtem Vorsprung Birmingham.
Die beiden Hauptvorteile von Birmingham sind, dass es drei unterschiedliche exportorientierte Industrien gibt statt nur einer und dass Industrien zwischen 0 und 2 Punkte für Verbindungen geben statt immer nur 1. Durch Letzteres wird das Platzieren der Verbindungen aufgewertet, und das gilt insbesondere für denjenigen, der auf manufacturing goods setzt, dann der kann anderen die punktemäßig wenig attraktiven Fabriken in "ihre" Städte setzen und die 2-Punkte-Industrien dorthin setzen, wo er selbst mit vielen Verbindungen schon vertreten ist. (Wenn ihr irgendwo hört, dass goods schwächer als cotton mills wären, dann denkt daran!)
Das alles macht das Spiel strategisch und taktisch interessanter als das alte Brass (Lancashire). Das war eh schon "opaque", wie der Ami sagen würde. Züge sind auf verschlungenen Wegen gut oder schlecht, in einer Art und Weise, die man nicht immer sofort sieht oder merkt. Birmingham setzt da sogar noch eins drauf, und die Brauereien spielen diesbezüglich auch noch eine starke Rolle. Die Brauereien finde auch ich als sehr analytisch denkender Mensch mit gewisser Spielerfahrung immer noch sehr "opaque". Gemessen an der Investition bringen die ordentlich Siegpunkte, ordentlich Einkommen und mit zwei Verbindungspunkten belohnen sie außerdem noch die angrenzenden Verbindungen. Aber dazu müssen sie gedreht werden, und ob das klappt oder nicht, ist auch für mich noch ziemich undurchsichtig.
Jeder kann jedes Bier trinken, bei fremden Brauereien allerdings nur mit Verbindung. Das ergibt so Fragen wie: wenn ich eine Brauerei baue ohne das Bier aktuell selbst zu brauchen, kann ich mich darauf verlassen, dass es ein anderer nimmt? Wenn ich das Bier selbst brauche, muss ich außerhalb der Reichweite anderer Spieler bauen, weil die es mir sonst für ihre Lieferungen wegtrinken? Erst Exportindustrien bauen oder erst die Brauerei(en)? Die Dynamik des Biermarktes ist nochmal komplexer als der für Kohle und sowieso komplexer als der für das "teleportierende" Eisen, wo Verbindungen keine Rolle spielen.
Noch nicht so wirklich überzeugt bin ich allerdings von den potteries. Die Level I Pottery veraltet nicht und sie lohnt sich. Eher teuer, aber viele Siegpunkt und ordentlich Einkommen. Wenn im Eisenbahnzeitalter jeder seine Level I Pottery setzt, dann sind alle Bauplätze weg und eine Strategie, die auf Töpfereien setzt, geht nicht mehr auf. Es ist deshalb leicht möglich, dem Pottery-Spieler seine Strategie zu zerschießen, und wenn der seine Level V Pottery (20 Siegpunkte!) nicht auf den Plan bringt, dann war alles ein Fehlschlag. Mit etwas Glück habe ich einmal die Level V Pottery geschafft, aber auch dann gab's nur eine mittlere Punktzahl als Endergebnis. Für eine extrem fragile Strategie stimmt da Stand heute für mich einfach der mögliche Ertrag nicht.
Sonst könnte man noch negativ erwähnen, dass die wilden Schwankungen bei den Erträgen zwischen den unterschiedlichen Stufen der einzelnen Industrie-Entwicklungslinien kaum mehr thematisch begründbar sind. Für die eine Stufe gibt es viel Ertrag, für die nächste quasi nix an Einkommen und dafür massig Siegpunkt, für die nächste dann mittleren Ertrag und zwei Punkte pro Verbindung. Ähem. Ist halt so. Warum auch immer. Darauf kann (und soll!) man optimieren, aber da wird's dann eindeutig mechanisch statt thematisch. Aber sowohl das als auch die Tatsache, dass ich bei den Töpfereien alles jenseits der Level I Pottery im Prinzip für weitgehend verzichtbar halte, kann meinen sehr positiven Gesamteindruck von Brass Birmingham nicht schmälern. Das ist ein sehr schönes Strategiespiel geworden, im Vergleich zum Original mit wohltuendem Streamlining hier und da und gleichzeitig sogar noch eine Stufe komplexer und undurchsichtiger. Gerade das Bier setzt beim eh schon schwer zu lesenden Mechanismus von Angebot und Nachfrage im Vergleich zu den Rohstoffen Kohle und Eisen nochmal einen drauf.
tl;dr: wer bereit ist ein Spiel mehr als fünfmal zu spielen und vielschichtige, undurchsichtige Dynamiken entschlüsseln möchte, wird mit Birmingham bestens bedient.