Beiträge von malzspiele im Thema „Wie entwickelt man bitte ein Spiel??“

    Meine Erfahrung deckt sich mit der von PeterRustemeyer ; Ohne dass wir selbst mitspielen, werden unsere Prototypen so gut wie nie gespielt. Was zum ganz großen Teil daran liegt, dass kein Spieler sich die Regeln selbst erarbeiten will (was auch deshalb verständlich ist, weil die Spielregel in dem Stadium noch nicht wirklich gut ist). Aber auch daran, dass es uns sehr wichtig ist, jede Partie mitzuerleben, da die Rückmeldungen sonst überhaupt keinen Nutzen für uns haben. Aussagen wie "ganz nett" oder "zu lang" oder "zu kompliziert" bringen gar nichts. Und Aussagen wie "Die Aktion X ist zu teuer" oder "Die Karte X ist zu stark" kann man nur im Kontext der jeweiligen Partie einordnen.


    Zur Anzahl der Testpartien: Bei unseren Spielen sind es normalerweise rund 50 von uns, bevor das "fertige" Spiel seitens des Verlages dann mit 2 Prototypen noch weiter getestet wird. Das dürften also insgesamt vielleicht 60, 70 oder 80 Partien geworden sein. Mehr ist bei einem Spiel mit einer Spieldauer von 2 Stunden und mehr auch nicht zu bewältigen.


    Ciao

    Stefan

    aber unter "austariert" verstehe ich etwas anderes. Nicht austariert wäre für mich, wenn man ab dem dritten oder fünften Spiel merkt, dass der strategische Weg C in 80% der Fälle besser ist als die Wege A, B, D oder E, auch wenn das das vielleicht am Anfang anders angefühlt hat.

    Da stimme ich Dir zu. Es darf natürlich nicht eine Strategie übermachtig sein, aber im Detail darf ein Spiel nicht zu sehr ausgewogen sein. Es bringt Spannung ins Spiel, wenn beispielsweise gewisse Karten (oder Plättchen oder ähnlich) "besser" sind als andere und man darauf hinfiebert. Diese "besonderen" Elemente dürfen aber allein nicht spielentscheidend sein, sondern müssen in den meisten Partien durch andere Element wieder ausgeglichen werden. Ausschläge sind natürlich möglich.


    Gerade bei engine building mechanics stelle ich mir das gefährlich vor, wenn Karten sich Zb gegenseitig beeinflussen und dann eine Kombo vielleicht DEN universellen Vorteil bringen könnte.

    Zu einem großen Teil kann man solche Kombos mit genug Erfahrung schon in der Designphase erkennen. Und sie sind letztlich nicht schlimm - wenn es im Spiel Möglichkeiten für die Mitspieler gibt, sie zu verhindern oder durch dynamische Preise (Markt, Auktion, verdecktes Bieten etc.) einfach teurer als andere zu machen. Wenn dann die Gegenspieler die Kombo nicht rechtzeitig erkennen und verhindern (oder durch Verteuern unattraktiv machen), dann verlieren sie zu Recht.


    Natürlich kann auch dabei etwas durchschlüpfen und selbst ausgefeilte Simulationen könnten aufgrund der Unmengen an möglichen Kombinationen (und des oft irrationalen Verhaltens der Spieler) niemals alle Spielverläufe komplett durchrechnen. Insofern ist der Moment, in dem ein Spiel erscheint, immer extrem spannend, weil erst dann durch die große Anzahl an Partien solche "Macken" sichtbar werden.


    Ciao

    Stefan

    Es kann ja nicht so sein, dass erstmal das Spiel irgendwie entworfen wird und dann ALLEINE übers Testing geguckt wird, was geht und was nachgebessert werden muss.

    Aus meiner Sicht: Doch!


    Genau so entwickeln und testen mein Sohn und ich unsere Spiele. Es gibt da eine Idee (sei es eine Mechanik oder ein Thema oder beides). Das reift dann erst einmal eine Weile in den Köpfen und wird irgendwann in Form eines Prototypen zu Papier und Pappe gebracht. Und dann wird getestet. Und getestet. Und getestet.


    Dabei kommt es nur selten auf rechnerische Balance an. Viel wichtiger ist das Gefühl. Passt alles zusammen? Erscheint es in sich schlüssig? Ist nichts überflüssig? Hat man zu jedem Zeitpunkt hinreichend Freiheiten, ohne dass das Spiel zu beliebig wird? Stimmt der Spannungsbogen? Kommen Neulinge hinreichend gut damit klar, ohne dass es für "Profis" zu langweilig wird?


    All diese Dinge kann man nicht am Computer testen. Gerechnet und mathematisch bewertet wird bei uns erst ganz am Ende, wenn das Spiel zu 95% fertig ist. Und selbst dann ist noch wichtiger, ob sich ein Element nicht zu stark oder schwach _anfühlt_ - egal, was die Mathematik sagt. Außerdem darf ein Spiel m.E. nicht zu 100% austariert sein, sonst wird es schnell langweilig.


    (Und ja, ich komme auch aus dem MINT-Bereich, finde aber nicht, dass das etwas mit der Spieleentwicklung zu tun hat...)


    Ciao

    Stefan