Beiträge von Pikmin im Thema „Istanbul: eine etwas andere Spielekritik“

    Aber bei einem Brettspiel? Deine gesamte Aufzählung von "Anfeindungen" sind hundertmal wichtiger und diskussionswürdiger, als ein Brettspiel wie Istanbul.

    Selbstverständlich. Damit befasse ich mich auch, aber alles an seinem Platz und zu seiner Zeit. Hier ist ein Brettspieleforum, deswegen diskutiere ich so nah wie möglich am Thema, und das war nun mal eine Spielekritik zu einem konkreten Spiel im Hinblick auf dessen gesellschaftliche Implikationen. Um zu erklären, warum ich mich in der Diskussion hier eher auf die Seite "Doch, da darf man ruhig drüber nachdenken und reden" schlage und nicht auf die "völlig abstruses Blabla ohne Inhalt und nicht diskutierenswert" habe ich dann erklärt, warum es eine emotionale Reaktion in mir hervorruft, die über drüber-lachen hinausgeht. Und dass ich es daher schon diskutierenswert finde. Keine Katastrophe, aber auch nicht völlig an den Haaren herbeigezogen.


    Politisch korrekt bin ich im Alltag auch nicht. Aber ich weiß mit wem und ich weiß wie (hoffe ich). Falls ich es mal nicht wissen sollte und eine Grenze überschreite, die jemandem wehtut, dann würde ich von ihm gerne eine Rückmeldung bekommen und mein Verhalten korrigieren. Ich würde ihm nicht sagen: "So ein Schwachsinn, da will ich nix von hören." Selbst wenn ich abschließend, nachdem er es mir erklärt hat, finden würde, dass er etwas empfindlich reagiert, würde ich die DISKUSSION darüber doch gerne mitführen und nicht im Keim ersticken.


    Wir können gerne auch über alle von dir aufgezählten Spiele und die aufgezählten Punkte diskutieren, wenn du dazu Threads aufmachen möchtest. Hier ging es um etwas konkretes und dazu äußern wir uns auch hier. Warum es daher von Nachteil ist, wenn auch "natürlich nur wieder" genau übers Thema gesprochen wird erschließt sich mir nicht. Aber diesen Worten entnehme ich eine gewisse Gereiztheit in Bezug auf das Thema. Nein, "der Orientale" möchte nicht mit Samthandschuhen angefasst werden, aber wenn das bzgl. ihm bestehende Klischee nicht im gemütlich biersaufenden Dickie mit den besten Autos der Welt besteht, sondern im kriminellen Drogendealer, der mit seinen Familienclans ganze Städte unterwandert, oder dem "Kanaken" oder dem "Scheißausländer", dann ist es, denke ich, verständlicher, wenn die Abwehrreaktionen gegen Stereotypen, die man aufgedrückt bekommt, etwas intensiver ausfallen. Ja, normal behandelt werden wünscht sich wohl jeder, ich mir auch.


    Ich spiele auch weiterhin Istanbul und habe auch weiterhin Spaß dran :D

    @Harry2017
    Ja gut - deine Herangehensweise jeden gleich scheiße zu behandeln entbehrt wenigstens einer gewissen Konsequenz nicht :D Aber andere dürfen meiner Meinung nach trotzdem versuchen, alle gleich gut zu behandeln, ohne sich das vorwerfen lassen zu müssen ;)


    Meine Aufzählung hatte einen konkreten Grund, und der war nicht, einfach zu zeigen "was nicht alles so böses passiert". Entsprechend würde auch eine Darstellung, die zeigt, dass sich auch ausländische Mitmenschen Sachen zuschulden kommen lassen, was, glaube ich, niemanden schockiert, überhaupt kein Gegenargument - weil ich in diese Richtung gar nicht argumentiert habe. Ich habe dargelegt, warum ich diese konkrete Kritik verstehe und oftmals richtig oder zumindest als durchaus diskussionswürdig empfinde. Ein "aber die machen das auch!" wäre nur dann ein Gegenargument, wenn meine Aufzählung dazu dagewesen wäre, Ausländer aller Couleur als fehlerlos oder niemals feindlich dastehen zu lassen. Aber in die Richtung zielte es gar nicht ab und jeder Mensch, egal woher, kann miese Überzeugungen haben und sich mies verhalten. Das ist aber völlig unerheblich, denn hier drehte sich die Diskussion bei der einen Seite (die sie eben sinnlos findet) um "ist der völlig übergeschnappt" und "wovon redet der" bis hin zu "das würde doch keinem negativ auffallen". In meinem Beitrag habe ich dargelegt, warum ich die im verlinkten qantara-Artikel beschriebenen Kritikpunkte nicht mit derselben Entschiedenheit als überflüssig wegwische und nur dazu zählte die Aufzählung. Kein "oh die bööösen Deutschen und die Ausländer sind alle soooo nett!"


    Nein, ich glaube auch nicht, dass ein Istanbulspieler auf einmal beginnt, sein x-chen bei der AfD zu setzen, wenn er vorher überhaupt keine in diese Richtung gehenden Tendenzen hatte. Ist klar. ;)
    Aber meiner Meinung nach können auch Unterhaltungsobjekte, die nicht den Untergang der Toleranz in ganz Europa und dem Westen als unmittelbare Folge haben :D für problematische Darstellungen kritisiert - oder wenigstens selbige diskutiert werden, ohne dass das von vornherein als Schwachsinn verworfen wird. Nicht, dass ich den qantara-Artikel jetzt als sonderlich geschickt oder rundum gelungen bewerten würde...

    Als "Migrantenkind", das sich viel mit Orientalismus, dem zitierten Said und anderen beschäftigt, kann ich mal meine Perspektive darstellen, danach wurde ja zumindest öfter im Thread gefragt.


    Ich mag das Spiel. Ich finde die Illustrationen liebevoll und heimelig gestaltet. Ich freue mich über jedes "orientalisch" angehauchte Brettspiel und würde dem Autor keine böse Absicht unterstellen (Pegasus auch nicht). Ich würde aber Menschen, die dort einen, meiner Meinung nach _legitimen_, Kritikpunkt sehen nicht von vornherein verdammen.


    Meine scherzhafte Bemerkung zu einer Freundin am Telefon als ich Istanbul ge-unboxed habe und mir alles anschaute war "und, bei einem Nafrispiel natürlich ganz wichtig, Schwarzmarkt und Polizeiwache!" Es war wirklich ein Scherz, ich fand's (halb selbstironisch, halb vor-Stereotypen-resignierend) schwarzhumoriglustig. Ich bin ja selbst Halb-Nafri, werde aber dank meines Kopftuchs vermutlich im Denken Einiger des "Halbs" entledigt. Und, klar, Istanbul ist nicht Nordafrika, ich betreibe hier selbst in ironischer Weise Orientalismus, da war nämlich gerade die Nafridebatte am Brennen, ansonsten hätte ich Türkenspiel gesagt, kommt ja in den Augen vieler aufs Gleiche raus :D


    Kunst/Kultur/Spiele/Literatur => das Alltagsdenken - all dies wird in großen Teilen wahrscheinlich immer voller Vorurteile (wertfrei, es gibt positive und negative) und Kategorisierungen sein. Die einen können sich darüber besser im klaren sein und das reflektieren, andere gehen kritikfreier damit um.
    Was ich für mich wichtig finde, ist, zu eruieren, wie schädlich im aktuellen Zeitgeist welche dieser Stereotypen sind. Ich würde eine pragmatische Herangehensweise an die Problematik gut finden. In Deutschland sind über die Hälfte der Leute für einen kategorischen Muslimban. Darf man dann über ein Spiel wie Istanbul auch kritisch berichten? Ich finde schon, solange man seine Argumente belegt und verständlich macht.


    Woran ich euch, damit meine ich diejenigen, die dem Artikel _überhaupt_ nichts abgewinnen können, bitten würde zu denken - aus eurer Warte (die auch teilweise meine ist, da ich hier geboren, aufgewachsen, sozialisiert bin und hier meine gesamte akademische Karriere durchlebt habe) sind solche Arten der Kritik wahrscheinlich eher augenverdrehend-überkandidelt. Für unsereins, die wir selbst in einer durchmischten Gesellschaft wie Frankfurt, von GUTEN FREUNDEN hören, sie könnten sich vorstellen, die AfD zu wählen, obwohl sie mit fast nichts aus deren Wahlprogramm übereinstimmen, NUR damit weniger Muslime ins Land kommen (mir passiert), die von der EIGENEN evangelikalen Seite der Familie mit regelmäßigen Ausfällen gegen unsere Religion konfrontiert werden (mir passiert), die auf der Arbeit von Kollegen hinterrücks "Kameltreiber" genannt werden (meinem Mann passiert), die beim Fußball als "Scheißmarokkaner" (nicht dass wir Marokkaner wären, aber darum geht's ja nicht :D ), "Scheißausländer", "Kanacke" und "Asylanten" beleidigt werden (passiert meinem Mann regelmäßig, nur EINmal gab es vom Schiri eine Reaktion...), die im Zug von Mitreisenden gefragt werden, ob sie eine Bombe in der Tasche haben (einem Kumpel passiert), die von Polizisten zu hören bekommen "Ja, ich weiß ja nicht ob du eine Bombe im Rucksack hast und Mohammed heißt" und "du Ausländer" genannt werden (einem Kumpel passiert), die, selbst als Doktoranden, von Professoren namhafter Stiftungen mit Aussagen wie "Ihre Mutter ist ja sicher auch mit 14 an einen Onkel verheiratet worden" konfrontiert werden (einem Kumpel passiert), deren Boss vor der Festeinstellung überlegt, ob man eingestellt werden sollte, da man neben der deutschen auch die syrische Nationalität hat (einer Freundin passiert, übrigens laaaange vor dem Krieg jetzt), die sich regelmäßig mit der Ausländerbehörde und den Mitarbeitern dort, die Sprüche wie "Ruhe jetzt, wir sind hier nicht auf dem Basar!!" anhören müssen (mir passiert), sind diese Kritiken an Stereotypen, selbst im erstmal harmlos erscheinenden Kontext, nicht SO weit hergeholt, nicht SO ganz augenrollen-hervorrufend und ihnen ist nicht ganz so leicht mit einer "einfach drüber lachen"-Haltung zu begegnen, wie manch anderem, zu dessen Lebenserfahrung dies alles in diesem Umfang nicht gehört.


    Ich würde nicht so weit gehen, meine Energie für Kritik des, wie ich ihn nennen möchte, "harmlosen Orientalismus" zu verwenden. Mokka, Bakschisch, Teestube, Markt/Basar - die tun keinem weh. Auch aus meiner Halborientalenperspektive gibt es bei der Inszenierung einer Stimmung mit DIESEN Hilfsmitteln, so klischeehaft sie sein mögen, keine echten Reibungspunkte. Die Polizeiwache, der Schwarzmarkt und das regelmäßig eingekerkerte "Familienmitglied" hingegen - würde ich sagen, das Wahrnehmen dieser Teile des Spiels ginge bei mir VÖLLIG ohne den geringsten "Stich im Herzen" ;) vonstatten, dann wäre das nicht wahr. Dazu wird mir mein (halber) Kulturkreis leider zu häufig, selbst von liberalsten Gemütern auf Kriminalität und Großfamilienclans reduziert.


    Damit stelle ich nur meine Empfindungsweise dar, ohne dem Autor Dorn, den Leuten, die das Spiel toll finden oder gar jedem einzelnen Spieler irgendwelche niederen Intentionen zu unterstellen. Ich finde diese Aspekte des Spiels keine Katastrophe, ich überlege aber gerne, ob es anders möglich wäre, ohne dem Spiel selbst etwas zu nehmen. #Targi schafft das ja auch sehr schön. :)


    Langsam verstehe ich, warum Mittelalter-Themen so beliebt sind. Da sind Autor und Verlag relativ sicher vor irgendwelchem Gesinnungsterror selbsternannter Weltverbesserer, die keine Gelegenheit auslassen, irgendwas bewusst falsch zu verstehen, um dann mit Vorwürfen um sich zu schmeißen.

    Ich finde diesen Vorwurf von deiner Seite verwunderlich. Ich weiß jetzt gerade nicht mehr im welchen Thread zu welchem Spiel das war (Scythe?), aber ich fand deine Ausführungen gerade bezüglich der Metadiskussion ("Sollte sowas überhaupt diskutiert werden oder sollten wir das beste unterstellen, und jeder, der Probleme mit einer Darstellung von einem Volk hat, soll sich entspannen und still sein") dort ziemlich einsichtsvoll und eigentlich dem, was du hier schreibst, widersprechend. Vielleicht habe ich irgendwo etwas falsch verstanden.


    Er impliziert das es die Menschen (die Spielen wie auch die die "eingeladenen Migraten") nicht in der Lage sind zu Begreifen um was es sich hier handelt. Er unterstellt weiter ja dem Pegasusverlag Ausländerfeindlichkeit (unter dem Deckmantel des Orientalismus) - das ist ein starkes Stück.
    Das ist ehrlich gesagt eine Beleidigung sowohl der "deutschen Familien" wie auch die "migranten Familien".

    Ich hatte ihn nicht so verstanden (und wenn, dann würde ich es nicht unterschreiben), dass er den Leuten unterstellt, diesen Unterschied nicht zu begreifen, oder dem Verlag Ausländerfeindlichkeit unterstellt.
    Ich hatte es so verstanden, dass er eine klischeehafte Darstellung kritisiert, weil sie negative Folgen nach sich ziehen kann, eben in der Weiterverbreitung eines Bildes - auch ungewollt, auch ohne Absicht, auch ohne echte Feindlichkeit dahinter.
    Wenn ich bedenke, wie viele feindliche Äußerungen gegen Menschen meiner Herkunft, meiner Religion oder meines Kulturkreises ich von Menschen höre, die jedoch jeden Funken einer Voreingenommenheit bei sich abstreiten würden, denen ihre bis ins Hassen gehenden Äußerungen in ihrer Tragweite eben gar nicht bewusst sind - dann finde ich es gut und richtig, auch über problematische Darstellungen zu reden, die noch weeeeit unter schwarz-auf-weiß-rassistischen, "Nigger sollen baumeln"-Ansichten o.ä. rangieren. Schädliche Einstellungen und Ansichten fangen mMn nicht erst an, wenn jemand ein vollständiger, selbsterklärter Rassist ist.
    Soll heißen - es gibt meiner Meinung nach noch unter eindeutigem Rassismus / eindeutiger Ausländerfeindlichkeit Ein-, Vor- und Darstellungen, die reflektiert und diskutiert werden dürfen und sollen. Dazu kann, finde ich, ein Brettspiel, das in einem "orientalischen" Raum spielt und in dem Polizeiwache, Familienbande und Schwarzmarkt eine mit-tragende Rolle spielen gehören, auch ganz ohne böse Absicht des Autors.