Beiträge von MetalPirate im Thema „[2016] Ulm“

    Vorab: Ich habe bisher nur ohne Events gespielt.


    .... Erfahrung aus vielen erklärten und beobachteten Partien auf der Messe: Lieber ohne die Ereignissplättchen spielen. Dann ist die 'Balance' deutlich besser, da die Ereignisse in der Tat im Schinitt überwiegend positiv sind. Wenn dann auch noch zufällig die negativen Events vorab 'aussortiert' werden kann das Spiel dann auch mal so enden, dass alle schon eine Runde vor Ende quasi nichts mehr zu tun haben. Das ist bei dem Spiel ohne Ereignisse zumindest nach meinen Erfahrungen noch nicht vorgekommen.

    Autsch. Neben der (in meinen Augen fehlenden) Anspassung auf 2 Spieler wäre das ein weiteres Beispiel für, ich muss es so sagen, klare handwerkliche Fehler. Als Käufer muss man einfach erwarten dürfen, dass ein Spiel gründlich getestet wurde. Mit allen Spielerzahlen, für die auf der Schachtel geworben wird, und mit allen Varianten, die in der Spielregel enthalten sind.


    Tja. Das ist dann halt das Risiko, wenn man ein Spiel aus der "zweiten Reihe" der Autoren und Verlage kauft...


    Echt schade. Das Spiel hat so viel Potenzial!

    In allen Spielen sind alle Spieler locker ans Ende der Donau gekommen. Somit ist ein Abwägen, ob man schnell voran schippert um die forderten Punkte bei Spielende zu erreichen und die Vorteile des Reichenauer Hof Viertels nutzt, oder besser hinten bleibt, dabei Minuspunkte in Kauf nimmt und damit aber andere Wege nutzt, sinnlos

    Seid ihr sicher, dass ihr richtig gespielt habt? Man hat nur insgesamt 30 Aktionen im gesamten Spiel. Für jede Siegelaktion gehen 1,x Geldbeschaffungsaktionen drauf (rechnerisch zwei, aber dank diverser Boni und Erträge weniger) und für jede Kartenkaufaktion braucht man im Schnitt etwa eine Plättchenaufräumaktion. Und dann willst du noch nebenbei problemlos das Ende der Donau erreichen, wenn jede Schiffaktion standardmäßig nur einen Schritt bringt?


    Das klingt für mich so ein bisschen nach "group think". Alle machen mehr oder weniger das Gleiche und keiner probiert mal andere Sachen, z.B. gezielt auf der Donau vorneweg fahren, um andere nicht vom Drüberspringen profitieren zu lassen. Oder gezielt auf Karten und Set Collection setzen (dann fehlen einem ganz schnell die Aktionen für Siegel oder Schiff). Oder drei- bis viermal das gleiche Viertel besuchen, weil man sich da eingekauft hat und mit jeder Nutzung 2 Siegpunkte bekommt und die Nutzung selbst schon jedes Mal X Siegpunkte bringt (z.B. in dem Viertel, in dem man 1 SP pro Viertel bekommt, in dem man vertreten ist).


    In dem Ulm, was ich gespielt habe, kann man sich problemlos Situationen ausdenken, in denen es sich definitiv rechnet, auf Donaubewegungen bewusst zu verzichten bzw. dort nur bis zu einem gewissen Punkt vorwärts zu fahren.




    EDIT: Heute im Spieletreff habe ich von einem anderen Mitspieler erfahren, dass er einen entscheidenden Regelfehler gemacht hat, nämlich am Zugbeginn ein Plättchen ziehen, in die eigene Auslage legen und dann ein beliebiges Plättchen der Auslage einschieben. Falsch. Man muss immer genau das gezogene Plättchen einschieben, es sei denn, man tauscht es für einen Ulmer Spatzen (d.h. einen Siegpunkt) auf dem Umtauschplatz um. Falls ihr den gleichen Fehler gemacht habt, würde das auch erklären, warum es sich recht einfach angefühlt hat.

    Bisher habe ich das Spiel zwar nur einmal in Essen angespielt (als 4er) und einmal zuhause als 2er gespielt, also erwartet bitte keine fundierte Beurteilung nach so-und-so-vielen Spielen, sondern eher einen Ersteindruck. Aber was ich zu dem Spiel zu schreiben habe, ist mehr als es für den Wochenthread passt, und einen eigenen Thread zu dem Spiel gibt es bisher noch nicht. Also einen neuen Thread erstellen? Ja, klar! Gerade als Titel, der sonst nicht ganz so weit oben in den üblichen Hotness-Listen auftaucht, verdient das Spiel meiner Meinung nach den eigenen Thread. Auch wenn ich hier erstmal nur einen Ersteindruck beisteuern kann.


    Das Spiel "Ulm" war ja so ein bisschen ein Geheimtip der diesjährigen Essener Messe. Die hohe Platzierung im Fairplay-Messe-Ranking hat das Spiel im Laufe der Messe schon ein bisschen aus dem Geheimtip-Status herausgeholt und ab Sonntagmittag war es auf breiter Front auf der Messe ausverkauft. Aber sind wir ehrlich: Weder der eher unspektakuläre Titel (gähn, der nächste zum Spieletitel verwurstete Städtename) noch das Setting (Handel und Einflussnahme im Mittelalter, zum x-ten) noch Autor (Günter Burkhardt, bekanntester Titel bisher Seeland als Co-Autor, dazu Maori und Derjeeling) noch Verlag (HUCH! & friends) rufen beim Spielefreak sofortige Begeisterungsstürme hervor. Allein der Illustrator (Michael Menzel) spielt in der Ersten Liga der Brettspielszene. Kann das Spiel etwas taugen?


    Klares ja! Bei der x-fachen Regellektüre im USA-Urlaub direkt vor Essen fand ich dieses Spiel schon überraschend interessant. Es kam auf die Liste von rund einem Dutzend Spielen, die ich mir näher anschauen und bei Gefallen kaufen wollte. Drei Spiele von dieser "vielleicht kaufen" Liste haben es geschafft: #Noxford und #CapitalLux von den "kleinen" Spielen sowie #Ulm als einziges "großes" Spiel.


    Das Besondere an Ulm ist sicher die originelle Zugmechanik. Wir spielen über 10 Runden und pro Runde macht jeder Spieler drei Aktionen in beliebiger Reihenfolge. Fünf verschiedene Aktionen gibt es, sie werden symbolisiert durch quadratische Aktionsplättchen (schöne extradicke Pappe!). Die erste Aktion ist vorgegeben durch ein Plättchen, das man immer am Beginn des eigenen Zuges aus einem Stoffbeutel zieht. Die anderen beiden wählt man aus idR 4-12 Paaren. Gegen gewisse Kosten kann man auch die erste, normalerweise feste, Aktion umtauschen. Aus dieser Mischung aus Wahlmöglichkeiten und Einschränkungen zieht Ulm einen großen Teil seines Reizes.


    Spielmechanisch realisiert ist das Ganze sehr clever durch ein 3x3-Feld von Aktionsplättchen. Im eigenen Zug schiebt man das gezogene Plättchen an irgendeiner Seite des 3x3 Gitters herein; das sind 12 mögliche Einschiebestellen. Damit schiebt man das letzte Plättchen der Zeile oder Spalte an der gegenüberliegenden Seite wieder heraus. Die nun liegenden drei Plättchen (eines neues, zwei alte) definieren die drei Aktionen, die man in frei gewählter Reihenfolge in der Runde ausführen darf.


    Herausgeschobene Plättchen bleiben erstmal liegen und machen die entsprechende Zeile oder Spalte unbenutzbar. Eine der fünf Aktionen ist aber, die herausgeschobenen Plättchen auf einer der vier Seiten des 3x3 Feldes wieder einzusammeln, was natürlich immer attraktiver wird, je mehr Plättchen an einer Seite herausgeschoben wurden. Die Plättchen sind nämlich gleichzeitig auch eine Art Währung, mit der Karten gekauft werden können. (Diese Doppelfunktion -- mal Währung, mal Aktion -- ist auch mit die größte Einstiegshürde beim Verständnis des Spiels. Mit den Plättchen im eigenen Vorrat darf man keinerlei Aktionen mehr machen. Erklärtip: man stelle sich vor, dass Plättchen im persönlichen Vorrat der Spieler nur noch ihre Farbe hätten und kein Symbol mehr drauf.)


    Mit dem Aktionswahlmechanismus als zentralem Kern beginnt die sehr interessante Verschachtelung der verschieden Spielmechanismen. Wir sollen mit einem Boot möglichst weit auf der Donau entlang fahren (immer nur in einer Richtung), können jeweils Aktionen in den beiden nördlich und südlich angrenzenden Stadtvierteln machen, müssen uns Einfluss in den Vierteln kaufen (gibt Siegpunkt, sobald dort jemand, auch man selbst, später Aktionen durchführt) und dazu gibt es auch noch Karten zu kaufen, die teils als Gruppen gesammelt werden und teils Aktionen bringen. Sämtliche Karten lassen sich dabei immer in zwei Versionen nutzen: entweder sofort ausspielen (idR "tausche Ressourcen gegen X") oder ausspielen für eine Wertung am Spielende (idR viele Siegpunkte für das Erreichen schwierigerer Bedingungen). Hinzu kommt, dass man zwar beliebig viele Handkarten sammeln darf, aber kostenfrei kann man nur eine Karte pro Runde ausspielen (egal ob für einen sofortigen Ertrag oder die Endwertung).


    Das Spiel spielt sich erstaunlich flott. Es sind ja nur zehn dreifache Aktion, die man im ganzen Spiel hat, und ein gewisser Teil davon ist auch extrem einfaches Zeugs wie "nimm 1 Geld" oder "bewege dein Schiff um 1 Feld vorwärts". Zu zweit war es vielleicht 20 Minuten Regelerklärung und 45 Minuten Spielzeit für die erste komplette Partie. Schachtel sagt 60 Minuten Spielzeit. Das könnte mit drei oder vier Spielern hinkommen, aber zu zweit geht es auf jeden Fall schneller.


    Ein manchmal zu findender Kritikpunkt an Ulm ist die Glückslastigkeit. Richtig ist: das Spiel hat viele Glückselemente, beispielsweise beim Komplettieren von Sets. Kriege ich die drei Karten für die drei Bauteile der Kathedrale (Ulmer Münster) zusammen, ist das 3er-Set 18 Punkte wert. Zwei gleiche und ein anderes Bauteil sind nur je 3, zusammen 9 Punkte wert. 9 Punkte Differenz sind viel in dem Spiel, d.h. durch Kartenziehen in der letzten Runde kann sich noch viel am Punktestand und damit auch am Sieger ändern. Aber: Erstens kann ich bei eher kurzer Spieldauer mit überdurchschnittlichem Glücksanteil gut leben und zum anderen bietet das Spiel genügend Mechanismen, um gezielt seine Chancen etwa beim Kartenziehen zu erhöhen. Das Bezahlen mit zwei gleichen Aktionschips erlaubt das Ziehen der obersten beiden Karten und Aussuchen einer davon statt nur Ziehen der obersten Karte für zwei beliebige Chips. Und wer auf der Donau besonders weit fährt, kann dann gegen Spielende eine Stadtviertelaktion machen, die ihm eine beliebige Karte vom Abwurfstapel bringt oder eine 1-aus-3 Auswahl. Darauf muss man dann eben strategisch hinspielen, wenn man auf Set Collection als Punktebringer setzt.


    Ein anderes Beispiel ist die 1-aus-2 Auswahl beim Ziehen der Stadtviertel-Plättchen, um sich im entsprechenden Viertel einzukaufen. Man kann sich hier natürlich nicht vorher überlegen, wo man hin will, und sich bei Spielbeginn dazu passend eine Strategie zusammenbasteln. Vielmehr muss man schauen, was einem das Spiel immer wieder an strategischen Möglichkeiten anbietet. Aber das Ganze ist definitiv strategisch und nicht nur rein taktisch; gerade das Einkaufen in die Viertel verlangt ganz klar, dass man im weiteren Spiel gezielt darauf hinspielt, um einen entsprechenden Nutzen zu haben. Durch die Kürze des Spiels ist auch allgemein Engine Building nicht ganz so wichtig wie man es vom durchschnittlichen Euro-Spiel kennt. Es geht bei Ulm ganz klar um das Ergreifen von Chancen, wenn sie sich bieten.


    Es gibt Spiele, die primär taktisch geprägt sind, andere sind primär strategisch, andere haben parallel Ziele auf ganz unterschiedlichem Zeithorizont -- und Ulm ist hier so ein ganz eigenartiger Zwitter mit taktischer Grundausrichtung und strategischen Möglichkeiten, die sich während des Spiels immer wieder auch zufallsgetrieben ergeben. Karten oder Plättchen bringen regelmäßig wiederkehrende "1-aus-X"-Auswahlen, aber mal nicht wie üblich für Ressourcen oder sowas Kurzfristiges, sondern eher im Sinne von: "willst du ab jetzt dieses oder jenes Ziel verfolgen?" Das wird ganz sicher nicht jedem gefallen (und es wird auch bestimmt von manchem zu unrecht als "viel zu glückslastig" bezeichent werden, wenn er nicht das gezogen hat, was er wollte), aber ich finde den ganzen Ansatz sehr reizvoll.


    Das Spiel hat gute Chancen, in meiner Jahr-2016-Top-10 zu landen. Allerdings nicht auf einem Spitzenplatz. Dafür finde ich die Skalierung auf unterschiedliche Spielerzahlen nicht überzeugend genug. Bei unterschiedlichen Spielerzahlen ändert sich quasi nichts. So kann man z.B. im 2er-Spiel kaum auf der Donau so weit vorankommen wie bei mehr Spielern. Über besetzte Felder springt man dort nämlich einfach drüber, und da macht es dann schon einen deutlichen Unterschied, ob ich eine oder drei Mitspieler habe. Mit einer verringerten Erreichbarkeit des hintersten Stadtviertels (-> siehe das oben angesprochene Nehmen einer Karte vom Ablagestapel als Aktion in diesem Stadtviertel) hat das dann auch direkt strategische Konsequenzen. Zumal der Ablagestapel gegen Spielende bei 2 oder 4 Spieler natürlich auch einen ganz anderen Umfang hat.


    Sind die drei gleichen Karten eines Münster-Bauteils alle drei in der unteren Hälfte des 33er-Stapels, dürfte man im 2er-Spiel kaum drankommen können und damit keine Chance auf die dicken 18 Punkte haben. Das hat selbstverständlich einen Einfluss auf die Spielbalance, dazu muss man das Spiel nicht zehnmal gespielt haben. Wenn mir das nach gründlicher Regellektüre und 1,5 Spielen auffällt, dann frage ich mich manchmal, warum Autoren, Verlage oder Testspieler nicht sehen, dass es hier bei der Anpassung auf unterschiedliche Spielerzahlen etwas klemmt. Hier ist dann schon etwas Kritik an der Glücklastigkeit angebracht. Wenn ich z.B. erst nach dem Spiel durch Anschauen des Nachziehstapels feststelle, dass mein Ziel, auf das ich das ganze Spiel über hingespielt habe, gar nicht erreichbar war, dann ist das ein Makel. Auch wenn die Spielzeit so kurz ist.


    Um das Ganze nicht mit diesem Negativeindruck enden zu lassen, will ich an dieser Stelle betonen, dass ein Spiel zu zweit nicht zwingend den gleichen Charakter haben muss wie in 4er-Vollbesetzung. Hauptsache es macht Spaß und das macht Ulm auch zu zweit. Rein von der Betrachtung der Mechaniken her habe ich trotzdem den Eindruck, dass 2 nicht die ideale Spielerzahl ist, sondern das Spiel auf Vollbesetzung hin balanciert wurde und die Anpassungen für weniger Spieler schlicht vergessen (bzw. nicht ausreichend getestet) wurden. Das ist schade, denn vom Grunddesign her könnte das Spiel zu den absoluten Highlights des Jahrgangs gehören. Allein schon aufgrund von originellen Mechaniken, eher kurzer Spielzeit und damit einhergehend hoher Dichte interessanter Spielentscheidungen ist es für mich eines der interessantesten Titel dieses Jahrgangs.


    Ersteindruck: 7,5/10 (incl. Abwertung von 0,5 für das 2er-Spiel, sonst 8/10)