Okay, machen wir's konkreter. Gegeben sei ein Spiel, bei dem die Spieler Städte erwerben können (militärisch, diplomatisch, wie auch immer), und zwar nicht nur neutrale Städte, sondern auch sich gegenseitig wegnehmend. Soweit erstmal ein Setup, das man immer wieder findet, in Zivilisationsspielen und darüber hinaus. Ersetzt man "Städte" durch irgendwas Allgemeineres als Zwischenziel des Spiels, wird's noch allgemeingültiger.
Jetzt die entscheidende Frage für den Spieleautor: wie sollen die Randbedingungen sein, unter denen man Mitspielern ihre Städte wegnehmen kann?
Damit das nicht zu einseitig wird, kann man den Angriff begrenzen (mit Kosten versehen), die Verteidigung verbessern, allgemeine Catch-Up-Mechanismen dranbauen, usw. Der Autor kann an diversen Stellschrauben drehen. Das erwarte ich dann auch. Denn wenn im Endergebnis ein Spiel herauskommt, dass nur funktioniert, wenn alle Mitspieler in etwa gleich stark sind bzw. alle Mitspieler das Spiel gut kennen (beides schon erlebt!), dann ist das für mich ein schlechtes Spiel. Oder sagen wir nicht "schlecht" (unter gewissen Bedingungen funktioniert es schließlich), sondern "suboptimal", weil es eben nur unter speziellen Bedingungen funktioniert, während andere Autoren Spiele hinkriegen, die mit einem breiteren Kreis von möglichen Mitspielern genauso gut funktionieren.
Dass so ein richtiges Drehen an den Stellschrauben keineswegs einfach ist, merkt man übrigens schnell, wenn man sich nicht damit begnügt festzustellen, dass etwas schlecht funktioniert, sondern mal selbst überlegt, wie man es besser konkret machen könnte. Beispiel Verteidigung der Städte. "Ich möchte meine Städte besser gegen die Übermacht von Spieler X schützen können!" ist ja erstmal absolut naheliegend. Aber: wenn ich es allen Spielern erlaube, ihr Verteidigungswerte zu erhöhen, dann führt das genau in die Falle, die Thema des Threads ist. Die starken Spieler machen ihre Städte unangreifbar und wen kann man dann am einfachsten angreifen? Richtig: den Hintenliegenden. Folge: "the rich get richer", das verstärkt Unausgeglichenheit, anstatt ihr entgegen zu wirken.
Das im Ursprungsposting als Beispiel für das Problem genannte Scythe (worüber ich immer noch den Kopf schütteln muss...) ist hier eher ein Beispiel für gelungenes modernes Brettspieldesign: Kampfwert ist Ressourceneinsatz, simultan geheim gewählt von begrenzter Skala (maximal 7, auf Skala bis 18, d.h. bei vollem Einsatz von voller Leiste nach 2,5 Kämpfen aufgebraucht) plus 1 Kampfkarte pro Mech/Held (Wert 2-5, bei maximal 4 Mechs und einem einzigen Helden auf der gesamten Karte). So ist gesichert, dass auch die Hintenliegenden noch eine gute Chance haben, nämlich wenn sie ihre Armee (zwangsweise) konzentriert halten, während der Führende auf der gesamten Karte herummarschiert...
Ein anderes Beispiel sind die Spiele von Ryan Laukat, die oft direkte Aggression erlauben, aber es eben tendenziell unattraktiv machen. Jüngstes Beispiel Islebound (über City of Iron ließe sich ähnliches sagen). Jede Stadt hat einen festen Verteidigungswert, erobern gibt Geld = Siegpunkt im gleichen Wert, aber wenn man dem Mitspieler eine Stadt wegnehmen will, muss man zwei Punkte mehr erreichen, ohne dafür eine höhere Auszahlung zu bekommen. Wichtig dabei: die Siegpunkt gibt's für den Akt des Eroberns und nicht für den Besitz der eroberten Stadt, auch nicht am Spielende. Stadtbesitz ist eher Engine Building Element (also Mittel zum Zweck) als direktes Spielziel. Sowas ist für mich gelungenes Spieldesign. Ich mag grundsätzlich viele Eurospiele nicht-europäischer Autoren und Verlage (Stonemaier, Red Raven, Tasty Minstrel, Garphill, ...). Die schaffen es nämlich oft, recht interaktive und konfliktreiche Spiele zu machen, und zwar auf clevere Art und ohne stumpfes "ich haue dir auf die Rübe". Während europäische Werke der Sorte "tausche Ressourcen über 1-2 Zwischenschritte in Siegpunkte" mich immer öfter langweilen.