In letzter Zeit habe ich zwei Spiele gespielt, bei denen sich das Berichten lohnt. Nämlich zwei Spiele, bei denen ich nicht die allergrößten Erwartungen hatte, die mich dann aber positiv überrascht haben.
Da ist zum einen #Viceroy. Um dieses Spiel gab's ja vor der Messe in Essen 2014 einen riesigen Hype, u.a. ausgelöst durch Rahdos euphorisches Review zur russischen Originalversion (Namestnik; bitte in kyrillischer Schrift denken). Ich war dann ein bisschen skeptisch geworden, war mir ein bisschen zuviel Hype. Anschließend eine sehr erfolgreiche KS-Kampagne in den USA, aber nach Auslieferung viele, die das Spiel sofort wieder verkauft haben, mäßige Noten auf BGG, auch bei Rahdo selbst notenmäßig eher im Mittelfeld einsortiert, Platz 99 bei ihm. Da sieht man mal wieder, was euphorische Rahdo-Reviews wert sind. Aber das ist ein anderes Thema.
Zurück in die Neuzeit. Die deutsche Version gab's jetzt bei Magierspiele für 17,20 EUR. Die grundsätzliche Ausrichtung als recht flottes Kartenspiel mit doch ordentlichem strategischem Tiefgang ist das, was ich zuhause derzeit gut auf den Tisch bekomme. Also einfach mal das Risiko eingegangen. Und siehe da: es gefällt mir, es gefällt meiner Frau.
Viceory ist "set collection" in extrem aufgebohrter Form. Man erhält in 12 Runden idR je eine Karte und spielt diese Karten entweder direkt im Anschluss oder verzögert aus, um in unterschiedlicher Weise mit verschiedenen Kombinationsmöglichkeit und unter allerlei Randbedingungen dafür am Ende irgendwie Punkte zu bekommen. Das Spielgefühl erinnert mich ein bisschen an die französische Design-Schule wie bei 7 Wonders oder Five Tribes: große Abrechnung am Ende mit Addieren diverser Punktezahlen, die für teils radikal unterschiedliche strategische Wege stehen. Diese Wege erscheinen mir sehr gut ausbalanciert. Das Spiel verbindet Strategie und Taktik: einerseits muss man sich auf bestimmte Richtungen festlegen, andererseits sollte man immer sehen, was man am besten aus dem aktuellen Kartenangebot macht. Das Ganze ist -- kartenspieltypisch -- durchaus glückslastig, aber in Anbetracht der Spielzeit geht das für mich so in Ordnung.
Für mich 7/10 auf der BGG-Skala. Wenn man das Spiel für das nimmt, was es ist, kann man das bei Preisen unter 20 EUR auch als Kaufempfehlung werten. Einige schlechte Reaktionen sind für mich auch übertriebenen Erwartungen geschuldet. Viceroy ist nichts, was "play mats", Glaskristalle oder anderen Stretch Goal Schnickschnack braucht. Diese Sonderbehandlung erhebt Viceroy in einen Status, dem das Spiel kaum gerecht werden kann. Die Spieler-Interaktion ist gering und eher wenig planbar, dieser Kritikpunkt stimmt schon, aber geht man mit realistischen Erwartungen heran, kann Viceroy als 45min-Kartenspiel für 2-4 Spieler trotzdem überzeugen.
Die zweite Sache ist #MoonghaInvaders von Martin Wallace als 3er. Monster-Miniaturen, viel Würfelei, Panzer, Atombomben, Grafik im Comic-Stil, wahnwitzig-verrückte Story. Wir sind nämlich durchgeknallte Wissenschaftler, die mit mutierten Monstern die Welt terrorisieren wollen, dabei aber gleichzeitig drei geheim zugeteilte Städte vor den Mitspielern beschützen sollen, die das Gleiche vor haben. Kämpfen kann man gleichermaßen gegen die Städte wie gegen die Monster der Mitspieler. 80% Ameritrash, 20% Euro. Gespielt auf dem Spieletreff, weil es sich so ergeben hat. Denn grundsätzlich bin ich immer daran interessiert, Neues kennen zu lernen. Auch wenn das wie im Falle von Moongha Invaders etwas ist, was eigentlich so gar nicht meiner bevorzugten Richtung entspricht.
Was soll ich sagen... Am Ende war ich sehr positiv überrascht. "Hah! Jetzt lege ich Berlin in Schutt und Asche!", "Du willst Los Angeles mit deinen Monstern zerstören? Nix da! Da schmeiße ich jetzt die Atombombe drauf und mache dich mit der Stadt zusammen platt!". Äh ja. Man braucht schon eine gewisse Fähigkeit zum Abschalten von normalen moralischen Denk- und Verhaltensweisen. Mal zwei Stunden den verrückten Wissenschaftler beim Weltzerstören spielen. Gnahaha. Hihihi.
Spielmechanisch war's wirklich schön. Definitiv sehr originell und trotz aller glückslastigen Würfelei genug Strategie dabei. Spielt sich auch überraschend flott. Ich weiß allerdings nicht, ob wir 100% korrekt gespielt haben, denn manche Monster schienen mir relativ nutzlos. Egal. Hat Spaß gemacht, die Weltstädte zu plätten. Kein Überhammer, aber ich würde Moongha Invaders jederzeit wieder mitspielen. Ebenfalls als Ersteindruck 7/10 auf der BGG-Skala, wobei da in Anbetracht des Material-Overkills weniger Kaufempfehlung drin steckt als bei den 7/10 vom kleinen, aber feinen Viceroy. Für einen Kauf ist mir das Thema außerdem dann doch eine Nummer zu schräg und das Spiel unterstützt auch nur 3-4 Spieler, d.h. die Einsatzchancen wären nicht so toll. Auf der einen Seite war ich positiv überrascht, aber auf der anderen Seite kann ich auch verstehen, warum das Spiel in Foren oder bei BGG nicht so toll wegkommt. Wenn man viel Geld dafür ausgegeben hat, dürfte man vielleicht auch etwas mehr erwarten. (Für KS-Spiele mit eher geringer Anzahl von Noten bei BGG ist ein Schnitt unter 7 ja eher schlecht; die meisten Backer neigen ja eher dazu, die unterstützten Crowdfunding-Spiele besser zu bewerten als sie sind, um das ausgegebene Geld zu rechtfertigen.) Trotzdem: die positive Überraschung für mich bleibt, auch für sowas lohnt sich ein offener Spieletreff.