So, die Erstpartie liegt hinter mir. Die Nervenheilanstalt ist gelöst und wir haben drei Durchläufe dafür gebracht, den ersten Durchlauf noch zu viert, danach zu dritt weiter. Ein sehr intensives Spielerlebnis, das uns rund fünf Stunden gut unterhalten hat. Die 40 Euro haben sich meiner Meinung nach gelohnt, schon alleine um dieses Spiel erlebt zu haben. Jetzt bin ich mal gespannt, in wie weit sich die Storybox "Der Marcy Fall" davon abhebt und welche neuen Elemente damit ins Spiel kommen, denn das Spielsystem ist extrem flexibel und ausbaufähig angelegt.
KEINE PANIK, ICH ERZÄHLE NIX VON DER STORY, ALSO ABSOLUT SPOILERFREI.
Anfangs weiss man erstmal nichts bis wenig. Das Spiel leitet einen aber prima ins Spielgeschehen ein, ohne dass man von den Mechanismen überfordert wird. Stattdessen kann man sich voll und ganz auf die Story konzentrieren und diese ausleben. Das Regelheft könnte aber besonders bei den Aktionen, die Zeiteinheiten kosten, genauer sein und ebenso, in welcher Reihenfolge die Aktionen innerhalb einer Zeiteinheiten passieren, wenn sich einigen bewegen und andere Würfelproben währenddessen machen. Eine detailklärende FAQ wäre gut.
Das Element, dass man eben die Ortskarten nicht einfach vorliest, sondern seine Erlebnisse mit eigenen Worten wiedergibt, trägt enorm zur Atmosphäre bei. Allerdings muss man sich ein wenig selbst zusammenreissen, um nicht ins Vorlesen abzugleiten, wie mir selbst in Ansätzen ein paar mal passiert. Ist eben ungewohnt in einem Brettspiel. Ebenso muss man sich auch die nötige Zeit nehmen, damit sich die Story entwickeln kann, man selbst nicht durchhetzt, sondern Erkenntnisse und Pläne gemeinsam mit seinen Mitspielern diskutiert, Schlüsse zieht und dann handelt und sich durch die Situationen überraschen und faszinieren lässt.
Der erste Durchlauf ist ein wenig Try & Error. Wohl unmöglich, dass man das Spiel direkt lösen kann. Im zweiten Durchlauf haben wir dann eine Menge mehr und etliches Neues entdeckt, während wir bekannte Spielorte recht schnell abgehandelt haben. Allerdings war es dabei auch interessant, selbst mal Ortskarten zu sehen, die im letzten Durchlauf eben nur die Mitspieler gesehen und davon berichtet haben. Der dritte Anlauf war dann eine Optimierung des zweiten Anlaufs und es stand aufs Messers Schneide am Ende. Sehr dramatisches Finale mit tollem Spannungsbogen. Zwar hätte ich gerne noch mehr Hintegrundwissen bekommen, aber eventuell haben wir genau diese Informationen in unseren Durchläufen nicht gefunden, weil nicht immer ist klar, ob und wo es noch unentdeckte Personen, Orte und Situationen geben könnte.
Zwar haben die einzelnen Wirte, die man im Durchlauf übernimmt, unterschiedliche Sondereigenschaften und können in bestimmten Situationen auch anders agieren und reagieren, da hätte ich mir aber ebenso mehr Tiefe und mehr Unterschiede gewünscht und gerne auch eine Charakterentwicklung der Wirte. Da setze ich meine Hoffnung auf die anderen Storymodule, weil Nervenheilanstalt ist ja "nur" das Einführungsszenario und das merkt man eben an einigen Stellen, nicht wirklich negativ, aber ein mehr wäre besser als gut gewesen.
Während des Spiels haben wir zwei Rechtschreibfehler entdeckt auf den Karten. Da fehlte mal ein Buchstaben oder war einer zuviel. Ansonsten ist eben Karte 110 unvollständig. Aber mit der Korrektur aus dem Internet kein Gamestopper für uns. Problemlos auch ohne Austauschkarte spielbar. An einer anderen Stelle fanden wir es etwas merkwürdig, dass wir einen neuen Ort hätten auslegen sollen, den wir aber schon anders entdeckt hatten. Eventuell haben wir aber auch ein Detail übersehen oder falsch verstanden, was schnell passieren kann, da man den Kartenanweisungen wirklich wortgetreu folgen sollte ohne etwas in die Spiemechanik hineinzuinterpretieren.
Einzig etwas schade ist, dass ich die Story Nervenheilanstalt nur noch extrem eingeschränkt erneut mitspielen kann. Denn gewisse Storyelemente waren eben schon sehr einprägsam und da müsste ich mich in einer anderen Spielrunde inmitten von Erstspielern schon arg zurückhalten, fast eher die Rolle eines passiven Spielleiters einnehmen, weil ich eben vorab wüsste, wie welcher Storyzweig ausgehen wird können. Wäre aber trotzdem spannend, mitzuerleben, wie die sich dann wohl entscheiden und anstellen würden. Der Wiederspielwert ist eben kaum vorhanden, dafür war das Ersterlebnis aber absolut grandios und eine gute Erinnerung an ebenso gute wie alte Rollenspieltage, hier dann nur aufs Brettspiel heruntergebrochen. Zwei Daumen hoch an alle, die den Kaufpreis nicht scheuen. Ist eben kein Marco Polo, das man 34-fach spielen kann und immer noch Neues erlebt.
Cu / Ralf