Meine Neu- bzw. Wiederentdeckung der letzten Zeit ist AquaSphere. Direkt nach der Spielemesse 2014 bei der Bewältigung der messeüblichen Neuheiten-Flut nur ein- oder zweimal gespielt, Ersteindruck "jo, ganz nett" und dann über das gesamte Jahr 2015 hinweg nicht angerührt. Ein Fehler, wie ich inzwischen weiß...
In letzter Zeit habe ich AquaSphere mehrfach gespielt und es gefällt mir immer besser. Darin ähnelt es Bora Bora vom gleichen Autor, das auch erst im Laufe der Zeit in meiner Wertschätzung von einem anfänglichen "naja" zu einem meiner absoluten Lieblingsspiele gewachsen ist. Ob AquaSphere die gleichen Höhen erklimmen kann, weiß ich noch nicht, aber Bora Bora ist schon mal ein gutes Stichwort für eine vergleichende Bewertung, denn AquaSphere hat durchaus ein paar Ähnlichkeiten dazu. Die meisten von denen, die sich für AquaSphere interessieren, dürfte Bora Bora kennen, und wer Bora Bora mag, der sollte definitiv weiter lesen.
Genau wie bei Bora Bora gibt es auch bei AquaSphere eine gute handvoll grundverschiedener Aktionen, die man ausführen kann, wobei AquaSphere dabei trennt in "Aktion vorbereiten" und "Aktion durchführen". Dadurch, dass nur zwei unterschiedliche Aktionen vorbereitet werden können (von sieben möglichen), entsteht eine gewisse Komplexität mit Zwang zur Vorausplanung, zumal beim Vorbereiten auch noch Reihenfolge und Auswahl eingeschränkt sind. Die Aktionen sind ähnlich vielfältig wie bei Bora Bora: Ein paar davon geben direkt Punkte, ein paar Aktionen unterstützen indirekt andere punktebringende Aktionen, dabei teils als zwingend notwendige Voraussetzung, teils als Bonus, und andere Aktionen sind wiederum auf allgemeiner Ebene hilfreich. Das alles ist sehr verschachtelt. Eigentlich muss man es noch etwas krasser sagen: für Neulinge muss das fast zwangsläufig erstmal ziemlich verworren und unübersichtlich wirken.
Der Unterschied zu Bora Bora ist, dass AquaSphere zwei wichtige Dinge fehlen, die ein solches Spieledesign idealerweise aufweisen sollte. Zum einen gibt Bora Bora dem Spieler durch die variablen Aufträge eine gewisse Orientierung, auf die man hinspielen muss, was gleichzeitig auch das Kennenlernen des Spiel fördert. Ich weiß nicht, ob das bei Bora Bora so geplant war, aber es ist auf jeden Fall sehr clever, um einen solch schweren Strategiebrocken handhabbar zu machen. Bei AquaSphere fehlt dieses "etwas an die Hand genommen werden", es fehlen solche klar definitierten Zwischenziele. Man muss alles selbst herausfinden und dabei fängt man obendrein auf dem Status der völligen Überforderung an. Es gibt solche Spiele, bei denen sich Autor und Spieletester immer mehr in Details verlieben und dabei manchmal etwas aus den Augen verlieren, wie ein Neuling mit dem Spiel bei seinem Erstkontakt eigentlich zurechtkommen soll. AquaSphere scheint mir etwas unter diesem Problem zu leiden.
AquaSphere hat nicht nur das Problem, dass der Anfänger überhaupt nicht weiß, was er tun soll. Um es noch schlimmer zu machen, gibt AquaSphere einem noch vorab Infos darüber, wie die Programmieroptionen für die nächste Runde aussehen werden und wo dann Oktopoden, Kristalle und neutrale U-Boote erscheinen. AquaSphere möchte, dass man das alles schon in seine Planungen einbezieht -- während man als Anfänger schon mit dem Bewältigen des Ist-Zustandes bereits an seine Grenzen kommt und die Infos für die nächste Runde nur noch die Verwirrung erhöhen.
Die andere Sache, die bei Bora Bora wesentlich besser ist, ist die Klarheit der Spielregel. Zugegeben: Bora Bora ist bei Alea erschienen und die sind in dieser Hinsicht nun mal Referenzklasse. Ein solch verzahntes Spieldesign wie Bora Bora oder eben AquaSphere braucht aber unbedingt eine sehr gut strukturierte und 100% klare Spielregel, ein "ordentlich" reicht da nicht. Tja. Die Regel von AquaSphere kommt eben nur auf "ordentlich". Die Spielregel ist jetzt nicht voller Fehler, das nicht, sie ist aber nicht optimal strukturiert und voller missverständlicher Stellen. In den Foren finden sich überproportional viele Regelfragen zu AquaSphere oder auch Berichte, aus denen man erkennt, dass wichtigte Regeln übersehen wurden. Ja, sogar von der Messe 2014 selbst, als das Spiel erschien, berichten viele Forenschreiber unabhängig voneinander, dass ihnen das Spiel dort nicht 100%-ig richtig erklärt wurde. Ich behaupte mittlerweile (mit dem Vorteil, dass mich da niemand wirklich widerlegen kann ), dass vermutlich so gut wie niemand der AquaSphere-Erstspieler das Spiel 100% regelkonform spielt. Bei mir hat's auch lange gedauert -- und ich halte mich nicht gerade für einen Strategiespiel-Einsteiger.
Auch sprachlich ist die Anleitung oft nur okay, nicht gut. Beispiel: Die "Zwischenwertung" hätte zum Beispiel eher "Rundenwertung" heißen sollen; das wäre bei einer "Zwischenwertung" am Spielende nach der vierten und letzten Runde weniger verwirrend. Eine Zwischenwertung vernebelt sprachlich die klare Rundenstruktur, wo doch alles, was dem ganzen Design Halt geben könnte, so dringend gebraucht würde. Das zieht sich so durch. Alles nur Kleinigkeiten, aber die summieren sich. Die Spielregel ist auch wenig "nachschlage-geeignet". Viele wichtigen Sachen finden sich oft an ganz anderen Stellen, wesentliche Dinge sind nicht einheitlich gelöst. Auf Kapazitätslimits durch das Labor wird mal explizit hingewiesen, wenn man irgendwas bekommt, und mal nicht. Die Beschreibung der roten und grünen Aktionen ("Nimm dir die oberste [...]") sind völlig unklar, bevor man viel später in der Anleitung erfährt, dass die entsprechenden Elemente am Rundenelemente nicht abgeräumt, sondern mit neuen Plättchen bzw. Karten überdeckt werden. Und die lilanen Aktion (Oktopodenfangen) hätte man einheitlich mit einem durchgestrichenen Oktopoden kennzeichnen sollen.
Weniger ein Problem der Spielregel als das Spiels selbst ist dagegen, dass arg viele Sachen auch für den erfahrenen Brettspieler ziemlich unintuitiv sind, sei es das Behalten verbrauchter Bonuskarten (statt Abgeben) oder das Aufstapeln von neuen Plättchen und Karten auf die nicht genommenen (statt Auffüllen der leere Plätze oder komplettes Abräumen plus Neuauslage). Die allgemeine, aber variable Begrenzung aller Ressourcen kennt man auch so nicht und sowas wie die weiße Programmieraktion, deren einziger Zweck es ist, durch den Wissenschaftler ein Programm einer anderen Farbe aufzuspielen zu lassen, mag für die Spielmechanik wichtig sein, weil es dem Spieler manchmal dringend benötigte Flexibilität gibt, bringt aber dafür ein recht hohes Maß an Regelkomplexität. Das Spiel ist definitiv originell und funktioniert überraschend gut, wenn man es sich erstmal erarbeitet hat, allerdings funktioniert es nur durch allerlei eher unintuitive Regeln. Ja, wir Spieler rufen oft nach originellen Designs, und AquaSphere ist ein solches, aber der Verlag hätte AquaSphere ein gutes Stück leichter verdaulich gestalten müssen, und da hätte meiner Meinung nach ein bisschen Tuning an ein paar Kleinigkeiten gereicht.
Zu der Einstiegshürde durch eine überbordende Komplexität des Spiels selbst kommt bei AquaSphere also auch noch eine nicht zu unterschätzende Regelhürde hinzu. Eine riskante Mischung, wenn ein Spiel erfolgreich am Markt sein will, denn beides zusammen ist für viele Spieler vermutlich etwas zu viel des Guten. Die Gefahr ist dann eben, dass man das Spiel nicht so oft spielt, wie es notwendig wäre, um das nötige Verständnis von Spielregeln und Spielmechanik zu erreichen. Das führt dann zu vielen Ersteindrücken, die nicht den Stärken des Spiels gerecht werden, und in der heutigen Zeit landen diese Eindrücke dann auch schnell im Internet und schrecken andere Interessenten ab. Das ist bei AquaSphere meiner Meinung nach der Fall und das ist schade. Deshalb dieser Bericht, um dem etwas entgegen zu wirken.
Viele im Netz zu findenden Negativmeinungen zu AquaSphere sind mit "Spiel nicht verstanden" oder "selten gespielt" oder "falsch gespielt" zu erklären. Diese Kritik sollte man im Geiste streichen. Weg damit! In einer idealen Welt dürfte AquaSphere erst nach mindestens fünf, besser zehn Spielen internet-öffentlich rezensiert werden. Was nach Abzug des ganzen Unfugs bei den Kritiken übrig bleibt, ist ein gewisses "gespielt werden"-Gefühl, und, ja, ein bisschen würde ich das schon gelten lassen, das wird nicht jedem gefallen. Man kann jede Runde nur 3+X bestimmte Roboteraktionen machen, wobei die Auswahl für die "3" ziemlich eingeschränkt ist. Das "X" durch Sondereffekte (freies Programmieren für drei Zeitmarker sowie Programmieren durch Forschungskarten) hat man dagegen unter Kontrolle. So ein bisschen erinnert das an die Götterkarten von Bora Bora. Ist man durch die blockierenden Würfel bei Bora Bora eingeschränkt, so dass man das Gefühl haben muss "gespielt zu werden"? Ja und nein. Wer das Spiel beherrscht, kommt mit einem Plan B und Götterkarten darüber hinweg. Ähnlich bei AquaSphere: wer das Spiel beherrscht, der braucht sich nicht gespielt fühlen.
Der AquaSphere-Spieler macht vier Phasen durch: Zuerst lernt man bei AquaSphere die Regeln -- und damit hat man schon ein bisschen zu tun, das ist noch ohne, eine bis fünf mehr oder weniger falsch gespielte Partien sind normal. In Phase 2 lernt man, die Restriktionen, die einem das Spiel auferlegt, zu umgehen bzw. ins Leere laufen zu lassen, z.B. durch Nutzung der weißen Programmier-Aktion oder durch Einsatz von drei Zeitmarkern zum freien Programmieren; damit verliert sich das "ich werde gespielt"-Gefühl, das man am Anfang haben kann. Dann lernt man in Phase 3, frühestens nach 5-10 Spielen, wie man durch Vorausplanung in dem ganzen Chaos der Zugoptionen und Wege tatsächlich etwas zielgerichtet und planvoll erreichen kann. Man lernt, die Programmkarte für die nächste Runde sowie die am Rundenende hinzukommenden Ressourcen in die eigenen Planungen einzubeziehen. Am Ende dieser Entwicklung, in Phase 4, macht AquaSphere dann Spaß, und zwar in jedem Spiel etwas mehr. Ich wünsche jedem, der bis hierher gelesen hat, dass er auch den "AquaSphere-Level 4" erreicht.
Fazit: AquaSphere will entdeckt und erkundet werden. Wer AquaSphere im Rahmen des üblichen Neuheiten-Durchhecheln nur ein- oder zweimal gespielt hat, dem empfehle ich dringend weitere Spiele, um das Spiel zu entdecken. Schaut euch erst Rodney Smiths gutes "Watch it played"-Regelvideo an, dann überfliegt die offizielle Spielregel nochmal (jetzt mit der Chance, sie beim einmaligem Durchlesen auch mit den ganzen Details zu verstehen), dann schaut nochmal meine Liste üblicher Regelfehler weiter oben an, und los geht's. AquaSphere belohnt Vorausplanung in einem extrem vielfältigen und hochgradig interaktiven Strategiespiel, bei dem die unterschiedlichen Entwicklungspfade und strategischen Optionen fast schon bis zur Verworrenheit miteinander verzahnt sind. Die Einstiegshürden sind echt heftig. Aber es lohnt sich.